fachen ankam, der Rädelsführer bei den Plünderungen war «in 39jähriger viel vorbestrafter Fuhrmann Paul Müller; er wurde zu 2*/r Jahren Zuchthaus verurteilt. Die 2 Anführer bei dem Sturm aufs Rathaus erhielten je IV» Jahre Gefängnis; die übrigen Angeklagten, meist junge unbestrafte Burschen kamen mit 5—9 Monaten Gefängnis davon.
Bern. 8. F?b. Der Bundesrat nahm gestern Stellung zu der Frage des Durchtransports von Völkerbundslruppen in daS Abstimmungsgebiet von Wilna und entschied, daß das Gesuch abzulebnen sei, weil die besonderen Umstände eine Ablehnung als gerecht erscheinen ließen.
Mürttembergische Politik.
Landtag.
Stuttgart, 8 Feb. Die Haberpreisfrage, auf die eine kleine Anfrage des bauernbündlerischen Abg. Ströbel dahin Bezug nahm, daß der von den Landwirten um 69.75 Mark an die Kommnnalverbände gelieferte Haber von diesen um 160 weilerverkaust werde, wurde vom Ecnährungsminister Dr. Schall dahin beantwortet, daß es sich um Haler handle, den die Reichsgetreidestelle zur Brotstreckurig im Notfall um 185 im freien Handel gekauft hatte. Teilweise wurde auch neuer Haber mitverkauft, weil er gerade in der Nähe greifbar war und sich nicht anders einkalkulieren ließ. Zweckmäßig wäre eS gewesen, diesen Weg nicht zu beschreiten. Sodann beriet daS Haus den Etat des Ministeriums des Innern. Die Kommunisten hatten Uebernahme der Wahlkosten auf den Staat beantragt, was der Minister ablehnte. Das Ministerium ist nur bereit, einen erheblichen Teil der ungedeckten Kosten auf die Staatskasse zu übernehmen. Beim LandeS- polizeiamt und der staatlichen Ordnungspolizei handelt es sich um eine Erhöhung der Forderungen von 3,8 auf 7,9 Millionen bezw. 10.7 auf II Millionen. Körner (BB) bekämpft ins besondere die Forderung von 2 Millionen für außerordentliche Maßnahmen gegen den Schleichhandel und fragte, warum dies nicht auf Reichskosten geschehe. Württemberg marschiere überhaupt als Polizeistaat an der Spitze der deutschen Länder. ES habe keinen Zweck, die Landwirte unter besonders strenge Kontrolle zu stellen, wenn sich Reichsbehörden um Höchstpreise für Haber überhaupt nicht kümmern oder an der Verschiebung von Haber in die Schweiz beteiligt sind. Dadurch leidet die Autorität des Staates. Minister Graf stellte fest, daß er die OrdnunzSpolizei nur auf Antrag des Ernährungsmtnisteriums zur Verfügung gestellt habe; verantwortlich sei er nur für etwaige DiSziplinarWidrigkeiten. Mit dem Ergebnis der Maßnahmen könne übrigens die Bevölkerung auf mehr als eine Woche versorgt werden. Von der Forderung von zwei Millionen abzugehen, liege kein Anlaß vor. Pflüger (Soz.) machte die Rechte dafür mitverantwortlich, daß diese Nachforderung nötig wurde und begründete seinen Antrag aus Gleichstellung der GehaliSoerhältniffe beim Landespolizeiamt und der Polizeiwehr. Den Antrag, die Vorschriften für Zuzugs- uns Aufenthaltserlaubnis von Reichsausländern mit allem Nachdruck durchzuführen, lehnte er namens seiner Freunde ab. Rot (D.d.P.) meinte, die Körner'sche Rede hätte auch ein Kommunist halten können. Eine Beseitigung der Zwangswirtschaft gehe nur an, wenn das Reich so viel einführe, daß eine staatliche Konkurrenz entstehe. Kinkel (USP ) warf dem Landespolizeiamt politische Parteilichkeit vor und erklärte sich als Gegner der Einwohnerwehr, die einer Weiterentwicklung der Revolution im Wege stehe. Stetter (Km.) nannte die Polizei eine Ordnungsbande und bekam dafür einen Ordnungsruf. Die Zwangswirtschaft bringe uns nicht aus dem Elend heraus. Nötig sei eine Ausschabung des Zwischenhandels und ein Austausch zwischen landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnissen. Der Minister begünstige die Einwohnerwehr und sei eine Gefahr für das Verhältnis zur Entente. Bickes (D.B.) nannte es eine erbärmliche Denunzation, wenn der Vorredner sage, die Regierung wolle die Entwaffnung nicht durchführen. Solanas der Minister für die Erhaltung der Ordnung eintrete, müsse man ihn unterstützen. Letzteres bestätigte auch der Abg. Bazille (BB), man müsse den Minister des Innern schützen, wenn er auch eine gewisse Waldursprünglichkeit verrate. Der Aufwand für die Bekämpfung des Schleichhandels sei im Verhältnis zum Erfolg zu hoch. Andre (Ztr.) ist in Sachen der Einwohnerwehr für die Wahrung der württ. Landesintereffen gegen bayrisch» Sonderwünsche, die die Koh
lenzufuhr in Gefahr bringen. In Sachen der Zwangswirtschaft polemisierte er gegen Körner. Zwar sei er kein fanatischer Anhänger der Zwangswirtschaft, aber wenn die Ge- treidebewirtschafiung aufgehoben werde, komme das Brot auf 6 Regierung und Polizei verdienten volle Unterstützung. Minister Graf mahnte zur Einigkeit bei Regierungen und Parlamenten. Die Bauern sollten sich durch die Kommunisten nicht täuschen lassen.
