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Rr. 22
Mittwoch den 28. Januar 1920 94. Jahrgang
Aasgeier in Menschengestalt.
l>v. vv.) Die Raubvögelwelt Deutschlands ist um eine Gattung bereichert worden, die es früher nur in südlichen Breiten gab, die Aasgeier. Fällt in der Wüste ein Tier aus der Karawane, von der Hitze erschlafft, so sammeln sich diese eklen Vögel, und ehe noch der Körper des Tieres erkaltet ist, reißeiyffie ihm das magere Fleisch in Fetzen vom Leibe. Die deutschen Aasgeier fliegen nicht, obwohl sie sehr beweglich sind, sie tragen Menschengestalt und laben sich erbarmungslos an den Resten unseres Wirtschaftskörpers. An kalter Grausamkeit stehen sie hinter den geflügelten Hyänen der Wüste nicht zurück.
Noch ist seit Aufdeckung der Millionendiebstähle auf dem Truppenübungsplatz Jüterbog und dem Schießplatz in Tegel kein Monat vergangen, da wird bekannt, daß es auf dem Truppenübungsplatz in Döberitz in ganz gleicher Weise zugegangen ist. Die öffentliche Meinung, die genau so müde und direktionslos ist wie die Behörden im heutigen Deutschland, ist aufmerksam geworden. Eine Fülle von Zuschriften an die großen Blätter bestätige:^ daß nicht Gelegenheitsdiebstähle — die immer und überall Vorkommen — sondern planmäßige Raubzüge veranstaltet worden sind, bei denen sich einzelne das Einkommen eines Generaldirektors verschafften, und das Reich um viele Millionen geschädigt wurde. Es gehört zu den trübsten und gefährlichsten Erscheinungen unserer Zeit, vaß weite Schichten unseres Volkes, ja selbst der zum Schutze öffentlichen Gutes eingesetzten Staatsdiener, das Eigentum der Gesamtheit als „freies Gut" betrachten, das der einzelne sich nach Belieben aneignen kann.
Die Sammler von Jüterbog, Tegel und Döberitz hatten es natürlich in erster Linie auf die wertvollen Metalle abgesehen, Kupfer und Blei, die in Form von Geschoßteilen, Hülsen und Beschlägen herumlagen. Besonders das leichtere und wertvollere der beiden Metalle, das Kupfer, war beliebt. Deutschland verbraucht in seinei entwickelten elektrischen Industrie das rote Metall in großen Mengen. Die eigene Erzeugung istZLhr gering. Weitaus das Meiste muß aus Amerika eingesührt und dort mit Dollars bezahlt werden, die von allen fremden Geldsorten am höchsten im Kurse gestiegen sind. Eine große Berliner Elektrizitätsgesellschafl hat berechnet, daß sie zur Beschaffung des für einen Monat ausreichenden Kupfers eine Summe aufwenden müßte, die ihr gesamtes Aktienkapital übersteigA Für Kupfer erhielten „die Sammler" von den an den Rändern der ergiebigen Gefilde lauernden Händlern gewaltige Preise. 200 bis 300 Mark, zuweilen auch noch meyr, wurden täglich „verdient". Als das Kupfer rarer wurde, begnügte man sich mit dem gleichfalls wertvollen, aber wegen der großen Schwere mühsamer zu transportierenden Blei. Als auch das auf die Neige, ging, kam daS simple Eisen an die Reihe; schließlich wurden auch Holzverkleidungen nicht verschmäht. Mit Spaten, Rechen, Zangen und Brecheisen wurden die Truppenübungsplätze gründlich „abmontiert", der Boden umgewühlt und das oine Einöde verwandelt, in der nur noch flache Erdlocher daran erinnern, daß sich friiher -dort deutsche Soldaten im Waffenhandwerk übten. Ein jämmerliches Zeichen ".A^nsmd der öffentlichen Moral und für die Un- znlanglichkett der Behörden werden diese Stätten bleiben und zugleich eme blutige Ironie auf dem Grad von Gemeinsinn, den das sozial fortgeschrittenste Volk aufzubringen vermag.
Die Schüsse von Moabit.
Einzelheiten über das Attentat.
