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Nr. 88
mit äer Beilage
„Unsere Heimat"
Gegründet 1826.
Nagoläer ^agblatt
mit illustrierter Sonntagsbeilage
„§eierstunäen"
Schriftleitung, Druck und Verlag von G. W. Zatser llkarl Zaiser) Nagold.
Samstag den 12. April 1924 Fernsprecher Nr 29
«erbreitctste Zeitung tm Oberau tSbeztrl. — An« zeigen fir d daher vo» beste« »rfolg.
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Au FSlln» vor Hühner »«> «alt besteht k'i» «alpruih «s Ueferu», der Leitung »dn aus »k»ckillhl-m, d. »„uggvrelse«.
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98. Jahrgang
Wirtschaftskrise
und Sozialpolitik
Dem BeispiÄ'des Reichssinanzministers folgend, hat nun auch der Reichsarbeitsminister Dr. Brauns in einer Schrift einen Tätigkeits- und Rechenschaftsbericht seines Ministeriums erstattet. Ueber die verflossenen fünf Jahre der Nachkriegszeit fällt der deutsche Sozialminister das zusammenfassende Urteil, daß sie kein Aufstieg, sondern ein Abstieg gewesen seien. Aeußeres Anzeichen dieses Verfalls war die Gestaltung der Währung, deren Sturz erst Lude vorigen Jahrs,mit der Schaffung der Helfferichschen Rentenmark zum Stehen gebracht wurde. In diesem Augenblick, wie Dr. Brauns meint — tatsächlich wohl schon früher —, erscholl der Ruf nach Abbau der Sozialpolitik, der uns zu einer Wiedergesundung unserer Wirtschaft verhelfen sollte. Die Reichsregierung ist ihm so weit nachgekommen, wie es notwendig war, um die Produktion so gut wie möglich wirtschaftlicher zu gestalten und um den öffentlichen Haushalt, soweit es in unseren Kräften liegt, ausgleichen zu helfen. Aber über dieses Maß sozialpolitischer Einschränkung wird die Reichsregierung, wie Dr. Brauns bestimmt erklärt, nicht hinausgehen. „Die Notwendigkeit, die Berechtigung, die Nützlichkeit der Sozialpolitik, des Schutzes der Arbeitskraft, des Schutzes der wirtschaftlich Schwachen werden nach wie vor aufrechterhalten. Vor allem bleibt das Gebiet des Arbeitsrechts, das Koalitionsrecht, der Tarifvertrag, das Schlichtungswesen usw. unberührt."
In breiten Ausführungen befaßt sich dann die Schrift mit den Kämpfen um die Arbeitszeit, deren schließliche Regelung als eine den berechtigten Interessen beider Teile wie auch der Allgemeinheit entsprechende bezeichnet wird. Hinsichtlich der Anerkennung des Washingtoner Abkommens über die Arbeitszeit betont Dr. Brauns die seltsame Haltung der Sozialdemokratie, die öfter die Gelegenheit nicht wahrgenommen habe, durch ihr nahestehende Negierungen die Ratifizierung des Abkommens vorzunehmsn und ausgerechnet jetzt daraus dringe, während in der übrigen Welt die Ansichten über die Zweckmäßigkeit eines Beitritts Deutsch-
OnD'szum "Abkommen sehr geteilt seien. Am Nahmen der Sozialpolitik Löhne zu „machen", sei nicht möglich, und das Ministerium habe sich auch darauf beschrankt, durch seine Schlichtungs- und Schiedsinstanzen das wirtschaftlich Mögliche zu Gunsten des Arbeitslohns herauszuholen.
