Aus Stadt und Bezirk.
Nagold, den 22. Mai 1922.
* Iugendtagung in Nagold. So wie gestern muß die Mai-Sonne aus die blühende Welt herunterscheinen, alle schlimmen Wolken und alle düsteren Stirnen müssen verschwinden. wenn junge Menschen, gegen 300 aus dem ganzen Württemberger Land nach Nagold kommen, um sich zu suchen zu einem Händedruck und einem frohen Blick des Einverständnisses. Wie sie gekommen sind mit ihren von vielem Wandern braungebrannten Stirnen und den klaren, hoffenden Augen und mit ihren frischen Liedern! „Ein Spielmann ist aus Franken kommen —" mit alten verwetterten „Klampfen" und mit abgegriffenen, aber doch so frisch tönenden Geigen.
In der Seele wohl hat er einem getan, wenn man die stämmigen Buben und die fröhlich ungezierten Mädel alle einen Geistes vom Bahnhof herunterziehen sah, und merkte, wie die edelste Freude in ihren Gesichtern wiederleuchtete, als sie vor der Turnhalle dis vielen unbekannten und doch so nah verwandten Menschen, Müder und Schwestern eines Geistes in kleinen und eifrigen Grüppchen stehen sahen. Für den Eingeweihten waren zwar diese Leute nicht so einheitlich: viele kleine Gruppen mit den verschiedensten Namen, viele Wimpel mit sinnvollen Aufschriften: „Uffrecht und grodrauS", „Wahrheit und Liebe", blaue Studentenmützen neben langhaarigen Bubenköpfen zeugten doch etwas davon, daß eS nicht bloß Leute waren, die sich mit ihresgleichen wieder freuen wollten, und daß nicht nur Maienlust und der blaue Himmel sie angelockt hatten. Sie wollten arbeiten, sagte ein Redner in der Versammlung am SamStag abend. Und wahrhaftig, man spürte eS den Reden am SamStag abend und Sonnt ag früh an. daß ein großer gemeinsamer Wille da war, etwas zu schaffen, nicht bloß zu spielen und sich über Dinge zu besinnen, die auch den Nettesten noch Kopfschmerzen machen. Handelte eS sich doch um nichts geringeres als einen Zusammenschluß der Jugend zu einem sozialen Handeln und Helfen. Wollten doch diese jungen Menschen gemeinsam sich unterstützen, aus der öden Enge des Philistertums, aus dem Sumpf einer versinkenden Gesellschaft, vom Bier und der Zigarette und von allen Zeichen eines besinnungslos geldgierigen Lebens wegzukommen. Zusammen wollte diese Jugend aller Ständers machen und so bot der Teil der Jugeno, der nach Abstammung seiner jungen Mitglieder der .bürgerliche" genannt wird, dem andern Teil, der „proletarischen Jugendbewegung" die Hand zur Mitarbeit, die nur möglich war durch eine Erklärung, in der sie versprach, allen gesetzlichen Bestimmungen über den Schutz der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter durch tätige Abhilfe von diesbezüglichen Mißständen Geltung zu verschaffen. Dieser Beschluß wurde von wenigen Vertretern der anwesenden Jugendgruppen während der Zeit gefaßt, als Kaspar aus dem Schloßberg mit verschiedenen Bösewichtern und andern Holzköpfen Theater spielte, solange bis ihn der gehörnte und geschwänzte Teufel holte. Die fröhlichen Menschen mit den unschuldig lachenden Augen und den leichten Beinen im Burghof auf dem Schloßberg werden nnS ja noch lange im Gedächtnis bleiben. Tänze und Reigen, wie sie aus ursprünglichem Volksempfinden herauskommen und die man sich nicht fern genug von allem Parkett, von aller Toilette und Flitter denken kann, sind gesungen und gesprungen worden, und die Tänzer und die Staunenden sind wohl alle gleich gut auf ihre Rechnung gekommen. Ich meine, diese Tänze soll man nicht zum Gegenstand einer wohlwollenden Kritik machen, denn sie sind Erlebnisse und nicht Kunstpro- dukte, aber wundersame Melodien liegen mir noch im Ohr, wenn ich an die Verse denke:
Tanzt das Volk im Kreise, Rundinella,
Tanzt nach alter Weise, Rundinella,
Und ich sing' und spiele mitten im Gewühls, Rundinella.
