Seite 2 — Nr. 144
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter
Donnerstag, den 23. Juni 1932.
Boxkampf
Der Kampf um die Weltmeisterschaft zwischen Schmeling und Sharkey liegt hinter uns. Der Rundfunk tat seine Pflicht, denjenigen, die der Reportage aus Amerika ihre Nachtruhe opfern wollten, ein Bild des Großkampfes zu geben. Mancher Deutsche wird sich hierbei gesagt haben, bangen Herzens übrigens, ob denn nicht bald jener gigantische Kampf sein Ende finden wird, der zwischen der Reichsregierung und den Ländern nunmehr ganz offiziell einsetzt? Während die Regierungsvertreter, mehr oder weniger objektiv, das Räderwerk der verschiedenen Verfassungen gegeneinander in Betrieb nehmen, breitet sich zwischen rabiaten Gliedern in Deutschland beheimateter Parteien ein Boxkampf aus, und zwar mit leider recht unerlaubten Mitteln. Es fließt Blut! Grund genug für die Maßgebenden 'in Berlin und in den Hauptstädten der deutschen Länder, darüber nachzudenken, ob sich der geistige Boxkampf unserer verschiedenen Amtlichkeiten noch länger hinziehen darf? Die Reichs- gentrale sollte nicht das Beispiel vom Völkerbunde nachahmen, wo in unendlichen Besprechungen die wichtigsten und besten Themata zu Tode geschleppt werden. Es darf bei dem Kampfe zwischen Herrn v. Gayl und seinen Widersachern gleicherweise kein „Unentschieden" herauskommen, und endlich muß auch dieser Boxkampf mit den Waffen des Geistes und der — Gott sei es geklagt — Parteiagltationen mach gewissen Runden abgestoppt werden. Hoffentlich sind dann Freiherr von Gayl und die von ihm vertretene Reichs- vutorität Sieger geblieben!?
Das Gespenst des Bürgerkriegs wird in diesen schweren Stunden innerpolitischer Not nur zu oft an die Wc»nd gemalt- Wir neigen keineswegs zu einem unbegründeten Pessimismus, aber die Dinge liegen augenblicklich doch so,' daß ein schwacher Reichsinnenmimsier eher die Möglichkeiten zu ungesetzlichen Entladungen auf der Straße schafft als ein energischer, der weiß, was er will, und der tut, was er mutz. Es sieht heute nicht danach aus, daß die von den Sozialdemokraten so gerne verbreitete Legende einer mit Herrn von Papen und Hern Hitler zusammenlaufenden Politik mehr ist als eben ein parteipolitisches Märchen zu Agitationszwecken. Niemals hat innenpolitisch eine Partei ernstere
vereiteln solle, Amerika in Lausanne zu über- rumpeln.
Die plötzlich auf amerikanischen Antrag erfolgte Einberufung des Hauptausschusses der Abrüstungskonferenz und die Ankündigung einer Erklärung der amerikanischen Regierung hat in französischen Regierungskreisen Bestürzung und Unruhe ausgelöst. Man sucht das Vorgehen der amerikanischen Regierung zu bagatellisieren. Man erklärt, es handele sich lediglich um eme einseitige Regierungserklärung, die die übrigen Mächte Nicht weiter berühre. Dagegen wird übereinstimmend in allen internationalen Kreisen die entscheidende Bedeutung der amerikanischen Initiative für die gesamten weiteren Abrüstungsverhandlungen betont.
Gesamtabrüstung aller Völker
Genf. 22. Juni. Selten war der Andrang des Publikums und der internationalen Presse, die größtenteils aus Lausanne zu den Verhandlungen herbeßgeeilt war, auf der Abrüstungskonferenz so stark, wie in der heutigen, überraschend einberufenen Sitzung des Haupt, ausschusses, an der die Außenminister Deutschlands, Englands und Italiens, sowie der französische Krie-gsminister teilnahmen. Der Präsident der Abrüstungskonferenz, Hen- derson, eröffnete die Sitzung und erteilte sogleich dem Führer der amerikanischen Delegation. Botschafter Gib son. das Wort.
