Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Montag, den 24. August 1931.
ilugust 1831.
Seite 5 — Nr. 198
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Notlage der Landwirtfchast
Stuttgart, 23. August.
Der Würltembergische Bauern- und Weingärtnerbund hat durch seine Abgeordneten Mufchler und Klein an die Regierung folgende Kleine Anfrage gerichtet: Durch die anhaltend schlechte Witterung der letzten Wochen ist die rechtzeitige Einbringung der Ernte unmöglich gemacht. Der größere Teil der Feldfrüchte liegt auf den Feldern und ist zu einem großen Teil schon vernichtet oder mindestens so weit beschädigt, daß die zu gewinnende Ware nicht mehr marktfähig ist. Selbst dort, wo in vorsichtiger Weise das Getreide in Hocken oder Puppen aufgestellt ist, kann man eine bedeutende Beschädigung durch Auswachsen feststellen. Die katastrophale Preisentwicklung auf den Viehmärkten sowie die allgemeine Entwicklung auf dem Butter- und Käsemarkt haben die Einnahmen der Landwirtschaft so weit herabgedrückt, daß diese kaum noch ausreichen, um die notwendigsten Ausgaben für den Betrieb und den Haushalt
Württemberg
Stuttgart, 23. August.
Am die Renkenkürzungen privater Arbeitnehmer. Die
durch die Notverordnung vom 5. Juni 1931 geänderten Bestimmungen über das Ruhen der Krieg sbeschädigtenrenten ufw. solcher Versorgungsberechtigten, die ein Einkommen aus öffentlichen Mitteln beziehen, haben zu vielfachen Härten geführt. Die Kurzungsbestimmungen sind nämlich aus Arbeitnehmer in Betrieben ausgedehnt worden, deren Kapital sich zu mehr als der Hälfte im Besitz der öffentlichen Hand befindet. Die Arbeitnehmer solcher Betriebe sind aber der gleichen Unsicherheit hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes ausgesetzt wie die Arbeitnehmer rein privatlicher Betriebe. Da der Deutschnationale Handlungsgehilfen-BerbanÄ in dieser ungleichmäßigen Behandlung eine Ungerechtigkeit gegenüber den Arbeitnehmern solcher Betviebe eMiekt, die zu mehr als der Hälfte der öffentlichen Hand gehören, hat er sich in einer Eingabe an den Reichsarbeitsminister gewendet und die Beseitigung dieser durch nichts gerechtfertigten Härte gefordert.
ep. Der Kirchlich-Soziale Kongreß verschoben. Wie wir
von Berlin erfahren, ist der Kirchlich-Soziale Kongreß, der bekanntlich vom 12. bis 15. Oktober in Stuttgart stattfinden sollte, wegen des großen Ernstes der Zeit abgesagt worden. Vorläufig ist geplant, den Kongreß auf Ostern 1932 zu verschieben, falls es die Zeitoerhältnifse gestatten-
Tiecgarten Doggenburg. Der Besitzer des Tiergartengeländes Doggenburg hat dem Pächter, Herrn Bücheler, gekündigt und das Areal der Stadt zum Kauf angeboten. Die Stadt Stuttgart steht nun vor der Möglichkeit, auch diesen kleinen, Äxrr sehr hübschen und vorzüglich geleiteten Tiergarten zu verlieren und damit nichts Derartiges mehr zu haben, denn an die Ausführung des bekannten Plans, einen modernen Tierpark auf dem Hasenberg zu errichten, ist unter den heutigen Verhältnissen nicht zu denken. Allseitig besteh: daher der Wunsch, die Stadt möge von dem verhältnismäßig sehr günstigen, weil billigen Kaufangebot Gebrauch machen und das Areal Herrn Bücheler weiter belassen, damit der Stadt der sehr beliebt gewordene Tiergarten erhalten bliebe.
kommunistische kundgebungsversuche. Im Anschluß an eine kommunistische Versammlung in der Liederhalle gegen 11 Uhr durchzogen zahlreiche Gruppen von Kommunisten singend die Stadt. In der Büchsenstraße und am Schloßplatz kam es zu kleineren Ansammlungen, die sich dann auf den Hindenburgplatz und auf die Gegend um den Wilhelmsplatz ausdehnten. Schon nach kurzer Zeit erschien das Ueberfall- kommando mit mehreren Wagen und durchraste die Stadt. Während sich am Hindenburgplatz die Gruppen rasch zerstreuten, mußte in der Königstraße und ihren Seitenstraßen mehrfach mit dem Gummiknüppel geräumt werden.