Au» Stadt und Bezirk.
Nagold. 9. Februar 1921.
x Soz »dem. Partei. Am letzten Sonntag fand im Lokal „Sternen" eine Mitgliederversammlung statt, die sich eines ordentlichen Besuches freute. Zum 1. Punkt der Tagesordnung ergriff der Vorsitzende Gen. Jlg das Wort und referierte über das Thema „Die wahren Tatsachen unserer Wirtschafts- und Finanznot". In seinen lVsstündigen, eingehenden Ausführungen, die von großer Sachlichkeit getragen waren, verstand es der Referent, an Hand einer Fülle von Beweisen den Anwesenden zu zeigen, daß nicht dis Revolution, wie von gewisser Seite immer behauptet wird, die Schuld an all unsren mißlichen und elenden Verhältnissen ist, sondern 1. die verfehlte Innen- und Außenpolitik vor und während des Krieges, 2. in den schweren Fehlern der Kriegsführung, 3. in der verkehrten Wirtschaftspolitik, 4 in der unsachgemäßen Kriegsfinanzierung, 4. in den Auswirkungen deS verlorenen Krieges und des Friedensoertrags. Gen. Brösamle dankte im Namen der Anwesenden dem Re ferenten für seine mit allgemeinem Beifall aufgenommenen Ausführungen. Nachdem die bei Punkt 2 zur Debatte gestellten Vorschläge betr. Organisationsfragen gutgeheißen wurden, aing man zu Punkt Verschiedenes über, wobei u. a. beim Kapitel auf dem Gebiet der Lebensmittelversorgung ans der Mitte der Versammlung ernste Bedenken erhoben wurden über die zeitweise aufbewahrten Brotgetreide (Korn) in eineiri Soutterain 2 m unter der Calwerstraße tief gelegenen Ranm in der Speidel'schen Kettenfabrik. Daß infolge der ziemlich hohen Lagerungsschicht die dort seinerzeit untergebrachte Ge- treidemenge zum Teil Schaden leidet, dieser Verdacht wird sich wohl kaum entkräftigen lassen. ES dürfte hier wohl ange zeigt sein, wenn fachmännische Umsicht mehr zur Geltung käme. Allgemeine Zustimmung fand die Anregung von verschiedenen Parteigenossen, im Laufe dieses Jahres einige oolks- bildliche und erzieherische Veranstaltungen zu treffen, wie Lichtbilvervorträge über „Wanderung durch die Alpen" oder dergl., sowie Abhaltung eines Famtltenabends unter Mitwirkung erstklassiger musikalischer oder oesangl. Kräfte, Ab Haltung von wissenschafll. Vorträgen. Mit einem Apell, für die Ziele der Verwirklichung zum Sozialismus treue Arbeit zu leisten, schloß der Vorsitzende die Versammlung.