Der Vertreter der Bereinigten Staaten von Amerika begann seine Rede mit der von der Versammlung mit größtem Interesse ausgenommenen Mitteilung, daß er vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika beauftragt sei. dem Hauptausschuß der Abrüstungskonferenz eine Erklärung die in diesem Augenblick in der ganzen Welt veröffentlicht werde, zu übermitteln. Der Präsident der Vereinigten Staaten gebe sich der großen Hoffnung hin, daß die Veröffentlichung seines Vorschlags als ein Appell an die Volk er ausgsfaßt werde und zu <ün-er all-
Drohunaen an die Anschrift der Reichsregierung gerichtet, <cks es zur Zeit bei den Nationalsozialisten in immer ge- gedrängterer Speisenfolge der Fall ist. Diese Opposition Hitlers, die in der Besprechung bei Herrn von Gayl ziemlich scharfe Darstellung fand, hat ohne Zweifel insofern eine gewisse Berechtigung, als man den Rechtsparteien glauben muß, wenn sie behaupten, daß ein Systemwechsel dann kein Systemwechsel ist, wenn er sich nicht ganz vollzieht. Schon heute spricht man im Lager der Rechten von einer selbstverständlichen Notwehr, wenn es Herrn von Gayl nicht gelingen sollte, den Boxkampf des Reiches gegen die Länder siegreich zu bestehen. Tatsache ist und bleibt, daß die Kommunisten draußen im Lande sehr aggressiv geworden sind, Tatsache ist ferner, daß die uniformierte Rechte glaubt, sich zur Wahrung der Vorschriften von Neichsgesetzen aus eigener Machtvollkommenheit über Anordnungen der Länder hin- wsgzusetzen die Pflicht habe. Jeder, der Gesetzlichkeit liebt und Ruhe im Lande will, wird Entscheidungen von höchster Reichsstelle mit sofortiger Wirkung erwarten.
Gleiches gilt von der Frage der Reichskommissare für jene Länder, deren Negierungen im Gegensatz zum Volkswillen sich befinden, die ober aus rein parteipolitischen Gründen deshalb nicht zurücktreten wollen, weil ein Schein des formalen Rechls ihnen Daseinsmöglichkeit verleiht. Daß eine solche Daseinsmöglichkeit bei einer Reichsw-ahl, die der endlichen Sicherung und Betätigung des nationalen Willens dienen soll, verhängnisvoll am Platze ist, braucht nicht eigens betont zu werden. Desgleichen nicht, daß der Boxkamps unserer Würdenträger von gestern gegen den starken vaterländischen Kämpfer von heute unter Anwendung von Kniffen und Tiefschlägsn geführt wird, daß jeder anständige Boxerring besagte Würdenträger disqualifizieren müßte. Unser Schiedsrichter in all diesen teils problematischen, teils häßlichen Kämpfen, Reichspräsident von Hindenburg, hätte Kraft und Recht dazu, das Kampsfeld wieder fair zu machen. Der große deutsche Boxkampf zwischen Weltanschauungen, Bewegungen und Systemen in Deutschland ist nicht zu vermeiden; warum aber nicht Reinlichkeit und Aufrichtigkeit im deutschen Ring?
Problems führen werde.
Botschafter Gibson verlas sodann die Botschaft Hoovers. die in dem Vorschlag gipfelt, die gesamten Welkrüstungen um ungefähr ein Drittel herabzusetzen.
Hoooer betont in seiner Botschaft, daß nunmehr die Stunde gekommen sei, wo man kurzentschlossen an eine Herabsetzung der verheerenden Rüstungslast, die auf der Welt laste, Herangehen müsse.
Die Botschaft Hoovers entwickelt dann im einzelnen einen umfassenden Abrüstungsplan, der von dem Grundgedanken ausgeht, daß der von allen Staaten Unterzeichnete Kel- loggpakt bedeute, daß die Staaten ihre Rüstungen lediglich zu Verteidigungszwecken zu gebrauchen gedenken.
Auf dem Gebiete der Landrüstungen sieht der Plan Hoovers die vollständige Abschaffung der Tanks, des chemischen Kriegs und der beweglichen schweren Artillerie vor. Die Personalstärke soll um ein Drittel herabgesetzt werden. Als Grundlage für die Berechnung der Personalstärke jedes Staates soll die Heeresstärke genommen werden, die der Versailler Vertrag für Deutschland festgesetzt hat. Auch die See- und Luftrüstung soll um ein Drittel bzw. ein Viertel gekürzt werden.
Im Anschluß an die Verlesung der Botschaft Hoovers gab Botschafter Gibson einige technische Erläuterungen zu dem Plan und betonte nochmals, daß Amerika bereit sei, seinerseits große materielle Opfer auf dem Gebiete der Abrüstung zu bringen.