Lastauto-Anfall. Ein mit Holz schwer beladener Lastkraftwagen konnte gestern nachmittag auf der Neuen Weinsteige bei der Talfahrt von seinem Führer, wahrscheinlich infolge Versagens der Bremse, nicht mehr richtig geleitet werden. Seine Geschwindigkeit vermehrte sich zusehends und
bestreiten zu können. Beim Fehlen der notwendigen Ein- Nahmen bemächtigt sich unserer Landbevölkerung eine große Erbitterung, wenn nun auch noch bei den rückständigen Steuern, infolge der Notverordnung vom 20. Juli, ungeheuerliche Verzugszuschläge gefordert werden. Wir fragen deshalb das Staatsministerium, ist es bereit, daraus hin-, zuwirken, daß s) der schwierigen Lage unserer Landwirt-' schaft beim Einzug der Steuern und Abgaben Rechnung geiragen wird; b) die Verordnung über den Steuerverzugszuschlag vom 20. 7. 31 nur dort anzuwenden ist, wo nachweislich eine absichtliche oder fahrlässige Zurückhaltung von Steuern erfolgt; c) bei den landwirtschaftlichen Betrieben, die sich in diesem Jahr in besonders schwierigen Verhältnissen befinden, die Verzugszuschläge insbesondere bei Landesund Gemeindesteuern unterbleiben, weitgehend Steuerstun- '-oungen gewährt werden und auf die finanzielle und wirtschaftliche Lage des einzelnen Steuerzahlers die zur Ausrechterhaltung der Betriebe nötige Rücksicht genommen wird.
dem Führer blieb nichts anderes übrig, als an die Steinmauern des Gartens der Villa Sieglin zu fahren und durch Streifen an der Mauer die Geschwindigkeit m vermindern. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Straßenbahnmast überrannt und der Führersitz des Wagens Msammengedrüctt. Die beiden Insassen blieben aber fast unverletzt. Die Feuerwehr beseitigte den Wagen und die Straßenbahn sorgte für die Wiederherstellung der Oberleitung, sowie des Verkehrs» der eine Zeitlang gestört war.
Schwerer Autozusammenstoß. In der Nacht zum Samstag gegen 1.30 Uhr stießen Ecke Röte- und Rotebnhlstrahe ein Privatwagen und ein Taxameter .zusammen. Mehrere Personen wurden verletzt, darunter zwei schwer. Die Wage» wurden sehr stark beschädigt.
Aus dem Lande
Möhringen a. A.» 23. August. Bauunfal l. Am Freitag kurz vor Feierabend stürzte am Umbau des Karl Wols- schen Hauses der Flaschnermeister Lude infolge Bruchs vom obersten Gerüst ab und mußte, erheblich verletzt, in ein Stuttgarter Krankenhaus übergesührt werden.
Vaihingen a. d. E.. 22. August. Das Rind ist wieder da. Das beim Abtrieb der Rinder von der Weide des Seemühlegutes abhanden gekommene Rind wurde in Lomersheim gefunden. Es wurde von einem Zigeuner, der stch bei Lomersheim häuslich niedergelassen hat, entführt.
Gmünd, 22. August. 100 Jahre Blinden-Asyl. Das hiesige Blinden-Asyl darf Heuer das Fest seines 100- jährigen Bestehens feiern. Im Jahr 1831 gründete der Vorstand der staatlichen Taubstummenanstalt, Stadtpsarrer Jäger, das Blinden-Asyl mit drei männlichen Pfleglingen. Seitdem sind 693 Blinde, 484 männliche und 209 werbliche, in der Anstalt untergebracht gewesen, darunter etwa 20 Kriegsblinde zur Ausbildung in einem Blindenberuf. Zur Zeit beherbergt die Anstalt 79 Pfleglinge, 34 männliche und 45 werbliche. Vor 50 Jahren wurde das fetzige Gebäude erstellt. Im Vorstand sitzen u. a. die ersten Stadtpsarrer beider Konfessionen.
Mergentheim, 23. August. Nnisormverbot. Im Gemeinderat brachte Stadttat Adler Beschwerden vor über das Verhalten eines Verkäufers von nationalsozialistischen Zeitungen gegenüber jüdischen Kurgästen. Es wurde beschlossen, !m Einverständnis mit dem OLeramt hiergegen einzuschreiten, insoweit gesetzliche Bestimmungen! dazu eine Handhabe bieten, und außerdem beim Innenministerium vorstellig zu werden, daß mit Rücksicht aus die Interessen des Kurorts für Bad Mergentheim bis Ende September ein Unisormverbot erlassen wird.
