Der Gesellschafter

Freitag, den 7. Juli 1833.

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Jetzt können wir heiraten

denn Emmi erhält ein Ehestandsdarlehen

Vesser als eine nochmalige Erklärung der gesetzlichen Bestimmungen über das Ehe­standsdarlehen mag folgende kleine Geschichte darlegen, wer ein solches Reichs-Darlehen zur Gründung eines Hausstandes bekommen kann, wie es zu verwenden ist und wie es getilgt wird.

Emmi W. und Kurt R. find bereits seit drei Jahren verlobt. Gar zu gern hätten sie schon längst geheiratet; doch trotz allem Rechnen und Sparen gelang es ihnen nicht, das Nötigste zur Gründung eines Hausstandes zusammenzu- bringeu. Kurts Gehalt hätte bei bescheidener Lebensführung wohl für zwei gereicht, aber solange er als Junggeselle (seine Eltern leb­ten nicht mehr) in teurer Zimmermiete woh­nen und im Gasthaus essen muß, geht eben alles glatt auf und an Ersparungen für Mö­bel ist nicht zu denken. Emmis Eltern sind in­folge der schlechten wirtschaftlichen Verhält­nisse seft Jahren verarmt und können der Tochter nichts mitgeben. Sie wohnen zudem in einem entfernten Landstädtchen, so daß Emmi in der Großstadt, wo sie seit Jahren als Stenotypistin tätig ist, ebenfalls das teure Junggesellenleben führen mutz und von ihrem bescheidenen Gehalt nur eine kleine Wäsche­aussteuer nach und nach anschaffen konnte. Möbliert wohnen? Nein, da halten sie es mit den alten guten Grundsätzen, daß wenigstens Betten, Tisch und Stuhl und der nötigste Haus­rat vorhanden sein muß, wenn man eine Ehe gründet. Also hieß es immer wieder: warten, wenn es auch allmählich recht schwer fiel.

Das Gesetz zur Förderung der Eheschlie­ßungen vom 1. Juni 1933 bringt «verwartet schnell einen Hoffnungsstrahl. Ehcstandsdar- lehen? Jeüt können auch wir heiraten, jubeln die beiden jungen Leute. Die nötigen Heirats­papiere haben sie ohnehin schon beschafft, voll Freude wird nun das standesamtliche Auf­gebot bestellt und als Hochzeitstag der 15. Juli in Aussicht genommen. Der Standes­beamte verabreicht dem Bräutigam unentgelt­lich einen Antragsvordruck, den Kurt gewissenhaft ausfüllt und unterschreibt. Auch Emmi unterschreibt dieses Gesuch um Gewäh­rung eines Ehestandsdarlehens und bringt von ihrem Chef die Bescheinigung, daß sie in den letzten zwei Jahren mindestens sechs Mo­nate in Stellung war und bis 1. Juli d. I. g e- kündigt hat. Mit Vergnügen verpflichtet sich Emmi auch, daß sie keine Stellung mehr an- treten wird, solange ihr künftiger Gatte mehr als 125 RM. Monatsgehalt bezieht, und das Ehestandsdarlehen nicht restlos getilgt ist.

Kurt übergibt nun den Antrag der betref­fenden Dienststelle in Ludwigsburg, wo er beruflich tätig ist und auch nach seiner Ver­heiratung zu wohnen gedenkt. Während hier der Antrag und die gemachten Angaben ge­prüft werden, sucht Las junge Paar sich eine nette, kleine Wohnung, ziemlich weit draußen, denn viel darf sie nicht kosten. Emmi fragt manchmal sorgenvoll: Ob unser Antrag wohl genehmigt wird? Kurt hegt keinen Zweifel daran, denn beide sind gesund, weder kör­perlich noch geistig erblich belastet, beide be­sitzen die bürgerlichen Ehrenrechte

und einen guten Leumund und keines von ihnen ist oder war politisch so eingestellt, daß man an ihrer aufrichtigen Gesinnung Kr den nationalen Staat zweifeln könnte.