Berlin, 26. Jan. Zu dem Attentat auf den Minister Erzbrrger erfährt W.T.B. noch folgendes: Der Minister verließ in Begleitung des Rechtsanwalts Dr. Friedländer das Kriminalgericht in Moabit und begab sich mit ihm zu seinem Kraftwagen. Bevor Erzberger einstieg, unterhielt er sich noch mit dem Rechtsanwalt, als plötzlich ein junger, gut gekleideter Mann an den Minister herantrat und einen Schuß ab- fenerte. Friedländer wandte sich um und sprang auf den Attentäter zu. In demselben Augenblick feuerte dieser einen zweiten Schuß auf Erzberger ab. Erzbergex fiel darauf, wie Zeugen gesehen haben, in seinen Kraftwagen hinein und der Chauffeur fuhr davon. Der Täter wurde von Sicherheitsbeamten festgenommen und auf der Wache als der am 24. Nov. I8S9 zu Berlin geborene frühere Fähnrich und fetzige Schüler Oltwig v. Hirschfeld, der in Steglitz bei seinen Eltern wohnt, festgestellt. Der Vater ist Bankbeamter.
Berlin, 23. Jan. (Amtlich.) Als heute nachmittag gegen '/,3 Uhr der Reichsminister Erzberger das Kriminalgerichtsgebäude in Moabit durch den Ausgang Rathenower Straße verlassen und bereits den Wagen bestiegen hatte, drängte sich ein junger Mensch,an den Wagen heran, fragte» ob der Minister Erzberger im Wagen sei. und gab auf die bejahende Antwort mehrere Schüsse auf ihn ab. Ein Geschoß prallte an der Uhrkette des Ministers ab. Durch den zweiten von außen durch die Wagenscheibe abgegebenen Schuß wurde der Munster in der Gegend der rechten Schulter verletzt. Den >owrt zugreifenden Polizeibeamten gelang es. den Attentäter seitzunehmen. Der 20jährige junge Mensch, der den Eindruck eines 16 jährigen macht, ist der frühere Fähnrich, jetzige
Schüler Oltwig v. Hirschfeld aus Berlin. Er gibt an, er sei zu der Ueberzeugung gekommen, daß Erzberger ein Schädling sei und beseitigt werden müsse. Diese Ueberzeugung habe sich durch Unhören der heutigen Gerichtsverhandlung in ihm gestärkt und er sei deshalb zur Ausführung der Tat geschritten. Er stellt ausdrücklich in Abrede, den Plan des Attentats auf Erzberger mit irgend jemand besprochen oder unter der Einwirkung anderer gehandelt zu haben. Der Minister hat sich nach dem Attentat sofort zu einem Arzt begeben, der eine genaue Untersuchung der Wunde und eine Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen vornahm, die ergab, daß die Kugel in der rechten Schulter steckt. Die Verletzung gibt zu irgend welchen Besorgnissen keine Veranlassung.
Das Befinden Erzbergers.
Berlin, 26. Jan.' Wie wir hören, hat die erste ärztliche Untersuchung des Ministers Erzberger ergeben, daß die Kugel, die den Arm durchbohrt hat, weiter in die Brust eingedrungen ist. Näheres muß die Röntgenuntersuchung ergeben.
Berlin, 26. Jan. Nach einer Mitteilung des den Reichsfinanzminister behandelnden Arztes, Universitätsprofessors Plesch, an die „Germania", kann an eine Entfernung der Kugel zur Zeit nicht gedacht werden. Der Zustand des Patienten erheischt für hie nächsten Tage die größte Schonung, wenn auch eine unmittelbare Lebensgefahr nicht bestehe. Nach Anlegung des Verbands wurde Erzberger in seine Wohnung gebracht.
Eine Kundgebung der Reichsregierung.
Auf den Reichsfinanzminister Erzberger ist heute beim Verlassen des Moabiter Gerichtsgebäudes ein Mordanschlag verübt worden. Ein Schuß hat ihn verwundet. Die Folge der Verletzungen ist noch nicht zu übersehen. Die Reichsregierung steht unerschüttert und in tiefster Empörung vor dieser verbrecherischen Ausschreitung des politischen Kampfes, der eins ihrer Mitglieder mitten in der Durchführung der ihm anvertrauten schwierigsten Aufgaben beinahe zum Opfer gefallen wäre. Sie hängt den Attentäter an die, Rockschösse keiner Partei. Sie stellt aber vor aller Welt fest, daß die blutige Tat unmöglich gewesen wäre ohne die sinnlose und verantwortungslose Hetze, die seit Monaten u. in den letzten Tagen erst recht gegen den Reichsfinanzminister getrieben worden ist. Sie sieht es als größtes Unglück unseres Volkes an, daß die schwerste Schicksalsprüfung Deutschland in einer geistigen Verfassung trifft, aus der heraus solche Schandtaten erwachsen können. Sie hat die einzige Hoffnung, daß die Schüsse in Moabit eine allgemeine Aufrüttelung bewirken möchten, damit den besinnungslosen Hetzern, in welchem Lager sie stehen mögen, klar wird, vor welchem Abgrund wir alle stehen. Die Reichsregierung wird nicht nur ihre Mitglieder, sondern jeden Volksgenossen gegen Gewalt und Vergewaltigung schützen. Sie ruft unter dem Eindruck des vergossenen Blutes alle Deutschen auf, mit ihr diesen Schütz zu übernehmen gegen Verbrechen gegen Einzelne oder das ganze Volk.