Oder die „redlichen Herren der Simon von Celle", die auf die Brautschau gehen. Ihr Schloß, das sie den Jungfrauen anbteten, trägt ihnen nur einen Korb ein. Nun bringen aber die Biedermänner ihr Herz dar und „voll Freud reitet Simon von Celle, voll Freud die redlichen Herren, voll Freud die Biedermänner alle", denn nun haben
sie alle ihre „Frau Meisterin". "Jetzt kommt der Herr Leichenbitter mit seiner Frau, jetzt kommt der Herr Professor (mit den wackeligen Beinen und der Hornbrille auf der Nasenspitze) auch mit seiner Frau" und sie könnens alle wirklich „so schön".
Einer der Zusehenden sagte leise aber doch für mich hörbar: „Da steht man, daß doch noch natürlich sich gebende Menschen da sind". Das hat mich gefreut, weil ich glaube, daß viele, die am SamStag und Sonntag mit aufmerksamen Augen diese jungen Menschen angesehen haben, doch spürten, daß dar ein kräftiges und gesundes Geschlecht ist. Wenn sie auch diese ungewohnten Lebensformen noch nicht begriffen, so mußten doch viele denken, daß diese Jugend ein Stück Zukunft bedeutet und wahrlich nicht die schtechteste Zukunft, denn sie will ja heraus aus einer gewissen, gesellschaftlich anerkannten Unstttlichkeit, ein reineres und natürlicheres Leben von sich aus beginnen. Ein Stück solche Zukunft — ein Strahl Hoffnung aufetne künftigebessereZett unseres Volker!
Frühjahrskovzert des Verein. Lieder« u. Sängerkranz.
Trotz des herrlichen Wetters, daS alt und jung hinauslockte in Gottes schöne Natur, durfte sich das gestrige Konzert des verein. Lieder- und Sängerkcanzes eines außerordentlich zahlreichen Besuchs erfreuen. Und eS verlief, wie wir eS ja nicht anders gewöhnt sind, in allen Teilen schön und erhebend. Das Programm war bezüglich der Männerchöre ganz auf den Frühling eingestellt: frove Weisen von LenzeSlust und Wandern, aber auch ernste Klänge von der freudlosen Fremde, von Heimweh und Heimkehr. Im Wechsel mit dem Chor trat Herr Morlang-Stuttgart als Violinkünstler auf. Ein Künstler in jeder Hinsicht! Technische Schwierigkeiten scheint eS für ihn nicht zu geben; war er an Beherrschung seines Instruments zeigte, erregte allgemeinde Bewunderung. Daneben aber hat das Tiefempfundene und Seelenvolle seines Spiels die Hörer sichtlich ergriffen. Die Begleitung lag in den bewährten Händen des H. Hauptl. Nicht. Sie war in Anbetracht der gerade für die Begleitung mitunter sehr schwierigen Texte meisterhaft. Der Liederkranz und sein rühriger Dirigent können mit stolzer Befriedigung auf die wohlgelungene Veranstaltung zurückblicken und des Dankes aller Zuhörer versichert sein.
* Au« dem Staatsanzeiger. Die Eisenbahn General- direkiion hat die Stelle de« Oberkassenvorstehers in Eutingen dem EisenbahnobersekretärUnger in Heidenhstm übertragen
Drum prüfe, wer sich ewig bindet!
en. "Schwere Sorgen um die Zukunft unseres Volkes muß' die überaus starke Zunahme der Ehescheidungen in Deutschland erwecken. Nach Zeitungsnachrichten ist ihre Zahl im Jahr 1920 auf 36 650, gegenüber dem Vorjahr um 14 528 oder 65 Prozent gestiegen. Die Ursachen dieser bedenklichen Erscheinung liegen zum Teil auf der Hand. Unbedachte Eheschließungen während des Kriegs und unmittelbar nach der Heimkehr, Entfremdung der Gatten während des langen Fernseins, die Wohnungsnot, alles das kommt in diesen Zahlen zum Ausdruck. Aber auch die durch den Krieg mit verursachte erschreckende Verbreitung der Geschlechtskrankheiten, die Verherrlichung des ungezügelten Trieblebens in Literatur, Theater und Kino, die neue Vergnügungs- und Alkoholfluk, das Gebaren gewisser Heiratsbüros, das Fehlen einer tatkräftigen geistigen Grundlage für das gemeinsame Leben, die ganze Ssslenlostgkeik
der „modernen" Kultur-das alles hilft dis Ehe, die
Urzelle des Volkslebens und des Saals, zerstöre». „Heiraten heißt seine Rechte halbieren und seine Pflichten verdoppeln." „Die rechten Ehen werden im Himmel geschlossen» — so spricht der Volksmund. Hier muß der Hebel angesetzt werden: vertiefte Lebensauffassung, Selbstzucht, Reinheit, Dienstbereitschaft, Verankwortlichkeitsgefühl gegenüber dem Lebensgefährten und der Zukunft, Rückkehr zu den Quellen des deutschen Gemüts und des Glaubens — dann gibl-es wieder mehr deutsche Treue, deulsches-Fami- lienleben und deutschen Aufstieg.
