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stellenden Krise ist aber selbst der unmündig Gehaltene berechtigt, Europa nicht nur zu er- sehnen, sondern sogar zu fordern. Daß das im Falle Frankreich eine radikale Aenderung seiner Deutschlandpolitik notwendig machen würde, geht aus dem Obigen, vom Sinngehalt her genommen, klar hervor.

Und damit kommen wir zur französischen Innenpolitik zurück. Die Misere ist nur durch Verwirklichung des Europagedankens zu be- heben. Er allein kann, kraftvoll vertreten, ge- gen diktatorische Gelüste von rechts und links der echten Demokratie wieder zu Ehre und Ansehen verhelfen. Einzeln sind die euro- päischen Länder jeder Willkür von Ost und West hilflos ausgeliefert und wirtschaftlich auf Dauer abhängig. Vereint bleibt ihnen eine Chance darunter auch Frankreich und folge- richtig dem, was von Deutschland übrigblei- ben wird.

Konstruktive Verständigung NEUSTADT a. d. H. Der Ministerpräsident von Rheinland- Pfalz, Peter Altmeier, be- faẞte sich in zwei Großkundgebungen der CDU mit dem deutsch- französischen Verhält- nis und erklärte dabei, jedes Besatzungsre- gime bringe Komplikationen für die Bevöl- kerung des besetzten Gebietes mit sich. Die mit der Besetzung verbundenen Lasten seien in der französischen Zone jedoch deshalb be- sonders fühlbar, weil nicht nur die Zahl der Besatzungsmitglieder und ihrer Familienan- gehörigen besonders groß wäre, sondern auch die gesamte Besatzung aus Mitteln der Län- der finanziert, sowie mit Lebensmitteln und sonstigen Gütern des täglichen Lebensbedarfs

SCHWABISCHES TAG BLATT

Sitz des Parlamentarischen Rates

Von unserem Düsseldorfer G. F. H.- Korrespondenten

Bonn, die Stadt, in der der Parlamentarische Rat eine Verfassung für die elf Länder der Tri- zone ausarbeitet, die das erste Nachkriegswerk sein wird, das über 40 Millionen Deutschen ein Gerüst für den Staatsaufbau sein wird, ist nicht mehr die alte, frohe und unbekümmerte Stadt,

an die sich manche Studentengeneration gerne erinnert. Das Bonn von heute wurde im letzten Krieg zu einem Drittel zerstört. Heute wohnen aber bereits wieder 106 000 Einwohner in seinen Mauern, womit diese alte Römersiedlung gegen- über dem Siebengebirge die dichtestbesiedelte Großstadt des Westens ist. Im südlichsten Zipfel der britischen Zone gelegen, unmittelbar an der Zonengrenze zum französisch besetzten Gebiet, hatte die Stadt in den letzten Jahren sehr dar- unter zu leiden, von ihren Liefer- und Wirt- schaftsräumen abgeschnitten zu sein. Das gilt na- türlich auch für den Fremdenverkehr, und so hat es wohl kaum eine andere Gemeinde des engli- schen Gebiets mehr begrüßt, daß seit kurzem der Verkehr zur Mosel und nach Rheinland- Pfalz frei wurde.

In der Stadt selbst verdecken Grünanlagen und Bäume schon wieder sehr viel von den Zerstö- rungen, die das Viertel um die Münsterkirche zur Hälfte in Asche legten, schwer wurde auch das kurfürstliche Schloß, die spätere Universität, getroffen, das Poppelsdorfer Schloß ist zum gro- Ben Teil zerstört. Die Trümmer der Beethoven- halle und des Stadttheaters aufzubauen, lohnt sich nicht mehr.

Dagegen wird der Aufbau der Universitätskli- niken auf dem Venusberg, die Beseitigung der Schutt- und Trümmermassen in der Altstadt mit allem Nachdruck betrieben, draußen am Rhein

gehen die Vorarbeiten für den Brückenbau nach Beuel rasch voran. Einzigartig ist auch, daß man die Altstadttrümmer nicht abfährt, sondern dazu benutzt, diese Stadtteile hochwasserfrei zu ma- chen und gleichzeitig der bisher steilen Brücken- auffahrt ein geringeres Gefälle zu geben.

