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Regoltzer Tagblatt „De, «eseLschaftrr*
Donnerstag, den 28. Juni 1833.
Viirkembekg
Ankunft de» Reichsmimftcrs Dr. Töbdels
Stuttgart, 28. Juni.
Reichsminister Dr. Göbbels ist kurz nach 12.30 Uhr auf dem Böblinger Flugplatz gelandet. Er wurde bei seiner Ankunft auf dem Flugplatz durch Reichsstatthalter Murr begrüßt, der dann die übrigen Anwesenden vorstellte. Unter ihnen befanden sich Ministerpräsident Prof. Mergen- thaler, Innenminister Dr. Schmid, Polizeigeneral Schmid, Polizeipräsident Klaiber, Staatsrat Wald- mann und führende Persönlichkeiten der NSDAP. Es hatte sich eine größere Menschenmenge auf dem Flugplatz eingesunden, die den Minister mit begeisterten Zurufen begrüßte. Nach der offiziellen Begrüßung trat der Reichsminister mit dem Reichsstatthalter Murr und dem Minister- Präsidenten Mergenthaler die Fahrt nach Stuttgart an. Ueberall, wo Reichsminister Dr. Göbbels durchkam, wurde er erkannt und freundlich begrüßt.
Croßangelegte ZontrMmaßnahmen
Dom Württ. Innenministerium — Württ. Politische Polizei — wird mitgeteilt: Das gegenwärtige Stadium der nationalen Revolution erscheint dem Staatsseind als geeignet, mit allen ihnen noch immer zur Verfügung stehenden Mitteln sein« hochverräterische und landesverräterischs Arbeit wieder aufzunehmen. Da die Regierung die Staatsmacht fest in der Hand hält und jede offene staatsfeindliche Tätigkeit den früheren marxistischen Parteien und ihren Anhängern unmöglich gemacht hat, spielt sich die Tätigkeit des Gegners in völlig illegalen Formen ab und wird vornehmlich von dem bekannten „Illegalen Apparat" der Kominunisten getragen. Bekannt ist, daß trotz schärfster Eingriffe in den der politischen Polizei bekannten illegalen Apparat immer wieder Hetzschriften hochverräterischen Inhalts durch Kuriere vom Ausland nach Deutschland eingeschmuggelt werden und von unverbesserlichen Fanatikern unter der Bevölkerung verbreitet werden. Meist ist es der Politischen Polizei gelungen, das ganze Material vor der Verteilung zu beschlagnahmen; teilweise in außerordentlich grohen Mengen. So konnten beispielsweise erst dieser Tage ! ei einem Stuttgarter Geschäftsmann, dessen unverfängliche Anschrift als Deckadresse für die Rote Hilfe diente, mehrere tausend Stück einer Nummer der illegal gedruckten Rote Hilfe-Zeitung „Das Tribunal" beschlagnahmt werden. Zahlreiche Verdachtsmomente ließen es als wahrscheinlich er- scheinen, daß der illegale Apparat zur Umgehung der von ihm befürchteten Eisenbahnkontrollen sich insbesondere des Kraftfahrzeugs zum Transport seines Materials und zur Beförderung seiner Kuriere bedient. Die Württ. Politische Polizei hat daher in der Nacht vom 27.Z28. dieses Monats eine umfassende Kontrolle des gesamten Verkehrs durchgeführt. Diese von der Württ. Politischen Polizei gemeinsam mit Schutzpolizei, Landjägern, SA. und SS. durchgeführte Maßnahme hat heute früh um 3 Uhr mit einem über das erwartende Maß hinausgehenden vollen Erfolg ihren Abschluß gefunden. Sämtliche während der Zeit der Sperre laufenden Fahrzeuge wurden einer eingehenden Kontrolle unterzogen, die sich sowohl auf die Insassen und Führer der Fahrzeuge als auch auf die Ladung bzw. mitgeführten Gepäckstücke erstreckte. Eine Anzahl von Personen wurden beanstandet und mehrere vorläufig fest- cenommen. Umfangreiches Material wurde beschlagnahmt, darunter neben illegalen Druckschriften hetzerischen Inhalts euch Waffen und Munition. In vielen Fällen waren die F hrzeugpapiere, insbesondere die Steuerkarten, nicht in O dnung. Die Sichtung des beschlagnahmten Materials ist An vollen Gange.