Verbot des Notgelds? DaS Reichsfinanzministerium hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der allen Gemeinden, die Notgeld auSgegeben haben, die Auflage erteilt, dieses
Geld bi« 30. Juni d. Js. einzulösen. Die Ausgabe weiteren Gelds wird verboten. Ausnahmen kann der Reichsst- nanzminister zulassen. Auf die Uebertretung des Gesetzes sind Strafen bis zu 100000 gesetzt.
Bis Fracht teurer als daS Produkt. Zu welch unsinnigen Erscheinungen die andauernden Gütertariferhöhungen führen.Hie in der Regel noch verbunden sind mit einer großen Systemlosigkeit in der Einlarifierung der verschiedenen Gülerarken, mag folgendes Beispiel zeigen, das sich auf den Transport von Braunkohle von einer rheinischen Grube nach einer rund 260 Kilometer entfernt liegenden Absatzstelle bezieht.
Frachtsätze je 10 To. Steigerung in A Preis je 10 To.
<1913 — 100) Braunkohle ab Zeche 1621 — 740.- ^1 115 g Nov. 1021 - 357.50
Dez. 1921 — 1110.— 1734 Dez. 1021 — 546.—
Febr. 1922 - 1500.— 2343 Febr. 1922 - 737.— ^
März 1922 - 1800.— 2800 März 1922 - 837.—
April 1922 - 2250.— -K 3890 April 1922 - 1290.— -Zl
Gült! ngen» 20. Mai. Zu dem Familiendrama, vom 18. d Mtk erfährt man noch, daß der Privatmann Kalmer, der seinen Schwiegersohn, den M-tzgrr Kusterer, erschossen Hut, in Notwehr und um sich gegen das Messer des Geröteten zu schützen, gehandelt hat. Kalmer ist bereits wieder auf freiem Fuß. Wie man hört, war von der Frau des Erschossenen bereis eine Ehescheidungsklage eingeleilet worden, da das unstete Leben desselben (wilder Handel) Grund zu einem äußerst unglücklichen Famlienleben gewesen sein soll.
Vükdringen, 20. Mai. Die vor einiger Zeit abgebrannte Witwe Bürkle und die kinderreiche Familie des Franz Josef Geißler sind in große Not geraten, da ihre Anwesen nur ganz ungenügend gegen Brandschaden versichert waren und der Ersatz, den die Brandkasse zahlt, bei den heutigen Verhältnissen nur ein Tropfen auf einen heißen Stein ist. Den Bedauernswerten wendet sich herzliche Teilnahme zu; Sammlungen zu ihren Gunsten sind eingeleitet, Gaben sind sehr angebracht und werden den Dank der Be- -- troffenen finden.
ürttemberg
Lkuligark, 20. Mai. Die neuen Beamte »geh älter. Am 1. April werden sich die Dienstbezüge für einen verheirateten Beamten mit zwei Kindern im Alter von 6 bie 14 Jahren nach Abzug der Reichseinkommensteuer wie folg! gestalten: Gruppe 1: in Ortsklasse 30 324—37 110 -4l (in Ortsklasse 8 28 520—34 840 -4l), Gruppe 2: 33 249—40 386 (31 470—37 660)-4l, Gruppe 3: 35 940—43 662 <33 640 bis 40 480) Gruppe 4: 37 110—45 417 (34 840—42 230) ^ Gruppe 5: 39 216—47 630 (36 460—44 400) .ck, Gruppe 6: 40 971—49 780 (38 210—46 800) -46, Gruppe 7: 43 662 bis 63 970 (40 480—50 040) Gruppe 8: 46 480—57 320 (43 200—53 340) Gruppe 9: 49 780—62 420 (46 800 bis 58 740) Gruppe 10: 53 970—69 450 (50 040—63 260) .4L. Gruppe 11: 58 220—75 360 (54 490—71 660) ^Gruvpe 12: 66 620—87 166 (62 940—83 260) .ü, Gruppe 13: 80 360 bis 106 260 (76 410—101 6601 -ü.
