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Der Gesellschafter
Donnerstag, den 2. November
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Sekt tranken sie, tanzten. Den Damen ge- fiel es, gute Kleider sah man hier und schöne Frauen. Er wurde gefragt, ob das alles zur Gesellschaft gehöre, wie diese Dame heiße und jener Herr? Er kannte keinen, sagte aufs Gratewohl ein Paar Namen, fügte schöne Titel hinzu: Graf, Prinzeß und Geheimrat, Exzellenz und Baronin. Der Amerikaner nickte; ihm freilich sage es mehr zu im „Vaterland", bei den bayrischen Würstchen und dem Bier — so was, wie hier, könne man ja schließlich überall ha- >en. Aber die Hauptsache sei — und wie reue er sich darüber! —, daß man so recht ehe, welch ein Schwindel das sei mit dem ewigen Gerede, daß das deutsche Volk Not litte und darbe! Wenn man das fertig bringe — die ungeheuren Kriegslasten zu bezahlen und die ungezählten Gelder für Arbeitslose und Kriegsopfer, für Kranke und Altersschwache — und dann dennoch so leben könne — kein Volk in der Welt habe solche Führer! Und also Prost: auf Hindenburgs Wohl und auf das des Kanzlers und all seiner Minister!
Er rief den Kellner, gab ihm Geld, verlangte, daß die Musik das Deutschlandlied spiele. Horst blickte auf, das Blut stieg ihm zu Kopf — abscheulich schien ihm der Gedanke, hier das Lied zu hören. Er über- legte — wie sollte er das nur dem braven Herrn aus Milwaukee erklären? Er sprang auf, hielt den Kellner zurück, ging selbst zu der Kapelle — aber er sagte nichts, wechselte nur mit dem Stehgeiger ein Paar nrchts- fagende Worte, gab ihm eine Zigarette. Dann kam er zurück: der Kapellmeister bitte um Verzeihung, er habe leider die Noten nicht da.
Herr Speckels bemerkte nicht das Lächeln des Studenten, er schlug mit der Faust auf den Tisch. Was, Noten? Noten, um die Volkshymne zu spielen? Das sei doch —
Aber der Wiener lenkte ein, behauptete, daß es eine spanische Kapelle sei, das habe er gleich gemerkt. Und im übrigen wolle man doch weiter, da sei gewiß noch manches zu sehn. Das wisse man ja in der gan- zen Welt, daß es in Berlin höchst interessante. geheime Nachtkneipen gäbe wie nirgends sonst, richtige Lasterhöhlen, puh! — da könne selbst Paris nicht mit und Neu- york schon gar nicht! Er wandte sich an den Studenten; der zuckte die Achseln. O ja, das gäbe es, freilich — aber es sei doch wohl nicht ganz das richtige — für die jungen Damen. Und bei so vorgerückter Stunde —
Der junge Wiener lachte — dummes Zeug, alles müsse man kennenlernen. Er winkte dem Geschäftsführer, im Nu hatte der ihm eine Reihe schöner Namen ausgeschrieben.
Sie brachen auf. fuhren weiter; „Kolibri", „Cascade", „Casanova". Cocktails, Whiskys, alle möglichen Getränke — lautes Lachen und Schwatzen ringsherum; Jazz und neueste Schlager — freches Anreißen der Barmädchen und der andern Dämchen. Horst fühlte sich ungemütlich, faß so herum, sperrte den Mund nicht auf. Fräulein Spek- kels. die Jüngere, schlug ihm leicht auf den Arm: „Gefällt's Ihnen nicht?"
„Nein", sagte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Jetzt hilst's nicht, jetzt sind Sie mal hier. Do in Rome, as the Romans do!"
„Was?" fragte er.
Sie lachte. „Kennen Sie das nicht? Ist doch von Shakespeare — Daddy sagt, daß alle Deutschen Shakespeare auswendig wüßten! Do in Rome, as the Romans do — das heißt, daß man heulen soll mit den Wölfen."
Er nickte — natürlich hatte sie recht. Im Grunde war's gut, daß er das alles einmal gründlich kennenlernte, wozu sich da sperren? Er trank sein Glas aus — wie hieß das Zeug doch, Sidecar? —, leerte auch mit einem Zuge das, das die Kleine ihm reichte. Nun war er drin — tat mit, weshalb den Spielverderber machen? Sie saßen auf hohen Barstühlen, tranken, tanzten dazwischen — die kleine Miß, zart, blond, mit großen Veil- chenaugan, schmiegte sich eng an ihn an. Sah zu ihm aus. drückte seine Hand — einmal nur war man jung, und einmal nur, für diese eine Nacht —
„Maud heiß ich", sagte sie.