Mit erfreulichem Nachdruck weist Dr. Brauns auch an dieser Stelle noch einmal die der deutschen Industrie vom Ausland und auch von manchen Kreisen des Inlands gemachte Beschuldigung der Schyrutzkonkurrenz zurück. Selbst wenn die Kaufkraft der deutschen Löhne niedriger liegt als vor dem Krieg, so verteuern doch der Diskontsatz, die Frachten, die Steuern und andere Lasten die deutsche Produktion derartig, daß unsere Gesamtproduktionskosten sich jedenfalls nicht unter denen des Auslands halten. Die Sparmaßnahmen, die mit Rücksicht auf die Ausgabeseite erforderlich wurden, erstrecken sich im besonders großen Umfang auf bas Versorgungswesen und auch auf die Militärrenten. Dr. Brauns selbst bezeichnet die für die letztem getroffene Regelung als vom menschlichen Standpunkt äußerst unbefriedigend, glaubt aber schon für die nächste Zeit eine gewisse Erhöhung der Verstümmlungszu- tage und des K r i e g e r w i t w e n - und -waisen- gelds in Aussicht stellen zu können. Ebenso zwang die Rücksicht aus den öffentlichen Haushalt, die Sätze der Er- werbslosenunterstütz'mg auf ein Mindestmaß zu halten, sie
Auch halbmonatlich
kan« »Der Gesellschafter" bei unserer Geschäftsstelle bestellt werden-
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sollbn MöH M»aW"Me krgeftd nMflichst äckMbeffert werden. An dem Gedanken, die Angestellten, auch die mit höherem Einkommen, zur Arbeitslose nversicher u'n g heran- -uzichen, hält die Regierung fest; sie sucht aber erst noch ^ach einer brauchbaren Verwirklichung. Die Wohnungsfürsorgepläne des Reichs sind durch die dritte Steuer- notverordmung durchkreuzt worden. Sie hat die für den Wohnungsbau vorgesehenen Mittet allgemeinen Finanzzwecken zugeführt. Eine praktische Förderung des Wohnungsbaues erblickt der Reichsarbeitsminister in einer stärkeren Entwicklung des zwei- und mehrstelligen Realkredits, der dem Baulustigen nach privatwirtschaftlrchen Grundsätzen als verzinsbares Hypotheftnkopital gegeben werden soll. Reichsinittel allerdings kämen nicht in Betracht.
Die deutsche Sozialversicherung ist nach Dr. .Brauns über die schlimmste Krise hinweg. Der Haushalt der Bersicherungsträger habe sich sichtlich erholt, und heute sei das Gleichgewicht im allgemeinen wieder berg stellt, ohne daß dis Leistungen in wesentlichen Punkten gekürzt worden sind. Auch das Arbeitsrecht der Nachkriegszeit ist erbalten geblieben. Unberührt bestehen die gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Regelung der Är- beitsverhältmsse, die Koalitionsfreiheit und die Anerkennung der Gewerkschaften. Dasselbe gelte vom Tarifvertrag, vom paritätischen Schlichtungswesen und vom Betriebsrätegesetz. Auch die Stilleaungsnerordnung, das Schrverbeschädigten- gesetz und die neuen Arbeitsnachweiseinrichtunmn bestehen weiter zu Recht, so daß Dr. Brauns zusammenfassend feststellt, daß von einem Abbau der Sozialpolitik keine Rede sein kann. Die Opfer, die wir auf diesem Gebiet g-bracht haben, seien nicht vergeblich gewesen, denn sie hätten wesentlich dazu beigetragen, die neue Währung zu stützen und die Wirtschaft miedet in Gang zu bringen. Auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit wird von Dr. Brauns günstig dahin gedeutet, vatz eine Wiederbelebung der Wirtschaft im Gang sei- „Wenn die kommenden Wiederherstellungsverhandlungen die unumgänglich notwendige außenpolitische Beruhigung bringen, ist das deutsche Volk wahrscheinlich über di» schlimmste Not hinweg."
Von M. Rogge.