Reue Nachrichten
Deutschlands Versorgung mit Brotgetreide
Berlin, 22. Juni. Auf Grund der gegenwärtigen Marktlage muß die Versorgung mit Brotgetreide bis zum Schluß des Erntejahres als gesichert gelten. Die Reichsregierung hält es deshalb nicht für erforderlich, die bis zum 30. Juni d. I. geltende Regeluna für hiL zollvexbilliate Ein-
Ahr von Weizen zu verlängern. Auch beim Roggen ist dis Versorgungslage so günstig, daß die Einfuhr- weiterer zusätzlicher Roggenmengen nicht notwendig erscheint. Eine Brotverteuerung wird nach wie vor nicht eintreten. Die getroffenen Maßnahmen sind jedoch von dem entschlossenen Willen diktiert, alle Voraussetzungen zu schaffen, die im Interesse einer angemessenen Verwertung der neuen Ernte unerläßlich sind.
Krach an der Universität
Frankfurt a. Ri., 22. Juni. Trotz des gestern vom Rektor ,r Universität erlassenen Verbots des Uniformlragens ver- ,'mmelte sich heute vormittag vor der Universität eine grö- /ere Anzahl n a t i o n a l s o z i a l i st i s ch e r S t u d en t e n m Uniform und sang das Horst-Wessel-Lied. Aus einem Fenster der Universität hielt ein nationalsozialistischer Student eine Ansprache. Im Ehrenhof kam es zu Zusammenstößen mit kommunistischen Studenten. Zwei Studenten wurden so schwer verletzt, daß sie ins Krankenhaus gebracht werden muhten. Die Polizei verhinderte weitere Ausschreitungen. Die Vorlesungen wurden abgebrochen und das Universität s- gebäude vorläufig geschlossen
Vier Arbeiter ertrunken
Breisach, 22. Juni. Auf dem Rhein an der Baustelle beim Wehrbau Kembs ereignete sich heute ein schweres Anglück, dem vier Menschenleben zum Opfer fielen. Auf bisher noch ungeklärte Weise stürzten die schwerbeladcnen Arbeiks- ponkons um. Sechs Arbeiter stürzten in den Rhein, von denen vier ertranken.
Kerri Wird LMtsWWm
Minisierpräsidenkenwahl verschoben
Berlin, 22. Juni. Der Aeltestenrat des preußischen Landtages hielt am Mittwoch vor der Vollsitzung wider Erwarten nur eine kurze Sitzung ab. Einem Antrag der Sozialdemokraten, die endgültige Wahl des Landtagspräsidiums von der Tagesordnung der Sitzung abzufehen, wurde nicht entsprochen, nachdem Präsident Kerrl erklärt hatte, daß er dann für die Ausübung seines Amtes keine Legitimation mehr besitze. Bekanntlich muß das Präsidium eines neuen Landtags nach 4 Wochen endgültig bestätigt werden. Ein Antrag auf Vertagung der Wähl des Ministerpräsidenten wurde ick Aeltestenrat nicht gestellt.
Im übrigen beschloß der Aeltestenrat, die Redezeit für die heute beginnende Aussprache über eine Reihe von Kultur- und 'Filmanträgen auf 2 Stunden zu bemessen. Die dritte Beratung und die Abstimmung über die Amnestievorlagen soll am Freitag erfolgen. In einer auf Freitag vormittag anberaumten Sitzung des Aeltestenrats soll die weitere Geschäftslage des Landtags, insbesondere die Frage erörtert werden, wann der Haushalt süx 1932 zur ersten Lesung im Landtag gestellt werden soll.
Die Zentrumsfraktion des preußischen Landtags beschloß in ihrer abermaligen Sitzung nach dem Aeltestenrat, bei der endgültigen Wahl des Landtagsprüsidenten weiße Stimmenthaltungszettel abzugebsn, womit die Beschlußfähigkeit des Hauses gesichert ist. Da die Nationalsozialisten und Deutschnationalen mit zusammen 193 Stimmen für den Abgeordneten Kerrl als endgültigen Landtagspräsidenten stimmen werden, ist durch den Beschluß des Zentrums die end- gültige Wahl des Abgeordneten Kerrl gesichert und Obstruktionsversuche der Linksparteien habe»' damit keine Aussicht mehr auf Erfolg.
Die Ministerpräsidentenwahl in Preußen sdll auf einen nationalsozialistischen Vorschlag erst nach den Röichstagswahlen vorgenommen werden. Das Zentrum stimmte diesem Vorschlag zu.
Kerrl gewählt
Berlin, 22. Juni. Der preußische Landkag wählte am Mittwoch zum endgültigen Landtagsprüsidenten den Abg. kerrl mit 197 Stimmen der Nationalsozialisten und Deutsch nationalen bei 64 Stimmenthaltungen des Zentrums. Außerdem erhielten Abg. Lasper komm.) 53, Abg. Wittmark 91 Stimmen.
gemeinen und gründlichen Prüfung des Äbrüstunas-
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„Du willst nicht."