Wieviel wir wohl bekommen werden?, kratzt die besorgte Braut ebenfalls. Die Höhe des Darlehens bestimmt die Gemeindebehörde und wird danach bemessen, was Brautpaare im gleichen Stand wie wir, üblicherweise für den Kauf von Möbeln und Hausgerät aus­geben; ich denke also, daß wir wohl die Höchst­summe, nämlich tausend Mark, erhalten wer­den, beruhigt sie Kurt. Daraufhin beraten sie, was man dafür anschaffen kann.

Die Behörde befürwortet die Gewährung des Ehestandsdarlehens an Emmi W. und Kurt R. und gibt den Antrag an bas Finanz­amt weiter. Dieses erteilt dem Bräutigam endgültig Bescheid, daß er am 1. August 900 Reichsmark Ehestandsdarlehen erhalten wird.

Nun kann also am 15. Juli die Hochzeit stattfinden. Vierzehn Glückliche Tage verbrin­gen die Jungvermähi.en bei Verwandten im Schwarzwald. Zum 1. August ist die kleine Wohnung gemietet und pünktlich erhalten sie das Reichsdarlehen in Bedarfsdeckungs­scheinen von fünfmal hundert Mark und vierzigmal zehn Mark ausgehändigt, wofür sie nun gemeinsam haften. (Hätten sie Güter­trennung für die Ehe vereinbart, hätte Mann und Frau je die Hälfte des Darlehens aus­bezahlt bekommen.) Das Einkäufen bereitet keine Schwierigkeiten. Kurt und Emmi haben sich ja vorher schon genau überlegt, wie der Betrag eingeteilt und verausgabt werden sollte. Die Schlafzimmereinrichtung ist ja schon bei einem Schreinermeister bestellt und braucht nur noch geliefert und mit den ent­sprechenden Bedarsdeckungsscheiuen bezahlt zu werden. Die Kücheneiurichtung sowie Tisch und Stühle fürs Wohuzimmerchen kaufen sie in einer Möbelhandlung, die laut Aushang am Schaufenster zur Annahme von Bedarfs­deckungsscheinen zugelassen ist, Betten in ei­nem ebenso bezeichneten Äussteuergeschäft, Matratzen bei einem Tapezier. Von einer Tante trifft noch ein schönes altes Schränk­chen als Hochzeitsgeschenk ein, von Emmis Freundinnen Vorhangstoff und von Kurts Kollegen eine feine Tischlampe. Für den Rest des Darlehensbetrages kauft Emmi in einem Haushaltungsgeschäft Geschirr und alles Nö­tige für die Küche. I« zwei Tagen ist das kleine Nestchen bildhübsch eingerichtet. Das junge Paar strahlt vor Freude, die Geschäfts­leute schmunzeln zufrieden, daß sie nach den Jahren flauen Geschäftsganges nun wieder verkaufen können.

Am 10. Oktober ist erstmals der monat­liche Tilgungsbetrag fällig: neun Mark das ist selbst bei einem bescheidenen Einkom­men erschwinglich. Als im Mai des darauf­folgenden Jahres ein gesunder Stammhalter ankommt und der freudestrahlende Vater eine unentgeltliche Bescheinigung vom Stan­desamt über dieses frohe Ereignis dem Fi­nanzamt bringt, wird ein Viertel des Ehestandsdarlehens erlassen 225 Mark als Taufgeschenk, das läßt man sich gern gefallen. Obendrein bewilligt das Fi­

nanzamt auf Kurts Antrag, daß die Tilgung des Darlehens ein ganzes Jahr unterbrochen wird. Nach dieser Zeit sind die Einkommens- Verhältnisse des jungen Paares soweit gebes­sert, daß ibnen die monatliche N ^-.abkuna trotz der vergrößerten Familie nicht schwer fällt. Wie das zweite Kind geboren wird, be­trägt die Schuld nur noch 200 Mark und dieser Restbetrag wird nun als Taufgeschenk für das kleine Mädelchen vollends erlassen. Emmi und Kurt find schuldenfrei. Das Ehe­standsdarlehen oder richtiger gesagt, der Schöpfer dieser segensreichen Einrichtung, un­ser genialer Führer Hitler hat ihnen zu ihrem Glück geholfen und die Gründung ei­ner gesunden, blühenden und wachsenden Fa- milie ermöglicht. T. W.