Heinstetten OA. Balingen, 23. August. Blutsauger. Eine Jltissamilie richtete in der letzten Zeit «unter den Hühnern im Dorfe bedeutenden Schaden an. Etwa 160—170 Hühner sielen der Sippe, von der bis jetzt, erst zwei unschädlich gemacht werden konnten, zum Opfer.
Schramberg, 22. August. Unglücks s,a l l. Nachts 11.30 Uhr wurde der Inhaber der Wach- und Schließgesellschaft, Valentin Nest, der sich auf seinem Patrouillengang befand, von einem Sänltacber Personenauto überfahren.
Reff erlitt erhebliche Verletzungen und wurde vom gleichen Auto nach seiner Wohnung verbracht.
Göppingen. 23. August. Fe st genommene Der- brecher. Zwei Unholde, die in diesem Sommer Verbrechen gegen Frauen und Mädchen begingen oder versuchten, konnten festgenommen melden. Der eine ist der vorbestrafte Gelegenheitsdienstknecht Eugen Braun, der andere der 19- jährige Fürsorgezögling Albert Himmler, der auch verschiedene Diebstähle und Einbrüche auf dein Gewissen hat. Letzterer wurde in Nürnberg verhaftet.
Geislingen a. Sk.. 23. August. Bonder Lokomotive erfaßt. Als gestern früh aus dem Bahnhof der von Richtung Altenstadt kommende Personenzua 1815 einfuhr, wurde von dessen Lokomotive ein Postbeamter erfaßt und weit zur Seite geschleudert. Der Mann hatte anscheinend das Gleis überqueren wollen und dabei das Herannahen des Zuges nicht bemerkt. Er erkitt eine Verwundung am Kops und wurde bewußtlos ins Bezirkskrankenhaus übergesührt.
Alm. 22. August. Fahrlässige Tötung. Der Gefreite Georg Saut er, 1. Komp., 5. Fahrabtlg. Cannstatt, hatte sich vor dem Großen Schöffengericht wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten. Am 14. Mai hatte er mit einem Personenauto das Gepäck des Generals von Hammerstein von Friedrichshafen nach Stuttgart zu verbringen. Bei Dornstedt bei Ulm lief ihm ein dreijähriges Mädchen von Dornstadt, das sich in Begleitung seiner Eltern befand, in die Fahrbahn, wurde überfahren und starb an den Verletzungen. Der Angeklagte konnte Nachweisen, daß er nicht zu schnell gefahren ist, Signal gegeben hat und daß das Kind ganz plötzlich in die Fahrbahn gesprungen ist, so daß ein Ausweichen, das durch eine raiche Linkswendung versucht wurde, nicht möglich war. Auch der Sachverständige vertrat die Ansicht, daß der Angeklagte in keiner Weise vorschriftswidrig gehandelt hat. So beantragte selbst der Staatsanwalt Freispruch. Das Gericht fällte sein Urteil dementsprechend. — Schlimmer erging es einem Motorradfahrer aus Finnin gen, der auf der neuen Donaubrücke in Ulm am 2. August nachts eine auf dem Gehweg
geyenüe Frau niedersuhr und sie schwer verletzte. Durch Zeugenaussagen ist festgestellt, daß der Angeklagte nicht mehr ganz nüchtern war und sehr unsicher gefahren ist. Die verunglückte Frau war längere Zeit arbeitsunfähig und ist jetzt noch in ärztlicher Behandlung. Der Staatsanwalt be- antragte 2 Monate Gefängnis. Das Gericht erkannte aber als strafmildernd, daß der Angeklagte nicht rasch gefahren ist und daß er sich um die Frau gekümmert hat. Es verurteilte ihn zu 20 Tagen Gefängnis.
Hochwasser. Die Donau führt seit gestern früh infolge des in den letzten Tagen niedergegangenen starken Regens Hochwasser.
Munderkingen. OA. Ehingen, 23. August. Den Verletzungen erlegen. Frau Theresia Mayer, Ehefrau des Karl Mayer, früheren Besitzers des Hotels „Württem- berger Hof" in Ehingen, ist ihren schweren Brandverletzungen erlegen, die sie bei Explosion einer Petroleumlampe erlitten hatte.
