Johann Wolfgang Goethe.

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Goethe und unsere Zeit.

Wie oft ist Deutschland schon da» Land der Mitte und daL Herz Europa« genannt worden! Wie wenig hat unsere Zeit aber die» Wort mit tiefer Besinnung ausgenommen, hat unsere Generation diese unsere Naturlage mit Gewissen»klar- heit und Erlebntsstärke als Schicksal erkannt und ergriffen. Wir Deutschen leben trotz allen Gerede« und Geschreibe« nicht al« ein Land der Mitte dahin: sondern nur al« ein Land, da« in der Mitte zwischen anderen Völkern und Kulturen lebt, daS jedermann ringsum offen steht, und auch jedermanns Geist und Wesen, Art und Wollen hemmungrlo« hereinfluten läßt. Wir Deutschen leben auch nicht als da« Herz Europa«: ach, so organisch klar fühlen, denken wir ja gar nicht mehr; da« Herz ist ja die Lebensquelle eine» Organismus, von der au« da« Blut in alle Teile de« Körpers hin und wider strömt, im warmen rhythmischen Pulsschlag. Wo aber durchpulsen, durchbluten wir heute Europa: unser Herz ist viel zu blut­leer, zu krastlo«, al« daß wir Lebensquelle sein könnten; sind wir doch nicht einmal Lebensquelle unserer selbst, sondern holen wir in frevelnder Vergessenheit unserer eigenen Natur wesenrfremdes Blut au« dem zivilisatorischen Westen mit seinem auf Wortgetöse und Wortgeschwall eingestellten Außen- und Aeußerltchkeitskult und au« dem dumpfen Osten mit sei­nem gärenden Asiatentum, und ahnen nicht, daß wir un« immer blutleerer machen.

DaS Land der Milte müssen wir wieder werden: ausge- tan dem Westen, Osten, Norden und Süden gewiß, aber was aus allen Weltteilen und Völkerschöpfungen auf un« ein- strömt, muß in unsere Mitte einfließen, in unser Herz drin­gen. WaS bei dieser Offenheit unser Herz nicht trifft, von unserem Herzen nicht ergriffen und verarbeitet wird, ist un­serem Herzen fremd und hat mit un« nicht« zu schaffen. Aus unserer eigenen Mitte herau« müssen wir leben: einströmen und aurströmen muß dar Blut unsere« Herzen«; e« mag sich mehr durch die aufgetane Verbindung mit der Welt, die nicht bloß die politische Erde umfaßt, sondern die gesamte Jrdisch- keit, das All, eS mag durch kosmische Hingabe vermehrt und bereichert werden; aber es kann seine Kraft nur immer aus seiner eigenen Mitte, au« seinem Organtsmu« bewahren.

Diese Heimkehr in unsere Mitte, die« Leben au« unserer

Zu seinem (75. Geburtstag, 28. August.

Mitte herau«, dies Sammeln in unsere Mitte hinein und dies Wachsen, Ein- und AuSströmen au« unserem Herzen ist Goethescher Sein. Goethe war und ist der Mensch der orga­nischen Mitte, der Mensch des pulsenden Herzen«. Aufgetan gegen Ost und West, gegen daS Licht des Orient« und die Zivilisation und Humanität des Okzident« lebte er mit Ma- homet, dem allgegenwärtigen, unbegrenzten, alliebenden Gotte, als religiöser Pantheist und morgenländischer Frommer; lebte er mit Prometheus, dem schöpferischen Menschen, dem Künst­ler, Tätigen, Kämpfer, Gottmenschen, Diesseitigen, als Kul­turgläubiger, humaner Europäer, der Volkheit Verbundener, die Geschlossenheit de« Werkes Suchender und Schaffender. Er war aber niemals Mahomet oder Promotheus, sondern stets aus eigener Kraft beide zugleich, eine Einheit aus und über ihnen. Er verfiel nicht dem Geiste de« Buddhismus, der das Leben als ein Leid auch noch über den Tod hinaus in der Seelenwanderung lehrt und das Nichtsein, das Nir­wana als höchste Seligkeit preist. Er ging, ein Apolltniker, über das Leid tätig hinaus, suchte die Erlösung von ihm durch die Tat, und die Tat war für ihn die Kunst, die Gestaltung de« Le­ben« zur Kunst, sein Ziel war nicht daS Nichtsein, sondern der vollendete, der selige Mensch de« Griechentum«, des Abend­länder. Er nahm aber au« der östlichen Well nicht be­wußt, sondern aus eigener Natur es bildend und später erst durch Aufnahme weiter klärend, eine andere Kraft; die Kraft der Einheit mit Gott; der abendländische Europageist hat durch den von der Religion, von der Vergottung losgelösten For- schungS- und Erkenntnistrieb den Menschen das Subjekt vom Objekt, den Menschen von Gott getrennt und in einen zer­reibenden Dualismus htneingestoßen. Goethe machte diese Philosophie nicht mit: Gott und die Erde, Gott und der Mensch, Subjekt und Objekt waren und blieben ihm eine Einheit. Die Urpflanze, das Urphänomen, die Schiller als Idee" mit Recht ansprach, ward von Goethe mit ebendem Rechte als erschaut, als erlebte, geschloffene Form voll eigenen Gehalte« erfahren, ergriffen. So gab es für ihn jene ein­seitige abendländische Zivilisation, die vom Gegensatz zwischen Sein und Sollen, Wissenschaft und Gesetz, Erkenntnis und Religion lebt, nicht, sondern er ging den Weg de« Kultes, der Kultur aus der Einheit der göttlichen Natur heraus, die Bahn der notwendigen, gesetzmäßigen, organischen Schicksal- Hastigkeit.