Wer erhält Ehestandsdarlehen?

Der Reichsfinanzminister hat zur Durch­führung der Gewährung von Ehestandsdar­lehen besondere Bestimmungen erlassen. Dar­nach werden keine Darlehen gewährt, wenn

a) die Ehe vor dem 3. Juni 1933 ge­schlossen worden ist;

b) einer der beiden Ehegatten nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte ist;

c) nach der politischen Einstellung eines der beiden Ehegatten anzunehmen ist, daß er sich jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat ei »setzt;

cj) einer der beiden Ehegatten an ver­erblichen geistigen oder körperlichen Gebrechen leidet, die seine Verheiratung nicht als im Interesse der Volksgemeinschaft liegend erscheinen lassen;

e) nach dem Vorleben oder dem Leumund einer der beiden Ehegatten anzunehme» tftz daß die Ehegatten ihrer Verpflichtung zur Rückzahlnug des Darlehens nicht Nachkomme» werden.

Voraussetzung für die Gewährung der Ehestandsdarlehen ist die Tatsache, daß die künftige Ehefrau in der Zeit zwischen dem 1. Juni 1931 und dem 31. Mai 1933 mindestens sechs Monate lang im Inland in einem Arbeitnehmerverhältnis gestanden hat. Dies ist durch eine Bescheinigung des Arbeit­gebers nachzuweisen.

Die Höhe des Darlehens wird nach dem Betrag bemessen, den ein Ehepaar gleichen Standes bei der Gründung eines Haushalts nach den ortsüblichen Verhältnissen für den Erwerb von Möbeln und Hausgerät aufzu­wenden Pflegt. Der Darlehensbetrag muß stets durch 100 RM. teilbar sein und darf 1000 RM. nicht übersteigen. Die Darlehen werden aber nur in Form von Bedarfs­deckungsscheinen gegeben. Diese Scheine be­rechtigen zum Erwerb von Möbeln und Hausgerät in Verkaufsstellen, die zur An­nahme von Bedarfsdeckungsscheinen zugelas­sen sind. Die Zulassung der Geschäfte als

Verkaufsstellen wird durch Aushang au den Geschäften kenntlich gemacht.

Der Antrag ist bei derjenigen Gemeinde zu stellen, in deren Bezirk der künftige Ehe­mann zur Zeit der Antragstellung seine« Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Vordrucke für den Darlehensantrag werden vom Reich geliefert und sind vor­aussichtlich vom 10. Juli an erhältlich. Sie werden ebenso wie die Vordrucke für die Arbeitgeberbescheinigung von dem Stan­desamt abgegeben, bei dem das Auf­gebot beantragt wird.

Laßt Blumen sprechen

Wenn die Natur ganz entfaltet ist im Monat Juni, dann blühen überall in Wald und Feld, auf Wiesen und Gärten, vor Fen­stern und in allen Winkeln die Kinder Flo- ras, die Blumen. Ihre tausendfachen Sorten bringen uns Grüße und Freude von anderen Welten, sie sprechen zu uns Menschen zum Herzen und sie künden uns von Reinheit und Liebe. Sie sind für uns blühende, lebende We­sen und bilden den Kontakt zwischen Seele und Gottheit. Was müßte es für ein Mensch sein, der ihre stumme, duftende Sprache nicht verstünde? Ihre natürliche Schönheit und ihr berauschender Duft geben uns den großen, weiten Gottesgarten zurück und erinnern uns an die schöne Welt im Blumenschmuck, an ein Blühen und Werden draußen in der Natur. Und wenn wir oftmals draußen umhergewan­dert sind in Wald und auf Fluren, so brin­gen wir als Erinnerung an frohe Stunden, die wir in der Freiheit verbracht haben, Blu­men mit nach Hause, um uns noch viele Tage in der nüchternen Arbeitswoche daran zu er­innern, daß wir uns dort wohl fühlten, dort draußen am Quell des Lebens. Gerade jetzt noch im Juni, wenn die Wiesen noch voll und hoch stehen, vor dem Schnitt, grüßen Millio­nen bunter Blütensterne den Wanderer, In­sekten summen ringsumher und sangen deu süßen Saft auf und berauschen sich an ihrem Duft. Wir Menschen erfreuen uns an den vielen Blumen, ihre stumme, farbige Sprache ist uns der Inbegriff alles Schönen und Hohen geworden.