Ravensburg. 23. August. Jugendliche Falschmünzer. Wegen Anfertigung von Dreimarkstücken hatten sich vor dem Schöffengericht der 19jährige Former R. F. und der Flaschnerlehrling K. M., beide aus Friedrichshasen und schon vorbestraft, zu verantworten. F. war erst am Tage vorher vom Amtsgericht Tettnang wegen mehrfache« schwerer Diebstähle zu 10 und 7 Monaten Gefängnis verurteilt worden, und es muß mit der jetzigen Strafe noch eine Gesamtstrafe gebildet werden. Es sind angeblich nur sechs falsche Dreimarkstücke verausgabt worden und nur zwei konnten eingezogen werden. Für das Münzverbrechen und einen schweren Diebstahl erhielt F. 18 Monate Gefängnis, sein Freund kam mit zwei Monaten davon bei Zubilligung einer Bewährungsfrist von vier Jahren.
Laimnau, OA. Tettnang, 23. August. Ein tapferer Junge. Der zehn Jahre alle Schüler Klemens Streitter von hier kam beim Baden in den Strudel der Argen. Der Junge wäre ertrunken, wenn nicht der 15 Jahre alte Max Theo Twin ting, der zur Zeit im Ferienheim Laimnau oes Stuttgarter Ev. Jugendvereins seine Ferien zu-bringt. ihm rasch entschlossen nachgesprungen und ihn ans Land geholt hätte.
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16. Fortsetzung.
„Haben Sie mir etwas zu sagen, Averson?" Ihre Stimme verriet Furcht.
„Ja, Helene!"
„Etwas von Wichtigkeit?" Ihr Blick weitete sich in Angst und Schrecken.
„Von größter Wichtigkeit. — Wollen Sie sich nicht hier auf den Rain setzen? Der Boden ist völlig trocken. Und der alte Birnbaum gibt solch herrlichen Schatten, daß es nicht unnatürlich erscheint, wenn wir uns darunter placieren."
„Quälen Sie mich doch nicht so unsagbar!" Sie riß mit ihren zitternden Händen einen Grasbüschel aus dem spröden Erdreich und begann es in Stücke zu teilen. „Ich bitte Sie, Averson, ich heule schon in der nächsten Minute los, wenn Sie mich noch länger warten lassen."
„Wissen Sie, warum ich morgen nach Italien reise?"
„Ihrer Gesundheit wegen. Sagten Sie nicht so?"
„Ja. so sagte ich. Aber die Auskunft galt lediglich für Ihren Mann. Ihnen kann ich den wahren Grund verraten: Ich bringe Umberto Petratini in die Heimat."
„Den Toten!"
Er sah erschrocken nach dem Fenster hinauf, wo Frankes Kopf sich eben über die Brüstung beugte. Helenes Schrei mochte ihn gerufen haben. Rasch gefaßt, winkte er ihm zu. „Nehmen Sie Ihr Taschentuch," raunte er. Und da sie es in ihrer Erregung nicht zu finden vermochte, drückte er ihr das seine in die Finger. „Winken Sie, Helene" Ihr Arm zuckte aus und nieder, als sie es im Winde flattern ließ.
Dann war Frankes Kopf wieder hinter den Gardinen verschwunden.
„Averson!" Der Frauenkörper glitt, unfähig, sich aus eigener Kraft zu stützen, gegen dessen Schulter „Averson!"
„Sie müssen sich erst beruhigen. Helene, Umberto Petratini lebt!" —
„Lebt!" Alles Gefühl in den Gliedern begann zu er
sterben. Sie verspürte sogar ihr Blut nicht mehr kreisen. Die Hände, die Füße, b« zu den Schläfen hinauf, war alles tot, versteinert unter der Wucht dieser Mitteilung. „Dann bleibt mir nichts übrig, als ein Ende zu machen!"
„Nein", beruhigte er. „Ich habe alles mit Petratini besprochen."
„Averson' — Helfen Sie mir doch, um Gottes willen, Averson!"
„Helfe ich Ihnen denn nicht, Helene? — — Habe ich nicht mein Möglichstes für Sie getan?"
„Solange er lebt, werde ich nie zur Ruhe kommen!"
„Wäre es Ihnen lieber, ihn tot zu wissen?"
„Ja!"
„Ja?" wiederholte er entsetzt.
