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Dienstag den 2. Mai 1922
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' 86. Jahrgang
Der Kamps um die
Me untere Weichsel war bis zum Versailler Vertrag tzm deutscher Fluß. Dann aber wurde es anders. Das unterste Stück kam zum neuen Freistaat Danz i g, Kas oben zu Polen und nur ein kleines Mittelstück kes östlichen Ufers wurde dem Abstimmungsgebiet Vorbehalten. Die Abstimmung erfolgte am 11. Juli 1929. In den vier dem ehemaligen Westpreußen angehöreu- i»en Kreisen Marienburg, Marienwerder, Rosenberg und Stahm stimmten 91634 (— 92 Prozent) deutsch und nur 7682«polnisch. Eine große Freude in ganz Deutschland über diesen glänzenden Ausfall.
Nun hatte die Grenzfestsetzungskommission die genaue Linie zu ziehen, unter Berücksichtigung des durch die Abstimmung ausgedrückten Willens der Bevölkerung sowie der „geographischen und wirtschaftlichen Lage"- (Art. 97). Also dieselbe Regel wie bei Oberschle- sien, eine Anweisung, die man wie eine -wächserne Nase willkürlich nach zwei Seiten drehen und wenden konnte. Wo die Abstimmungszahl für Polen ungünstig lag, da 8 (ff man schnell zu der „geographischen und wirtschaftlichen Lage", und umgekehrt.
Nun liegen dort 5 kleine Dörfer. Zwei derselben hatten bei der Abstimmung eine deutsche, zwei eine polnische Mehrheit und ein Dorf Stimmengleichheit. Wegen dieser zwei „polnischen" Dörfer, die übrigens zusammen nur 247 Einwohner zählen und 121 polnische Stimmen aufbrachten, sollen die drei anderen angesichts der -„geographischen und wirtschaftlichen Lage" 8 u Polen kommen. Tatsächlich aber weist gerade der wirtschaftliche Zusammenhang die beiden polnischen Dörfer an die drei Nachbarn, weil alle zusammen zum Marienwerder Deichverband gehören. Letzterer umfaßt 20 000 Hektar mit etwa 25 000 Einwohnern. Derselbe kommt naturgemäß in Gefahr, wenn wegen 121 polnischen Stimmen das fragliche Stück von Preußen losgerissen würde. Denn in einem solchen Fall ist ein einheitlicher Deichschutz nicht mehr möglich. Die Bevölkerung in den 5 Dörfern vermag sich und die Niederung gegen die Hochwasserfluten der Weichsel und gegen einen etwaigen Deichbruch nicht zu schützen, sondern dieser Schutz muß, wenn er überhaupt wirksam sein soll, dem ganzen Deichvsrbcmd in seinem jetzigen Bestand anvertraut bleiben.
Also auch hier ein unnatürliches Zerreißen eines wirtschaftlichen Zusammenhangs, wie in Obsr- ischlssien, wo bekanntlich durch den Genfer Spruch Fabriken und Kraftwerke, die auseinander nntucnot- wendig angewiesen sind, einfach auseinandergerissen werden. Ja, an der Weichsel handelt es sich sogar um -einen organischen Zusammenhang, bei dessen Durch- sthneidung fraglos Gut und Leben in höchstem Grad gefährdet sind.
Dazu kommst noch ein weiteres das ganze Volk berührende Interesse. Der Versailler Vertrag bezweckt «bekanntlich den direktenAnschlußPolensan die Ostsee. Daher die Schaffung des "polnischen „Korridors" und die Neutralisierung oder besser P o - Ionisierung der deutschen Seestadt Danzig. Andererseits braucht Ostpreußen, das in so unnatürlicher Weise von dem übrigen Deutschland als Exklave abgetrennt wurde, eine wirtschaftliche und verkehrstechnische Anlehnung an dieses. Marienburg ist der Mündungspunkt der ostpreußischen Bahnen. Im Hafen von Kurzebrack wurden die ostpreußischen Frachten für die Ostsee verladen. Es mußte also notwendig ein Stück des rechten Weichselufers im deutschen Besitz bleiben. Das gibt auch der Versailler Vertrag mittelbar zu, indem er „für den Weichselabschnitt die volle und uneingeschränkte Aufsicht über den Strom einschließlich des östlichen Ufers, soweit dieses für die Regulierung und Verbesserung des Flußlaufs notwendig ist" den' P o - l e n überläßt- Also die „Aufsich t", aber nichtden Besi tz. 7 Jetzt ist aber auch dieser in Frage gestellt.