Landesverband des Deutschen Gewerkschaftshundes. Am Sonntag, 28. Mai, findet im Stadtgarten die Jahresversammlung^'des Deutschen Gswerkschaftsbundes" statt (Ge- samt-verbänd deutscher Angestelltenverbände, Gssamtvsr- band der christlichen Gewerkschaften, Gesamtoerband deutscher Beamten- und Staatsangestellten-Gewerkschaften). Vorgesehen sind neben der Berichterstattung über das abgelaufene Geschäftsjahr Aussprachen über Preisbildung und Genossenschaftswesen. Außerdem wird Professor Gaupp- Tübingen einen Vortrag über geistige Strömungen in Politik und Wirtschaft halten. .
Aellbach, 20. Mai. In der Kriegerdenkmalsfrage hat der Eemeinderat beschlossen, das Denkmal auf dsn Platz nördlich am Kirchturm aufzustellen und die Ausführung womöglich einem hiesigen Handwerker zu übertragen. Der Aufwand wird auf etwa <41 120 000.— berechnet.
Ochringen. 20. Mai. (Wirte-Verbandstag). Am 30. und 31. Mai findet hier die Tagung des Landesverbands der Wirte Württembergs statt mit Vertretertag und Verbandstag, c Dabei soll der Anschluß an den Deutschen Gast- wirte-Verband in Berlin vollzogen werden. ..
8
8 Wir wollen nimmer leben, ohne eine große Pflicht 8 0 über uns und ein großes Ziel vor unS zu wis- - X sen. Und wir wollen lieber für das Ziel leiden und X im Notfall sterben, als aufs Kanapee sitzen und Philister 0 werden. H. Hege.
Nietzsche Ms -er Schulbank in Mia.
Der berühmte Kieler Universitälsprofefsor Paul Deussen erzählt in seiner Selbstbiographie, die soeben bei F. A. Brockhaus in Leipzig erschienen ist, sehr interessant über seinen Jugendfreund Nietzsche: „Im Herbst 1858 war er in Schul- pforta etngetreten, und ich traf im Herbst 1859 mit ihm zusammen. Ich glaube, eS war die gemeinsame Liebe zu Ana- kreon, für besten Gedichte wir beide schwärmten. Wir rezitierten seine Berschen auf gemeinsamen Spaziergängen, wir schloffen einen Freundschaftsbund, indem wir in einer weihevollen Stunde znsammenkamen und das in Pforia auch zwischen den Schülern übliche Sie mit dem nur für engere Freunde oorbehaltenen Du vertauschten. Während der ganzen Zeit in Schulpforta blieb die engere Freundschaft mit Nietzsche bestehen, wenn auch nicht ohne vorübergehende Trübungen." Davon führt Deufsen einige Beispiele an, die für den Charakter des jungen Nietzsche bezeichnend sind. Obwohl dieser schon damals als einsam und sich absondernd geschildert wird, war er doch im Gegensatz zu Deussen häufig auf der Seite der sogen, forschen Clique, während man Deussen zu den „Strebern" rechnete. Aber über diese Jugend- zwtstigkeiten fanden sie immer wieder den Weg zueinander: „Er fiel mir immer wieder zu", sagt Deussen. „umsomehr al« er damals noch ein zuriickhaltenve«, etwas scheues Wesen hatte, wenig Befriedigung an dem Treiben der Menge fand und daher auch von den meisten wenig gekannt wurde. Man wußte nur von ihm, daß er sehr gute deutsche Aussätze schrieb und hübsche Gedichte machte, in der Mathematik airße: ordentlich schwach war und meisterhaft auf dem Klavier
zu phantasieren verstand. Oester zogen wir uns beide in ein leerstehende» Auditorium zurück. Ich deklamierte mit Pathos ein Gedicht und Nietzsche begleitete die Deklamation mit den Tönen des Klaviers. Durch derartige stille Unterhaltungen und täglicher Spazierengehen zu zweien isolierten wir unS von unfern Kameraden, welche den stillen, in sich gekehrten Knaben wenig kannten und um so öfter verkannten. WaS aus mir geworden wäre, wenn ich ihn nicht gehabt hätte, kann ich mir schwer klar machen." Im Herbst 1864 bezogen beide die Universität Bonn. Beide ließen sich in Ser theologischen Fakultät immatrikulieren, Nietzsche ging aber bereits nach einem Semester in die philosophische Fakultät über. Obwohl weder Deufsen noch Nietzsche die Absicht hatten, einer studentischen Verbindung beizutreten, wurden sie doch Mitglieder der Bonner Franconia. Recht interessant schildert Deufsen ihr Verhältnis zu den in ihrem Wesen doch so ganz anders gearteten Studenten und von einem Duell, das Nietzsche eine Tiesquart über dem Nasenrücken eintrug, die zeitlebens als kleine Narbe sichtbar blieb. Ein gutmütiges Spottlied seiner Kommilitonen, die Nietzsche den Kneipnamen „Gluck" gegeben hatten, sei hier angeführt:
Tragödien und Romanzen, dran er sich sehr ergötzt,
Hat Gluck viel komponieret und in Musik gesetzt.