Die Universität ist mit ihren Kliniken und In- stituten wieder in der Lage zu arbeiten, die Hör- säle sind überfüllt.

Draußen am Rhein, weit ab von jedem Durch- gangsverkehr, wird der Parlamentarische Rat in der Pädagogischen Akademie tagen, einem fast rechteckigen nüchternen, weißen Gebäudekom- plex, der erst kurz vor dem Kriege fertig wurde. Im Museum Max König, dessen zoologische Sammlung während der Tagung des Rates nur beiseite gestellt wird, sollen die offiziellen Emp- fänge stattfinden, die repräsentative Fassade schafft einen würdigen Rahmen um diesen er- sten Kern der deutschen Staatswiedergeburt, die zwar nur ein Anfang sein wird. Rheinische Art und rheinischer Charakter werden versuchen, den 65 Abgeordneten ihren Aufenthalt möglichst angenehm zu gestalten.

Die Bonner nehmen die neuen Gäste gerne auf; sie werden sie durch ein Abzeichen für Mitglie- der des Parlamentarischen Rates" gekennzeichnet sehen. Schon liegen in den Schaufenstern schwarz- rot- goldene Schlipse. Wach- und Schließ- gesellschaften bieten ihre Dienste für hohe poli- tische Persönlichkeiten und wertvolle Akten an. Wegweiser erleichtern den Abgeordneten die Orientierung, sei es nun, daß sie zu den Aus- schußsitzungen oder zur Mensa wollen, in der der Erfrischungsraum untergebracht ist.

2. September 1948

Schacht entlastet

LUDWIGSBURG. Die Berufungskammer, die gegen den ehemaligen Wirtschaftsminister und Reichsbankpräsidenten Dr. Hjalmar Schacht zu entscheiden hatte, reihte Schacht in die Gruppe der Entlasteten ein.

o. h. Mit Recht hat der eine der beiden An- kläger in der Berufungsverhandlung darauf hin- gewiesen, daß die Entscheidung der Kammer im Falle Schacht maßgebend sein würde für die Be- urteilung von 100 000 anderen Fällen. Zwar ist die Beurteilung des Naziförderers Schacht nicht ganz so einfach wie die irgendeines Mitläufers. Schacht ist eine merkwürdig schillernde Persön- lichkeit, der gerecht zu werden nicht leicht ist. Er ist zweifellos einer der größten Wirtschaftssach- verständigen, aber auch ein Mensch mit einem außerordentlich starken Geltungsbedürfnis, des- sen Handlungen weitgehend von opportunisti- schen Erwägungen bestimmt werden. Das haben auch die Verschwörer des 20. Juli gewußt, die ihm mit einer auffallenden inneren Reserve ge- genüberstanden, wenn sie ihn nicht überhaupt ablehnten. Im ,, Anderen Deutschland", den Tage- buchaufzeichnungen des Botschafters von Hassel, kommt diese starke Zurückhaltung wiederholt und sehr bezeichnend zum Ausdruck.

Kaum ein anderer hat so viel wie Schacht da- zu beigetragen, Hitler in den Sattel zu heben. Später wiederum war es sehr schwer, zu ent- scheiden, ob Schachts Opposition gegen den Na- tionalsozialismus mehr in der Sorge um die Zu- kunft Deutschlands ihren Ursprung hatte, oder ob sie nicht der verletzten Eitelkeit des Ratge- bers entsprach, dessen Rat mit der Zeit unbe- quem geworden war.

Schacht hat seine Unterstützung Hitlers in al- ler Oeffentlichkeit vollzogen, und er hat damit bei in

versorgt werden müsse. Hinzu komme noch, Entwurf für den südwestdeutschen Staatsvertrag aufer verurteilt worden sind, erst den Ent-

daß die von der französischen Militärregierung bisher betriebene Politik der Zonenabschnü- rung in der Bevölkerung das Gefühl einer ge- fährlichen Isolierung vom übrigen Deutsch- land und zugleich den Argwohn ausgelöst habe, daß mit der Zonenisolierung weitgehende politische Zielsetzungen verknüpft seien.

