Seite 2 — Nr. 270
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Donnerstag, den 17. November 1932.
'Partei, Staatsrat Schaffer, die Richtlinie für seine Besprechung mit dem Reichskanzler gegeben. Nun hat aber Bayern selbst seit zwei Jahren nur noch eine geschäftsführende Regierung; der Versuch, eine neue Regierungsmehr- hei zu bilden, endete im Juni d. I. mit stürmischen Auseinandersetzungen und mit dem Ausschluß der ganzen nationalsozialistischen Fraktion des Landtags auf 20 Sitzungstage. Unter dem Eindruck der politischen Entwicklung in Berlin ist man nun in Bayern bestrebt, diese verfahrene Lage zu bereinigen und zur Stärkung der bayerischen Stellung gegenüber dem Reich wieder eine parlamentarische Mehrheitsregierung zu schaffen. Die Reichsregierung konnte ja von der bayerischen Regierung verlangen, daß sie eine aus Grund des Artikels 48 regierende Reichs- jregierung dulde, da auch in Bayern schon lange ohne den ^Landtag regiert werde.
Der Aeltestenrausschuß des Landtags ist nun heute zusammengetreten, um den Ausschluß der nationalsozialistischen Fraktion aufzuheben. Die Parteikorrespondenz der Bayerischen Volkspartei erklärt die von verschiedenen Blättern ausgesprochene Vermutung, es handle sich um die Bildung einer Koalition der Bayerischen Velksparkei mit den Nationalsozialisten, die allerdings eine starke Landtagsmehr- iheit ergäbe, für eine „haltlose Kombination", die Korrespondenz fügt aber hinzu, die Partei werde, sobald die Lösung im Reich getroffen sei, auch in Bayern für eine Regierung der nationalen Sammlung sorgen.
Die sozialdemokratische „Münchner Post" will wissen, man wolle den Nationalsozialisten das bayerische kullmini- sterium überlassen, um ihre Zustimmung zu einer Ver- fasfungsänderung zu erreichen, die in der Hauptsache darin bestehe, die von einflußreichen Kreisen des Landes schon lange geforderte Einrichtung eines bayerischen Staatspräsidenten zu schassen. Und zwar sei hiefür Kronprinz Rupprechl ausersehen.
Streit um das Konkordat
Karlsruhe, 16. Nov. Der Gesamtvorstand der Sozialdemokratischen Partei in Baden erklärte, der Beschluß der sozialdemokratischen Landtagsfraktion, bei der Abstimmung über das Konkordat sich der Stimme zu enthalten, sei parteischädigend und entspreche nicht dem Willen der großen Parteimehrheit. Der Fraktionsvorsiheyde Rückert erwiderte, der Angriff des Borstands sei ungereimt und werde an der Stellung der Fraktion nichts ändern. Die kommunistische Mannheimer Zeitung bezeichnet diesen Streit als ein „Betrugämanöver", denn der sozialdemokratische Landesvorstand und die Fraktion seien größtenteils dieselben Personen. Der Evangelische Volksdienst veröffentlicht eine Erklärung, daß er das Konkordat ebenso wie den Vertrag mit der evangelischen Landeskirche ablehne, da letztere gegenüber dem Konkordat benachteiligt werde.
Verschleppung der Wirtschaftskonferenz
London. 16. Nov. In Kreisen der britischen Regierung ist man enttäuscht, daß die Weltwirtschaftskonferenz in London nicht, wie vorgesehen war, Anfang 1933 einberufen werden kann, sondern auf April oder gar Mai verschoben werden muß, weil die Vorbereitenden Ausschüsse mit ihren Arbeiten angeblich nicht fertig werden und auch nicht einheitlich Zusammenarbeiten oder unter sich nicht einig werden. Der Vorsitzende Mac Donald erklärte, nachdem der erste Schritt zur Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Kriegsschulden von England und Frankreich getan sei, müßte der Konferenz doch wesentlich vorgearbeitet sein. Besonders ist man in England darüber verstimmt, daß der Währungsausschuß erklärt haben soll, die Rückkehr Englands zur Goldwährung sei eine Vorbedingung für einen Erfolg der Konferenz.
Hungermarsch auf Washington
Chicago, 16. Nov. Aus Anlaß der Eröffnung der neuen Sitzungsperiode des Bundesparlaments Anfang Dezember wird von kommunistischer Seite ein Hungermarsch auf Washington geplant. An diesem Marsch sollen nach Angabe der kommunistischen Führer etwa 10 000 Arbeitslose teilnehmen. Vertretungen von Erwerbslosen werden von San Franziska, Los Angeles, Sioux-Stadt, Houston und zahlreichen andern Orten der Vereinigten Staaten den Marsch aus die amerikanische Bundeshauptstadt antreten. Der Hungermarsch soll dem Zweck dienen, der von den Erwerbslosen ausgestellten Forderung auf Auszahlung von 50 Dollar für jeden Arbeitslosen als Winterbeihilse Nachdruck zu verleihen. Außerdem soll ein Druck auf das Bundesparlament ausgeübt werden, eine staatliche Arbeitslosenversicherung einzuführen und Mittel tür die Errichtung von Kinderfürsorgestellen bereitzustellen.