Er ging diese Bahn aus selbstverständlicher Einheit der Gottnatur, mit de« Lebens Mitte, mit dem Herz der Web Er wurzelte in dem Erlebnis von der ewigen Noiniendlafli,' vom Dämon in uns, von der geprägten Form, die sich ent! wickelt, von dem Gesetze nach dem wir angetreten. SchjM. Haft ist die Bahn-und die Richtung aller Dinge: östlich m er, wenn er die Ergebung in diese gesetzhafte Schicksalbindun» des Individuums und de« Weltganzen anerkennt. WesM

aber ist es, wenn die Ergebung ihm nicht, wie den Buddhisten

gleichbedeutend mit Untätigkeit ist, sondern er aktives Leben aus der Bahn des Schicksal« verlangt: wie die Pflanze, die zwar in sich den Grund ihres Gesetzes trägt, doch nur' sich entfaltet, wenn sie sich zum Licht, zur Sonne tätig gegen alle Schatten und Trockenheiten durchringt, so läßt er auch nicht von der Forderung der Tätigkeit des Subjekts. Ma­homet, der Orient, brachte ihm die Weite de« Alls, die rell giöse Einheit; Prometheus, der Okzident, aber den Tatwille» des Individuums, der einzelnen, geschlossenen Form: bch erst stellten ihm das Leben dar, die größte Einheit und W. heit als ein passiv-aktiver Organismus, al« eine von All»i- fühl und Etnheitsaefühl durchflutete, in Zeit und Raum wirkende geprägte Form, die sich entwickelt, als eine Persön­lichkeit, die Gott als die Kraft der Bewegung, der Entwickln»,, immer in sich lebendig fühlt und die Botschaft der Tat zu, Religion der drei Ehrfurchten vor dem, was über uns, war uns gleich und was unter uns ist, mit dem Ziel der Ehrfurcht vor un« selbst erfüllt.

Als wundervollste Verkörperung des ewigenStirb und Werde" muß Goethe Deutschlands Geist heute wieder sühn». Dann ersteht die deutsche Wiedergeburt daraus: religiös dm All verbunden, doch nicht im All verloren, sondern in Selbst­behauptung dem All vereint und tätig daS Licht verehrend, nach Reinheit, Klarheit. Ordnung drängend, der Gemeinschast und der Weltbejahung zustrebend, aus der Mitte unserer Wesenheit heraus uns entwickelnd, als das Herz EuroM Blutströme ein- und ausströmend in fruchtbarstem Lebe»», rythmus. GoethesWilhelm-Melster"-Roman undFaust' sollten wieder die irdische Bibel Deutschland« werden und«, die Stelle all der Tolstoi-, Tagorebücher wesensfremder U ten treren.

Bunte Ernte aus seinen Werken.

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Willkommen und Abschied.

E« schlug mein Herz: geschwind zu Pferde! E« war getan, fast eh' gedacht.

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht;

Schon stand im Nebelkletd die Eiche,

Ein ausgetürmter Riese, da,

Wo Finsternis au« dem Gesträuche Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel Sah kläglich au« dem Duft hervor,

Die Winde schwangen leise Flügel, Umsausten schauerlich mein Ohr;

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,

Doch frisch und fröhlich war mein Mut:

In meinen Adern welches Feuer!

-In meinem Herzen welche Gluti

Dich sah ich, und die milde Freude Floß von dem süßen Blick auf mich:

Ganz war mein Herz an deiner Seite Und jeder Atemzug für dich.

Ein rosenfarbe« Frühltng«wetter Umgab da« liebliche Gesicht,

Und Zärtlichkeit für mich ihr Götter!

Ich hofft' es, ich verdient' e« nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne Verengt der Abschied mir da« Herz:

In deinen Küssen welche Wonne!

In deinem Auge welcher Schmerz!