Unter diesen Umständen sei es nicht immer ganz leicht gefallen, die Linie einer konstruk- tiven deutsch- französischen Verständigungs- politik durchzuführen.

Es habe den Anschein, daß Ministerpräsi- dent Robert Schuman eine Neugestaltung der deutsch- französischen Beziehungen sich zum Ziel gesetzt habe. Daß Europa nicht ohne Deutschland aufgebaut werden könne, sei von den maßgeblichsten Persönlichkeiten Frankreichs von jeher vertreten worden.

Mit besonderer Genugtuung habe man aus der Rede Schumans vor der außenpolitischen Kommission des Rats der französischen Re- publik entnommen, daß eine Reform der Be- satzungsverwaltung, die zur einer Verein- fachung führen solle, bevorstehe. Mit Schu- man habe sich erstmals ein französischer Mi- nister in aller Oeffentlichkeit fortschrittlich und zugleich kritisch über die französische Besatzungspolitik in Deutschland geäußert und den ernsten Willen zur Abstellung der Miß- stände dokumentiert.

Ministerpräsident Altmeier erklärte: ,, Auch im französisch besetzten Gebiet muß das Ver- hältnis zwischen Militärregierung und deut- schen Regierungen immer mehr von dem Cha- rakter eines Befehlsverhältnisses befreit und zur vertrauensvollen Zusammenarbeit auf der Basis der Gleichberechtigung umgeformt wer- den." Bedenklich sei es allerdings, daß in dem Augenblick, da sich eine grundlegende Wand- lung in den deutsch- französischen Beziehun- gen abzeichne, durch rücksichtslose Durch- führung überlebter Demontagebeschlüsse, die noch aus dem Geist der Morgenthau- Politik geboren seien und die wirtschaftliche Vernich- tung statt des wirtschaftlichen Aufbaus Deutsch- lands und seine Eingliederung in die europä- ische Wirtschaftsgemeinschaft zum Ziel hät- ten, die Chance für eine endgültige deutsch- französische Verständigung gefährdet werde. Herausgeber und Schriftleiter: W H. Hebsacker( z. Zt. in Url.) Dr. Ernst Müller und Alfred Schwenger Weitere Mitglieder der Redaktion:

Dr Helmut Kiecza und Joseph Klingelhöfer Monatlicher Bezugspreis einschl Trägerlohn 1.80 DM, durch die Post 2.16 DM. Einzelverkaufspreis 20 Pf. Erscheinungstage: Dienstag. Donnerstag. Samstag

Der Have von Sigertissen

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,, Landesbezirke" bilden den ,, Südweststaat"/ Landsmannschaftlicher Ausgleich BADEN- BADEN. Der nun im Wortlaut ver- öffentliche Staatsvertragsentwurf für den Zu- sammenschluß der drei südwestdeutschen Länder Nordwürttemberg- Baden, Südbaden und Würt- temberg- Hohenzollern, über den sich die zehn Vertreter der drei südwestdeutschen Länder am 24. August in Karlsruhe geeinigt haben, hat im wesentlichen folgenden Inhalt:

stens einen seiner Senate in Stuttgart haben. Die lebenswichtige Bedeutung des politischen und wirtschaftlichen Schicksals der Stadt Kehl wird besonders anerkannt.

,, Im Geiste gegenseitigen Vertrauens", so sagt die Präambel, und von dem Willen beseelt, dem gemeinsamen Wohl zu dienen", vereinigen sich die Länder Baden, Württemberg- Baden und Württemberg- Hohenzollern in einem Südwest-

staat.

