Mariens „Nicht wir haben zu zahlen, sondern man ist uns schuldig,'
Genfer Nachklünge.
Genf, 20. Dez. Ja einer der letzter, Sitzungen des Völkerbundes hat Leon Bourgeois vor den böswilligen Zeitungsschreibern gewarnt, die auf jede Meinungsverschiedenheit der Genfer Versammlung lauern, um das frühzeitige Ende des neugeborenen Völkerbundes anzukündigen. Herr Bourgeois hat damit offenbar die Verantwortung für die Haltung der französischen Presse gegenüber dem Völkerbund ablehnen wollen. In reinem anderen Lande ist die öffentliche Meinung derart über den Inhalt der Genfer Debatten getäuscht worden wie in Frankreich In der französischen Presse stehen nur einige Parteiblätter der linksrepublikanischen Gruppe dem Völkerbund nicht wohlwollend gegenüber. Die sozialistische Presse, die durch den Bruderzwist im eigenen Lager vollständig abgelenkt ist. behandelt die Genfer Tagung mit ostentativer Gleichgültigkeit, Die Pariser Jnformationspresse hatte am Anfang einige Berichterstatter geschickt, die beauftragt waren, den ganzen Völkerbund lächerlich zu machen und wahrscheinlich auch die französischen Delegierten zu überwachen. Ihre Aufgabe war besonders, die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund zu bekämpfen, und sie regten sich einige Tage lang leidenschaftlich gegen diese Möglichkeit auf. Aber schon in der ersten Woche stellte sich heraus, daß Deutschland seine Zulassung überhaupt nicht beantragt hatte, und die französischen „Spezialberichterstatter" hatten sich schon längst in aller Stille zurückgezogen, als am letzten Mittwoch im Anschluß an die Zulassung Oesterreichs der französische Vertreter Bioiani es für passend hielt, eine geräuschvolle Erklärung gegen Deutschland abzugeben. Die französische Presse wurde über diesen Zwischenfall durch die Agence Havas unterrichtet, die sich eines Berichtes der Genfer „Tribüne" bediente. Dieses Genfer Blatt hatte die Rede des schweizerischen Bundespcäsidenten Motto in einigen Zeilen zusammengefaßt und die Antwort Vivianis in zwei Spalten Länge folgen lassen. Herr Motta hatte lediglich festgestellt, daß der Völkerbund noch nicht vollständig sei, weil in ihm Nordamerika, Rußland und Deutschland fehlen. Viviani benutzte diese tatsächliche Bemerkung sofort zu einem leidenschaftlichen Vorstoß gegen Deutschland
Wie das französische Publikum über diese Debatte unterrichtet worden ist, ergibt sich aus der heutigen Wochenübersicht des klerikalen Lyoner „Nouvelliste", der seinen Lesern tatsächlich . erzählt, daß Deutschland seine Aufnahme in den Völkerbund beantragt hatte, die eil, Delegierter der Schweiz namens Motta unterstützte, und daß Viviani durch seine beredsame Opposition die Ablehnung des deutschen Aufnahmegesuches durchgesetzt habe,
Ueberschüsfiger Schiffsraum in Norwegen.
Stockholm, 20. Dez. Wegen des starken Rückgangs der Frachten, der für norwegische Reeder teilweise bereits Verluste mit sich bringt, plant man in Norwegen, eine größere Anzahl von Handelsschiffen aufzulegen. Nach Mitteilung des Reederverbandes sollen bis zu 300000 Tonnen Schiffsraum abgerüstet werden,
Giu Hafenverband des Rheinstromgebiets."
Mainz, 20. Dez. Hier wurde ein Hafenverband des Rheinstromgebietes gegründet Der Verband erstreckt sich über das ganze Gebiet des Rheines, seiner Nebenflüsse und sonstigen Anschlußwafferstraßen und bezweckt den Zusammenschuß sämtlicher Hafengemeinden drs Rheinstromgebietes zur Verfolgung aller gemeinsamen Verkehrs- und wasserwirtschaftlichen Interessen. Ein vorläufiger geschäftsführender Ausschuß setzt sich zusammen aus Stadtvertretern von Dortmund, Köln, Mainz und Mannheim. Den Vorsitz führt zunächst Mainz.
Württembergische Politik.
Zum württ. Körperschastsbesolduugsgesetz.