Ich ging, du standst und sahst zur Erden Und sahst mir nach mit nassem Blick:

Und doch, welch Glück, geliebt zu werden! Und lieben, Götter, welch ein Glück!

Mailied.

Wie herrlich leuchtet Mir die Natur!

Wie glänzt die Sonne! Wie lacht die Flur!

S« dringen Blüten Au« jedem Zweig Und tausend Stimmen Aus dem Gesträuch.

Und Freud' und Wonne Au» jeder Brust.

O Erd', o Sonne!

O Glück, o Lust!

O Lieb', o Liebe!

So golden schön,

Wie Morgenwolken Auf jenen Höhn!

Du segnest herrlich Das frische Feld,

Im Blütendampfe Die volle Welt.,

O Mädchen, Mädchen, Wie lieb' ich dich!

Wie blinkt dein Auge! Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche Gesang und Luft,

Und Morgenblumen Den Htmmelsduft,

Wie ich dich liebe Mit warmem Blut, Die du mir Jugend Und Freud' und Mut

Zu neuen Liedern Und Tänzen gibst,

Sei ewig glücklich, Wie liebst du mich!

Mauderlied.

Von dem Berge zu den Hügeln, Niederab das Tal entlang,

Da erklingt es wie von Flügeln, Da bewegt sich'« wie Gesang;

Und dem unbedingten Triebe Folget Freude, folget Rat;

Und dein Streben, sei'« in Liebe, Und dein Leben sei die Tat.

Denn die Bande sind zerrissen, Das Vertrauen ist verletzt;

Kann ich sagen, kann ich wissen, Welchem Zufall ausgesetzt,

Ich nun scheiden, ich nun wandern, Wie die Witwe, trauervoll,

Statt dem einen, mit dem andern Fort und fort mich wenden soll!

Bleibe nicht am Boden heften. Frisch gewagt und frisch hinaus! Kopf und Arm mit bettern Kräften, Ueberall sind sie zu Haus:

Wo wir uns der Sonne freuen, Sind wir jede Sorge los;

Daß wir uns in ihr zerstreuen, Darum ist die Welt so groß.

Frühling.

Schwankend im Morgenwinde wiegen sich die jungen Zweige Die Blumen von den Becken schauen uns mit ihren Kinder­augen freundlich an.

Der blaue Himmel ruhet über uns Und an dem Horizonte löst der Schnee Der fernen Berge sich in leisen Duft!

. lTaffo).

Trost des Dichter».

Alle« ist dahin! Nur eine« bleibt:

Die Träne hat un« die Natur verliehen,

den Schrei de« Schmerzens, wenn der Mann zuletzt

er nicht mehr trägt Und mir noch über alles

Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede, die tiefste Fülle meiner Not zu klagen:

Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,

Gab mir «in Gott, zu sagen was ich leide!

(Taffo).

ziedr.

In unser« BusenS Reine wohnt ein Streben sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten aus Dankbarkeit freiwillig htnzugeben enträtselnd sich den ewig Ungenannten;

Wir heißen's: fromm sein! Solcher seligen Höhe fühl ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe.

(Marienbader Elegie.)

Aus dem Faust.

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen: die eine hält in derber Liederlust sich an die Well mit klemmenden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Duft zu den Gefilden hoher Ahnen.

O, gibt es Geister in der Lust,

die zwischen Erd' und Himmel herrschend weben,

so steiget nieder aus dem goldnen Duft

und führt mich weg zu neuem, buntem Leben!

»

Entbehren sollst Du! Sollst entbehren!

Da« ist der ewige Gesang Der jedem an die Ohren klingt Den, unser ganzes Leben lang,

UnS heißer jede Stunde singt.

»

So gib auch mir die Zeiten wieder Da ich noch selbst im Werden war Da sich ein Quell gedrängter Lieder Ununterbrochen neu gebar,

Da Nebel mir die Welt verhüllten Die Knospe Wunder noch versprach Da ich die tausend Blumen brach Die alle Täler reichlich füllten.

Ich hatte nicht« und doch genug:

Den Drang nach Wahrheit und Lust am Trug. Gib ungebändigt jene Triebe Das tiefe, schmerzensvolle Glück,

Des Haffes Kraft, die Macht der Liebe Gib meine Jugend mir zurück!

*

Die wenigen...

Die töricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten, Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.

*

Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um er zu besitzen.

*

Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen,

Daß du ein Mensch mit Menschen bist!

*

Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen, Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen. .

Wa« wär' ein Gott, der nur von außen stieße Im Kreis da» All am Finger laufen ließe?

Ihm ziemt'«, die Welt von innen zu bewegen Sich in Natur, Natur in sich zu hegen Daß alles, was in ihm lebt und ist Nie seinen Geist, nie seine Kraft vermißt!