Sie nickte und vergrub die Hände in das rieselnde Erdreich, das mit leisem Rascheln nach dem Graben hinabkollerte. „Ich habe ihn so sicher geborgen geglaubt."
„Dort unten in der Schlucht, Helene, wo das Wasser gurgelt und die Felsen sich gegenseitig den Weg versperren!"
„Ja! Dort unten! — — Wissen Sie, was meinem Morde vorausgegangen ist?"
„Ich weiß es, Helene!"
„Alles?"
„Ich denke, Petratini wird mir nichts verschwiegen haben Demnach war es kein Mord! Nur Notwehr, mein Armes!"
„Sprechen Sie nicht so, Averson. Es macht mich verrückt, wenn Sie so gut zu mir sind und mich unschuldig halten! Ich wollte ihn töten! Ich wollte es! Notwehr gegen den eigenen Mann gibt es wohl nicht."
„Doch Helene! In diesem Falle schon !"
„Sie wissen alles", rief sie verzweifelt. „Alles! Wie hat er sich denn aus der Schlucht herausgeanbeitet?"
„Ich habe ihn geholt, Helene."
„Sie-haben ihn-geholt!"
„Ja! — Ich kam an jenem Abend nach Rottach-Berg- hof in der Absicht, Ihnen einen Besuch zu machen. Ich ging aber nicht die Straße herauf, sondern kam zu Fuß vom Walde herüber. So wurde ich unfreiwilliger Zeuge des ganzen Dramas, wenigstens des letzten Teiles desselben. Ich hörte einen gellenden Ruf und sah, wie ein Mann kopfüber in das Bett des Wildbaches schoß. Und wie Sie, Helene, fluchtartig über den Steg n-ach den Wiesen rannten. Ich begriff nicht ganz, aber so ungefähr. Denn
daß Sie verheiratet waren, wußte ich nicht.-Aber den
Verunglückten ohne jede Hilfe liegen lassen, das konnte ich nicht init meinem Gewissen vereinbaren. Ich fand ihn bewußtlos init zwei großen Löchern im Kopf und ausgerenkter Schulter im Geröll liegen. Da ich keinen Mitwisser haben wollte, schleppte ich ihn allein nach der Höhe, verband ihn, so gut es ging und lief dann zum Waldausgang, wo ich den Wagen stehen hatte. Den Chauffeur habe ich mit einein Auftrag zu Fuß nach Tegernsee hinuntergeschickt und inzwischen den Verwundeten in meinem Auto verstaut. Dieses habe ich selbst nach München zurückgesteuert. — Petratini habe ich in die Privatklinil des mir befreundeten Dr. Moder gebracht und ihn: erzählt, wo ich ihn gesunden habe. Er weiß nichts, als daß der Fremde in eine Schlucht gestürzt und von mir gerettet wurde. Ich habe Ihren Rainen in jeder Weise reinzuhalten versucht, Helene, und glaube, daß mir das auch restlos gelungen ist."
„Aber Petratini! — Averson sagen Sie mir um Eot- teswillen!"
„Er ist seit einigen Tagen so weit, daß man mit ihm sprechen kann. Vorher lag er bewußtlos. Es ist sein sehn lichster Wunsch, Sie noch einmal zu sehen, ehe ich mit ihm wegreise."
„Unmöglich! Ich kann nicht, Averson! Ich will nichts mehr von ihm hören. Nichts wissen mehr von ihm! Sie ahnen ja nicht-"
„Ich sagte Ihnen doch", unterbrach sie der Direktor, „daß er mir alles erzählt hat und wie Sie ihm dann in Ihrer furchtbaren Erregung den unerwarteten Stoß versetzten, der ihn in die Schlucht warf."
„Gott, Averson, wenn mein Mann wüßte, daß es noch jemand gibt, der Rechte an mich hat."
„Haben Sie ihm noch nicht davon gesprochen?"
„Nein! Nur, daß ich verheiratet war."
Der Direktor sah nachdenkend zu Boden und suchte zu einem Entschluß zu kommen. „Ich kann nur wiederholen, was mir der Kranke aufgetragen hat: Sie sollten ihm ein letztes Wiedersehen gewähren. Er bereut, daß er sich Hinreißen ließ, sieht ein, daß er unschön an Ihnen gehandelt hat."-
„Jetzt sieht er das ein!" weinte sie auf.
„Haben Sie nicht auch etwas zu bereuen?" warnte er ernst.
Fortsetzung folgt.