Für diesen Fall allerdings verpflichten sich die verbündeten Mächte, Bestimungen zu treffen, „welche der Bevölkerung Ostpreußens den Zugang zur Weichsel und -hre Benutzung für sich, tyie War.-» uuv Bch-ffe unier lnllt- geu Bedingungen und in ihrem Interesse sichern." Gut und schön gesaM. Aber man weiß st, wie cS mit der Ausführung solcher „Bestimmungen" in Polen gehalten wird.
Kurz: Verlieren wst die fünf Dö.fer. dann ist für Ost P eußen der letz t e A n sch l uß cm die Weichsel abge- schnitien und desstn völlige Nbirernuog vollzogen. Ein neuec herber Verlust m': m ab> hbr-ren Folg n.
Kein Wunder, daß Reichsregierung und Reichstag gegen diesen verhängnisvollen Fehlspruch der Grenz-, kommission entschieden Einspruch erhoben haben. Nun hat der Votschafterrat das Wort. Man hört bis jetzt nichts, das zu uns, Gunsten spräche. Es ist zu fürch- tew daß dieser oberste Gerichtshof sich abermals hinter die Ententekommission stellen wird. Das war wenigstens seither dik^Uebung, -enn dort gilt die Regel: „Deutschland hat immer Unrecht." ^-1^
^Der Sumpf der Teuerung
Ein volkswirtschaftlicher Mitarbeiter schreibt uns:
Wer bisher die Teuerung beobachtete, war gewohnt, durch das Guckloch des Dollarkurscs zu blicken. Der Dollar ist in der letzten Zeit bedeutend gefallen. Fast um ein Drittel der Höhe, die er erreicht hatte. Er ist zwar auch wieder geklettert, aber er bewegt sich doch nicht mehr über der Linie von 300. Merkt man es in der Lebenshaltung? Nein. Wirklich spürbar würde das Steigen der Mark vielleicht erst nach 3 —4 Wochen werden, wenn sie dauernd steigt. Doch wer glaubt daran? Die Industrie, die einen großen Teil ihrer Bestände an Devisen abgegeben hat, schreitet zu Rückkäufen. Die Reichsregierung hat am 15. April die vorgeschriebe- e Entschädigungszahlung von 18 Millionen Goldmark geleistet und allem Anschein nach beabsichtigt sie, die am 15. Mai fälligen 50 Millionen Goldmark ebenfalls zu zahlen. Dazu braucht sie Devisen. Die deutsche Währung wird neue Schläge bekommen. Die Teuerung wird vom Goldkurs her keine Hilfe erhalten.
Aber betrachten wir einmal die Teuerung durch ein anderes übliches Meßinstrument, durch die Indexziffer. Nach den Mitteilungen des Statistischen Reichsamts ist die Reicbs- indexzisfer' im' Monat März 1922 auf 3202 gestiegen. Die Ziffer für Ernährungsausgaben beträgt 3152. Diese Zahlen besagen für die sinnliche Anschauung nichts. Deutlicher wirkt schon eine Uebersicht des Reichsamts, die ergibt, daß der deutsche Weltmarktpreisindex im März auf 10222,2 hinaus- gegangen ist oder mit anderen Worten, wir stehen vor der Tatsache, daß die Weltmarktspreise für die in Reichsmark rechnende deutsche Wirtschaft den hundertfachen Teuerungsgrad erreicht haben. Bei den Lebensmitteln ist der hundertfache Grad teilweise schon überschritten. Man erlebt es ja jetzt an den Grenzen, daß das ausländische Mehl billiger ist als das deutsche, und nur die trostlosen Verwicklungen unseres bürokratisierten Wirtschaftssystems (siehe z. B. die Getrerde- umlage, die Tochter der Zwangswirtschaft) verhindern einen raschen Ausgleich.
