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Nagolder Tagblatt «Der Gesellschafter"
Die Hinrichtung in Lasla
„ Sofia. 28. Mai. Aus dem offenen Marktplatz rvurden gestern früh die Urheber des Vonibenarrfchlags Kseff, Zad- «orski untz Friedmann durch drei Zigeuner, die den Scharf- stichterbötttst verrichteten, gehenkt. Ueder 50 000 Menschen wohnten der Hinrichtung an.
Hinrichtung von 60 Aufständischen Peschawar, 28. Mai. Aach hier etngekrofsenen Meldungen ist auf Befehl des Emirs von Kabul (Afghanistan) der erste Trupp von 60 Aufständischen aus dem Kofft-Gebiet erschossen worden. In der Geschichte Afghanistans find Hinrichtungen Ln diesem Umfang bisher noch nicht vorgenommen worden.
Württemberg
kirchhauseu OA. Heilbronn. 27. Mai. I n d e r H c i m a t s e i n e r U r a h n e n. In der Mitte der neunziger Jahre des 17. Jahrhunderts wanderte ein hiesiger Bürger aus, um im fremden Land sein Glück zu suchen. Er langte nach mehreren Irrfahrten in Rumänien an, wo er sich denn auch seßhaft machte. Seit einem halben Jahr sucht nun ein in Rumänien lebender Nachkomme des Auswanderers seinen Stammbaum nachzuweisen. Und tatsächlich stellte unser Pfarrer Schmitt durch Nachschlagen in den pfarramtlichen Büchern fest, daß der jetzt in Rumänien lebende Dr. Kaspar Muth ein Nachkomme des damals Ausgewanderten ist. Dr. Kaspar Muth ist Rechtsanwalt in Temesvar und Obmann der schwäbischen Volksgemeinschaft im Banat, sowie Abg. im rumänischen Parlament. Vorige Woche weilte er als Vertreter der Lauster Schwaben in Stuttgart bei der Einweihung des Deutschtumhauses. Sein erster Gang im Schwabenlande galt der Wiege seiner Ahnen und er feierte zum erstenmal ein Wiedersehen mit den seit vielen Menschenaltern getrennten Medern der Familie Muth. Er hatte alle seine Namens- Verwandten, darunter Pfarrer Muth in Pfedelbach, sowie Pfarrer Schmitt und den Gemeinderat zu einem gemütlichen Zusammensein im „Adler" eingeladen. Und man feierte ein Ammlienfest. Dr. Kaspar Muth hielt dabei einen Vortrag über das Deutschtum im Ausland und fand reichen Beifall. Bei feinem Weggang ging Dr. Muth noch auf den Friedhof des Dorfs und nahm vom ältesten Grab seines Geschlechts «Äl Stück Heimaterde mit sich in seine zweite Heimat, ins Banat. Die Familie Muth zählt gegenwärtig in Kirchhausen DS Familienoberhäupter. Auch im Ausland sind überall Much vertreten, deren Abstammung auf Kirchhausen zurückgeht.
Saulgau, 28. Mai. Tödlicher Ausgang. Der Durch einen Personenkraftwagen verunglückte 10 Jahre alte Knabe Anton Ott von hier ist seinen schweren Verletzungen erlegen.
Tannheim, 28. Mai. Mutige Lebensrettung. Rach dem Leeren der Abortgrube am neuen Schulhaus durch die drei Söhne des Bauern Gottfried Guter wollte »er Sohn Georg in die 21^ Meter tiefe Grube steigen, um leinen verloren gegangenen Füllfederhalter zu suchen. Er wurde von den Gasen alsbald betäubt, fiel aber zum Glück jaus den Rücken. Der ältere Bruder Josef wollte ihm zu Hilfe eilen, er erfuhr aber sofort dasselbe Schicksal, und der dritte war nahe daran. Der Vater rief um Hilfe, woraus gerade in Tcmnheim beschäftigte Elektromonteur Kuno Kuhn aus Eningen bei Reutlingen sich in die Grube begab, nachdem er sich hatte anseilen lassen und Mund und Nase mit genetzten Tüchern umwunden hatte. Es gelang ihm, die Bewußtlosen heraufzuschaffen. Kuhn hatte schön vor
Jahren zwei Knaben vom Tod des Ertrinkens gerettet.