Auch in Griechenland
Athen, 16. Nov. Ein Hungermarsch nach amerikanischem und englischem Vorbild wird van Kommunisten in Mazedonien und Westthrazien geplant. Ziel des Hunoer- marsches soll die Stadt Saloniki bilden. Von den Behörden werden bereits scharfe Maßnahmen ergriffen, um die Aufrechterhaltung der Ruhe auf jeden Fall zu sichern.
Sieg der Bolivianer
La Pa;, 16. Nov. Das bolivianische Hauptquartier meldet, bei Charce im Gran Chaco hätten die Truppen von Paraguay durch das Feuer der schweren bolivianischen Artillerie 1000 Mann an Toten und Verwundeten verloren und seien teils geflüchtet, teils gefangengenommen worden.
Frankreich in Waffen
Zur Beurteilung des französischen Abrüstungsplans liefert eine Sondernummer der Kölnischen Illustrierten Zeitung unter dem Titel „Frankreich in Waffen" einen aufschlußreichen Beitrag. Aus den bildlichen Darstellungen und knappen Aufsätzen der bekanntesten Fachleute ergibt sich' folgendes:
Das abgerüstete Friedensheer Frankreichs sieht so aus: 21 weiße Infanteriedivisionen (davon eine weiße Kolonialdivision), 5 farbige Infanteriedivisionen, 5 weiße Kavallerie- divisionen, 4 weiße Luftdivisionen, die „rsssrvs gsnsruls" der Korps-, Armee- und Heerestruppen, hauptsächlich schwere und schwerste Artillerie, Kampfwagen, technische Truppen. In Summa: 26 Infanterie-, 5 Kavallerie- und 4 Luftdivisionen plus „ressrvo gsnsralo". Deutschland verfügt über 7 Infanteriedivisionen und 3 Kavalleriedivisionen ohne moderne Waffen. An den Grenzen gegen Deutschland und Italien steht das halbe französische Friedensheer. Diese Grenzdivisionen haben erhöhten Rlannschafkssiand und sind innerhalb weniger Stunden ausgefüllt und marschbereit. Bereits ihre Zahl übersteigt die Zahl der deutschen Divisionen ganz beträchtlich. Ihre Ausbildung ist schon im Frieden aus ihren Verwendungszweck: schlagartigen Einsatz unmittelbar nach der Kriegserklärung, zugeschnitten. Vier Millionen Weiße und eine Million Farbige stehen für dis gesamte Wehrmacht — und zwar ausgebildet — zur Verfügung.
Die „Nation armer" nach Paul-Bonvours Gesetz tritt nach knapp drei bis vier Wochen mit mindestens 20 weite- ren Reservedivisionen auf. Dazu kommen 6 bis 7 nord- afrikanische Divisionen und 1 bis 2 .weitere Kavalleriedwi,fronen. 70 Infanteriedivisionen und 6 Kavalleriedivisionen, dazu Korps- und Armeetruppen, sind am Beginn der vierten Mobilmachungswoche zuverlässig verfügbar. 25 000 leichte Maschinengewehre, 18 000 schwere. 1500 Minenrverfer urch Infanteriegeschütze, 3200 leichte und 2200 schwere Ge- schütze, 4000 Kampfwagen und 5000 Flugzeuge das ist die Ausrüstung dieser drei ersten Wellen. 32 000 aktive. 110 000 Reserveoffiziere werden sie führen: 250 000 Kapi- kulanten und 500 000 frühere Kapitulanten der jünMen Roservejahvgän'ge werden ihr Gerippe bilden. Die Organisation dieses Heeres ist aus den sofortigen und weitreichenden Angriff zugeschnitten. Die stärkste Luftflotte Europas liegt in den fostungsgeschützten Räumen der Grenzgebiete, bereit. Len ersten Schlag, weit voraus den marschierenden Heereskolonnen, zu führen; zahlreiche neue Bahnen und Straßen dienen, weit über den wirtschaftlichen Bedarf hinaus, dom schnellen Aufmarsch.
Reichskanzlerbesuch abgesagt
Stuttgart, 16. November.
