Die Politik der Woche.
De» Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willen- sind. Haben wir den? Den Willen, Frieden zu Hallen mit unseren ehemaligen Feinden, den Siegern im Weltkrieg, haben wir gewiß. Wir müßten ihn haben, selbst wenn wir nicht wollten. Aber den Willen zum Frieden im Innern, von deutschem Stamm zum Bruderstamm, von Partei zu Partei, vom Nächsten zum Nachbar, von einer Volksschicht zur andern, unter den verschiedenen Erwerbsständen, im Verhältnis de- Einzelnen zum Volksgänzen, wer hat ihn? Es ist ja anßerordentlich schwer und erfordert große Opfer, sich in dieser teuren Zeit frei zu machen von dem materialistischen Geiste der Selbstsucht und der Geldgier, sich unterzuordnen mit seinen eigenen Idealen unter die zwingenden Gebote von Staat und Reich, nicht zu hadern gegen den Geist der Korruption, der sich von oben herunter in die breitesten Schichten des Volkes hinein erstreckt, sich abzufinden mit dem Dilettantismus in der Regierung mit all den von der Revolution neugebackenen Staatsgewalten, dem politischen u. wirtschaftlichen Schiebertum, — aber heute ist der Tag, an dem ein Blick in das schlichte Lukasevangelium von der Geburt des Erlösers gleich dem Lichtschein der Weihnachtskerzen uns mit neuer Hoffnung und schlichter Kinderfreude erfüllen sollte, an dem wir uns wieder einmal bewußt werden, daß der Wiederaufbau unseres Volkes nur von statten gehen kann, wenn wir die christliche Heilslehre nicht bloß glauben, sondern auch befolgen in allem unserem Tun und Treiben. Ein Tag der Versöhnung muß es sein. In der Stunde, wenn von allen Türmen die Glocken klingen zum christtäglichen Gruß über die winterliche Heimat, da sollen wir warmen Herzens neue Liebe fassen zum gesamten deutschen Volke, zu unserem Heimatland, und echte Bruderliebe zu allen, die, mögen sie auch anders denken, doch die gleiche Sprache reden wie wir. Dann ist es ein christliches und ein deutsches Weih: achtSfest. —
Der Geist der Versöhnung waltete wenigstens über den Beratungen des Kultetats im Finanzausschuß unseres Landtags Die künftige Trennung von Staat und Kirche rückt immer näher heran. Schiedlich friedlich will man versuchen, jedem dabei das Seine zukommen zu lasten. Es wird nicht leicht sein Uederreste alten und Ansätze neuen Kulturkämp- fertums spuken in den Parteien der Linken. Aber bis auf die Radikalsten gab sich dcch der gute Wille kund, zu einem verträglichen Ende zu kommen, so daß, wenn nicht in letzter Stunde der Geist des Haders von neuem ausbricht, mit eini aer Zuversicht der Verabschiedung des Kultetats im Plenum Mitte Januar entgegengesehen werden darf; denn dieses tritt am !2. Januar wieder zusammen.
Umso schlimmer ist unsere wirtschaftliche Lage. Aber wir hören schon wieder von Streikdrohungen, diesmal von den Eisenbahnern, dabei haben wir erst vor einigen Tagen eine ehemalige Krisis in der Reichsregierung wegen der Er? Hebung des Re'chSnotopfers überstehen müssen, bis es glücklich vom Reichstag beschlossen wurde, der sich dann zum 19. Januar vertagte. Und am 20. Februar sind die preußischen Wahlen. Die Agitation setzt dort bereits ein. Es wird eine schwere Abrechnung und ein erbittertes Ringen. Wann kommt endlich — man wird es immer wieder fragen — auch die verfassungsmäßige Wahl eines Reichspräsidenten. Die Völkerbundskomödie in Genf ist beendet; der Wiedergutmachungs- spektakel in Brüssel zieht sich noch Über Weinachten hin. Es ist nicht der Mühe wert, darüber Worte zu verlieren. Niemand hört gerne am Fest von der eigenen Schande. Der künftige Präsident der Vereinigten Staaten, Harding, macht auch schon, wie Wilson, in Völkerfrieden, baut aber rastlos Kriegsschiffe und verkündigt die Verstärkung des Panamaka nalS. Es ist doch immer der gleiche amerikanische Humbug und nur erstaunlich, daß sich immer wieder Dumme finden, die dergleichen glauben. England hat mit Spanien ein Bündnis geschlossen gewiß nicht zu Abrüstungszwecken. In Korea ist eine Revolution auSgebrochen oderauch von den Japanern selbst entfacht worden, als Vorwand für die Entsendung noch größerer Truppenmassen auf den asiatischen Kontinent. Bor Fiume liegt eine italienische Blockadeflotte, um den Garibaldi- jünger d'Annunzio zu meistern. Die Flotte hat gemeutert, vielleicht auf höheren Befehl. Es ist ja alles Lug u. Trug,
reinste Räubermoral unter unseren Bezwingern. Sie gehören sicherlich nicht zu denen mit dem guten Willen, für die die himmlische Botschaft den Frieden auf Erden verhieß.