Sigmaringen, 28. Mai. Ueberfahren. Landwirt Loses Deschner alt aus Hornstein stieg auf der Straße Lungnau—Sigmaringen von seinem Holzfuhrwerk ab, glitt ürus und fiel zu Boden. Die Näder des Wagens gingen über ihn hinweg. Er erlitt sehr schwere Quetschungen und «men Beckenbruch.
Hechingen. 28. Mai. Schwurgericht. Fabrikarbeiter Friedrich Schellmger aus Bisingen wurde vom Schwurgericht wegen Körperverletzung mit nachgefolgtew Sode zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte nach iünem Streit den Monteur Endreß mit einer """Ratte auf den Koxf geschlagen. Endreß ist an den ^-.^en dieser Hiebs gestorben.
^cu,.^oien, OA- Biberach, 23. Mai. Angefahren. Vergangenen Dienstag wurde eine hiesige ältere Frau, die vom Felde heimkehrte, von einem jungen Radfahrer an abschüssigen Stelle angefahren, so daß sie bewußtlos am Boden liegen blieb. Auch der Radler kam zu Fall, er- holte sich aber alsbald wieder. Die Frau erlitt einen Schadelbruch und sonstige Verletzungen.
Friedrichshafen. 28. Mai. F estnahme. Wegen Betrugs in mehreren Fällen wurde hier der geschiedene Ingenieur Paul H. von Eulenburg, Kreis Delitzsch, festgenommen. — Johannes F., angeblicher Lehrer vvn Horb a. N., eine wegen Diebstahls, Betrugs, Urkundenfälschung, Amtsanmaßung u. a. schwer vorbestrafte Persönlichkeit, wurde wegen Betrugs festgenommen.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 29. Mai 1925.
Vernunft, o Mensch, nnd Wille sind die Waffen
' Dein Glück zu schaffen.
«
Generalversammlung des „Der. Lieder- und SSngerkranzes Nagold".
Im Anschluß an die Mittwoch-Abend-Singstunde fand die diesjährige Generalversammlung statt. Dsr Vorstand, H. Präzeptor Wieland, eröffnet« die Versammlung mit einem Rückblick auf das vergangene Vereinsjahr. Unter dem Schönen und Erfreulichen, das den Verein begleitete, griff er als die beideir Höhepunkte das Sängerfest in Trossingen und die Erwerbung des lang ersehnten Flügels mit der daraus folgenden „Flügelweihe" heraus. Zeigte das erstere das vollendete Können des Vereins weit über die Grenzen des Schwarzwaldes hinaus, so bewies die Erwerbung des Flügels die Opferwilligkeit der Sänger sowohl wie auch die der vielen Freunde des Vereins, die ihre Dankbarkeit für all das gebotene Schöne auf diese Weise zum Ausdruck bringen wollen. Aber auch Betrübendes war dem Verein beschieden durch die Erkrankung des hochverdienten Dirigenten, des H. Oberlehrers Grieb. Es besteht aber die erfreuliche Hoffnung, daß H. Grieb bald wieder ganz genesen ivird und sein Amt wieder übernehmen kann. In dankenswerter Weise ist Herr Hauptlehrer Nicht in die Lücke getreten und führt den Verein in aufopfernder, trefflicher Weise auf seinem Höhenweg weiter.