Wer wollte sie vermißen, die Königin der Blumen, die Rose? Sie bringt süß duftend und farbig leuchtend all unsere Gefühle des Herzens unseren Mitmenschen Lar und gleich ihr, sind es noch tausend andere Blumen, die unsere Empfindungen der Freude auSdrücken. Blumen beleben Winkel und Höfe, verjüngen« Altes und verschönern das Leben. Blume» wachsen auf unserem ganzen Lebensweg, ei« Blumenstrauß steht in unserem Geburtszim­mer, Blumen künden Glückwünsche an Geburts­und Hochzeitstagen, Blumen find Boten bei allen Festen und Blumen sind noch lebende ! stumme Zeugen all der Liebe, die uns umgab, ! wenn wir dermaleinst hinausgetragen werden, l nm von dieser Welt zu scheiden. Ein stiller j Hügel grünt und blüht und duftende Blumen > spenden noch letzte Grüße vom Diesseits bin- I über zur Ewigkeit. Wollen wir Menschen doch i die gewaltige Sprache von Mutter Natur ver- ! stehen lernen: Laßt Blumen sprechen, denn sie sind Boten der Gottheit und der Liebe.

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5. Fortsetzung.

Ich hielt mkr den Kopf, um unterm An­sturm so vieler Gedanken nicht in die Knie zu sinken. Wohin sollte ich gehen? Der Mittag war da. darum kaufte ich mir ein Brot, ich batte ja Marken, ich hatte auch noch einige Verpflegungsgelder

2 .

Im Sauerteig.

Die nächsten Nächte verbrachte ich im Halb­schlaf, ein Torbogen am Alten Markt gab mir Obdach. Die Tage verbummelte ich recht­schaffen, teils in den Museen, wo man die wertvollsten Stücke in bombensicheren Kel­lern verstaut hatte, und wo man jetzt immer hastiger die Bilder, Münzen, Fi­guren und Altertümer in Sicherheit brach­te, weil man Feinde fürchtete, freilich Feinde aller Art. Auch besuchte ich alte Kirchen, und in einer dieser Kirchen hing das Bild des Heilige« Sebastian. Hier kniete ich nieder und betrachtete mir die Verklärung eines Sterbenden, dessen Leib von hundert ver­gifteten Pfeilen durchlöchert wurde. Da wußte ich endlich, daß ich in Deutschland war und verließ die Kirche mit einer Läuterung, die mich kräftigte.

Nachmittags lebte ich von Ersatzkaffee und Ersatzbrot, ich bezahlte mit papiernem Er­satzgeld, bis eines Morgens die Ersatzrevo­lution passierte, die hinter einen Krieg den Schlußpnnkt setzte, der zum Ersatzkrieg ge­worden war. Bald erkannte ich, daß aus dem Schlußpnnkt ein Gedankenstrich wurde, der sich hinter dem heiligen Wort des Friedens in ein unheiliges Fragezeichen des Unfrie­dens verwandelte.