Bestrafte Mißachtung
Als am Samstag, 24. Juni 1933, in einem Stuttgarter Kaffee die Musik zum Abschluß das Deutschlandlied intonierte, erhoben sich zwei Personen nicht. Auch als ihnen .zugerufen wurde, sie mögen sich erheben, stand allmählich nur eine Person zöaernd und unter Protest aut. Der Vor
fall ist um so schwerwiegender, als er sich unmittelbar im der Nähe einer größeren Anzahl uniformierter SS-Führer abfpielte. Es mußte der Eindruck entstehen, als wollten sich die sitzengebliebenen Personen durch ihre Kundgebung widersetzen. Die sitzengebliebenen Personen haben bei der Zuredestellung außerdem noch abfällige Bemerkungen gemacht. Beide Personen wurden sofort verhaftet.
Bei der einen Person handelt es sich um den am 2. Jan. 1883 in Stuttgart geborenen und dort wohnhaften Dekorationsmaler Albrecht Kämmerer, der nach einer mu- geführten Besuchskarte außerdem Hauptmann d. L. sein soll. Die andere Person ist seine Tochter Dorothea, geboren 20. Okt. 1913 in Posen und als Schauspielschülerin beim Württ. Staatstheater beschäftigt. Es ist Vorsorge getroffen. Laß auch die zuständige Offiziersvereinigunq gegen den Herrn Hauptmann d. L. einschreitet; die Entlassung der Schauspielschülerin wird verlangt.
Wer begnadigt?
Der Reichsstatthalter hat unter Vorbehalt des Widerrufs fein Recht dtzr Einzelbegnadigung für folgende Iälle auf das Staatsministerium übertragen:
! 1. wenn die erkannte Strafe oder ihr noch zu vollstrecken-
^ der Teil 6 Monate Freiheitsstrafe oder 2000 Mark Geldstrafe nicht übersteigt:
2. wenn die gnadenweise Beseitigung von Nebenstrafen unter Einschluß von Einziehungen aller Art in Frage steht, bei Einziehungen übrigens nur, soweit der einzuziehend«, Betrag oder der Wert des einzuziehenden Gegenstands 2000 Mark nicht übersteigt;
i 3. wenn es sich um den gnaden weisenAufschub oder die gnadenweise Stundung von Geldstrafen oder Ein». , ziehungsbeträgen handelt;
i 4. wenn der gnadenweise Nachlaß oder die gnadenweife ^ Stundung von Gerichtskosten und Gebühren in Frage steht;.
- 5. wenn dem Verurteilten im Wege der Gnade bedingtes
. Strafaufschub oder bedingte Strafunterbrechung ge».
währt werden soll und die erkannte Freiheitsstrafe oder chr ! noch zu vollstreckender Teil 6 Monate nicht übersteigt; i 6. wenn um die gnadenweise Erlassung einer als Disziplinarstrafe ausgesprochenen Ordnungsstrafe nachgesucht ^ wird.
! Das Staatsministerium hat die Ausübung des Begna- ! digungsrechts, soweit sie ihm durch den Reichsstatthalter
übertragen ist, zur Vermeidung von Doppelarbeit unter Vor» behalt des Widerrufs in gleichem Umfang aus die einzelnen. Ministerien weiter übertragen.
Großer HiLler-Jugendtaq
Zum Stuttgarter Hitlerjugendtag erläßt der Kreisleiber der NSDAP„ Maier, einen Aufruf, worin es heißt, dieser Tag werde unter Bewei» stellen, daß die Hitlerjugend die geistige Führung in der deutschen Jugendbewegung übernommen hat. Die Hitler-Jugend hat die große Aufgabe, dafür zu sorgen, daß in Deutschland alle Jungen und Mädels mit einheitlicher Weltanschauung und einem einheitlichen politischen Willen ins Leben treten, damit von der Jugend her die Zersetzungsbestrebungen des Liberalismus endgültig in unserem Volk ausgerottet werden. Die Hitler- Jugend wird daher schon in kurzer Zeit an die Stell« aller Jugendbünde treten müssen, die durch parteipolitisch» oder konfessionelle Bindungen die Gestaltung der Volksgemeinschaft bewußt oder unbewußt zur Unmöglichkeit machen.