In dem darauf folgenden Jahresbericht gab der Schriftführer H. Braun von der im abgelaufenen Jahr geleisteten Arbeit, von den Erfolgen und den Erlebnissen des Vereins Kunde. Als Beweis für das Blühen des Vereins inag die stetig zunehmende Zahl der aktiven (98) und der passiven Mitglieder (mehr als 230) genannt werden. — Der hieran anschließende Kassenbericht des H. Kassiers Wölber ließ uns Einblick tun in die „Reichtümer" des Vereins, die am Schluß des Vereinsjahrs rund 261 .46 Barvermögen aufweisen. — Zu Beginn der Wahlen gab der Ehrenvorstand des Vereins, Herr Oberamtspfleger Rapp, der über die „Wahl des Vorstandes" den Vorsitz übernommen hatte, seinem Tank an den Vorstand nnd den Verein für all das gebotene Schöne beredten und warmen Ausdruck. Seinen Wünschen für die fernere Pflege der Harmonie der Töne fügte er noch den bei, daß der Verein auch weiterhin unter sich treues Zusammenhalten üben möge. Bei solcher Harmonie wird das Ansehen des Vereins stets nach allen Seiten unversehrt dastehen. — Einstimmig'wurde der bewährte Vorstand wiedergewählt. Ebenso der Vizevorstand, H. Louis Reut schier, der dieses Amt jetzt 25 Jahre führt, während er als „aktiver Sänger" dem Verein schon seit 48 Jahren dient. Seine wannen Worte und die witzig gemütliche Art seiner Rede fanden allseitigen Beifall. Dem unermüdlichen Kassier Wölber wird zur Vorbereitung all der vielen Angelegenheiten des Vereins eine Hilfskraft beigegeben werden. Sehr bedauerlich für den Verein, aber menschlich verständlich, ist es, daß der langjährige, verdiente Schriftführer Braun, der zugleich Vorstand des Turnvereins ist, sein Amt nicht weiterführen kann. Für ihn ivird einstimmig H. Oberamtssparkassier Ott zum Schriftführer gewählt. H. Sattlermeister Braun wird als Dank für treu geleistete Arbeit als ein „dem Ausschuß, angeschloffenes Mitglied" in diesem verbleiben. Sämtliche aktiven und passiven Ausschußmitglieder wurden durch Zuruf wiedergewählt. Neu zugewählt wurden 4 jüngere Sänger, von jeder Stimme einer. Der Bücherwart Jourdan, der immer in stiller Weise pünklich und gewissenhaft sein nicht leichtes Amt geführt hat,
Freitag. 29. Mai 1825
kann nicht mehr weiter dienen. An seine Stelle tritt Herr Harr, jun.
Nach Beendigung der Wahlen kamen Wünsche und Anträge aus dem Kreise der Sänger zur Besprechung, die einerseits bewiesen, in welch anerkennenswerter Weise der Verein an seiner Vervollkommnung arbeitet, andererseits aber noch ein Herz hat für die, welche die Freuden des Lebens entbehren müssen. Das kommende Vereinsjahr wird den Beweis hiefür erbringen. — In bekannt humorvoller Weise berichtete zum Schluß der Strafkassier, Herr Wreden, die Besserung im Besuch der Singstunde, sowohl im ganzen wie im einzelnen. Er gab dabei recht beherzigenswerte Mahnungen, die auch ans dem Kreise der Anwesenden Unterstützung fanden. — Auf den Dank für die treue und erfolgreiche Arbeit, die sowohl aus dem Kreise der Säuger wie auch vom Vorstand dem stellvertr. Dirigenten, Herrn Hauptlehrer Richt, dargebracht wurde, erwiderte dieser in packender Weise, aus der hervorging, wie ernst und treu er seine Pflicht auffaßt. — In vorgerückter Stunde schloß der Vorstand die würdig verlaufene Generalversammlung mit einem marinen Appell an den Verein, treu zusaimne,,- zuhalten und stramme Disziplin zu üben nach innen und außen und gegen sich selbst.
Neuer Fahrplan auf der Nebenbahn Nagold—Altensteig.