Vertreter der Ortsvorsteheroereinigung und des Zentral- verbandeS württ. Gemeinde und Körperschaftsbeamten haben über den Stand des Besoldungsgesetzes für Körperschaflsbe- amte am 17. Dezember sowohl mit dem Minister des Innern
als auch mit dem Landtagsausschuß für innere Verwaltung Besprechungen gepflogen und dabei oie Verabschiedung des Gesetzes noch vor Weihnachten nachdrücklichst gefordert. Leider geht dieser Wunsch nicht in Erfüllung, Der Entwurf, der zur Zeit vom Staatsministerium beraten wird, muß zwar noch dem inzwischen vom Reichstag verabschiedeten Besoldungs- sperrgesitz angepaßt werden. Alsdann geht er sofort zur weiteren Behandlung an den Ausschuß für innere Verwaltuna, der am 4. Jan mit der Beratung des Gesetzes beginnen wird. Der vermutlich am !2. Jan. wieder zusammeniretende Landtag wird, wie den Vertretern der genannten Organisationen bestimmt zu- gesichert wurde, sofort in die Beratung des Körperschaftsbesoldungsgesetzes cinlreten. In den weitesten Kreisen der Gemeinde und Körperschaslsbeanuen herrscht die feste Ueber- zeugung, daß es bei beschleunigter Handlungsweise der Regierung längst möglich gewesen wäre, das Körperschaftsbesoldungsgesetz unter Dach und Fach zu bringen und so der bitteren Notlage der Gemeinde- und Kör.erschaftsbeam- ten - insbesondere auf dem Lande — zu steuern.
Vermischtes.
— Bei Ministers in Dresden ist große Gesellschaft Ein ehemaliger kaiserlicher Würdenträger, der geladen ist. küßt der Hanssrau die Hand. Worauf sie ihm zuraunt: „Sie kleiner Schäker, Sie!"
— Amerikanischer Humor. Sin Amerikaner erzählte in einer Gesellschaft von einer Begebenheit, deren Zeuge er auf einer Reise über den Ozean gewesen sein wollte. Er habe ans der Kommandobrücke gestanden und mit dem Kapitän geplaudert, als ein Fahrgast zum Kapitän kam und ihn bat. er möge die Fahrt des Schiffes bc» schleunigen. Der Kapitän e>k!ärtr, es sei ihm unmöglich, dieses Ersuchen zu erfüllen, da der Dampfer schon mit höchster Fahrt liefe. „Ist das Ihr letztes Won?' fragte der Fahrgast. .Ja", antwortete der Kapitän Im nächsten Augenblick sprang der Mann Uber Bord. Einige Tage später kam der Dampfer in Neuyork an, ober lange bevor er angelegt hatte, sahen die Leute von Bo>d au, einen Monn, der auf dem Kai stand und eifrig mit dem Taschentuch winkte. Als jle an Land kamen, zeigte es sich, daß es just der Fahrgast war. der draußen auj dem atlantischen Ozean über Bord gesprungen war. „Na. kam- men sie endlich?" sagte er zum Kapitän „Ich war es schon beinahe müde, aus Sie zu warten." — „Sind Sir d-ffen ganz sicher, was Sie jetzt erzählen?" fragte einer der Hörer den Erzähler und wandte sich eifrig an den Amerikaner „Vollkommen sicher!" behauptete der. „Ich habe ja die ganze Sache selber mit angesehen." „Das ist aber wirklich ein Glück, daß ich Sie treffe", sagte der andere. „Ich habe nämlich bis jetzt noch nie einen Augenzeugen dieser wunderbaren Schwimmieiftung gesehen. . . . Das bin ich nämlich gewesen, der damals über Bord sprang!"
Die Tote« reiten schnell. . .