Der Chemiker sah seine Frau durchdringend an. „Ich will nicht! Es ist so."
Daga zuckte die Achseln, und das Gespräch stockte.
Irene räumte die Teller ab. brachte neue Teller und reichte dann geräuschlos den Braten.
Martin Büchner hatte während der Zeit, die Irene im Zimmer weilte, kem Wort gesprochen, aber aufmerksam alle Bewegungen des Mädchens beobachtet.
Als die Eheleute wieder allein waren, sagte er: „Das Mädchen siebt tür eine Bedienstete beinahe zu fein aus."
Toga zuckte die Achseln.
„Das ist mir noch nicht aufgefallen. Das ist mir im übrigen auch gleichgültig. Bis jetzt ist das Mädel uusgezeichnet. Es bleibt meistens nicht so. Es stellen sich dann immer die Mucken ein. Las weiß ich ganz genau."
„Sicher!"
„Du hast heute einen alten Schreibtisch erhalten?" fragte dann Frau Daga.
Büchners Gesicht wurde ärgerlich. „Habe ich! Interessiert es dich?"
„Interessieren das wäre zuviel gesagt. Aber man macht sich seine Gedanken, und ich habe mich, offen ge
standen. gewundert. Es ist doch mn absolut wertloses Stück Möbel."
„Vielleicht ist es sehr viel wert", sagte der Mann lächelnd. „Das soll sich erst erweisen."
Wieder brach das Gespräch ab.
Nach einigen Minuten klingelte das Telephon.
Büchner trat an den Apparat. i
„Büchner!"
„Svendsen! Ich bin fertig, Herr Geheimrat. Ich habe den Schreibtisch genau untersucht und das Geheimfach gefunden." ^
„Und?" fragte Büchner erregt. l
„Es ist leer!" l
Ein Fluch entfuhr dem Munde des Mannes.
Dann sagte er: „Gut. eine Hoffnung weniger. Ich bin in einer Stunde im Laboratorium."
Dann hängte er an, nahm wieder am Tisch Platz und sagte zu seiner Frau: „Du hattest recht, der Schreibtisch ist völlig wertlos."
* * *
Im Laboratorium.
Eywind Svendsen. der lange Schwede mit dem totenblassen Gesicht und den hellbraunen Augen und dem weißblonden Haar, wartete auf Büchner.
Svendsen war Morphinist.
Das Morphium hatte ihn bis jetzt du«.chhalten lassen. Seine Arbeitsleistung war eine geradezu ungeheuerliche gewesen. Er war mit Leib und Seele Chemiker, hatte I tür nichts, für gar nichts auf der Welt sonst Interesse. 1 Kaum ein paar Worte sprach er den ganzen Tao über. ! und der Laboratorinmsdiener und die be-den anderen ^ Assistenten wurden von ihm wie Lust behandelt. War , es ein Wunder, daß alles den langen Schweden haßte?
Aber seine Arbeitsleistung imponierte doch. !
Er schuftete vom frühen Morgen bis spät in die Nachl. Es gab kein Experiment, das er nicht ,ste.
Sit hatte er dem Tod schon ins Auge gesehen. Aber er kannte keine Furcht. Er schien überhaupt keine Seele, keine Nerven zu haben.
Man hatte schon vor einem Jahre mit dem völligen Zusammenbruch der Konstitution des Mannes gerechnet. Aber er schaffte heute noch unentwegt, so daß man geheimnisvoll einander zuraunle: „Er ist im Besitze eines krätteschafsenden Elixiers."
Seine Erscheinung wirkte durch die krankhafte Bläste im Verein mir dem weißblonden Haar und den wasser- blauen Augen abstoßend.
Der Gebennrat kam.
„Tag, Svendsen!"
„Tag, Herr Geheimrat'"
„Eine Schweinerei, was?"
Svendsen zuckte die Achseln.
„War zu erwarten! Farlan war ein vorsichtiger Mann. Wer weiß, in welchem Tresor die Papiere sicher ruhen."
„Wenn sie überhaupt existieren. Wir haben sa keinerlei positive Sicherheit, daß ausgerechnet er im Besitze des Schlüssels zu dem großen Geheimnis ist."
Svendsen sah den Geheimrat durchdringend an.
„Ich denke, daß er es unbedingt war. Ebenso Hans Büchner. Aber beide sind tot."
„Stimmt! Beide sind tot! Die können uns nichts mehr erzählen. Aber wir müssen den letzten Schritt tun."'
Svendsen zuckte die Achseln.
„Schwer, sehr schwer! Ich befürchte, diese letzte Losung ist nur durch einen Zufall zu finden."
Büchner stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
I^ortsetzuna folgt.!