Ein erster Abschnitt des Entwurfes enthält all- gemeine Fragen des Zusammenschlusses, wie die Uebertragung der Hoheits- und fiskalischen Rechte der Länder auf den Südweststaat, um- grenzt das neue Staatsgebiet und gliedert die- ses in vier staatliche Landesbezirke, die den bisherigen Ländern Baden und Württeraberg- Ho-

henzollern sowie den Landesbezirken Württem- berg und Baden des bisherigen Landes Württem- berg- Baden entsprechen. Weitgehende Dezentra- lisation und Einheit der Verwaltung werden angestrebt. Die Besetzung der Landes- regierung, der Behörden- und Beamtenstellen soll landsmannschaftlich ausgeglichen sein. Die vollziehende Gewalt wird durch die Landesregierung oder Minister in denjenigen Angelegenheiten unmittelbar ausgeübt, die über den Bereich eines Landesbezirks hinaus Bedeu-

tung haben.

Der zweite Abschnitt des Entwurfes schafft als staatliche Verwaltungsbehörde der Landesbe- zirksverwaltung ein Landesbezirksprä- sidium und regelt dessen Aufbau( Präsident des Landesbezirks, Landesbezirksdirektoren) so- wie seine Zuständigkeit( alle Geschäfte der staat- lichen Verwaltung in der Stufe des Landesbe- zirks, mit Ausnahme der Geschäfte der Justiz-, Finanz- Eisenbahn- und Postverwaltung).

Der dritte Abschnitt teilt den Landesbe- zirken das Selbstverwaltungsrecht für Auf- gaben zu, die ihnen durch Gesetze zugewiesen werden oder die sie mit Genehmigung der Lan- desregierung freiwillig übernehmen.

Eine ganze Reihe ,, besonderer Bestim- mungen" findet sich im vierten Abschnitt: Kein Landesbezirk darf gegenüber den anderen Landesbezirken bevorzugt oder benachteiligt werden. Wo die christliche Simultanschule be- steht, bleibt sie erhalten. Eine gerechte staat- liche Förderung der Wirtschaft wird gleich- mäßig für die Landesbezirke gewährleistet. Die Flüchtlinge sind im Gebiet des Südwest- staates gleichmäßig zu verteilen. Auf die beiden württembergischen und die beiden badischen Landesbezirke entfällt je ein Oberlandesgericht. Der Verwaltungsgerichtshof des Süd- weststaates mit Sitz in Karlsruhe wird minde-

VON KARL FUSS Recht

Glücklich und stolz war sie in ihrer Liebe und doch kamen Stunden, wo sie nicht ohne Verbitterung ihre Lage überdachte: schließlich war sie, wenigstens in den Augen der Welt, nichts anderes als die Geliebte des Bauern, und es tat weh, den hämischen und höhnischen Blicken innerhalb und außerhalb des Hauses ausgesetzt zu sein. Das wurde nicht einmal durch die Musik ganz ausgeglichen, in der sie sich immer wieder begeistert mit Lorenz fand.

Als sie vollends nach Jahresfrist erkannte, daß sie schwanger war, schien ihr das weitere Leben fast ausweglos zu sein.

Es dauerte nicht lange, bis Pia das Geraune der Leute von Justines Zustand erreichte; es bestätigte nur ihre eigene Vermutung. Ihr Haẞ erstarrte nun ins Maßlose. Gegen Lorenz rich- tete er sich nicht mehr, ihn hatte sie eigent- lich immer als den Verführten angesehen und zudem konnte sie ihre Liebe zu ihm nicht aus dem Herzen reißen.

In ihren einsamen Nächten sann sie auf Rache. Durch Justine, die Scham und Recht beiseitegeschleudert, war ihr Leben zerstört wor- den sie sollte mit ihrem eigenen dafür büßen.

Wir besitzen nichts als die späteren Aus- sagen Pias vor Gericht, um nachzufühlen, wie sich der Mordplan langsam, aber unauf- haltbar in ihre Seele einfraß, bis er sie ganz erfüllt hatte. Aber diese Aussagen waren von einer fast objektiven Klarheit und Nüch- ternheit, als habe sie selber mit aller Kraft sich deuten wollen, wie es soweit hatte kom- men können. Aus den Zeugenaussagen ging übrigens hervor, daß sie in den letzten Wo- chen vor der grausigen Tat von einer gegen- über ihrer bisherigen Unrast abstechenden stillen Heiterkeit getragen schien. Der Staats- anwalt wollte dies als Zeichen ungewöhnli-