Unter der Ueberschrift: „Mit des Geschickes Mächten , und dem GriUparzer'schen Motto: „Was ist der Erde Glück? Ein Schatten. Was ist der Erde Ruhm? Ein Traum?" schreibt die deutsch amerikanische New Harker Siaaiszeitung vom 8 November: „Als Präsident Wilson, umgeben von einem gewaltigen Stab Schrrstgelehrter und Weiser. Diplomaten und MililärS aus den, stolzen gekaperten Dampfer „George Washington" die Reise über den Ozean machte, um den leidenden Völkern den Frieden zu bringen, nachdem er den gewaltigsten aller Kriege siegreich zu Ende gebracht, da wurde er als Messias gepriesen, der Retter der Welt, die Hoffnung der Menschheit. Sein Bild erstrahlte in einem Glanze, der nur wenigen Sterblichen seit Erschaffung der Welt vergönnt war, in seiner Hand schien die Zukunft des Menschengeschlechts zu ruhen, und um seine Persönlichkeit schlangen sich, nach den furchtbaren Jahren des Vöikerhasses und der Vernichtung, die inbrünstigen Gebete aus Millionen verzweifelnder Seelen Das war vor zwei Jahren, als das Christfest sich nahte.-Heule sitzt ein gebrochener hilf
loser Greis von seinem eigenen Volke verlassen und verworfen. aus dem Herzen der Welt verbannt, auf seinem Herr- schecstuhle und grübelt über die Vergänglichkeit alles Irdischen nach. Er, der selbstherrlich über hundert Millionen gebot, begreift vielleicht heute noch nicht, was dem Welt gewissen lange klar gewesen ist. Der „Commoner" hat ihm mit grober Hand die Binde von den Augen gerissen. Der Mann, der jenen einst vor allen anderen auf den hohen Platz erhob, kehrt sich jetzt gegen ihn und will ihn vor der
Zeit von seinem Herrschsrstuhl bannen, damit sein Nachfolger ungehemmt die chaotische Welt zur Ordnung führen könne. Ungeduldig will er dem natürlichen Gang der Ereignisse vorgreifen. Ein Schauspiel, das vielleicht der Tragik »licht entbehrt. Heute, zwei Jahre später, da das Christfest sich wiederum naht."
Au» Stadl und Bezirk.
Nagold, den 21 Dezember.
* Ein Erfolg der deutschen Industrie. In London erregt es großes Aufsehen, daß es einer deutschen Firma gelangen ist, sich im Wettbewerb gegen die Vesten englischen Firmen einen Kontrakt über 40 Maschinen für eine engtische Kolonie zu sichern Besonders wird her vorgehoben, daß das niedrigste englische Angebot 680000 Pfund Sterling (13,6 Mark zu Friedenswährung) beirug, während der deutsche Preis 400 000 Pfund Sterling (8 Millionen Mark Friedens Währung) war und die deutschen Fabrikanten baldige Ablieferung garantierlen. während die englischen Fabrikanten dieses infolge Arbeiter schwierigkeiten nicht tun konnten.
* Zuscheidung der Kosten für die polizeiliche Besetzung von Gemeinden. Bon zuständiger Seite wird uns geschrieben: Um die durch die Weigeiung der Kuhhalter inS Stocken geratene Milchlieser- ung aus verschiedenen Gemeinden des Bezirks Maulbronn, wieder in Gang zu bringen, wurden diese Gemeinden im März ds. Is. auf Veranlassung der Landesvrrso.'gungsstelle polizeilich besetzt Die durch diese erfolgreiche Maßnahme entstandenen Kosten wurden vom Ernährungs- Ministerium den von der Besetzung betroffenen Gemeinden auferlegt, wobei es diesen überlaffen wurde, die Kosten auf die einzelnen säumigen Kuhhaller umzu egen. Gegen diese Kostenzuscheidung hat eine der Gemeinden Beschwerde beim Perwaltungsgerlchishos eingelegt. Der Berwaltungsgrrichtshof hat tie Rechlsbeschwerde nunmehr abge- wiesen Es verbleibt hiernach bei der Enrscheidung des Ernährungsministeriums. wonach die Kosten für die polizeiliche Besetzung von der betroffenen Gemeinde zu tragen sind.