Im neuen Fahrplan werden auf der Nebenbahn Nagold Altensteig ab Freitag, den 5. Juni 1925 bis auf weiteres regelmäßig die Verwaltnngssonderzüge Nr. 20 Altensteig ab 8.^
Nagold an 9.3« abends
und Nr. 21
Nagold ab 10.03 Altensteig an 10.53 abends
gefahren. Jeder Reisende, der einen dieser Züge benützl, har eine Zuschlagskarte von 50 zu lösen und zwar ohne Rück sicht darauf, ob der Zug auf der ganzen Strecke oder nur auf einer Teilstrecke benützt wird.
Vergünstigung für Kriegsbeschädigte bei der Einkommensteuer.
Nach einer Anordnung des Reichsfinanzminislers hat die im Jahr 1923 verfügte Zulassung höherer Werbungskosten bei Kriegsbeschädigten auch im laufenden Jahr 1925 Anwendung zu finden. In erster Linie handelt es sich dabei um solche Kriegsbeschädigte, die Lohn- oder Gehaltsempfänger sind und daher dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen. Diesen ist, wenn sie um mindestens 30 v. H. in ihrer Erwerbssähigkeik beschränkt sind, eine Erhöhung des steuerfreien Lohnbetrags nach dem Prozentsatz der Erwerbsbeschränkung zugebilligt. Wenn also z. B. ein Lohn- oder Gehaltsempfänger als Kriegsbeschädigter zu 30 v. H. erwerbsbeschränkt ist, so beträgt der steuerfreie Lohnbetrag bei monatlicher Lohnzahlung 60 ^ -s- (30 v. H. von 60 -45) 18 ^45, somit zusammen 78 ^ oder bei wöchentlicher Lohnzahlung 15 -46 -l- (30 v. H. von 15 -4?) 4,50 .,-l, somit zusammen 19 ,46 50 xZ. Dabei ist jedoch Vor- anssetzung, daß auf dem Steuerbuch des Kriegsbeschädigten die zulässige Erhöhung vom Finanzamt bestätigt ist. Wo also im zutreffenden Falle diese Bestätigung noch fehlt, müßte sie im Interesse der Kriegsbeschädigten nachgeholt werden, worauf dann der erhöhte steuerfreie Lohnbetrag beim Steuerabzug berücksichtigt werden kann. Diese den Kriegsbeschädigten einge- rännite Vergünstigung gilt übrigens in gleicher Weise auch für die Friedensinvaliden, zivilbeschädigten Lohn- und Gehaltsempfänger (Unfallbeschädigte, Invaliden u. dergl.). Um nun auch den Kriegsbeschädigten, die Gewerbetreibende sind, entgegenzukommen, wurde angeordnet, daß denjenigen, die mehr als 30 v. H. erwerbsbeschränkt sind, bei den monatlichen oder vierteljährlichen Borauszahlungen auf die Einkommensteuer ein von dem Finanzamt festzusetzender Teilbetrag gestundet wird, wenn die Erhebung der Vorauszahlung in voller Höhe mit Rücksicht auf die durch die Kriegsbeschüdigung entstehenden Mehraufwendungen eine unbillige Härte bedeuten würde, lim gegebenenfalls diese Stundung zu erlangen, müßte ein Antrag beim Finanzamt gestellt werden.
Untersuchung eingeführksr Pferde. Durch ein außerhalb des Landes angekauftes Pferd ist in letzter Zeit der Rotz m Württemberg eingeschleppt worden, dem u. a. sin wertvoller Zuchthengst zum Opfer gefallen ist. Seit August 1922 was Württemberg von der Seuche verschont und sie kann auch jetzt wieder als getilgt angesehen werden. Das Ministerium des Innern hat aber angeorduet, daß alle aus dem Ausland eingesührten Pferde sofort nach der Ankunft am Bestlmm- unasort amtstisrärztlich auf Rotz zu untersuchen sind und sie
„Er hat nichl gebettelt, er bezahlt alles bar," warf jetzt der Krugwirt ein.
„Dann laßt den Kerl zum Teufel gehen, wo er hergekommen ist," schrie der Schulze und stieß das Glas auf den Tisch, daß der Fuß absprang. In seinem Aerger nahm er den ganz geblieben«! Kelch und warf ihn in die Ecke, daß die Scherben spritzten.