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cher Verworfenheit gewertet wissen, wäh- rend der Verteidiger wir glauben mit es einfach als die Ruhe vor dem Sturm erklärte: Inun, da sie ihren unheilvol- len Entschluß einmal gefaßt hatte, sie ihn im Geiste schon ausgeführt sah, fiel das stän- dige Herumdenken über ihr schweres Los von ihr ab; mit echt weiblicher Phantasiekraft schaute sie bereits eine schönere Zeit vor sich, denn sie zweifelte zugegeben: in einer gewissen Einfältigkeit nicht daran, daß sich Lorenz ihr sofort wieder zuwenden würde, sobald Justine beseitigt sei. Sie mordete nicht nur aus Haẞ, sondern auch aus Liebe.

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Pia verstand es, sich ein langsam wirken- des Gift zu verschaffen. In geschickter Weise brachte sie es der Verhaßten bei, deren Leib ein Kind von Lorenz trug. Es würde mit ihr vernichtet werden

Nicht sehr lange vor ihrer voraussichtlichen Niederkunft erlag Justine den Giftdosen.

Tags darauf wurde Pia bereits verhaftet, denn die Gerüchte über die seltsame Wirtschaft auf dem Wetzelhof ließen den Todesfall den Be- hörden verdächtig erscheinen. Eine Sektion der Leiche ergab einwandfrei die Vergiftung. Pia leugnete nichts, nachdem man ihr die Tat auf den Kopf zugesagt; sie erklärte, sie bereue sie auch nicht. Lorenz war nur kurze Zeit festgesetzt; es lag kein Grund vor, ihn etwa der Mitwisserschaft zu bezichtigen, denn wie die Dinge lagen- und sie lagen ja sehr offen und Lorenz gab als Zeuge gleichfalls klare Auskunft konnte ihm ja Justine nicht im Wege sein, die er leidenschaftlich liebte und die ein Kind von ihm erwartete. Er gab ohne weiteres zu, daß seine Beziehun- gen zu Justine seine Frau aufs äußerste hat- ten reizen müssen, und er war nobel genug, ihre Tat damit zu entschuldigen ohne frei- lich das geringste Bedauern zu zeigen, daß es ja seine Leidenschaft für die Tote gewesen war, die Pia ins Unheil verstrickt hatte. Seine Liebe sei unabwendbar, sei vom Schicksal verhängt gewesen; hätte er Justine nur we-

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Die Schlußbestimmungen des Entwur- fes sehen für Streitigkeiten aus den Bestimmun- gen des Staatsvertrages einen Staatsgerichtshof vor. Der Staatsvertrag unterliegt zusammen mit der Verfassung des Südweststaates, dessen Be- standteil er ist, der Volks abstimmung und tritt auch zusammen mit der Verfassung des Süd- weststaates in Kraft.

schluß zum Mitmachen hervorgerufen. Mit sei- nem Wort von dem Kahn in dem wir alle säßen und aus dem keiner aussteigen könne, hat er auch noch kurz vor dem Krieg manchen resignie- ren lassen, der selbst wachsende Bedenken gegen den eingeschlagenen Kurs hatte. Daß er selbst damals bereits im Begriffe stand, auszusteigen, konnten nur wenige wissen. Deshalb wird das Ur- teil der Berufungskammer in der Oeffentlichkeit wohl nur wenig Verständnis finden, gleichgültig welches die Gründe für die Entscheidung gewe- sen sein mögen, und es wird nur ein neuer Bei- trag dazu sein, die Denazifizierung, wie sie bis- her gehandhabt worden ist, als eine noch proble- matischere Angelegenheit erscheinen zu lassen.

Nachrichten aus aller Welt

TÜBINGEN. Landtagsabgeordneter Dr. Eduard Leuze( DVP) nimmt als Vertreter von Württem- berg- Hohenzollern an dem Kongreß der europäi- schen interparlamentarischen Union in Interlaken, der am Mittwoch seinen Anfang nahm, teil.

BADEN- BADEN. Die Demontage von 12 Teilwer- ken der Badischen Ainilin- und Sodafabriken in Lud- wigshafen wurde, wie aus Baden- Baden gemeldet wird, auf Grund des Explosionsunglücks zwecks neuerlicher Ueberprüfung vorläufig zurückgestellt.