Tages-Neuigkeiten«
Braunschweig und sein ehemaliger Herzog.
Braunschweig, 23. Dez. In der Sitzung des Landtags teilte Ministerpräsident Oerter mit, daß der frühere Herzog dem StaatSministerium habe erklären lassen, das Haus Cum- berland halte sich für berechtigt, das gesamte Kammergut, also alle Domänen, Forsten und Bergwerke des Freistaates Braunschweig in Besitz zu nehmen. Es wolle sich aber für zufriedenstellend erklären, wenn ihm der Staat freiwillig einen Teil des Kammerguts abtrete, der ausreiche, um das HauS Cumberland zur Führung eines standesgemäßen Haushalts und zur Repräsentation zn befähigen. Im einzelnen sei dann auSeinandergcsetzt worden, worauf sich diese Forderungen erstrecken sollten. Alles in allem bezifferten sie sich auf etwa 250 Millionen Mark. Das Ministerium habe dem Abgesandten des Herzogs von Cumberland, ohne sich auf Einzelheiten einzulaflen, keinen Zweifel darüber gelassen, daß an eine frei willige Erfüllung dieser Forderungen weder ganz noch teilweise zu denken sei. Ihre Annahme durch den Landtag sei gänzlich ausgeschlossen Die Sprecher der drei sozialistischen Fraktionen gaben eine Crk ärung dahin ab, daß die Forderungen des früheren Herzogs lediglich eine Machtfrage sei; sie lehnten die Ansprüche in allen Teilen als indiskutabel ab. Die Vertreter der in der Minderheit befindlichen bürgerlichen Fraktionen vertraten dagegen den Standpunkt, daß es sich um eine Rechtsfrage handele, deren Entscheidung den ordentlichen Gerichten oder einer andern anzurufenden Instanz zu überlassen sei.
Äbgeordneter v. Gräfe.
Berlin, 23. Dez Mit den Absichten des Abgeordneten v. Gräfe, aus der deutschnationalen Volkspartei aüszutreten, muß es seine Richtigkeit haben; denn die Korrespondenz der Partei teilt mit, daß die Stellung des Abgeordneten v. Gräfe zur Fraktion noch keineswegs feststehe, daß sich vielmehr die Fraktion erst mit der Angelegenheit beschäftigen werde und die Möglichkeit bestehe, den Austritt des Abgeordneten v Gräfe zu vermeiden.
Im Namen des Volkes!
Berlin, 23. Dez. Wie die Blätter melden, hat auf Grund einer Veröffentlichung des preußischen Justizministeriums nach Inkrafttreten der Verfassung die Ueberschrift von gerichtlichen Urteilen zu lauten: Im Namen des Volkes!
Die inneren deutschen Gesandtschaften.
Berlin, 23. Dez. Aus Abgeordnetenkreisen des bayrischen Bauernbunds wird der Kreuzzeitung zu der Frage der inneren deutschen Gesandtschaften mitgeteilt, es sei für die Länder eine politische Notwendigkeit, daß sie untereinander ständig in Fühlung bleiben, um namentlich die Interessen der süddeutschen Volksteile in Berlin zur Geltung zu bringen. Ganz besonders erscheint es notwendig, daß Bayern in Stuttgart vertreten sei, weil es zwischen Bayern und Württemberg viele, oft sehr wesentliche Berührungspunkte gebe. Die Angelegenheit werde beim nächsten Etat des Ministeriums des Nenßern eingehend zu besprechen sein.
Die Koste« der Reichstagswahl.
