1831.

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Nr. 137

Gegründet 1827

Dienstag, den 16. Juni 1931

Fernsprecher Nr. 29 105. JahrgUNg

Vorbeugen

Innere Bindungen zwischen KPD und SPD Wir bitten die verehrliche Polizei

ganz ergebenst auswachen zu wollen!

Die Aufruhrmelle in Deuschland steigt. Ueberall. heute in Kassel, Frankfurt a. M Manheim, morgen in Berlin, Düsseldorf, Köln, dann wieder im Erzgebirge, in Schlesien, in den Seestädten, rottet sich der Mob zusammen, baut Barrikaden, plündert und beginnt Feuergesech-te mit der Polizei. Täglich steigt die Zahl der Token, täglich erhebt Rot-Mord frecher sein bluttriefendes Haupt. Offenbar sind wir schon so abgebrüht, daß wir sozusagen kein Organ mehr für das haben, was nörgelst. Wir lesen die Nachrichten in den Zeitungen und wissen genau, daß das gleiche jeden Augenblick sich vor unseren eigenen Angen ereignen kann. Aber erregen tun wir uns nicht mehr, wir treffen keine Vorsorge und wir rufen nicht einmal nach der Polizei. Es ist aber trotzdem endlich an der Zeit, daß man sich erregt, daß man Vorsorge .trifft und daß man nach der Polizei ruft.

Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß das, was sich gegenwärtig in Deutschland ereignet, genau nach einem einheitlichen Plane vor sich geht. Das Ausflackern blutigsten Aufruhrs, einmal hier, einmal dort, ist kein Zufall. Da sind Brandleger am Werk, die genau wissen, was sie tun, und die wie die Feuerwerker bei einein Feuerwerk mit ihren Zündfackeln eiligst von einer Stelle zur anderen huschen und schon längst wieder aus dem Bereich des Feuers weg sind, wenn die Rakete aufprasselt. Und diesen Brandlegern läßt man freie Hand. Was man faßt, auf frischer Tat er­tappt sind immer nur die kleinen Verbrecher, die selbst eher Opfer denn etwas anderes sind. Man kann es geradezu mit den Händen fassen, wie so etwas angelegt wird. Das sind die Erwerbslosenstaffeln, die Vorgehen, wobei sie die Führung kaum spüren und selbst glauben, ihrem eigenen dumpfen Drang zu folgen. Sie werden verstärkt durch die Stoßtrupps, die «in gut einexerziertes Manöver vollziehen. Frauen und Kinder werden vorgeschickt und handeln offen­bar nach festliegenden Anweisungen. Steinhaufen sind' im­mer zur Hand, oder der Angriff vollzieht sich unter unsicht­barer Leitung so, daß eben Steine und andere primitiven Waffen, wie d-i-> Straße sie bietet, grisssgerecht bereitliegen. Aber auch andere Waffen sind vorhanden und werden durch Diebstähle und Einbrüche in steigendem Maße besorgt. Es scheint ein ganzes, überaus gut funktionierendes Spionag-e- und Schmiere-System zu bestehen, das den Ort des Auf­ruhrs vorher gesichert hat und ihn so legt, daß die Hüter der Ordnung möglichst weit im Augenblick des Losbrechens entfernt sind. Das ist ganz und gar die Taktik des revolu­tionären Anfangskampses, wie wir ihn aus dem Beginn der russischen Revolution kennen, und wie wir ihn auch selbst in den Spartakuskämpfen erlebten. Wir alle kennen diese Taktik noch ganz genau. Nur scheint das Wissen um sie gerade bei denen verloren gegangen zu sein, die mit der Hütung der öffentlichen Ordnung betraut sind, und deren Ausgabe und Pflicht es ist, gerade den Anfängen zu wider­stehen, bei der Polizei.