MÜNCHEN. Vom bayerischen Landtag wurde ein- mütig eine Denkschrift über die Verbrechen an der Menschlichkeit" in den deutschen Ostgebieten, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und Jugoslawien ausgearbeitet, die der UN zugeleitet werden soll.

FRANKFURT. Namhafte Journalisten aus den drei Westzonen und West- Berlins werden an einem Se- minar des amerikanischen Presseinstituts der Colum- bia- Universität in New York teilnehmen.

FRANKFURT/ Main. Das wirtschaftliche Mitbestim- mungsrecht der Betriebsräte könne er nicht billi- gen, erklärte General Clay dem Ministerpräsidenten Stock nach einer Unterredung über das seit langem, strittige hessische Betriebsrätegesetz.

HOF. Die aus der Tschechoslowakei emigrierten Tschechoslowaken und die ausgewiesenen Deutschen vertrugen sich in ihrem gemeinsamen Lager Mo- schendorf nicht. Als neun Deutsche Messerstiche da- vongetragen hatten, wurden nun die Tschechen ge- sondert untergebracht.

DÜSSELDORF. Der amtierende britische Gouver- neur für Nordrhein- Westfalen hat dem Präsidenten des nordrhein- westfälischen Landtages mitgeteilt, daß die Militärregierung das vom Landtag be- schlossene Sozialisierungsgesetz nicht genehmigen werde, da die Sozialisierung des Bergbaus, der zum Nationalvermögen gehöre, nur von einer deutschen Regierung und nicht von einer Landesregierung be- handelt werden könne.

PARIS. Mit Pinsel und Palette hält sich Winston Churchill in der südfranzösischen Stadt Aix en Pro- vence auf, um gleichzeitig auch den letzten Band

nige Monate früher gesehen, so hätte er eben sie geheiratet und alles wäre gut gegangen, erklärte er. Auch er habe nichts zu bereuen. So schien denn ein zwar grausiger, aber immerhin nicht vereinzelter Fall eines Mor- des aus Eifersucht und verletzter Liebe vor- zuliegen. Da gelang in letzter Stunde Pias Verteidiger eine aufsehenerregende Entdek- kung, die die ganze Affäre in ein neues Licht rückte und ihr erst jene düstere Größe gab, die sie uns nacherzählenswert zu machen dünkte.

Dieser Rechtsanwalt, der die Mörderin mit Hingabe verteidigte, weil er in ihr das wenn nicht schuldlose, so doch entschuldbare Opfer böser Verhältnisse sah, war ein ausgezeich- neter Menschenkenner und-behandler. Es ergab sich von selbst, daß er sich mehrmals mit dem Mann seiner Klientin besprach, und dabei entging dem durch eine lange Berufser- fahrung geschulten Psychologen nicht, daß Lorenz immer an einem bestimmten Punkte seiner Aussagen sich zurückhielt. Es fiel dem gescheiten Advokaten nicht allzu schwer, durch verfängliches Fragenspiel und eine ge- wisse Rabulistik den durch Justines Tod ohne- dies verstörten Lorenz in Widersprüche zu verstricken, die er ihm dann spöttisch vor- hielt, und dem darüber Aufgebrachten end- lich das große Geheimnis zu entlocken: daß Justine ihm in den letzten Wochen ihres Le- bens heftig zugesetzt hatte Pia, die ver- haßte Nebenbuhlerin, zu vergiften. Es mochte ihre Schwangerschaft mit dafür verantwortlich sein, daß sie die Umstände, unter denen sie zu leben gezwungen war, besonders kränkend empfand und mit Kummer an die Zukunft dachte. Als echte Bauerntochter erwartete sie einen Knaben zur Welt zu bringen es würde ein Bastard und kein Hoferbe sein, solange sie nicht Hofbäuerin war.

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Der Verteidiger spielte seinen großen Trumpf erst in der Hauptverhandlung aus. Es war na- türlich eine Sensation", die dem Prozeß eine Wendung gab. Noch in den sachlichen Zeitungsberichten zitterte etwas von der Er-

seiner Lebenserinnerungen zu schreiben. Mit G eral de Gaulle hatte er eine lange und herzliche Aus- sprache".