Stuttgart, 28 Juni.
Ehrungen des Reichsstatthalters. Reichsstatthalter Murr haben das Ehrenbürgerrecht verliehen: die Gesamtgsmeinde Unterrot OA. Gaildorf und die Gemeinde Hepsisau OA. Kirchheim.
Reichsstatthalter Murr nimmt an der Rundfunk-Orten» tierungssahrk teil. Der Schwäbische Motorsportklub «. B. veranstaltet am Sonntag, 2. Juli gemeinsam mit dem Süddeutschen Rundfunk seine 3. Deutsche Rundfunk-Orientie- rungssahrt unter der Schirmherrschaft von Reichsstakchalter M u r r. Das Endziel der Fahrt ist Bad Liebenzell. Der Reichsstatthalter nimmt an der Fahrt selbst teil. Auch Reichswehr, SA., SS. und Polizeiwehr, sowie verschieden« Flugzeuge sind beteiligt. Die Stadt. Kurverwaltung gibt zu Ehren der Gäste am Nachmittag in den Kuranlag«n «in Konzert der SS.-Kapelle Pforzheim.
Beurlaubung des Leiters der Reckarbaudirsktion tu Stuttgart. Der Stromdirektor Konz. Leiter der Neckarbaudirektion in Stuttgart, ist vom Reichsverkehrsminister bis auf weiteres beurlaubt worden.
Sondergerichtsurteile. Die dummdreiste Behauptung, d!« in gewissen Kr«is«n immer wieder austaucht, daß nicht dis Kommunisten, sondern die Nationalsozialisten das Reichs-
„Ich h^tt' einen Kameraden!'
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Margot hat die Lippen zusammengepretzl und mustert >as Gesicht des Redenden wie eine unheimliche und erregende Landschaft. Wenn er doch nur hersähe — sie vürde in seinen Augen sehen können! Aber als er den ölick wendet und nun, zu ihr gerichtet, weilererzählt, vird sie wieder vollkommen irre. Bidens spricht ruhig ind gleichmäßig, ganz unbeteiligt, durchaus sachlich. Irgendeine Macht hält ihn ab, Margot anzusehen, ihr zu- junicken. den erleuchtenden Blitz niederfahren zu lassen.
„Um auf unseren Mann zurückzukommen, ist zu bemerken: Diese Umstellung gegenüber seiner bisherigen Tätigkeit führte zu einer ganz ungeahnten Entwicklung. Man kannte ihn bis dahin als ehrgeizigen, intelligenten 'leinen Angestellten — nun aber lernte man seine be- iondere Begabung auszunützen. Er wuchs an seiner »euen Aufgabe, er entwickelte organisatorische Fähigkeiten, eine Menschenkenntnis nahm von Fall zu Fall zu."
Bob fährt fort in seiner Darstellung der Psychotechnik: .Hier ist einzuschallen, daß ohne die Veränderung seines Lebens der junge Mann wahrscheinlich als Ressortchef »der dergleichen geendet hätte — nun steht die Kurve einer Entwicklung ganz anders aus!
Das für meine Theorie Wichtige aber ist nicht die Tatsache, daß ein derartiger Fall für den Betroffenen von «rößter Bedeutung ist, sondern der Unternehmer dadurch »lötzlich Energien freimachen kann, die für den Betrieb >on höchstem Werte sind.
Der junge Mann ist gegenwärtig mit großem Erfolge licht nur innerhalb des Hauses, sondern auch im Außen- »ienst tätig.
Ich habe absichtlich gerade dieses Beispiel einer Aus- »utzung zunächst passiver Möglichkeiten gewählt, um zu leigen, wie selbst hier Erfolge zu erzielen sind."
Karl Gerland raucht einige Minuten lang schweigend, nckt und macht ein gedankenvolles Gesicht. Margot wagt licht, den Blick zu erheben — sie ist unsicher, ihr Verdacht »on vorhin ist wohl doch Unsinn — aber es klang wirklich, »ls könne von Fred die Rede sein. Sie trinkt hastig ihr Glas aus, das Bob wieder füllt.