Wir möchten wirklich Aufklärung darüber haben, was bei der Polizei, insbesondere bei der preußischen Polizei los ist. Man kann Nachricht aus Nachriäst verfolgen, immer und in jedem Fall tritt die Polizei erst dünn in Aktion, wenn alles schon vorüber ist, Geschäfte schon geplündert sind, Barrikaden errichtet werden konnten, blusige Opfer auf der Straße liegen. Und wenn sie zugreist, saßt sie immer nur Mitläufer, irgendwelche Bassermannschen Ge­stalten, die nur Geführte und Verführte, eben jene Opfer sind, von denen wir schon sprachen. Dabei weiß die Poli­zei ganz genau, daß sich etwas vorbereitet. Sie kann es täglich in den kommunistischen Ankündigungen lesen. Sie braucht nur die Plakate an den Straßenecken zu beachten, und sie dürfte schließlich auch zugreisen, wenn die Kom­munisten Mordlisten veröffentlichen, wie jenes Flugblatt in Berlin, das jedes vorgesehene Opfer mit genauer Na­mens- und Adressenangabe aufführt.

Warum greift sie nicht zu? Warum trifft sie nicht Vor­beugungsmaßregeln. hält sie nicht bekannte Aufruhrstister, Funktionäre -er Rot-Front und geradezu gewerbsmäßige Revolutionäre" unter ständiger Beobachtung? Warum entschließt sie sich nicht zur Anwendung von Schutzhast, die sie gegenüber der Rechten immer sofort bei der Hand hat, wenn es gilt, eine politische Meinungsäußerung, die in der Form entgleist ist, zu bestrafen? Fürchtet sie, in ein Wespennest zu greifen? Schwant es ihr, daß sie bei allzu schnellem Zufassen auf unterirdische Verbindungen aus dem kommunistischen in das sozialdemokratische Lager stoßen könnte? Verbindungen, die ja doch aller Welt bekannt sind und von ihr zum mindesten gespürt werden angesichts der Tatsache, daß dieBote Arbeiterhilfe" zum solidarischen Kampf gegen den Faschismus ansruft, angesichts der Tat­sache, daß aus dem Leipziger Parteitag der Sozialdemo- Asie offen von der notwendigen Zusammenarbeit gespro- An wurde, und angesichts der Tatsache, daß Herr Breit- Mid imVorwärts" und imSozialdemokratischen Presse-

Dienst" klar Mid deutlich schreibt, daß die Sozialdemokratie sich ausschließlich von den Interessen der Arbeiterklasse lei­ten lasse und daß sie in dem Kampf um die Abwehr einer irgendwie gearteten Diktatur bis zur äußersten denkbaren Grenze gehen müsse. Wo liegt denn diese äußerste denk­bare Grenze? Wie war es in den Spartakuskämpfen, wie bei der Novemberrevolution, wie in der Bayerischen Räte­republik? Wenn es darauf ankommt, sind Kommunisten und Sozialdemokraten doch brüderlich vereint im Barri­kadenkampf aeaen die bestehende Ordnung.

Wir sind der festen Ueberzeugung, daß die Zeit des Bol­schewismus in Deutschland vorbei ist und daß selbst dis Passivität verantwortlicher Ordnungsstellen ihr nicht mehr ein neues Leben zu geben vermag. Dafür ist das deutsche Volk schon wieder zu gesund geworden. Der 14. Septe.m- ber war die Wende. Unser Staat aber hat sich nach außen so seiner Haut zu wehren, daß es im Innern schon aus die­sen, Grunde kein solches Bürgerkciegsspiel geben darf, wie es jetzt überall unter den Augen der Polizei exerziert wird.. Wir scheren uns nicht das geringste darum, ob die Herren- sozialdemokratischen Polizeipräsidenten es für geboten er­achten. die Dinge zu verkleinern und sie mit dem Mantel einer nicht chrMichen Nächstenliebe zu bedecken. Wirt rufen trotzdem nach der Polizei und wir verlangen und fordern, daß sie mik allen Machtmitteln, die in ihre Hand gegeben sind die notwendigen Maßnahmen und auch die notwendigen Vorbeugungsmaßregein trifft, dem roten Spuk ein Ende zu machen.

Keine Reichstagseinberufung

Berlin, 18. Juni. In Kreisen der Reichsregierung hofft man, daß es schon in den für heute festgesetzten Verhandlun­gen gelingen wird, die Entscheidung der inner­politischen Lage herbeizuführen, so daß bereits heule abend festgestellt werden kann, daß es nickt zur Einberufung des Reichstages kommen wird. Diese Beschleunigung der Klärung wird schon im Hinblick auf die letzten Vorgänge am Devisenmarkt als wünschenswert bezeichnet.