Sie kamen zu „Mali und Igel", dann zu „Ariane". Die Damen begriffen nicht recht, was da los war — der Herr Großhändler aus Milwaukee begriff es noch weniger. Ihm kam das ungeheuer komisch vor:
LuManäkrrng, Lkuttzarl mi«k Lertt»
Frauen, die miteinander tanzten, zärtlich taten, sich küßten? Aber es habe auch seine ernste Seite, erklärte er: da sähe man die Folgen des Krieges, der ganze Jahrgänge von Männern ausgerottet habe. Der lunge Wiener blinzelte, lachte vergnügt — aber gewiß, so sei es, er habe ja so recht!
Nach Hause? Aber nein — er habe noch einen Namen auf einem Zettelchen, und der habe drei Ausrufungszeichen: „Eldorado"— das müsse etwas ganz Besonderes sein!
Sie kamen durch einen langen Gang, rings mit Plakaten bepflastert: schöne Damen in großer Aufmachung. Sie traten ein, schauten sich um im Saal — da sprang mit großen Schritten eine Frau aus sie zu. Horst sah sie erstaunt an — mein Gott, was war das für eine Person? Größer als er, mit üppigem, tiefschwarzem Haar und schwarzen Augen — eine mächtige Hakennase in dem langgezogenen Gesicht. Aber ehe er noch recht wußte, wie ihm geschah, rief sie: „O du Süßer, kommst du endlich wieder her?!" Sie öffnete die Arme weit, schlang sie um ihn, drückte ihn fest an sich. Er fühlte ein Reiben und Stechen an seiner Wange, spürte ihren feuchten Atem, schüttelte sie dann heftig ab.
Frau SpeckelS wollte sich ausschütten vor Lachen; der Wiener grinste, faßte ihn am Arm. „Wachen Sie doch auf!"
Er riß sich zusammen, ging weiter mit den andern, griff sich unwillkürlich an die Wange — mein Gott, einen Bartwuchs hatte dies scheußliche Frauenzimmer!
Sie setzten sich; der Großhändler bestellte wieder Champagner; hastig leerte der Student sein Glas. Er wandte den Kopf; die kleine Maud lachte ihn an, fragte: „Kannten Sie die? Die — die Frau?"
Er schob sein Glas zurück, lachte: „Ich — das Geschöpf?! Was denken Sie nur? Ich habe weiß Gott was andres zu tun, als in solchen Nachtbumsen —"
Die Musik setzte ein; zwei blonde Frauen schritten in das Rund. Sie tanzten nicht schlecht, schmiegsam, hingebend, sangen dazu, mit hoher, etwas gequälter Stimme. Gute Figuren, üppige Formen und doch schlank — nur waren sie beide erstaunlich groß. Als sie fertig waren, gingen sie von Tisch zu Tisch, verkauften ihre Fotokarten; die Schwarze, die, die ihn geküßt hatte, schloß sich ihnen an. Erstaunlich häßlich war sie, recht ein Zerrbild — sah wüst aus mit dem gewaltigen Nasenerker und den kleinen Schweinsäuglein — sieh doch, sie schielte noch obendrein!
Die drei boten ihre Karten an. baten um Zigaretten, ließen sie in ihrem Busen verschwinden. Dann um Wein — Papa Spek- kels schenkte ihnen ein. Sie nahmen Platz, taten ganz manierlich — die Schwarze hatte gleich heraus, mit wem sie sprach, legte auf Englisch los. Der Student verstand nicht viel — starrte sie erstaunt an. Sie merkte es, hob ihr Glas, flötete: „O you darling- boy, don't you think, I am just a swett little ladh?" Sie unterbrach sich, fügte in tiefstem Baß hinzu: „Na — denn Prost, Mensch!"