Die Hoffnung auf einen-Rückgang der Teuerung schwindet. Die Lebenshaltung geht in säst allen Bevö'lkerungs- schichten zurück. Da fragt sich die Hausfrau vergeblich, welche Lebensmittel sie mit ihren beschränkten Mitteln kaufen kann, um die Familie notdürftig zu sättigen. Es sieht aus wie gegen Kriegsende. Wir nähern uns dem kritischen Zeitpunkt, wo die Bevölkerung den bestehenden Zustand nicht mehr zu ertragen vermag und ihm um jeden Preis ein Ende machen will. In der Verzweiflung werden die organisierten Schichten wieder zum Streik greifen, der aber die Not nicht beseitigt, sondern sie nur steigert. Was auf der einen Seite gefordert und gegeben wird, nimmt man ans der anderen Seite wieder ad. Es ist der alte Fehlerkreis. Unsere Wirtschaft ist zu einem Irrgarten geworden, in deni sich niemand mehr zurechtfindet. Die Rettung kommt aber sicher nicht aus der Währungsfrage, sondern aus der Vermehrung der Eütererzeugung. Seit Hahr und Tag leben wir nach dem Auffressen unserer Wirtschaftsreserven buchstäblich von der Substanz unserer Volkswirtschaft. Wir verzehren mebr Güter als wir erzeugen. Der Topf, aus dem mehr geschöpft wird, als ihm zufließt, ist eines Tags leer. Den Verbrauch noch weiter Herabdrücken, das geht nicht mehr. Unsere an der Grenze des Möglichen stehende Bevölkeruna kann sich Echt weiter einschränken. Die prassenden Schieber- und Gswinnlerkreise, die auf deutschem Boden sich wohlfühkenden Ausländer verwirren nur das Bild. Das deutsche Volk, jeder Deutsche muß an der Vermehrung der Erzeugung Mitarbeiten, sonst kommen wir aus dem Sumpf der Teuerung nicht mehr heraus.
Der Münchener Fälschungsprozeij
München, 30. April. Mit großer Spannung wurde an Freitag die Zeugenvernehmung des früheren Legations jekretärs der bayerischen Gesandtschaft in Berlin, Freiherr« von Soden, ausgenommen. Soden gab Aufschluß' über die in der Gesandtschaft abgehaltene Besprechung des Kommunisten Lisner mit den Beamten der Gesandtschaft, mit dem Mitglied der Waffenstillstandskommission von Stockhammern, und dem bayerischen Legationsrat Baron GebsakkA. Nach den Aufzeichnungen Sodens erklärte damals Eisner, daß er durch Professor W. Förster in ständiger Fühlung mit Lle- menceau sei und daß Clemenceau ihn auf diese Weise habe wissen lassen, daß derartige rückhaltslose Bloßstellungen der früheren deutschen Machthaber, wie dies durch die Veröffent- ! lichung des gefälschten Sckoenichen Berichts in bezug auf
die Schuld am Krieg erfolgen könne, die erste Vorbedingung, zu einer „wahren Völkerversöhnung" seien. Eisner erklärte weiter, Clemenceau, Lloyd George und Wilson seien 3 der größten „Idealisten", die „nicht daran dächten, das deutsche Volk zu vernichten". (!) Darauf habe von Stockhammern ausgesührt, daß er in seiner Eigenschaft als Mitglied der Waffenstillstandskommission, sich davon habe überzeugen können) daß die Verhandlungen im Gegenteil ergaben, daß die Franzosen das deutsche Volk vernichten wollten. ' Darauf °cki Eisner aufgesprungen und habe gerufen: „Das wird von- en Gegnern der Rsvol' ^ in die Welt gesetzt, um die berechtigte Wut des V ,, v.e sich sonst gegen sie richten würde, auf die Entent abzuwälzen. Ich (Eisner) habe das größte Zutrauen zu ' er Entente und lasse mich darin nicht irre machen."