* Das Arbeitsbuch für minderjährige Personen ist
nicht abgeschafft worden. Vielfach wird angenommen, daß nach Eimritr der Revolution die Vorschrift beneffend die ArbeiisbÜcher Minderjähriger nicht mehr zu Recht bestehe. Das ist ein Ir.mm. Minderjährige Personen dürfen nur eingestellt werde», wenn sie mit eure»! Arbeitsbuch versehen sind. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Buch zu verivah ren. auf amüiches Verlangen oorzulegen und nach Lösung des Arbeitsvcrhältnisses wieder auszuhändigen. Tritt ein Minderjähriger ohne Arbeitsbuch die Arbeit au, >o kann der Arbeitgeber mit Geldstrafe bis zu 20 oder 3 Tagen Haft bestraft werde». Das Arbeüsbuch wird durch die Polizeibehörde desjenigen Ortes, an dem der Betreffende zuletzt einen dauernden Aufenthalt gehabt hat, kosten-und stempel frei ansgestellt. In das Arbeitsbuch darf nur hineingeschrte den werden die Zeit des Eintritts, die Art der Beschäftigung und die Zeir des Austritts Die Eintragungen sind mit Tinte zu bewrike». Die Eintragung eines Urteils über die ührung oder dis Leistung oder sonstige Vermerke in dem Arbeitsbuch sind unzulässig; ebenso auch Merkmale bei der Eintragung, welche den Inhaber des Arbeitsbuches günstig oder nachteilig zu kennzeichnen bezwecken. Wer solche ge Heimen Merkmale anwendet, wird mir Geldstrafen bis zu 2 000 oder mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft. Auch für Lehrlinge, die «inen Lehrvertrag abgeschlossen haben, ist das Arbeitsbuch vorgeschrisben, Arbeitgeber, die das Arbeitsbuch nicht einfordern, machen sich strafbar,
* Weihnachten in Afrika. Wie freudig und selig irr den Missionen das Weihnachtsfest begangerr wird, schildert uns eine Schwester aus Ostafrika, deren Bericht wir der neuesten Nummer der Claver Korrespondenz entnehmen. Sie erzählt: „Während ich dieses schreibe, feiern wir wieder die heilige Weihnachtszeit, nicht wie in Europa in Eis und in Schnee, sondern hier im Hochsommer. Die Schwarzen lieben dieses Fest über Maßen. Obwohl wir wegen der Armul. die der Krieg uns brachte, keinen Weihnachtsbaum und keine Geschenke hatten, so herrschte doch dieselbe Freude wie früher. Um Mitternacht war die Kirche gedrängt voll, trotzdem viele stundenweite Wege hakten. Wie ergreifend ill hier im Heidenlande das „Ehre sei Gott in der Höhe," das von den Neu bekehrten mit großer Begeisterung gesungen wird. Während
8 Immer strebe zum Ganzen. Und kannst du selber 8 8 kein Ganzes werden: als dienendes Glied schließ an ein 8 8 Ganzes dich an. Schiller. 8
Im Schatten der Schuld.
2) Original-Roman von Hanna Förster.
"ji !DaS schöne Tier, um das sich die beiden gar nicht mehr gekümmert hatten, schien wirklich seinen so plötzlich zutage getretenen Anfall überwunden zu haben. Friedlich, als ob es keiner Tücke, keines scheuen VorwäriSrasenS fähig wäre, stand eS am Wegrand und beschnupperte die zarten, jungen Gräser.
„Hatten Sie schon einen größeren Ritt hinter sich, als das Tier plötzlich scheute oder kommen Sie eben von" — einen Augenblick stockte der Graf, dann fuhr er mit fester Stimme fort, „von Hollwangen?"
Renate, die dichter an den Rappen herangetreten war und ihm die glänzende Mähne streichelte, obwohl er doch wirklich keine derartige Liebkosung um sie verdient hatte, wandte den Kopf nach dem Fragenden.
„Ich kam von Lomitz." antwortete sie, „wo ich meine Freundin besucht hatte."
„Baronesse Anneliese von Lowitz ist Ihre Freundin?"
Erstaunt ob des seltsamen Tone- dieser Frage sah das junge Mädchen den Grafen an, war eS denn so etwas Befremdliches, daß sie die Baronesse von Läwitz ihre Freundin nannte?
Es kam ein ganz beklemmendes Gefühl über sie. Ihr war, als ob irgend etwas, ihr ganz Unbekanntes einen dunklen Schalten auf ihr junges Leben werfe. In ihrer offenen Art hätte sie am liebsten den Grafen gebeten, ihr zu sagen, ob vielleicht Feindschaft bestände zwischen seinem HauS und ihrer Großmutter, der Besitzerin des Hollwangenschen Schlosses.
Aber als sie in sein so ernstes, stolzes Gesicht sah, da fand sie nicht den Mut zu solcher Frage. So sagte sie nur:
„Anneliese und ich sind Schulfreundinnen. Sie ist im übrigen meine einzige Freundin und das beste und treueste Menschenkind."
„Das glaube ich Jbnen gern. Ich verkehre seit vielen Jahren auf Lowitz und Anneliese ist mir stets wie eine jüngere Schwester gewesen, da ich selbst keine Schwester besitze."