Die Kieler Matrosen waren auf dem Bahn­hof angekommen, eine Depesche schlug die andere tot, aus dem strategischen Rückzug war allenthalben eine Flucht geworden, wäh­rend man ans Berlin, Hamburg, München und hundert anderen Bezirken blutige Stra- ßenkämpfe meldete. Und denen, die in Köln wie überall ein neues Reich forderten, kam ein großer Bundesgenosse zu Hilfe. Der Hunger im Volk! Der stolzeste Bürger war

hohl und müde geworden, also glaubte er allen, die ihm versprachen, was er wünschte: Frieden, Brot, markenlosen Landbutter, voll­wertiges Bier und tausend andere Dinge, die er sich lange versagen mußte. Auch ich sehnte mich nach solchen Spenden, man ver­langte aber den höchsten Wucherpreis der Weltgeschichte und den konnte ich nicht be­zahlen.

Am Hanptbahnhof warf man die Seiten­gewehre und Kokarden entwafsneter Garni­sonsoldaten auf einen Haufen, auch polterten Lastautos mit singenden Rekruten durch di« Straßen; diese Rekruten schwenkten rote Fah­nen, trugen rote Nelken im Knopfloch und taten begeistert wie die von 1914, nur fehlt« diesmal das Echo des Volkes, das alte Hoffnungen ebenso stumpf begrub wie ei neue Vorsätze nicht zu wecken wagte.

Ich fuhr mit der Elektrischen zum Neu­markt. Es ging nämlich das Gerücht, dort sei etwas Großes im Gange. In der Elek­trischen löste ich einen Fahrschein, während ein Landstürmer die hilflose Schaffnerin be­lehrte, man brauche jetzt nichts mehr zu be­zahlen.

Auf dem Neumarkt staute sich eine schwarze, lärmende Menschcnmasse. Die Poli­zeibeamten standen ohne Waffen umher, wäh­rend in den Nachbarstraßen viele Läden ge­plündert wurden. Junge Burschen schleppten Weinflaschen, Konservendosen, Konfektions­anzüge, Blumensträuße und Möbelstücke von dannen. Was man nicht tragen konnte, das wurde zerhackt oder zerrissen. Auf allen Plätzen pflückte man den Offizieren die Ko­karden und Achselstücke vom Leibe, bis ältere Revolutionäre erschienen, die eine bedruckte Armbinde trugen: Ordner!

Schon waren sie unbeliebt, denn sie stürz­ten sich auf die Plündernden und trieben sie auseinander. Besen seid's gewesen! Ver­geblich: ein johlender Haufe zog durch die Richmondstraße: Huren, Spitzbuben und De­serteure, die man aus dem Klingelpützgefäng­nis befreit hatte. Die zerzausten Huren er­regten mein Mitleid, aber die armen Men­schentiere wurden von den Ordnern wieder eingesperrt, während man die Deserteure lau­

fen ließ. Aus ihrer Grupve sonderte sich ein einzelner ab, der von seinen Freunden ans eine 'Litfaßsäule am Neumarkt gehoben wurde, wo die knurrende Masse ans einen Redner wartete.

Da stand denn der Feldgraue auf seiner Tribüne, sah blaß und verbissen aus und rieb sich den Schweiß vom Kopf, bevor er

schrie:Volksgenossen-!"

Die Stinime kannte ich. Ich kam näher, quetschte mich durchs riechende Volk, starrte nach der Litfaßsäule: Wans nicht unser Ste­fan Laurenz ?

Der Soldat redete weiter: . . Deutsch­land hat soeben um Frieden gebeten, Unter­händler sind schon ernannt, die über den Waffenstillstand verhandeln sollen!"

Manche schrien Hurra, den meisten blieb dieser Ersatzjubel in der Kehle stecken.

Volksgenossen, der Kaiser hat abgedankt und ist nach Holland geflohen!-"

Da schwiegen alle. Ich fror im Rücken, fühlte nach meinen Narben und hatte Sorge, sie könnten aus den Nähten platzen.

Volksgenossen, ich habe viele Schlachten mitgemacht!"

Nun zweifelte ich nicht mehr: das war Ste­fan Laurenz, der vor jeder Offensive plötzlich krank zu werden pflegte, und der sich zuletzt noch im Schlamm von Flandern ins eigene Bein geschossen hatte. Sehr Pfiffig hatte er sich dabei angestellt: er band ein frisches Kommißbrot auf die Wade und drückte ab. Er blutete damals wie ein Ochse, und die Kameraden, die ihn in einer Zeltbahn zum Verbandsplatz trugen, hielten den Mund, weil Stefan Laurenz sonst schwer bestraft worden wäre.