Berlin, 23 Dez. Nach dem Reichswahlgesetz ist die Reichsregierung zum Ersatz der Kosten für die Stimmzettel verpflichtet. Im Einvernehmen mit dem Reichsrat und dem Reichsiag hak die Reichsregierung 15 als Kostenaufwand für jeden gültigen Stimmzettel bestimmt. Die Belastung für die Reichskasse beläuft sich auf 3,9 Millionen, ohne die Ausgaben für die bevorstehenden Wahlen in den Abstimmungsgebieten. Die Sozialdemokratie erhält 840000 die Unabhängigen 735 000 die Dcutschnationalen 555 000 Deutsche Bolkspanei 540 000Zentrum 525 000 Deutschdemokraten 330 000 Bayrische Voikspartei 177 000^ usw.
Die Forderungen der Eisenbahner.
Berlin, 23. Dez. Wie in einer Zuschrift des Deutschen Etsenbahnerverbands an die Blätter mitgetetlt wird, haben die vier großen Eisenbahnerverbände der Beamten und Ar-
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? Vernunft, o Mensch, und Wille find Waffen, 0 ? Dein Glück zu schaffen. Herder. ö
Im Schatten dev Schuld.
4 ) Original-Roman von Hanna Förster.
Wenn dieses Schloß der Stammsitz der Grafen Hollwangen war, und Renate zweifelte nicht daran, dann begriff sie das seltsame Benehmen ihres Retters erst jetzt in der Erinnerung noch besser als vorhin, wo sie es so schmerzlich berührt, ihr ein solches Gefühl der Bettoffenheit verursacht hatte. Für einen stolzen Mann aus altem Geschlecht mußte es ein schrecklicher Gedanke sein, wenn ein solcher wundervoller, für ihn durch Traditionen noch mehr geheiligter Besitz in fremde Hände gelangte.
Aber, so dachte das junge Mädchen grüblerisch, wie war e- nur möglich, daß Schloß Hollwangen jetzt ihrer Großmutter gehörte? Unbedingt mußte sie erfahren, wie das alle- zusammenhing. Als sie in den Schloßhof einritt, kam der alte Reitknecht aus dem Stall, um ihr aus dem Sattel zu helfen und das Pferd in Empfang zu nehmen.
In seinen stillen freundlichen Augen stand eine Frage, als er sah, daß die junge Dame ohne Hut war. Er wußte doch ganz genau, daß sie was hübsches Samtenes auf dem Kops gehabt, als sie fortgeritten. Sie nickte dem alten Mann der schon seit vielen Jahren auf denr Schloß bedienstet war, lächelnd zu und rief:
„Ja, Vollmer, ich komme Hutlos zurück. Der Rappen hatte unterwegs mal Lust zum Ausreißen bekommen, und dabei büß e ich meine Kopfbedeckung ein, aber sonst ist eS gottlob noch gut abgegongen. Vielleicht schicken Sie einen von den Hosjungen, der ihn mir wieder herbeischafft. Auf dem Weg von Lowitz bis zur Wegkreuzung oder etwas weiter wo dek Weg abbtegt nach Vorwerk Wildau, so steht wenigstens auf dem Weiser, muß ich ihn verloren haben."
„Nach Wildau, nach dem Vorwerk, wo Graf Hollwangen wohnt?"
Der alte Mann vergaß ganz seine sonstige Ehrerbietung der Enkelin seiner Herrin gegenüber. Es schien ihm unfaßbar, daß sie auf jenem Weg gewesen, in die Nähe des Grafen von Hollwangen gekommen sei.
Renate sah seine erstaunten Minen, in denen aber zugleich etwas wie Schrecken lag. Das steigerte noch ihre innere Unruhe, doch um keinen Preis hätte sie den alten Mann, so gern sie ihn sonst mochte, gefragt, weshalb er sich wundere, wenn sie von Wildau sprach. Nein, sie mußte sich wo anders Aufklärung suchen.
In diesem Augenblick hörte sie ihren Namen rufen.
„Fräulein Renate, um Himmelswillen, Kind, wie sehen Sie aus? Ohne Hut — was ist passiert?"
DaS junge Mädchen mußte unwillkürlich lächeln. Ach, die gute alle Möllern, die war schon wieder besorgt um sie, und fürchtete vor allen Dingen, daß Großmutter unangenehm werden könnte, wenn sie ihre Enkelin zufällig so hätte von ihrem Ritt nach Lowitz zurückkehren sehen.