Die andern schwiegen, nur Moltke meinte mit feinem Lächeln: „Da siehst du, Bismarck, was du mit deiner Heftigkeit erreichst. Alle Schwierigkeiten wären beseitigt, wenn du nicht auf den dummen Prügeln bestehen wolltest."
Ohne zu antworten erhob sich der Schulze und griff nach seinem Hut, der über ihm hing. Zwei, drei Hände erfaßten den Arm.
„Bismarck, sei vernünftig und du, Moltke, halt endlich mal den Rand, ja?"
Es war der Besitzer von Sedan, Riedelsberger, der so energisch sprach.
„Und wenn ihr's durchaus wissen wollt ... es geht auch ohne euch. Die Erfahrung haben wir in Deutschland gemacht, ich meine in Wirklichkeit, und die wird auch für ein ostpreuhisches Dorf gelten."
Dem Schulzen schwoll die Ader auf der Stirn. Cr ließ den Arm sinken und sah sich drohend im Kreise um.
„Nun lern' ich eure wahre Gesinnung kennen. Aber das sage ich euch: Ohne mich wird nicht gespielt. Einen zweiten Bismarck hat es in der Welt nicht gegeben und wird es auch in Kerschken nicht geben."
„Der richtige Bismarck," höhnte Mac Mahon.
Erregt fuhr der Schulze fort: „Wollt ihr es drauf ankommen lassen? Dann verbiete ich die ganze Vorstellung. Ein Wort von mir beim Landrat genügt."
„Dann fahren wir mindestens zwölf Mann hoch zur Regierung, zum Präsidenten."
Jetzt griff der Krugwirt ein. „Und ich gebiete auf der Stelle Feierabend, wenn ihr euch zankt. Ihr seid ja wohl nicht recht bei Trost. Ist euch das bißchen Rotspohn in den Kopp gestiegen? Ihr habt euch ja so, wie die Taglöhner beim zweiten Bummchen Schnaps! Schämen sollt ihr euch. Das sollte bloß nach Benkheim klingern, wie ihr euch gezankt habt!"
In dumpfen Schweigen hatte man ihm zugehört. Noch war der Groll nicht verflogen, aber das letzte Wort wirkte. Der Krugwirt benutzte die Pause, um die Tür zu öffnen und hinaus zu rufen: „Jette, bring mo! zwei Weißköppe und ein Dutzend Gläser rein." Mit geschickter Hand zerschnitt er den Draht und ließ die Pfropfen steigen. (Forljetzung ioigld
Der Bismarck von Kerschken
5) Ein lustiger Roman von Fritz Skowronnek
Lop^rigtl, tg2-t t>v Karl Köhler u. Co.. Berlin cv IS
(Nachdruck verboten.)
Er fragte noch einmal mit ganz Heller Stimme: „Hab' ich recht?" und sah sich triumphierend im Kreise herum. „Na seht ihr. Bloß immer auf mich hören. Ich weiß, wo die Glocken hängen, die euch läuten."
Der Handwerksbursch stieß halblaut pfeifend die Luft aus dem gespitzten Munde. Jetzt war ihm ein Seifensieder ausgegangen! Die Kerschker wollten Sedan feiern und dazu brauchten sie augenscheinlich einen Menschen, der den Napoleon spielte. Aber weshalb fand sich denn unter den armen Leuten des Dorfes keiner, der die Rolle übernahm. „Der Bismarck" wollte ja, wie der kleine Kerl gekräht hatte, zweihundert Gulden dafür zahlen? Und das war doch augenscheinlich der große Verdienst, auf den der Krugwirt angespielt battet
Die Sache mußte einen Haken haben aber welchen? Ob er einen von den Leuten danach fragte? Er griff wieder nach dem Glase. Dabei fiel sein Blick aus das dralle rotbackige Mädel, das hinter dem Schanktisch stand. Sie sah mit lachenden Augen aus das Gewühl der schwitzenden, lärmenden Menschen. Die würde ihm sicherlich Auskunft geben. Und da er die gute Lebensart noch nicht verlernt hatte, so nahm er seine Mütze ab und verneigte sich höflich:
„Verehrtes Fräulein, darf ich Sie mit einer Frage belästigen?"