* Der Plan einer staatlichen Zentralisation der Getreideeinfuhr. Der Ausschuß für Landwirtschaft und Ernährung hat sich mit der künftigen Getreidcbewirtschaftung beschäftigt. Ueber das Auslandsgetreide einigte man sich auf folgende Grundsätze: 1. Das Reich nimmt durch Reichsgesetz die Zentralisation für die Einfuhr des gesamten Auslandgetreides ohne Rücksicht auf den Verwendungszweck in die Hand. Zur Erfüllung dieser Aufgabe wird eine zentrale Reichsverwaltung für Getreide gebildet, die diesen Zweig ihrer Täiig- keit ausschließlich nach kaufmännischen Grundsätzen zu erfüllen hat. Sie kann sich hiebei der Vermittlung des Handels bedienen. 2. Das von der ReichSmonopolverwaltung eingekaufte ausländische Brotgetreide ist für die Ernährung der Bevölkerung zu verwenden. Verkäufe im freien Verkehr sollen nur zum Zweck der Regelung derJnlandgetreidepretse vorgenommen werden. 3. Die von der Reichsmonopolverwaltung ein- gekauften Mengen an ausländischer Gerste, Hafer und Mais sind an Handel und Verbraucher abzugeben. Die Preise werden von der Reichsmonopolverwaltung festgesetzt. Bet der Abgabe an die Landwirtschaft zu Verfütterungszwecken soll die Ware in erster Linie ohne Gegenleistung in Geld durch Eintausch inländischen Brotgetreides zur Ablieferung kommen. Hiebei ist darauf Bedacht zu nehmen, daß Qualität u. Menge des als Futtermittel anzubietenden Getreides zur Abgabe des Brotgetreides veranlaßt. 4. DaS Monopol für die Einfuhr von Gerste Hafer und Mais kann zeitweise oder dauernd
aufgehoben werden, so bald ihre Einfuhrpreise unter dem Preis des den Landwirten zur freien Verfügung überlassenen Brot- getreides sinken. 5. Während der Dauer der zentralen Be- wirtschaftung ist jede Ausfuhr von Getreide verboten. Für diese Vorschläge soll maßgebend gewesen sein, daß die Sicherstellung der notwendigen Einfuhr von 3 Millionen Tonnen unbedingt erfolgen -muß und daß der freie Handel das hohe Ristkio nicht tragen kann. Die Fähigkeiten des deutschen Kaufmanns sollen weitgehend zur Geltung kommen.
* Eßt Fische! Während im Sommer in der Küche Ge müse und Obst vorherrschen, ist der Minier zum Genuß von Fleisch und Fischspeisen geeignet. Besonders die Fische sind sehr zu empfehlen. Sie sind, von sehr fetten Fischen (wie Aal) abgesehen, nicht nur leicht verdaulich, sondern besitzen auch einen sehr hohen Nährgehalt. Leichte Fischspeisen sind selbst für Kinder und Genesende eine bekömmliche Kost. Familien, die reich mit Kindern gesegnet sind, können nichts Besseres tun, als wenn sie in ihren Speisezettel möglichst viele Fischspeisen aufnehmen. Diese nähren den Köipec ebenso gut wie die Fleischgerichte; und Fleisch dürfte nicht so schnell billiger werden.
I. L Erhöhung der Kali-Inlandspreise. Das deutsche Kali-Syndikar will eine Erhöhung der Kali In landpreise um 50—55°/. durchführen. Hiezu bemerkt der Reichslandbund mit Recht, daß die deutsche Landwirtschaft außer Stande sei. diese Mehrbelastung zu tragen, da jegliche Erhöhung von Betriebsmittelpreisen bei gleichzeitiger Beibehaltung der bisherigen Getreideprsise zur weiteren Extensioierung der Landwirtschaft führen müsse. Wir geben der bayerischen Zentraldarlehenskasse recht, wenn sie sagt, daß die eigentlichen Ursachen der Erhöhung der Kalipreise hauptsächlich in dem traurigen Fiasko zu suchen sei, welches die Preispolitik des Kali- Syndikats in Nordamerika erlitten habe. Die Kaliindustrie habe etliche fette Jahrzehnte hinter sich, nun gelle es mit Anstand ein paar magere Jährchen durchzukämpfen. Lange genug seien die Riemen in Gestalt fetter Dividenden aus der Haut der deutschen Landwirtschaft geschnitten worden; die deutsche Landwirtschaft werde sich nicht dazu hergeben, das verteuerte Kali um jeden Preis zu übernehmen.
* Die verkehrte Jahreszeit. Dis Franks. Ztg. stellt neben einem vorzeitigen Anfang der Jahreszeiten im vergangenen Jahr auch einen Wärmeüberfluß im letzten Monat fest. Danach betrug für Frankfurt, dessen Wrtterungsoerhält- nisie so ziemlich auch für den größten Teil von Württemberg passen, das Monatsmillel der Temperatur im Januar 5,6 Grad. ES war das höchste seit 1857. Mit 5,1 Grad über dem Durchschnittswert ist dieses monatliche Mittel höher als die mittlere Temperatur deS Monats März.