Die Härte der Entbehrungen und Opfer in der Kriegs- zeit, die Schwere der Prüfungen und Nervenverwirrungen in den Nachkriegsjahren haben in recht vielen unserer Volksgenossen — und nicht einmal immer in den schlechtesten — eine Verdrossenheit aufkommen lassen, die sich schon allgemein gegen alles richtet, was mit Politik und mit dem Leben und Wesen des Staates zusammenhängt. Nicht zuletzt mag an dieser für das Wohl und Gedeihen des Volksganzen so verderblichen Erscheinung das Aufwuchern jener öden Nur-Parteipolitik schuld sein, die Tausende und aber Tausende sonst gewiß ehrlicher Vaterlandsfreunde immer mehr die Politik fliehen ließ und, wie es nun einmal menschlich allzu menschlich ist, auch den wichtigen Lebensfragen des Staates entfremdete. Unzufriedenheit und Ermüdung machten sich in immer weiteren Kreisen bemerkbar. Eine geschickte Hetze von seiten zersetzender Elemente im Volke selbst, unterstützt von außen durch nicht minder geschickte mit allen Mitteln arbeitende Feinde unseres niedergerungenen und entrechteten Vaterlandes, tat das Ihre, um iit verstecktem Spiel Mißverständlichkeiten zu steigern, Gegensätze zu vertiefen und wirtschaftliche Drangsale aller Art auszunutzen und ansurschlachten gegen die uns Deutsche einst heiligste Idee, das Staatsprinzip.
Wiederum stehen wir vor wichtigen Entscheidungen nach außen und im Innern. Auf die Gestaltung der Dinge selbst, wie sie sich aus dem Spruch der Interalliierten Kommission ergeben wird, haben wir nur bedingten Einfluß. Das Ausmaß desselben jedoch hängt nicht zum geringsten wieder davon ab, wie weit wir im Innern aus uns selbst heraus zu erstarken und der Welt und unseren ehemaligen Widersachern den Beweis zu erbringen vermögen, daß wir nicht an uns verzweifeln, sondern gewillt sind, durch unserer Hände Arbeit den uns rechtmäßig zukommenden Platz an der Sonne uns wieder zu erringen. Findet man uns end« nch als ein in seiner Mehrheit einiges und geschlossenes Lolk, so dürfen wir mit Zuversicht annehmen, daß auch diejenigen, die kraft ihrer militärischen Uebermacht heute noch unumschränkt über uns bestimmen zu köiznen wähnen, in strer auf Realitäten eingestellten Politik, die doch letzten emdes des Urteils der Weltmeinung nicht entbehren kann, unserer inneren Kräftigung Rechnung tragen müssen. Hieraus ergibt sich, daß wir alle, welcher politischen An- ichauung wir auch immer huldigen, mehr teilnehmen müssen als bisher am Leben des Staates, und wir an seinem Ee- weit mehr interessiert sind, als wir Durch- sch^Esburger vielleicht im aufreibenden Kampfe gegen die tägliche liebe Not annehmen.
. „ lratsbürgerpflichten bedeuten nicht nur nn Leibblatt die Reden unserer Volks- und Parteiführer zu lesen oder die oft so bitterschweren Kämpfe zu verfolgen, die lene an verantwortungsvoller Stelle stehenden Männer aus-
zufe'chten Haben, um unserem Volke wenigstens einigermaßen erträgliche Lebens- und Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Staatsbürgerpflicht erschöpft sich auch nicht in einer mehr oder mindern — zumeist das letztere — bereitwilligen Zahlung der geforderten Steuern und Abgaben, ebensowenig in der selbstverständlichen Einhaltung der Gesetze, in der Fernhaltung von staatszersetzenden Elementen und der Bekämpfung eben diesem Staate feindlicher Unternehmen. Staatsbürgerpflicht ist etwas Hohes und Edles, ist schlechthin die Erundpflicht eines jeden deutschen Mannes heute noch weit mehr denn einst in Elückstagen unseres Vaterlandes, als der Dichter Hamerling noch das uns jetzt fast beschämend stolze Wort prägen konnte: „Pflicht — Treue — Mann, du sprichst in Germanismen!"
slerbsnös Oeutrcke KeieklllsZ
Die Zusammensetzung des alten Reichstages.