Horst fuhr auf; es war ihm, als habe man ihm mitten ins Gesicht gespien. Der Amerikaner stutzte, starrte hilflos mit offenem Munde das Geschöpf an. Aber die Damen lachten — war es denn möglich, daß die beiden nicht längst heraushatten, was in diesem Nachtlokal sich als holde Weiblichkeit gebärdete? Dann dämmerte es Herrn Spek- kels; ihm fiel ein, daß er vor langen Jahren so etwas mal auf dem Variete gesehn hatte. „Was seid ihr denn eigentlich?" fragte er.
Die Schwarze reckte die Hakennase, verdrehte die Schweinsäuglein, sah ihn verliebt an. steckte den kleinen Finger in den Mundwinkel, kicherte: „Wir sind doch die Eldo- radieschen, du Schelm! Didi heiß ich!"
Papa Speckels betrachtete sie kritisch, auch die zwei Blonden am Tisch, dann die, die da tanzten und die andern rings im Saale. „My Lord," rief er, „das sind ja alles Damenimitatoren! — Das ist wahrhaftig ein guter Witz!"
Der Wiener klopfte ihm aus die Schulter. „Ein ganz erstaunlicher Witz — Sie haben's erfaßt! So was gibt's auch nicht in Milwaukee, was?"
Didi war im Schwung — solch harmlose Hinterwäldler, das war das Rechte, da konnte man was erben, wenn man's richtig anstellte! Er faßte sich an den Kopf, hob die Perücke hoch für einen Augenblick: ratzekahl glänzte der Schädel.
Horst Wessel stand auf, rot wie ein Schuljunge, glühheiß vor Scham. Er wußte kaum.
waS er tat, schritt zwischen den Tischen, dann quer durch den Saal. Stand draußen, reichte der Kleiderfrau die Marke, ließ sich feinen Hut geben. Nur weg, nur heraus aus dieser —
Jemand sprach neben ihm — er wandte sich um, sah die kleine Maud. Hastig kamen seine Worte: „Das ist nicht Deutschland, das nicht, glauben Sie mir! Das ist — ich weiß nicht — das ist Großstadt vielleicht, Welt- stadt, meingottja: Berlin — irgendein armseliger, schmutziger Fetzen davon. Das hier »— und alles, waS wir sahn heutnacht, das
ist nur gemacht für — für-Glauben
Sie mir doch, eS hat nichts zu tun mit all dem, was deutsch denkt und deutsch fühlt,
wirklich nichts! Wir — wir-" Er stot-
terte, verhaspelte sich, kam nicht weiter. Begann wieder: „Verzeihn Sie, Maud, es ist sehr unhöflich von mir — bitten Sie für mich um Entschuldigung bei Ihren Eltern! Aber ich kann nicht mehr, ich muß gehn, muß! Das alles ist — ich weiß nicht, wie ich Ihnen das sagen soll! Deutschland, wenn Sie das sehn wollen, müssen Sie — Deutschland, das ist ganz wo anders, das — glauben Sie mir doch, Maud, glauben Sie mir doch."
Sie sah ihn an mit stillen Augen, sagte leise: „Ja, ich glaube Ihnen."
Er griff ihre Hand, preßte sie. „Danke schön." flüsterte er, „danke schön!" Riß sich dann los, lief hinaus in die Dämmerung.
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Es war ihm, als ob er den ganzen nächsten Tag über einen Brechreiz in der Kehle habe. Das ungewohnte Zeug, Sekt, Cocktails, Whisky — das vielleicht auch, aber mehr noch das andre! Er hatte das Empfinden, als müsse er im Bristol anrufen, sich mit den Herrschaften aus Milwaukee verabreden — sie mitnehmen zu einem Kameradschastsabend, ihnen die Pracht- jungen zeigen von seinem Sturm —
Aber das ging nicht, ging ganz und gar nicht. Die Burschen würden da Herumsitzen, sich beschwert fühlen, kaum den Mund auf- sperren, nicht einmal frei und frisch singen können. Und wenn sie sich auch geben würden, wie sie waren, offen und natürlich — die Amerikaner würden doch nichts davon begreifen.
Er tat seinen Dienst an diesem Abend, Ordnungsdienst in einer großen Versammlung im Norden. Unlustig war er, nicht bei der Sache — seine Leute merkten gleich, daß etwas mit ihm los sei; selbst die vom ersten Sturm merken es. Als er nachher seinen Sturm abtreten ließ, kam Fiedler zu ihm; sie setzten sich zusammen, in eine Bierkneipe.
„Na, was hast du?" fragte Fiedler.