Da rief ich laut:Stefan Laurenz, kennst du mich noch?"

Was ich rief, wurde vom lärmenden Gc- woge wie ein Wispern eingeschluckt. Einige Feldgraue wunderten sich, daß ich noch meine .Kokarde an der Mütze trug. Ich selber staunte, daß der Deserteur Stefan Laurenz, der Prophet auf der Litfaßsäule, ebenfalls beide Kokarden an der Mütze hatte, obwohl er doch . . .

Da redete er wieder: . . Volksgenossen, eine neue Zeit wird kommen, eine freiere und bessere! Wir verbrüdern uns mit unfern Feinden, die immer den Frieden wollten. Nur die preußischen Militaristen sind schuld.

I daß wir die ganze Welt gegen uns hatten!"

: Eine alte Frau wurde ohnmächtig und

i fiel vor meinen Füßen zusammen. Ich bückte I mich und wollte der Greisin Helsen, dabei

merkte ich nicht, wie der Redner in» Stocke« und endlich gar ans Schweigen kam.

Zwei Männer von der freiwillige« Sant- tätskolonne trugen die Ohnmächtige a«s de« staubigen Gewühl, und als ich wieder z« Stefan Laurenz hinanfsehen wollte, fi«g die­ser meinen Blick mit starren Augen auf.

Ich rief zum zweitenmal:Stefan Lau­renz, kennst du mich noch?"

Manes Himmerod, du-?"

Mehr konnte der Aufrührer nicht sprechen; ich sah, wie er gelb wurde und in den Knie­kehlen zitterte. Wieder wischte er mit dem Aermel über die nasse Stirn, und da ich ihn hartnäckig beobachtete, schmolz ihm der letzte Mut aus den Knochen: Stefan Lau­renz rutschte schwerfällig von der Litfaß­säule, seine Freunde halfen ihm, er beachtete sie nicht und taumelte mir mit scheuem Blick entgegen. Ich lachte ihn an und nannte ihn kurz und bündig einen Lügner.

Diese Ohrfeige steckte er ein, seine Freund« aber umzingelten mich, ich hörte noch Frauen kreischen und Kinder heulen, dann schluz mir eine Faust die Mütze vom Kopf, uni ein betrunkener Zivilist riß mich rückling» zu Boden. Ich weiß heute nicht mehr, wer» ich damals den Daumen von der Handfläch' biß; auch habe ich nie erfahren, wem ich in meiner Wehrlosigkeit den Brustkorb zev trat und die Augen tief in die Stirn quetschte. Ich erinner mich nur, daß ich taub und blind war vor Wut, ich sah rennend» Menschen, hörte tausend Flüche, wußte aber nicht, ob sie mir galten oder einem andern. Die Schläge, die auf meinen Schädel trom­melten, die Spaten, Knüppel und Gummi­schläuche, die mich zerstampften, konnte ich nur halb erkennen, denn mein Gesicht war verklebt vom Blut, mein Verstand war ver­wüstet von der Wucht der Tritte und Stöße, die meinen Körper pausenlos trafen. Ein­mal nur sah ich Stefan Laurenz im Hand- gemenge, wie er mich schützen wollte vor de« Blutrausch seiner Verbündeten. Dann kracht« neben meinen Ohren ein Revolverschuß. Kn ächzender Mensch stolperte über meine Beine.

Der Neumarkt war im Nu leer gefegt, bei Revolverschlitze spurlos verschwunden, nur der Tote und ich, wir beide wälzten uns l im Dreck. Ich zog die Knie an, sie waren i heil geblieben. Ich bewegte den Kopf und ' die Arme, das peinigte, als sei ich gelähnM aber auch dieser Schmerz ließ sich verbei­ßen, als Frontsoldat war man andere Qna- len gewöhnt. ' , , > » ,

(Fortsetzung folgt).