Gerland spricht in die Luft:
„Sehr interessant — gut, der Fall leuchtet mir ein und liegt ja ziemlich klar. Die Frage ist nur, wie Sie schnell und sicher bei einer großen Belegschaft — sagen wir bei einer Arbeitsgruppe von der Größe des Gerland- Konzerns — Leute herausfinden wollen, die an anderen Stellen mehr leisten können als an den im Augenblick von ihnen besetzten?"
„Schon die Neigungen, das Vorleben des einzelnen, mehr noch eine systematische Beobachtung und analytische
Ei reicht seine Hand dem Generaldirektor, der ihm die Rechte entgegenstreckt . . .
Befragung — natürlich nicht etwa eine Psychoanalyse! — lassen vieles erkennen. Vergessen Sie bitte nicht, daß die . Berufswahl heutzutage in den seltensten Fällen eine ! wirkliche Wahl ist. Gerade der Großbetrieb, der immer - eine Neigung zur Bürokratisierung hat, unterbindet bei den meisten eine Entwicklung ihrer Fähigkeiten."
„Ich brauche gutes, zuverlässiges Mittelmaß — keine Genies im Werk."
„Sie haben aber wie jedes Großunternehmen schlechtes Mittelmaß, die Mehrzahl ist ohne Liebe bei der Arbeit, i die ihnen nur Nahrungsquelle ist. Das soziale Problem i setzt nicht bei der Lohngestaltnug ein. sondern bei der >
Der Generaldirektor nickt:
„Sie gefallen mir, Herr Bidens. Ich sehe noch nicht vollkommen klar, wie weit Sie mit Ihren Anschauungen in der Praxis eines Großbetriebes kommen können, aber ich möchte den Versuch wagen. Wenn Sie Lust haben, bei mir zu arbeiten, die Gerland Werke zunächst versuchsweise zu beraten, so bin ich bereit. Ihnen diese Möglichkeiten zu geben.
Wir stehen in der nächsten, in der allernächsten Zeit vor schwierigen Auseinandersetzungen, die Umstellungen bei uns nötig machen werden. Wenn Sie Erfolg haben, kann sich daraus viel für Sie ergeben. Ich würde Sie als besonderen Mitarbeiter keinem einzelnen Büro, sondern direkt mir unterstellen. Wenn Sie morgen zu mir ins Werk kommen wollen, können wir uns noch genauer über die Bedingungen unterhalten."
Tunnel, ein ounkler Tunnel, durch den man fuhr, denkt Bob, und jetzt Licht, Helligkeit, immer größer und freudiger — Zukunft! Morgen — hinten liegt der Weg durchs Dunkel, die Verzweiflung, die Qual der unsroheri Arbeit — Morgen, Morgen, glänzender Morgen!
Er kann es nicht verhindern, daß er den alten Gerland und seine Tochter mit einem unsachlichen, beinahe sentimentalen Blick ansieht. Die Freude sitzt ihm in der Kehle, er möchte jubeln, er denkt an Fred, an den Freund, denen das verdankt — wird traurig, daß Fred nicht dabeisttzi und alles anhören kann. Er reicht seine Hand de» Generaldirektor, der ihm die Rechte entgegenstreckt, schläg- ein, fühlt einen warmen, herzlichen Druck, hört ein Lachen das ihn in die Wirklichkeit zurückruft, ihn mitlachen läßt
Dann Hai er eine kleine weiße Hand mit festei Fingern in der seinen. Margot gratuliert ihm, er sieh plötzlich in zwei klare Augen, fällt kopfüber hinein uni kann sich nur mit Mühe aus der Tiefe herausarbeiten als Karl Gerland ruft:
„Das wird begossen, Kinder; Bidens, Psychotechntker auf Ihren Erfolg bei uns und unseren Erfolg durch Sie!'
Sie stoßen an, die Gläser mit dem dunklen Burgundei klingen wie silberne Glocken. Bob hat daS Gefühl, daj über ihn nicht eine behaglich verrauchte Zimmerdecke sondern der höchste Himmel ist, den man sich vorstelle» kann.
Der Chauffeur Wagner schmunzelt nur, als er de» Herrn Generaldirektor und das gnädige Fräulein mr dem lächelnden, gut aussehenden jungen Mann recht spä aus dem Lokal treten sieht.
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