Da kam auch schon Frau Hanna Möller, die alte langjährige Wirtschafterin auf Schloß Hollwangen, mit ihren kleinen und doch noch so flinken Schritten die Treppe aus dem Seitenflügel des Schlosses herunter und zu Renate her- ange'rippelt. Mit ängstlichen forschenden Blicken sah sie in das reizende junge Gesicht.
Lächelnd r'ef Renate:
„M>r ist gar nichts passiert, ich habe nur meinen Hut unterwegs verloren."
Der Reitknecht hatte sich mittlerweile mit dem Pferd entfernt. DaS junge Mädchen sah dem Rappen, der so ruhig und folgsam nach den Ställen trabte, mit einem vorwurfsvollen Blick nach.
„So ein Heimtücker", sagte sie und wandte sich zu Frau Möller, die jetzt wieder kopfschüttelnd auf die sehr in Unordnung geratene Haarfülle des jungen Mädchen- blickte. Irgend etwas schien ihr nicht zu stimmen.
„Na ja," meinte Renate, halb schelmisch, halb ernst, „das Beste ist schon, ich erzähle Ihnen das Abenteuer, das ich be
beiter der Reichsregierung, dem Reichstag, dem Reichsstuanz- und dem Reichsoerkehrsmintsterium ihre Forderungen übermittelt. Sie verlangen für die Eisenbahnarbeiter eine Erhöhung des TeuerungSzuschlags um 1 pro Stunde und für die Beamten eine Erhöhung des Teuerungszuscklags bis 9o Prozent. Weiter fordern sie, daß das Besoldungsgesetz in allen Teilen mit Beschleunigung in Kraft gesetzt wird und daß wegen der vom Reichstag geforderten Revision de- Besoldungsgesetzes sofort mit den Spitzenorganisationen in Verhandlungen eingetreten wird. Die Regierung wird ersucht, den Zeitpunkt mitzuieilen, au dem die Verhandlungen be ginnen können. Den Forderungen ist der bekannte Aufruf beigefügt, der die Streikdrohung enthält. Die Zuschrift schließt mit dem Hinweis auf den E^nst der Situation. Zum ersten mal bilde dos gesamte Eisenbahnpersonal „eine Einheitsfront zur Erkämpfung besserer Existenzverhältnisse". —
Deutschland soll 263 Milliarden Goldmark im Laufe von 42 Jahren zahlen!
Brüssel, 23. Dez. Die Entente ist mit ihrem sog. Sach velständigenoorschlag endlich herausgerttckt. Deutschland soll in 42 Jahren 265 Milliarden Goldmark zahlen können. Der „Times" zufolge steht dieser unglaubliche Sachoerständigen- plan folgendermaßen auS: Vom Mai 1921 an wird Deutschland während 42 Jahren in jedem Jahr 3 Milliarden Goldmark in halbjährlichen Raten zahlen. Von 1925 bis 1930 beträgt die abzuliefernde Summe pro Jahr 6 Milliarden Goldmaik. von 1931 bis 1961 7 Milliarden Goldmark. Man sieht ferner die Möglichkeit einer deutschen Anleihe vor, aber nur unter Bewilligung seitens der Wiedergutmochungskom- mission. Diese Anleihe soll durch die gesamten Einnahmen des Reiches und der deutschen Einzelstaaien, die Zolleinnahmen inbegriffen, garantiert werden. Jedes deutsche Kreditbegehren im Anslande, sei es seitens der deutschen Regierung, sei es seitens der Einzelstaaten, der Provinzen oder der Städte, muß vorher der W edergutmachungskommisston zur Bewilligung vorgelegt werden. Es wild eine besondere Kommission für die deutsche Außenschuld errichtet. Die Regierungen und die Neutralen werden je einen Vertreter in dieser Kommission haben. Die Wiedergutmachungskommission wird das Recht haben, von 1923 an Stundung zu gewähren. Die Stundung darf in der Zeit von 1926 bis 1930 Beträge über 2 Milliarden, von 1923 an auf keinen Fall Beträge über 3 Milliarden übersteigen. Als Garantien sind folgende Einnahmen in Aussicht genommen. Deutschland wird der Wiedergutmachungskommission deutscheJnduftrtepapiers bis zur Höhe von 5 Milliarden Goldmark Hinterleger! müssen. Die Wiedergutmachungskommisston kann nötigenfalls weitere Hinter legungen faroern. Die Zolleinnahmen werden gleichfalls unter die Korrlrolle der Wiedergutmachungskommission gestellt, die die Zolleinziehung überwacht und die Beträge beschlagnahmt, wenn Deutschland seine Verpflichtungen nicht einhält. Eine strenge Ueberwachnng ist in Aussicht genommen, wodurch also die gesamten deutschen Zolleinnahmen unter die Vormundschaft der Kommission für die deutsche Anßenschuld gestellt werden. Weiterhin kann die deutsche Regierung aufgefordert werden, neue Einnahmequellen in Form von indirekten Steuern zu entrichten.