Im Verhältnis zwischen der Deutschen Bolkspar- tei und dem Kabinett sieht man die Lage bereits als entspannt an. Es wird kaum noch daran ge.zweifelt, daß die Fraktion auf Grund des Berichtes, den Abgeordneter Dingeldey über seine Besprechungen mit dem Kanzler erstattet, zu einer Revision ihres Donnerstag-Beschlusses ge­langen wird. Das würde dann bedeuten, daß -je Einberu­fung des Reichstags von -der Deutschen Volkspartei nicht mehr verlangt wird. Dann würde die Entscheidung des Landvolkes, die für morgen angesetzt ist, die Situation nicht mehr ändern.

Die für heute nachmittag cmgesetzte große Konferenz mit den Parteien, die hinter der Regierung stehen, soll gewisser­maßen den Anschluß der Verhandlungen bilden, die der Kanzler nach dieser Seite bisher in Einzelbesprech-ungen ge­führt hat. An der Konferenz nehmen übrigens auch Reichs­tagspräsident Lobe, der preußische Ministerpräsident Dr. Braun und Reichsbankpräsident Dr. Luther teil.

Die Hauptschwieriakeit dürste dann noch bei den So»

zial Demokraten liegen. Ihnen liegt vor allem daran, daß die Herausnahme der jugendlichen Arbeitslosen aus der Versicherung wieder rückgängig gemacht wird, außerdem wünschen sie, daß die Notverordnung nach dem Beispiel der früheren im Haushaltsausschuß des Reichstags beraten wird. Wie in diesen beiden Punkten eine Einigung erzielt werden soll, ist im Augenblick noch nicht abzusehen. Der Reichskanz­ler sucht die Sozialdemokraten offenbar davon zu überzeugen, daß Aenderüngen der Notverordnung wenigstens in diesem Augenblick nicht möglich sind, ohne die notwendige Beruhi­gung der Lage zu gefährden. Nach der Kabinettssitzung, die schon am frühen Vormittag begonnen hat, wird der Reichs­kanzler heute mittag die Vertreter der Gewerkschaften emp­fangen. Man kann wohl annchmen, daß diese Besprechung den Zweck hat, die weiteren Verhandlungen mit den Sozial­demokraten zu erleichtern. Damit bleibt alles, wie es war. Reichskanzler Brüning hat gewonnen. Noch ein solcher Sieg" . . .

Nach der Besprechung des Reichskanzlers und verschiede­ner R-eichsminister mit den Fraktionsführern der hinter der Regierung stehenden Parteien werden um 18 Uhr die sozialdemokratischenFührer empfangen werden. Am späten Abend werden dann auch gesondert die Führer der Nationalsozialisten und der Deutsch» atio- na le n Partei eine Besprechung mit dem Kanzler haben. Die Vertreter aller Gewerkschastsrichtungen haben bereits um 12 Uhr eine Aussprache mit dem Reichskanzler gehabt.

400 Menschen ertrunken

Paris, 15. Juni. In den späten Abendstunden des Sonntag hat sich, wie wir bereits gestern kurz melden konnten, an der Loire-Mündung eine Katastrophe größten Ausmaßes ereignet, bei der Hund-rte von Menschenleben zu beklagen sind. Ein Vergnügungsdampfer mit Ausflügler» hauptsächlich Mitgliedern von Vereinen aus Nantes geriet in eine» Sturm und ging unter. Ans Saint Nazsire ging ein Schlepper an die Anglücks­stelle ab, doch ohne jede Hoffnung, auch nur einen einzigen Menschen zu retten. Die ersten Meldungen, die über das Anglück verbreitet werden, sprechen von 500600 Personen, die ertrunken sein sollten. Nach den letzten Meldungen aus St. Nazaire.hat das Schrffsungiück nicht diese Zahl, sondem etwa 330 Todesopfer gefordert. Erst später stellte sich her­aus, daß etwa 180 Ausflügler den Dampfer wegen des heraufziehendA» Unwetters bereits in Pornic verlassen hatten, um mik der Eisenbahn nach Nantes zurnckzukehren. Acht Personen konnten ans dem Wasser gezogen werden.