Kommt abend er nach Hause, küßt ihn ein roter Mund; Vor lauter Tee und Zuckerwerk kommt er noch auf den Hund. Und mit heirassassa die Franconen sind da,
Die Franoonen sind lustig, sie rufen Hurra!
Mit Gelehrtengründltchkeit verzeichnet darauf Deufsen: „Was aber daS erwähnte Küssen des roten Mundes betrifft, so habe ich nie bemerkt, oaß Nietzsche zu dergleichen neigte."
Im Jahre 1865 verließ Nietzsche Bonn und zog nach Leipzig.
DeussenS Selbstbiographie, der diese Mitteilungen entnommen sind, gehört zu den wichtigsten Zeugnissen über den jungen Nietzsche, dem in diesen Jahren niemand näher stand, al« wie Deussen. Im wetteren Verlauf seiner Lebensschilde- rung kommt er noch häufig auf Nietzsche zu svrechen und bereichert so unser Bild der großen Philosophen um bedeutungsvolle Züge.
Sie Hausfrau als Wollelieserauilu.
Von Anni Julionne Richert.
Verständlich genug ist der Wunsch der Hausfrauen, sich zu dem nicht hin-, nicht herreichenden Wirtschaftsgeld au« kigrner Kraft etwas dazu zu erwerben. Aber daS Rätsel, die Führung des Haushalts mit einem Nebenerwerb reibungslos zu vereinigen, macht nicht nur ihnen Kopfzerbrechen, sondern ist ein Problem, an dessen Lösung große Frauen- organisationsn oft vergebttch arbeiten. Handarbeit, Heimarbeit ist nur in beschränktem Maß? ein Hilfsmittel, Arbeit außer dem Hause kommt in Fortfall sowie Kinder zu betreuen sind. Aber auf anderem Gebiet tut sich eine Tür zum Erwerb auf, namentlich für Frauen in kleineren Städten und auf dem Lande. Schon immer wurde der Kaninchenzucht als Erwerbsquelle daS Wort geredet, ich möchte aber unsere Beamtenfrauen ganz besonders Hinweisen auf eine besondere, recht lohnende Art — eS ist die Zucht des Seiden- kaninchenS. früher Angorakaninchen genannt. Dieses Kaninchen liefert Wolle, und zwar jährlich 250 bis 300 Gramm allerfeinste daunenartige Wolle, die von einer Fabrik in Leipzig verarbeitet wird mit SchafSwolle zusammen. Die Zucht und Pflege dieser Seidenkaninchen ist denkbar einfach, sie müssen sauber in nicht zu kleinen Ställchen gehalten und der öfteren mit einem Stahlkamm sorgfältig gekämmt werden. Die Reichszentrale für Seidenkaninchenwirtschaft tu Leipzig, Uferstraße 19, versendet an Züchterinnen unentgeltlich ein oder mehrere dieser zartweißen, rotäugigen kleinen Geschöpfe unter der Bedingung, daß nach dem ersten Wurf von jedem gelieferten Tier ein Sprößling zurückgeschickt wird, sobald er 5 Monate alt ist. B>S zum August letzten Jahres sind schon 50000 Seidenkaninchen an Interessenten abgegeben worden; es sollen jedoch ebensoviel Millionen werden, um unsere Volkwirtschaft zu unterstützen und zu heben. Der Vorteil dieser Zucht besteht darin, daß die Zentrale die saubere, ausgekämmte Wolle zurückkauft und das Kilogramm mit 175 Mark (heute mehr) bezahlt, oder daß sie Fertigwaren wie Strumpfwolle, Schal«, Kindersweater, Unterzeuge oder für jedes Kilo Wolle 1V, Meter allerfeinsten TuchstoffeS, 130 Zentimeter breit, liefert. Eine Fabrik in Leipzig ist allein auf diese Verarbet»
k