„Oh," rief Renate erfreut, „Sie kennen die Lowitzer? Wie merkwürdig, daß ich Sie noch nie da traf. Allerdings komme ich nicht allzuost hin, doch in letzter Zeit habe ich Anneliese häufiger besucht."
Der Graf erwiderte nichts auf diese Worte. Eine kleine Weile standen sich die beiden Menschen schweigend gegenüber. Jedes von ihnen hatte Gedanken, die sich auf den.andern bezogen, fragende, unruhige Gedanken.
„Daß Anneliese nie den Namen des Grafen Hollwangen erwähnt hat, ist doch recht seltsam," so dachte Renate. „Sie mußte sich doch sagen, daß mich das interessiert hätte, wo ich jetzt schon seit fast einem Jahr auf dem Schloß des gleichen NamenS wohne."
Und der Graf wunderte sich, daß Baron von Lowitz, dieser streng denkende Mann, der seinerzeit die „Nehtingsche Affaire" mit solcher gerechten Empörung verurteilt hatte, ein Freundschaftsverhältnis seines einzigen Kindes mit der Enkelin jener Frau duldete. Nein, das begriff er nicht, mochte dieses junge Mädchen, das hier in so lieblicher Anmut neben ihm stand und aus deren klaren Augen die lautere Wahrhaftigkeit sprach, auch noch so unschnldig an jener Angelegen heit sein.
Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm, so daß Renate ihn ganz betroffen ansah.
„Ich muß gehen," sagte sie leise, „sonst komme ich zu spät nach Hause."
Da nahm sein Gesicht wieder den abweichenden Ausdruck an, den sie zuerst darauf gesehen, als sie ihm gesagt, daß sie auf Schloß Hollwangen wohne. Doch mit vollendeter Höflichkeit sprach er zu ihr:
„Mein gnädiges Fräulein, nach meiner Ansicht hat sich Ihr Rappe vollkommen beruhigt. Es muß ihn irgend etwas erschreckt haben, ohne daß Sie die Ursache bemerkten. Aber um sicher zu gehe», möchte ich ihn mit Ihrer Erlaubnis erst
einmal besteigen und probieren, ob alles mit ihm in Ordnung ist."
Renate sah ihn dankbar an.
„Wenn Sie das tun wollen — ich würde meinen Rappen dann mit viel größerer Sicherheit besteigen "
So viel Vertrauen sprach aus ihren Wollen und mehr noch aus dem Ton ihrer schönen, weichen Stimme, ans dem Blick der strahlenden braunen Augen, daß er sich eines leichten Gefühls der Rührung nicht erwehrcn konnte und mit aussteigender Unruhe im Herzen ihrem Blick auSwich.
Im nächsten Augenblick hatte er sich mit einer kraftvollen, geschmeidigen Bewegung auf das Pferd geschwungen, das ganz still hielt und jetzt fröhlich aufwieherte, als sei eS froh, daß seine Ruhepause am Wegrain zu Ende ging. Graf Eberhard von Hollwangen sah prachtvoll aus als Reiter. Seine hohe rassige Gestalt, das edel geschnittene, so männlich stolze Antlitz, alles verriet den Aristokraten, der in keiner Lebenslage, und auch unter drückenden äußeren Verhältnissen nie die charakteristische Sicherheit einer vornehmen Natur verliert
Renates Augen folgten ihm. als er nun den Rappen verschiedene Gangarten machen ließ. Dann sah sie, wie er mit Gewandtheit von dem Tier herabsprang. Er nahm den Rappen beim Zügel, führte ihn bis dicht vor sie hin und sprach:
„Das Pferd geht tadellos. Sie können es ohne jede Gefahr besteigen. Bitte mein gnädiges Fräulein, wollen Sie sich meiner Hilfe bedienen."
Aber Renate reichte ihm erst die Rechte hin.
„Lassen Sie mich Ihnen noch einmal ron Herzen danken." sagte sie mit bewegter Stimme. „Ohne Ihr kühnes und so furchtloses Eingreifen läge ich jetzt hier irgend wo mit zer schmetterten Gliedern. Sie haben mir das Leben gerettet — ich bin tief in Ihrer Schuld."
Gras Eberhard hielt die schmale weiße Mädchenhand, von der Renate den Handschuh genommen, in seiner Rechten. Wie ein leises Beben, wie die Angst vor dem Schicksal ging es durch die beiden Menschen. Einen Augenblick ruhten die beiden Augenpaare, das braune und daS graue, wie fragend ineinander. (Fortsetzung folgt»).