» Wie viel Deutsche gehen allabendlich ins Kino? Unter dieser Ueberschrift bringt die Lichtbildbühne eine interessante Statistik. Die Gesamtzahl der vorhandenen Plätze in den deutschen Kinos beträgt 1 269 205, davon allein 83 700 in Berlin. Dort finden jeden Abend zwei Vorstellungen statt, sodaß 167 400 Personen die Kinos besuchen können. In den anderen Städten werden mindestens drei Vorstellungen gegeben. Somit wäre die höchste Tagesfrequeuz für das ganz» Reich 3 723 915.
* Hundesteuer und Heereshunde. Gutem Vernehmen nach besteht in vielen Gemeinden die Absicht, die Hundesteuer auf I. April d. Js. empfindlich zu erhöhen, so daß manchem Hundebesitzer die Haltung seines Tieres Schwierigkeiten machen wird. Da empfiehlt es sich, vor der Veräußerung der Hunde, insbesondere ins Ausland, an das Vaterland zu denken und die Tiere an die Heeresverwaltung abzugeben, die in nächster Zeit eine größere Anzahl brauchbarer deutscher Schäferhunde, Rottweiler, Boxer, Airedale, Dobermannpintscher und Pudel im Alter von 10 Monaten bis zu 2 Jahren zur Ausbildung als Diensthunde braucht. Man wende sich an die Diensthundemeldestelle Stuttgart, Augustenstr. 109, Fernsprecher 11 286.
* Keine mündliche Auskunft des Geschüftsherrn. Die
Frage: Ist ein Geschäftsmann verpflichtet, über einen Angestellten noch mündlich Auskunft zu erteilen? hat die Gerichte beschäftigt. Das Kaufmannsgericht Bremen hat die Frage bezw. die Verpflichtung verneint, für den Fall, daß der betr. Prinzipal dem ausgetretenen Angestellten bereits ein ordnungsmäßiges Zeugnis ausgestellt hat. So sehr es sich auch empfiehlt.
Durch viele Tiefen muß die Seele baun, in ganzer Kraft, mit k aglos hartem Hämmern, in viele Fernen muß sie fröhlich schaun aus Letdgewölk und sorgenschwerem Dämmern, durch viele Nächte muß sie still sich mühn, will sie der Sonne vollsten Tag erringen, in -vielen Feuern muß sie glühn und sprüh», will sie als Stahl die Eisenpanzsr zwingen.
Wilh. Müller-Rüdersdorf.
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Im Schatte« der Schuld.
29) Original-Roman von Hanna Förster.
„Da kommt ja gleich die Geister- und Gespensterstunde!" Renate hatte das Wort halblaut gesprochen und war aufgestanden. Ganz fest war sie entschlossen, ihre vorhin Lina gegenüber geäußerte Absicht auszuführen und nachher auf leisen Sohlen den Korridor entlang zu gehen bis vor die Türen der beiden Zimmer des verstorbenen Grafen.
Am besten war eS wohl, noch ein wenig zu matten. Sie trat einen Augenblick an das halb offen stehende Fenster, durch das die jetzt ziemlich kühl« Abendlust hereinströmte.
Es fröstelte sie. Da ging sie in ihr Schlafzimmer, zog einen Mantel über und band ein leichtes, seidenes Tuch über ihr Haar, das sie heute nicht wie sonst von Lina hatte bürsten lassen. Nun drehte sie alle elektrischen Birnen in ihrem Wohnzimmer an, trat auf den lang und dunkel, in tiefster Stille daliegenden Korridor und ließ die Türe ihres Zimmers weit offen. Auf dem Korridor selbst drehte sie nur die Birne deS kleinen Beleuchtungskörpers an. der von der Seite angebracht war. In der Mitte hing noch ein großer Kandelaber und gleich daneben waren die beiden berüchtigten Zimmer. Diese Beleuchtung schaltete sie jedoch absichtlich nicht ein. Die Beleuchtung, die jetzt m dem lange» und auch sehr breiten
mit einem dicken Läufer belegten Korridor herrschte, genügte ihr für ihren Zweck vollkommen. Sie hatte noch Gummischuhe über ihre zierlichen Pantöffelchen gezogen, so daß ihre Schritte wirklich ganz unhörbar waren, als sie vorsichtig den Korridor entlang ging und vor der Tür zu dem Arbeitszimmer des verstorbenen Grafen stehen blieb.
„Wenn plötzlich jemand aus einem der andern Zimmer, beispielsweise aus dem Eßzimmer oder gar aus Großmutters Wohnzimmer käme, und mich im dunkeln Mantel, daS Haupt verschleiert, hier stehen sähe, würde er oder sie, wer es auch wäre, sicher gleich kopflos dis Flucht-ergreifen und dann steif und fest behaupten, ein Gespenst gesehen zu haben."