Der Reichskanzler hak sich veranlaßt gesehen, die von ihm geplanten Besuche in Stuttgart, Karlsruhe und Darm- skadt abzusagen, da er nach dem Ergebnis der Parteiführerbesprechungen es für richtiger hält, eine Klärung der politischen Lage abzuwarten.
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Gegen den Empfang des Reichskanzlers. Wie die Südd. Zeitung meldet, werden sich die kommunistischen, sozialdemokratischen und nationalsozialistischen Mitglieder der Ge- meindekollegien nicht am Empfang des Reichskanzlers v. Papen im Rathaus am Freitag beteiligen.
Rach der Wage der Kaazlemise
Berlin, 16. Nov. Die Absage der südwestdeutschen Reise des Reichskanzlers hat in politischen Kreisen natürlich erhebliche Ueberraschung ausgelöst. Die Veranlassung ist zunächst in dem Ausgang der Besprechungen zu sehen, die der Kanzler heute mit den Parteiführern gehabt hat. Die Einzelheiten werden vertraulich behandelt. Abg. Dingeldey hat dem Kanzler seine Zustimmung zur nationalen Konzentration erklärt. Das gleiche gilt für die Stellungnahme der Zentrumsverkreter. Prälat Kaas hat aber hinzugefügt, unter der jetzigen politischen Skaaksführnng müsse der Versuch der nationalen Sammlung aussichtslos bleiben. Diese Erklärung ist natürlich mit einer Absage gleichzusehen (das diesbezüglich von Kaas übergebene Schriftstück wird übrigens nicht veröffentlicht werden). Die Darlegungen Dr. Schaffers für die Bayerische Volkspartei unterschieden sich von dem Standpunkt des Zentrums nicht wesentlich.
Das Schwergewicht der Besprechungen liegt aber in dem. was der Kanzler allen Parteiführern gesagt hat: er hat mit Nachdruck seine früheren Erklärungen wiederholt, daß nichts an der Prrfonenfrage scheitern dürfe, wenn Deutschland aus der gegenwärtigen schwierigen Lage gerettet werden solle.
Das KabinÜt wird sich am Donnerstag vormittag mit der Lage befassen. Am Donnerstag wird auch die Antwort der Nationalsozialisten erwartet. Dann wird der Kanzler entweder noch am Donnerstag, Möglicherweiser aber auch erst am Freitag dem Reichspräsidenten über seine Besprechungen mit den Parteiführern und die Stellungnahme des Kabinetts Bericht erstatten. Der Reichspräsident wird dann die Parteiführer empfangen, um sie zu fragen, welchen Mann und welches Programm sie an Stelle der »jetzigen politischen Staatsführung" vorzuschlagen haben.
Unstimmigkeiten bei der Schlachtsteuer
Stuttgart, 16. Nov. Der Vorstand der Landwirtschaftskammer hat in einer Eingabe an das württ. Staatsministerium wiederholt die Beseitigung der Schlachtsteuer gefordert. Sollte das geschäftsführende Staatsministerium dieser Forderung nicht entsprechen, dann mühten zum mindesten die im Gesetz enthaltenen Unstimmigkeiten des Steuertarifs beseitigt werden. Nach dem Tarif sind nämlich die Ochsen stärker besteuert als das sonstige Rindvieh. Für einen Ochsen von 500—600 Kg. Lebendgewicht beträgt die Schiachtsteuer 24 «4t, für ein sonstiges Stück Rindvieh mit diesem Gewicht 16 <F; für 1 Ochsen über 600 Kg. sind 30—36 angesetzt, während für ein sonstiges Stück Rindvieh über 600 Kg. 22 „L zu bezahlen sind. Diese stärkere Besteuerung der Ochsen wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sie besser bezahlt würden wie das übrige Rindvieh. In Wirklichkeit sind aber, besonders aus den württ. Märkten, Schlachtrinder gesuchter wie Ochsen und sie werden auch höher notiert. Es ist daher anzunehmen, daß es sich hier um eine ungewollte Unstimmigkeit im Steuertarif handelt und daß die Regierung dem Wunsche der Landwirtschaftskammer, die höheren Steuersätze für Ochsen den Sätzen für sonstiges Rindvieh anzupassen, doch wohl Rechnung tragen wird. Außerdem hat die Landwirtschaftskammer an die Regierung das Ersuchen gestellt, daß mit Rücksicht auf die schwere Krise, die die württ. Schäferei durchzumachen hat, von einer Erhebung der Schlachtsteuer für Schafe Abstand genommen werden soll, da ohnedies die Fortführung der Betriebe stark in Frage gestellt ist.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 17. November 1932.
Wir irren allesamt, nur jeder irret anders.
^ Wieland.