Berlin, den 26. Januar 1920.
Die Reichsregierung:
Bauer. Schiffer. Bell. Dr. David. Geßler. Giesberts.
Koch. Müller. Noske. Schlicke. Schmidt.
Berlin, 26. Jan. Der Reichspräsident hat Neichsminister Erzberger das nachstehende Telegramm zugehen lassen: „Soeben erhalte ich die Nachricht von dem ruchlosen Anschlag gegen Sie. Ich wünsche von Herzen, daß Sie die Folgen dieser verabscheuungswürdigen Tat glücklich überwinden und Ihre schwere verantwortungsvolle Tätigkeit bald wieder aufnehmen können. Reichspräsident Ebert."
Das Urteil der Berliner Presse.
Zu dem Revolver-Mtentat auf Erzberger sagt die „Germania" es sei wohl kein Zufall, daß der feige Revolverheld sich in dem Moment einstellte, in dem der fanatische Ansturm der politischen Gegner Erzbergers an den Worten der wirklich Wissenden zu erlahmen begann. Durch die maßlose Ueberspannung des Bogens seitens der Gegner seien viele umso fester an die Seite Erzbergers getreten/ Das sei nirgends deutlicher zum Ausdruck gekommen, als in der Sitzung des Zentrümsparteitags, wo sich auch nicht ein Mann gefunden habe, der sich mit den persönlichen Angriffen aus dem nationalistischen Lager hätte identifizieren wollen.
. „In der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" wird zu der Hetze, die seit Jahr und Tag von den Gegnern, der rechten Opposition, gegen Erzberger getrieben wird, gesagt, sie sei mit den Mitteln der wüstesten Agitation geführt worden und habe den Erfolg gezeitigt, den sie hätte haben müssen.
Der „Vorwärts" bezeichnet es mls die Pflicht der Regierung, der Rechten zu zeigen, daß sie die Situation falsch äuf- fasse, wenn sie meine, daß der notwendig gewordene Druck gegen Links ihr Ziel erleichtern könne.
Von den rechtsstehenden Blättern lehnt die „Deutsche- Tageszeitung" das politische Attentat ebenso unbedingt wie vom sittlichen Standpunkt auch vom politischen aufs entschiedenste ab, weil es nach aller Erfahrung auch ein denkbar zweckwidriges Kampfniittel sei.
Wie in anderen Blättern, so wird auch im „Berliner Tageblatt" der Vermutung Ausdruck gegeben, daß dem
jungen Attentäter der Münchener Graf Arco als Beispiel vorgeschwebt habe.
Die „Vossische Zeitung" wendet sich gegen die unheilvolle Verwechslung von Person und politischer Tätigkeit, die im Kampfe der Meinungen gerade hier wieder an den Tag getreten sei.
Im „Berliner Lokalanzeiger" wird darauf hingewiesen, daß, je weiter die Sucht um sich greife, den lose in der Tasche sitzenden Revolver zu gebrauchen, desto deutlicher die vollendete Sinnlosigkeit des Unterfangens werde, mit der Waffe in der Hand Vorsehung spielen zu wollen, statt der wahren Gerechtigkeit ihren Lauf zu lassen.
Tages-Nemgkeiten.
Unsere Brotversorgung.
Berlin, 26. Jan. Wie von zuständiger Seite mitgeteilt wird, wird die Ausmahlungsquote für Brotgetreide vom O 2. an von 84 o/o auf 90 "/o heraufgesetzt. (Die frühere Ausmahlungsquote betrug 96 o/o). Gleichzeitig ist, um die Anlieferung von Brotgetreide zu verbessern, eine große Druschaktion in Angriff genommen, für die bereitliegende Kohlen zur Verfügung gestellt worden sind. Die Kohlen sind zum Teil bereits im Rollen nach dem Verwendungsgebiet. Ein kleines Ansteigen der Anlieferung ist bereits zu verzeichnen. Eine Herabsetzung der Brotration findet nicht statt, ist auch vorläufig nicht beabsichtigt.