Horst erzählte; es war erstaunlich, wie klar er jetzt alles sah. Was er der blonden Miß nur andeuten konnte — seinem SA.-Kame- raden konnte er's gleich auseinandersetzen, ohne zu stocken. Der nickte, ja, so sei das
— das sei eben eine andere Welt; dicht bei ihnen und doch so fern, als ob sie weit hinter dem Monde liege. Und übrigens: dazu brauche man nicht nach dem Westen zu sah- ren, das alles könne er hier auch haben, rund um den Alexanderplatz — nur die Aufmachung sei anders. Dreck sei eben Dreck, das sei nun mal so — darüber brauche man sich doch nicht aufzuregen! Nutten und Luden und Pupenjungen — das Saupack würde es geben, überall, solange noch die Erde durchs Weltall schwämme.
„Und sind doch Menschen, wie ich und du!" sagte Horst. „Drückten die Schulbank neben uns — da hat man nichts gemerkt, daß sie anders waren!"
„Nee", antwortete Richard Fiedler. „Das kommt erst später raus. Aber drin steckt's von Anfang an."
Der Student sagte: „Gar nichts steckt drin
— Not ist's, Verführung, Leichtsinn. Sie sind Deutsche wie wir und also —"
Fiedler unterbrach ihn. „Laß man, Horstemann — die kannst du nicht heben und bessermachen! Aus einem Rotfrontler kannst du einen braven SA.-Mann machen — nie aber aus einem Ludewig vom Ringverein! Und eine rechte Nutte bleibt's, solange sie noch im Dunkeln einen Besoffenen aufgabeln kann — geht's nicht mehr, schafft sie sich eine Kletterbude an, lernt Junge an und läßt die für sich arbeiten."
Horst Wessel überlegte. „Und sind doch alle in der K.P.D., sind alle organisiert —"
Richard Fiedler nickte. „Da gehören sie hin — die K.P.D. kann sie gebrauchen. Ein rechter Notfrontmann kämpft wie wir, aber den Drahtziehern aus Moskau genügt das nicht; die verlangen dazu noch den Hinterhalt. Wir nennen das feige und erbärmlich
— die Herren lachen darüber. Und weil sie die anständigen Burschen nicht dazu kriegen, nehmen sie das Gesindel; das knallt aus seinem Versteck heraus, aus Türen und Hausgängen, oder auch durch die Fenster hinein in unsre SA.-Keller! Dazu brauchen sie das Verbrecherpack der Ningvereine. Und die Prostitution jeder Art — was glaubst du wohl, welch gute Spionage die leistet?! Die Kommune hat's von der Polizei gSlernt — die nimmt überall in der Welt den letzten Auswurf in ihren Dienst, bekommt ihre besten Nachrichten da- her. Na, wir müssen uns trösten: darin wird uns Moskau immer über sein. Es ist nicht zu ändern — und wenn's uns hundertmal das Blut unsrer braven Jungen kostet!"
Horst antwortete nicht. Was ihm de, Truppführer sagte, war gewiß richtig. Wvr> für Wort — er wußte es genau so gut wi, sein Freund. Und doch, doch — eS mußt, eine Möglichkeit geben —
Sie tranken ihr Bier aus, trennten sich Horst trat den Heimweg an, wandelte lang, sam durch die schwüle Sommernacht, an zeder Ecke angesprochen von einem Frauen- zimmer. Manchmal bliebt er stehn, schaut, sie an, als wolle er irgendetwas finden in rhrem Blick, ging dann schweigend weiter. Als er aus der Alexander- in die Prenzlauer Straße bog, hörte er ein Geschrei hin- ter sich, wandte sich um. Zwei verstaubte armselige Lorbeerbäume standen da in vertrockneten Kübeln — er kannte sie: „Mexiko" hieß daS Lokal, für das sie anreißen sollten, ein wüster, knallroter Bums für Dirnen und Zuhälter. Er sah ein Mädel, sah einen Kerl, der unbarmherzig auf sie eindrosch. Mitten ins Gesicht mit der Faust, wieder und noch einmal; dann fiel sie über den Kübel, lag am Boden, bekam seine rohen Tritte zu kosten. Er sprang hinzu — zwei, drei Schwinger, dann einen Leberhaken: der Bengel wand sich in Schmerzen, riß sich zu- fammen, floh mit langen Schritten, verschwand in der Dunkelheit. Horst hob das Mädchen auf; das Blut troff ihr von Lippe und Nase, rann über die Helle Bluse — die Leute, die in der Tür standen, lachten sie aus, machten doch Platz, als er sie hinein- führte. Kümmerten sich nicht weiter um die zwei; so was war man gewohnt rings um „Mexiko".