Aus den weit--en Zeugenvernehmungen ist die des früheren bayerischen Gesandten in Berlin, Grafen Lerchenfeld, hervorzuheben, der bekundete, daß der Bericht des Herrn von Schoeu sich in vollkommenster Aebereinstimmung mit der WÄllage befand. Erst dadurch, daß Eisner die wichtigste Stelle gestrichen habe, habe der Bericht einen anderen Sinn bekommen, den man zur Schick beladung der deutschen Regierung verwerten konnte. Der Bericht des Herrn von Schoen sei an die bayerische Regierung gerichtet gewesen, also an die Wissenden, die wußten, daß weder der Sailer noch der Reichskanzler einen allgemeinen Krieg entfesseln wollten. Wenn sein Bericht an den Grafen Hertling für die Oeffentlichkeit bestimmt gewesen wäre, so hätte er ihn noch schärfer abgefaßt. Eine „doppelle Buchführung", w.e sie von Fechenbach behauptet werde, sei nicht möglich. In seiner ganzen Praxis sei nicht ein einziges Mal „doppelte Buchführung" vorgekommen. Hn dem Bericht des Herrn von Schoen seien 3 Punkte des Ultimatums erwähnt, während das Ultimatum 10 Punkte enthalten habe. Jedenfalls sei es nicht wahr, daß Graf Hertling das Ultimatum (Oesterreichs an Serbien 1914), wie es war, kannte. Vis zu einem gewissen Grad sei er natürlich unterrichtet gewesen. Entweder habe ihn der französische Gesandte mißverstanden, oder dieser habe die betreffende Bemerkung beigefügt. Im übrigen ist für den Zeugen die Sache durchaus klar. Nach seiner . Ueberzeugung hat weder der Reichskanzler noch die Reichs- regicrung Kenntnis von dem österreichischen Ultimatum gehabt.—
Einen besonders starken Eindruck machte die Erklärung des Freiherrn von Levsner, der eingehend die demütigende Behandlung schilderte, die ihm und den anderen Mitgliedern der deutschen Friedensabordnung in Versailles zuteil wurde. Der Zeuge führt diese Behandlung größtenteils auf die Veröffentlichung Eisners zurück, da er auch in Privatgesprächen (in Versailles) über die Schuldfrage öfter hören mußte: Und Eisner? — Staatsrat von Lößl gab an, daß er bei Ausbruch der Revolution 3 Originale von Vorkriegsberichten der bayerischen Gesandtschaft habe vernichten lassen, um sie nicht in die Hände der Revolutionäre und damit in die Hände der Feinde fallen zu lassen. Er habe aber Eisner davon Mitteilung gemacht und die Abschriften dieser Berichte besorgt, die den vollen Namen Schoens trugen. ^
Das^Gericht beschloß, beim Auswärtigen Amt nochmals telegraphisch anzufragen, ob es den Fürsten Lichnowski nicht doch von der Schweigepflicht entbinden wolle.
Sachverständiger Graf Montgelas erklärte, daß in der Eis- nerschen Veröffentlichung aus dem Schönschen Bericht gerade die Stellen forlgelassen seien, aus denen hervorgehe, daß die Berliner Regierung den Krieg nicht wollte. Der gekürzte Bericht, bei dem eine ungemein schwere Entstellung des ganzen Sinns vorliege, habe eine verhängnisvolle Wirkung auf das Ausland ausgeübt.
Montgelas führt die ganze Kriegsschuldgeschichte auf die Stimmungsmache zurück, die heute noch gegen Deutschland betrieben wirke, weil cs seinerzeit auf der Haager Friedenskonferenz gegen die vom Zaren vorgeschlmcne Form der Abrüstung aufgetreten war. Dieser Äbrüstungsoorschlag war übrigens von allen an der Konferenz beteiligten Staaten mit Ausnahme Rußlands abgelehnt worben.
Nach genauen Nachforschungen gab es keine „geheime Instruktion" des deutschen Kaisers an den damaligen Staatssekretär von Tschirschky. daß Oesterreich „die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen solle, ohne einen Schlag zu tun". Der Sachverständige wies ferner aus eine Bemerkung im Register des englischen Blaubuches Nr. 6 hin, die lautet „Ergebnis der Reise Poincares nach Petersburg". Im Blaubuch selbst sei aber nichts über das Ergebnis enthalten. Man habe jedoch vergessen, die Bemerkung in dein Register nachträglich zu streichen. Der Sachverständige wies schließlich noch nach, Daß die falsche Nachricht von der deutschen Mobilmachung (Extrablatt des „Berliner Lokalanzeigers") nicht nach Petersburg kam, weil zu dieser Zeit bereits der Telegraph in Rußland wegen der russischen Mobilmachung gesperrt war.
Von der Konferenz in Genua
Die Denkschrift an die Russen
Genua, 1. Mar. Die von England und Frankreich austzS» «Leiteten Entwürfe für eine Denkschrift «m die Sorvjetver-