Ein Geretteter berichtet, daß der Dampfer in einer Minute gesunken sei. Durch das Hinstreben der vielen Menschen nach einer Seite habe er starke Schlagseite erhalten und sei durch eine Sturzwelle plötzlich gekentert. Der See­gang sei so stark gewesen, daß auch das Rettungsboot mehr­fach umgeschlagen sei, wobei noch zwei Gerettete ertrunken seien. Um ihn herum hätten Unzählige hilflos mit dem Tode gerungen. Die markerschütternden Schreie der Er­trinkenden, -darunter viele Frauen und Kinder, hätten den Sturm und das Brausen des Seegangs übertönt. Der Orkan dauerte vier Stunden und richtete großen Scha­den an.

Augenzeugen, die den mit dem Sturm kämpfenden Dampfer von der Mündung der Loire aus beobachtet haben, erklären übereinstimmend, daß dieSt. Philbert", so hieß das Unglückssthisf, schon eine ganze Stunde vor dem Sinken starke Schlagseite nach Steuerbord gehabt habe. Im Gegen­satz zu anderen Nachrichten heißt es, daß der Dampfer noch zwei Stunden aus den Wellen emvorraate und von Sturz­

seen überspült wurde. Diese Beobachtung läßt die Schluß­folgerung zu, daß er auf ein Riff oder eine Sandbank auf­gelaufen sein muß. Die Passagiere sprangen zum größten Teil über Bord oder wurden von den Wellen mitgerissen. Erst um 18.30 Uhr habe man nichts mehr von dem Wrack gesehen und auch die noch mit dem Seegang kämpfenden Schiffbrüchigen aus den Augen verloren.

Als der erste Rettungsdampfer an der Unglücksstelle er­schienen sei, habe er nicht mehr viel ausrichten können. Die See sei in weitem Umkreis mit Leichen und Trümmern be­deckt gewesen. Zu dem Unglück vor der Loire-Mündung wird aus Paris ergänzend gemeldet:Der Vergnügungs­dampferSt. Philbert" fuhr am Sonntag vormittag von Nantes aus mit 500 bis 600 Ausflügler« an Bord nach der Insel Roirmoutier. Die Mehrzahl der Passagiere bestand aus Mitgliedern eines Geselligkeitsvsreins und des Ge­nossenschafts-Verbands des Departements Loire, das heißt vornehmlich aus Arbeitern der Stadt Nantes und des Löire- Gebiets. Nach einem mehrstündigen Aufenthalt auf der Insel begaben sich die Ausflügler um 15 Uhr zur Rückfahrt an Bord. Nach etwa einstündiger Fahrt erhob sich ein hef­tiger Sturm. Der kleine Vergnügungsdampfer war dem Seegang nicht gewachsen und geriet sehr bald in eine äußerst kritische Lage. Vermutlich wurde das Unglück noch dadurch beschleunigt, daß die Passagiere alle nach Steuer­bord drängten,' um vor dem Unwetter Schutz zu suchen. Eine Sturzsee verstärkte das Uebergewicht und brachte das Schiff mit Sekundengeschwindigkeit zum Kentern.

Die Leuchtturmwärter von Kap St. Gildas waren ohn­mächtige Zeugen des Unglücks. Sie konnten nichts anderes tun, als die Rettungsgesellschast von St. Nazaire zu benach­richtigen, die sofort den SchlepperPornic" entsandte, kurz darauf lief auch das Lotsenschifs aus. Um 23 Uhr liefen die beiden Fahrzeuge wieder in den Hafen ein und bestätigten den furchtbaren Umfang der Katastrophe. Der Lotsen­dampfer hatte 7 Ueberlebende und eine Leiche an Bord, während der Schlepper einen Ueberlebenden, den öster­reichischen Staatsangehörigen Jellinek, und drei Frauen­leichen geborgen hatte. Alle übrigen Fahrgäste des An- giüasdompsers hatten in den Wellen den Tod gesunden.