Die dralle Margell lachte laut auf. „Na, red' schon!"
„Können Sie mir vielleicht sagen, wozu man hier einen Napoleon sucht?"
Das Mädel tat, als ob sie in die rechte Hand spuckte und holte kräftig aus. Die Pantomime war deutlich genug. Zum Uebersluß fügte sie noch hinzu: „De Körl kriegt von Bismarck awends gehörig Schacht und dat deit weh."
Der Handwerksbursch tat wieder einen halblauten Pfiff durch die Zähne. Also das war der Haken! Mit der Rolle des Napoleons war eine Tracht Prügel verbunden und deshalb fanden sie keinen Darsteller dafür! Er zog mit geballten Fäusten die Arme an sich und ließ die stahlharten Muskeln spielen. Die hatten noch wenig von ihrer Kraft verloren. Aber wahrscheinlich durfte man sich nicht wehren... sonst möchte er es vielleicht darauf ankommen lassen... und zweihundert Gulden haben... zweihundert Gulden.
Hatte der Krugwirt nichl auch von einer dauernden Stelle beim > Dorfschmied gesprochen? Das war vielleicht der „Bismarck". Dann konnte man annehmen, daß er eine energische Handschrift schrieb.
Der Krugwirt war indessen mit eiligen Schritten in das Herrenstäbchen geschritten. Ganz erregt fuchtelte er mit den Händen in derLuft.
„Kinder, wir haben einen Napoleon, wir haben ihn, sag ich euch!"
Als hätte der Blitz dicht vor ihnen eingeschlagen, so sprangen die Bauern von den Sitzen.
„Wo? Was? Wer?"
Nur Bismarck war ruhig sitzen geblieben. Mit einer großartigen Handbewegung gebot er Ruhe. „Laßt doch den Noon reden! Wo und was ist das für ein Mensch?"
„Ein Stromer! Eigentlich ein richtiger Handwerksbursche. Aber schon ein bißchen angebrochen. Er macht für hnudert Gulden alles, was wir wollen. Und das Beste: Er ist gelernter Schmied. Du, Bismarck, gibst ihm bis zum Feste Arbeit, du brauchst ja einen Gesellen."
„Nur immer ruhig reiten auf jungen Pferden, lieber Noon."
„Was heißt da ruhig reiten? Der Kerl paßt sogar in die Uniform. Wir brauchen keine neue machen zu lassen."
„Ach, das sind doch alles Nebensachen, lieber Noon," fiel jetzt Moltke in ärgerlichem Tone ein. „Die Hauptsache ist, ob wir ihn heute gleich mit allem bekannt machen, mit dem Prügeln meine ich."
„Du willst ihn doch nicht gleich zu Anfang prügeln?" scherzte Mac Mahon.
„Laß die schlechten Scherze," entgegnete Moltke mit strafendem Blick. „Ich will euch nur vor Torheiten bewahren."
„Na, wieso, weshalb denn ? So red' doch!" schallte es von allen Seiten.
„Wir müssen ihm reinen Wein einschenken . . ."
„Auch Champagner?" rief Riedelsberger dazwischen.
„Auch Champagner." fuhr Moltke unbeirrt fort, „wenn es nötig ist, und dann muß er ein Schriftstück unterzeichnen ..."
„Da kommt wieder der. Federfuchser," schrie jetzt der Schulze sichtlich erregt. „Ich werde die Sache anders anfangen. Wenn der Kerl nicht will, sperr ich ihn ins Spritzenhaus. Auf das Futter soll es mir nicht ankommen."
„Du, Bismarck," warnte Moltke, ,chas kann dir in die Bude regnen. Das ist Freiheitsberaubung."
„Was? Einen Stromer, der bettelt, sollte ich nicht einsperren können?"