Amtliche Dienslimchrichlen
Ernannt: Die Polizeihauptleute Wenninger und Va» zing zu Polizeimajoien, die Polizeioberleutnantc Liedtke, Eugen Reinhardt und Alfred Reinhardt zu Polizeihauptleuten.
Zn den Ruhestand verseht: Ephorus Dr. Meitler am Ev.-theol. Seminar in Urach.
Zwei neue Postbriefkasten
An-Stelle des seitherigen Briefeinwurfes am altenPost- gebäude wurde ein Briefkasten angebracht. Die dortigen Anwohner brauchen demnach auf die seitherige Annehmlichkeit nicht verzichten. Als Neuerung werden die Bewohner des südlichen Stadtteils einen solchen bei Gärtner Raas am Stadtbahnhof freudig begrüßen und wer den Briefkasten am Arbeitsamt in der Marktstraße plötzlich vermissen sollte, der begebe sich nur um die Ecke am Vorstadtplatz, wohin er gestern verpflanzt wurde.
Das Himmelsfeuerwerk
in vergangener Nacht ist unter Ausschluß der Oeffentlichkeit vor sich gegangen. Unzählige waren neugierig dieses alle 3 Jahrzehnte wiederkehrende Schauspiel des angekündigten Sternschnuppenregens zu sehen, aber die dichte Nebelwand öffnete sich leider nicht und unverrichteter Dinge mußte der verschobene oder unterbrochene Schlaf nachgeholt bezw. fortgesetzt werden. Vielleicht haben wir anno 1865 mehr Glück!
Die Stadt- und Feuerwehrkapelle
veranstaltet am Sonntag, den 11. Dezember im Saalbau „Traube" einen Konzert- und Theaterabend. Außer schmissigen Märschen will die junge Kapelle auch einige Konzertstücke großer Meister wie R. Wagner u. C. Maria v. Weber zu Gehör bringen. Ferner sind Quintette und Solis für zwei Trompeten, sowie für Posaune mit Klavierbegleitung vorgesehen, Zwei Theaterstücke sollen für Stimmung und Humor sorgen, so daß ein unterhaltungsreicher Abend bevorsteht. Es wäre der Kapelle aus die wir Nagolder unstreitig stolz sein können, zu wünschen, daß der Besuch bei dieser Veranstaltung ein guter würde. Bei dem letzten sonntäglichen Freundschaftskonzert am 2. Oktober war ein sehr bescheidener Besuch zu verzeichnen, was von der Kapelle mit Recht als undankbar empfunden wurde, da dies deren beachtliche Leistungen nicht rechtfertigt. Bekanntlich wird die Kapelle überall gebraucht und bildet den Mittelpunkt bei Feierlichkeiten aller Art, so daß sich die Einwohnerschaft mehr mit ihr verbunden fühlen dürfte. Die fleißigen und und eifrigen Musiker, die wöchentlich mindestens zwei Proben und manchmal noch mehr über sich ergehen lassen, haben ein moralisches Recht bei einer eigenen Konzertveranstaltung, so wie sie am 11. Dezember stattfindet, einem größeren Interesse seitens der Bürgerschaft zu begegnen, als dies bisher der Fall war.
Dom neuen Musikoerband „Nagoldtal"
Nachdem die Vorbereitungen zu einer konstituierenden Versammlung getroffen sind, wurden die interessierten Vereine auf Sonntag, 4. Dezember 1932, nachmittags 3 Uhr zu der im Saalbau Badischer Hof in Calw stattfindenden Versammlung eingeladen. Der Präsident des Bundes Südwestdeutscher Musikvereine, Musikdirektor Kromer aus Frei bürg i. Br. wird selbst anwesend sein. Zur Geschäftsordnung stehen folgende Punkte: 1. Feststellung der Vertreter. 2. Festlegung der Verbandsstatuten. 3. Wahl des Eesamtvorstandes. 4. Verschiedenes. — In Anbetracht der Wichtigkeit der Versammlung sollte es keine Kapelle versäumen, mindestens zwei Vertreter zu entsenden. In den Pausen wird die Stadtkapelle Calw konzertieren.
Wie in Nagold, so in Calw
Der Lalwer Postamtsneubau wird, wie wir erfahren, am kommenden Sonntag bezogen werden. Am Montag werden sämtliche Abteilungen des Amts, mit Ausnahme der Fernsprechvermittlungsstelle, den Dienst im neuen Postgebäude ausnehmen. Welcher Bestimmung das alte Posthaus zugeführt werden soll.
Kornkaffee un- Malzkaffee
braucht als Zusatz eine gute Kasseewürze. Das Getränk wir- -amit voller, kräftiger un- wohlfthmecken-er. Nehmen Sie -ie bewährte, ausgiebige Kasfeewürze
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