Die kommenden Wochen stellen den deutschen Staatsbürger vor eine besonders wichtige und unabweisbare Pflicht. Er wird zu prüfen haben, wer unter den vielen von den verschiedenen Parteien dargebotenen Volksführern ihm nach seinem besten Wißen und Gewissen am geeignetsten erscheint, um das deutsche Volk in der bevorstehenden entscheidungsschweren Zeit im Parlament zu vertreten. Nicht nur die wahlgewöhnten Männer, sondern zum dritten Mals ruch unsere Frauen werden damit vor eine lebenswichtige Entscheidung gestellt, denn es handelt sich um Reichstags- Dahlen, wie so bedeutungsvoll vielleicht noch nie zuvor in zer Geschichte des Deutschen Reiches vorgenommen worden änd. Wie man auch wählen mag, es kommt letzten Endes darauf an, daß das deutsche Volk geschlossen den Weg ,ur Wahlurne antritt, daß sich ein jeder unter uns be- oußt ist, das Geschick unseres Vaterlandes im Augenblick
der Mahl mitzubeeinfluffen, und daß Wahlenlbaltung, welche Gründe auch immer dieser oder jener Vordringen mag, unentschuldbare Fahnenflucht vor dem Feinde bedeutet. Wahlpflicht ist Staatsbürgerpflicht, dieses Wort sollte sich in Hirn und Herz eines jeden einhämmern, der auch nur einen Funken Vaterlandsliebe im Leibe spürt. Es ist erfreulich, festzustellen, daß die Erkenntnis der auf allen lastenden Verantwortung schon bei den letzten Wahlen auch in Kreisen der vor dem Kriege leider hier nicht immer tatkräftig genug mitwirkenden bürgerlichen Wähler sich immer weiter ausgebreitet hat. Ls ist daher zu hoffen, daß auch in dem bevorstehenden Wahlgang dar Bild der Eesamtwahl, wie es sein soll, auch den Willen desgesamten Volkes widerspiegeln wird. Um so betrüblicher wäre es, wenn heute so mancher sonst sich gern als „Patriot" bezeichnende Bürger seine vornehmste Staatsbürgerpflicht vernachlässigen wollte, nur weil er den Parlamentarismus vielleicht überhaupt als „überlebt" ansteht oder weil er den billigen Redensarten von der sogenannten „Schwatzbude" folgend, es als unnütz erachtet, für irgendeine Partei zu stimmen, da diese seiner Meinung nach doch „samt und sonders" nichts taugen.
Nichts wäre falscher als dies! — Zugegeben, daß man sich eine Volksvertretung zuweilen aktiver tätig für das Volkswohl und tatkräftiger, in ihren Handlungen als in ihren Worten vorstsllen könnte, zugegeben ferner, daß auch die politischen Parteien menschliche Gebilde mit menschlichen Fehlern sind, — hierin aber einen Entschuldigungsgrund für seine Wahlmüdigkeit suchen zu wollen und dafür, daß man nicht Mitarbeiten will an der Besserung der Dinge, ist offen heraus gesagt Volksverrat. Im Gegenteil, die Vergangenheit ruft geradezu nach energischer Mitarbeit an der Ausgestaltung eines Systems, das manchem vielleicht noch immer ungewohnt oder aus diesen oder jenen Gründen nicht sympathisch ist, aber doch nun einmal der einsichtigen Mehrzahl der deutschen Staatsbürger als Ideal vorschwebt, zu dessen Vervollkommnung jeder neue Wahlakt — und so auch dieser — führen kann und wird. Nur durch Volksgemeinschaft und Zusammenschluß aller Kräfte können wir wieder aus unserer schweren Not zu besseren Lebensmöglichkeiten kommen. Verbittertes oder träges Veiseitestehen schadet jedem unter uns gleichermaßen und schwächt die Gesamtheit, an deren Wohl und Wehe wir doch nun einmal unlöslich gebunden sind.
Wenn also in nächster Zeit in deutschen Landen der Ruf an alle ergeht, denen das Gesetz Wahlfähigkeit zu- sprrcht, dann wolle man an ein kraftvolles Fichtewort sich erinnern, das ein vaterlandsbegeisterter «eudeutjcher Dichter in diese Worte faßte:
„. . . und handeln sollst du so,
Als hinge von dir und deinem Tun allein
Das Schicksal ab der deutschen Dinge,
Und die Verantwortung war dein."