Die Erhöhung der Güter- und Personentarife.
Berlin, 26. Jan. Priv.-Tel. Die bereits angekündigte beträchtliche Erhöhung der Güter- und Personentarife auf der Eisenbahn wird, wie das „Berliner Tageblatt" mitteilt, nach dem Abschluß des Tarifvertrags am I. März d. Js. in Kraft treten. Der Aufschlag auf die bisherigen Fahrpreise dürfte danach mehr als 50°/n betragen.
Der Kampf um die Sechsstundenschicht.
Bochum. 26. Jan. Die Generalversammlung des alten Bergarbeiterverbandes sprach sich heute einstimmig grundsätzlich für Verkürzung der regelmäßigen unterirdischen Arbeitszeit auf sechs Stunden aus und in der weiteren namentlichen Abstimmung wurde der Oppositionsantrag, die Sechsstundenschicht im Februar durch Arbeitseinstellung zu erzwingen, mit 182 gegen 26 Stimmen abgelehnt.
Amerikanische und englische Ansichten zu-Hollands Antwort.
Paris, 24. Jan. Nach einer Privatmeldung des Journal aus London meldet der Korrespondent des Daily Cro- nicle aus Washington, in diplomatischen Kreisen von Washington spreche man die Meinung ans, die Entscheidung der Niederlande gegenüber dem Auslieferungsverlangen sei den Alliierten willkommen. Die amerikanische Friedensdelegation habe zwar aus Solidaritätsgefühl der Verfolgung Kaiser Wilhelms zngestimmt aber gleich erklärt, daß sie den Grundsatz mißbillige.
Amsterdam, 26. Jan. Wie der „Telegraaf" aus London meldet, schreibt der „Observer" zu der Antwortnote der Niederlande, ste sei entschlossen und beruhe ans unumstößlichen Beweisgründen. Die radikale „News Paper" schreibt: Jede britische Regierung hätte dieselbe Antwort erteilt wie die niederländische. „Star" schreibt, die Koalition habe von Anfang an gewußt, daß kein souveräner unabhängiger Staat jemals zustimmen werde, einen politischen Flüchtling seinen Feinden auszuliefern. Alle wohlunterrichteten Personen hätten gewußt, daß das Versprechen Lloyd Georges, den Kaiser vor das Gericht zu bringen, eine vollkommene Irreführung gewesen sei. „Westminster Gazette" schreibt, die niederländische Regierung habe in würdiger Sprache die Antwort gegeben, die erwartet werden konnte. „Evening Standard" bemerkt, der Inhalt der niederländischen Note entspreche vollkommen den Erwartungen. Nur „Pall Mall Gazette" zieht gegen die Antwort der Niederlande zu Felde und schreibt, Holland habe sich zumÄundesgenossen von Verbrechern gemacht.
Die Heimschaffung der Kriegsgefangenen.
Paris, 27. Jan. (Havas.) Die Heimschaffung der deutschen Kriegsgefangenen vollzieht sich planmäßig. In Saint Nazaire sind zwei Schiffe angekommen, um am 27. und 28. Januar Kriegsgefangene aufzunehmen. Am 30. Januar wird ein Dampfer in Saint Male erwartet, um weitere 600 Gefangene aufzunehmen. 30 000 in dem befreiten Gebiete interniert gewesene Kriegsgefangene sind bereits mit der Eisenbahn heimgeschaft worden. Äm 25. Januar haben ungefähr 300 Offiziere den Bahnhof von St. Just mit Bestimmung Worms verlassen.
Konstanz, 26. Jan. Die ersten Transporte deutscher Kriegsgefangener, die über die Schweiz nach Konstanz kommen werden am 3. Februar hier eintreffen. Es handelt sich meist um Offizierstransporte, die gewöhnlich jeden Dienstag und Freitag hier ankommen. Voraussichtlich werden auch zwischen hinein Mannschaflstransporte eintreffen.
Japan und Thina.
Peking, 26. Jan. Japan hat China nkitgeteilt, daß ihm gemäß dem Friedensvertrag die deutschen Rechte in Kiautschou