„Wasch dich!" sagte er. Sie nickte, ging nach hinten.
Er setzte sich — mit dem Rücken zur Wand natürlich — bestellte ein paar Schnäpse. Er blickte sich um; bunte Papiergirlanden kreuz und quer an der Decke, an den Wänden ge- malte Palmen, Kakteen, Kerls mit mächtigen Spitzhüten — na eben: Mexiko! Wüste Burschen am Schanktisch, Dirnen an den Tischen. Hinten ein Lautsprecher — irgend- ein dummer Schlager erklang. Ein Paar Frauenzimmer sangen laut mit, tanzten dazu sitzend, schwenkten die Beine in der Luft herum.
Die Dirne kam zurück, setzte sich still zu ihm, suckelte an dem Schnaps, den er ihr hinschob. Er sah sie an, nichtssagend war ihr Gesicht, grau die Farbe — schlecht klebte die frische Schminke auf den schmalen Lippen. Aber sehr groß, tief und leucktend wa- ren die braunen Augen. Er dachte: die ist seit Jahren nicht hinausgekommen, auf diesen Wangen hat seit Ewigkeit kein Sonnenstrahl gespielt. Er sagte: „Du gehst auf den Strich, was? Und der Kerl war dein Lude?"
Sie nickte. Das war so selbstverständlich
— warum fragte er?
Er merkte gut: sie war chm gar nicht dankbar für seinen Ritterdienst. Ohne das
— na, sie hatte ihre Keile weg, nun war's gut für eine Weile. So aber — wenn sie nach Hause kam, würde ihr Kerl sicher schon warten, würde sie noch einmal, und ganz anders, vornehmen. Ob sie ihn liebe, fragte er. Sie zuckte die Achseln. Ach was, der habe noch zwei laufen — aber man müsse doch Schutz haben —
Ob sie denn nicht bei einem Verbände sei? O ja: beim Roten Frauen- und Mädchenbund sei sie. Er nickte — natürlich war sie dabei; und die Vorsitzende ihrer Gruppe am Alexanderplatz war sicher auch eine ausgediente Dirne — da bekümmerte man sich nicht um Privatsachen.
Er dachte nach, zog dann seine Brieftasche heraus. zählte. Das Geld war von der Großmutter — nun ja, es war für eine kleine Reise bestimmt, und er brauchte die Ausspannung. Aber dann — jetzt würde er doch nicht fortkommen von Berlin, so viel war zu tun —
Sie wachte auf, als sie das Geld sah. Wenn sie die Schulden bei ihrer Wirtin bezahlen könne — viel sei es nicht — dann käme sie da los, könne ihre Sachen Mitnehmer:. Und sie wisse eine Bude bei einer andern Frau; die sei scharf, die lasse keinen herauf, wenn man nicht wolle. Wenn sie da anzahlen könne —
Was sie denn gelernt habe, fragte er, ob sie nicht arbeiten könne?
Sie fühlte gleich, was er hören wollte. O ja, schneidern habe sie gelernt, sie würde schon wieder hochkommen, wenn sie nur für den Anfang —
Der Student schob ihr die Scheine hinüber. „Da, nimm!" sagte er. „Wie heißt du denn? Und wie alt bist du?"
Hastig nhm sie das Geld auf, steckte es in ihre Tasche. Erna heiße sie, achtzehn Jahre sei sie alt.
Achtzehn — so jung noch? Und sah aus wie — aber vielleicht, wenn sie einmal weg war aus diesem Dreck, Sonntags hinaus konnte in Wald und Sonne, vielleicht- wenn —
Sie stand auf, sagte, daß sie nun gehn wolle. Für die Nacht könne sie bei einer Freundin schlafen, morgen gleich in oer Früh wolle sie umziehn.
„Also viel Glück!" rief er.
Ein wenig hob sie die Hand, ließ sie wieder fallen, traute sich nicht. Doch bewegte m die Lippen, sah ihn an mit den großen, braunen Augen.
„Ist schon gut", murmelte er.
Fortsetzung folgt-