So dachte Renate, während sie lauschend dastand. Aber nichts rührte und regte sich. Allmählich wurde ihr das Stehen unbequem und sie ging mit lautlosen Schritten ein paarmal auf und ab. Schließlich beugte sie sich zum Schlüsselloch herab. Doch das Zimmer war stockfinster und sie konnte natürlich nichts sehen. Gerade wollte sie wieder umkehren und die „Gespenstersuche", wie sie es im stillen nannte, als für heute aussichtslos aufgeben, als sie hinter der Tür ein knarrendes Geräusch vernahm. Etwas erschrocken beugte sie ihr Ohr wieder an das Schlüsselloch. Deutlich vernahm sie ein leises Geräusch, wie wenn jemand im Zimmer hin und her gebe. Als sie nun versuchte, durchzusehen, gewahrte sie einen Lichtschimmer, der vorhin nicht dagewesen. Mehr konnte sie nicht erkennen, da anscheinend innen der Schlüssel steckte. Und jetzt vernahm sie ganz deutlich, wie ein Stuhl gerückt, wie ein Schubfach, anscheinend vom Schreibtisch, aufgezogen wurde. Und dann kam das, was der Lauscherin das Blut in den Adern vor Schrecken erstarren ließ: ein Seufzen und Stöhnen wie aus einem gemarterten Herzen, oder wie aus schuldbewußter Seele?
Ein- ganze Weile verharrte Renate regungslos in ihrer gebückten Stellung. Als sie sich aufrichtete, war ihr junges Gesicht totenblaß und in ihren schönen b.raunen Augen lag ein Ausdruck wie vom tiefsten Entsetzen.
Langsam, wie kraftlos schlich sie sich in ihr Zimmer zurück. Sie atmete erst auf, als sie die Tür hinter sich geschlos- seu hatte. Mit zitternden Händen entkleidete ste sich, und
ganz erschöpft fiel sie auf ihr Lager, das Lina längst für ihre junge Herrin zurecht gemacht hatte. Sie ließ die rotoer- schleierte Ampel brennen. Es wäre ihr in ihrer aufgeregten Verfassung nicht möglich gewesen, im ganz dunkeln Zimmer zu liegen. Der milde rote Lichtschimmer übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Ste fürchtete, die ganze Nacht schlaflos verbringen zu müssen, doch ihre junge Natur siegte nach einer Weile doch über all die lief der Seele sich einprägenden Erlebnisse, die ihr der heutige Tag gebracht.
Renate verfiel in einen langen, tiefen Schlaf, und vergaß für Stunden alles, was sie schmerzte und ängstigte.
Am folgeuden Tag kam ste erst zum Nachmittagskaffee mit der Großmutter zusammen. Frühstuck und Mittagessen hatte die alte Dame allein in ihrem Zimmer genommen und ihrer Enkelin sagen lassen, sie wünsche ste um vier Uhr im Erker zum Kaffee zu sehert.
Pünktlich fand sich Renate ein. Da es ein sehr wärmet Tag war, hatte sie zu einem hübschen fußfreien Tuchrock eine weißseidene Bluse gewählt. Sie sah blaß aus und ihren braunen Samtaugen fehlte heute ganz der sonnige Glanz, der sonst darin lag und sie so wunderschön erscheinen ließen.
Sie hatte den zierlich gedeckten Tisch, auf dem Frühlingsblumen in einer länglichen Schale standen, daraufhin angesehen, ob auch nichts fehlte. Nun ordnete sie die bunten Blüten etwas gefälliger, malerischer, damit ste besser zur Wirkung kamen. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür die zum Schlafgemach Frau von Nehrings führte und di« alte Dame trat ins Zimmer. Hoch, ungebeugt, wie immer. Ihr Gesicht hatte einen seltsamen starren Ausdruck, so daß dos junge Mädchen sich wie von EiseSkälte angeweht fühlte. Aber ihren Mut zusammennehmend, trat sie auf die alte Dame zu, küßte ihr die Hand und sagte mit leiser Stimme:
„Hoffentlich fühlst du dich heute wieder bester, liebe Großmutter?"
„Ich fühle mich ganz wohl," antwortete Frau Mara von Nehring mit fester Stimme.
Sie ließ sich in einem der beiden Sessel nieder, die neben dem im Erker gedeckten Kaffeetisch standen.
Gottsetzmrg fvlgtz.