Frankreich widersetzt sich der Veröffentlichung der Akten des Versailler Vertrags.
London, 23 Dez Lloyd George hat im Unterhaus wieder- hott, daß er von der französischen Regierung noch nicht die Zustimmung zur Veröffentlichung der Akten, Potokolle usw. bezüglich der Durchführung des Versailler Vertrags hat. Auch die italienische Regierung scheint Schwierigkeiten zu machen. Lloyd George zweifelt überhaupt daran, daß die Angelegenheit bald ins Reine kommen wird.
Kundgebung japanischer Gelehrter für Deutschland.
Basel, 23 Dez Aus Tokio wird gemeldet: 200 japanische Gelehrte haben zu Ehren des deutschen Botschafters Dr. Sols und seines Stabes und in Anerkennung der wissenschaftlichen Leistungen Deutschlands und zur Ermutigung dieser Bestrebungen für die Zukunft ein Bankett veranstaltet.
Der Rätekongreß in Moskau.
Stockholm. 31. Dez. Auf dem Rätekongreß des Gouvernements Moskau, der zum allrussischen Rätekongreß Dele-
standen. Also der Rappe ging mit mir durch und"-
„Fräulein Renatchen," unierbrach die alte Frau sie entsetzt, „oh, wie schrecklich! Sehen Sie. das kommt davon, daß Sie immer allein Ihre Ritte unternehmen. Sie müssen in Zukunft unbedingt Vollmer mitnehmen. Er ist doch so zuverlässig und eins treue, alte Seele, wenn er bei Ihnen ist, wird Ihnen schon nichts passieren. Er ritt ja noch als junger Mensch mit dem seligen Grafen."-
Hier seufzte Frau Möller tief, als wenn die Erinnerung an den alten Grafen ihr schmerzlich wäre. Es fiel Renate auf und sie erinnerte sich jetzt, schon öfter bemerkt zu haben, wie die alte Frau seufzte, wenn sie von dem verstorbenen Grafen sprach. Und plötzlich kam ihr eine Idee. Ob sie die alte Frau, die ibr vom ersten Tage ihres Hierseins mit so viel treuherziger Güie entgegengekommen war, um Aufklärung bat! Frau Möller war ja, wie sie ihr selbst einmal erzählt hatte, schon als junges Mädchen auf das Schloß ge kommen, sie hatte den alten Grafen noch gekannt.
„Wissen Sie, wer mir heute das Leben rettete „" fragte sie aus ihrem Gedankengang heraus, ganz unvermittelt, die alte Wirtschafterin, die in ihrem schlichten schwarzen Kleid, mit dem zierlichen weißen Häubchen über dem guten Gesicht so recht wie eine treue Hüterin und Verwalterin auSsah.
Ganz entsetzt stellte die alte Frau das Schlüsselkörbchen das sie stets mit sich herumtrug, auf die unterste Stufe der breiten Freitreppe.
Und dann rang sie die beiden Hände und rief:
„Also so schlimm war es, Fräulein Renatchen, und dabei stehen Sie seelenruhig und erzählen das, als wenn eS eine ganz harmlose Sache wäre. Ach, die Jugend, die leichtsinnige Jugend!"
Zu jeder andern Zeit hätte Renate von Ullmer, die gute Frau Möller, die den einen Fehler hatte, sich leicht aufzuregen und in ihrer lebhaften Art sich dann immer gleich ganz verzweifelt gebärdete, beruhigt. Heute jedoch lag ihr viel anderes. Schwereres im Sinn, daß sie gar nicht auf die Worte der Frau Möller hörte.
„Ein Graf Hollwangen hat den Rappen aufgehalten und mich vom sicheren Tod« bewahrt." (Fortsetzung folgt.)