BUDAPEST. Ungarn beabsichtigt die Zahlung sei- ner Kriegsschulden an Jugoslawien einzustellen. LONDON. Im Lancaster- House wurde am Montag- abend die Konferenz der Außenministerstellvertreter, die sich mit dem Schicksal der ehemaligen italieni- schen Kolonien zu befassen hatte, beendet. In ei- nem Schlußkommuniqué wurde nur mitgeteilt, daß die Sonderbeauftragten ihren Ministern die ausge- arbeiteten Empfehlungen zustellen würden. AMSTERDAM. Nach einem Jahreszuwachs von et- wa 190 000 Menschen zählt Holland nunmehr über 9,7 Millionen Einwohner.

STOCKHOLM. Mit der Annahme des Entwurfes einer Konvention zum Schutze der Zivilbevölkerung vor Repressalien und Deportationen wurde die 17. internationale Rote- Kreuz- Konferenz abgeschlossen.

TEL AVIV. Die Regierung des Staates Israel hat am vergangenen Sonntag mit der Prägung eigenen Geldes begonnen.

CANBERRA. Nach Argentinien, Chile, Norwegen, Frankreich, Neuseeland und Großbritannien wurde nun auch Australien von der USA- Regierung zur Teilnahme an der Antarktis- Konferenz eingeladen. NEW YORK. Der Generalsekretär der UN, Trygve Lie, begab sich nach Paris, wo am 23. September die Generalversammlung der UN beginnen wird. CANBERRA. Acht Millionen Pfund Sterling soll Großbritannien 1949 von Australien geschenkt er- halten. Im vergangenen Jahr waren es 20 Millio-

nen.

WARSCHAU. Mit Hilfe der Werften von Gdingen, Danzig und Stettin soll die polnische Handelsflotte bis 1958 auf etwa 600 000 t Schiffsraum gebracht und damit verdreifacht werden.

HELSINKI. Der Sekretär der finnischen kommu- nistischen Partei ist aus Moskau zurückgekehrt. Trotz weitverbreiteter Mißbilligung wird nun auch die KP Finnlands dem Kominform beitreten.

regung nach, die Gerichtshof und Zuhörer bei dieser Enthüllung erfaẞte.

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Obgleich eine Untat ja nicht weniger ver- abscheuungswürdig wird, weil ein anderer sie ebenfalls plante, wurden Pia nunmehr ohne weiteres die mildernden Umstände zu- gebilligt ,, sie hat sozusagen in unbewußter Notwehr gehandelt", sagte der Rechtsanwalt, der richtig auf die gefühlsmäßige Einstellung der Geschworenen spekuliert hatte. Sie kam mit zehn Jahren Zuchthaus davon. Es blieb auch nicht unausgesprochen, daß die tote Justine wegen Versuchs der Verleitung zum Mord mit einer nicht viel niedrigeren Strafe hätte rechnen müssen. Lorenz selber konnte nicht nachgewiesen werden, daß er Justines Verlangen irgendwie begünstigt, ja es über- haupt ernst genommen hatte. Er blieb straf- frei. Er schien übrigens sehr niedergedrückt, daß er sich von dem Verteidiger das Ge- heimnis hatte entreißen lassen, aber nach- dem es geschehen war, machte er in der Ver- handlung klare Aussagen. Es waren seine letzten. Nach der Verhandlung blieb er tagelang verschollen. Schließlich fand man ihn ver- wildert und halbverhungert in den Waldun- gen von Sigertissen auf, nicht einmal weit von seinem Hof entfernt. Und seitdem war sein Geist verstört. Einige Jahre brachte er in der Irrenanstalt zu, dann konnte er als harmlos entlassen werden. Merkwürdiger- weise waren ihm seine musikalischen Fer- tigkeiten nicht beeinträchtigt worden.

Es bleibt nur noch nachzutragen, daß Pia das Zuchthaus nicht ertrug. Zwei Jahre vor ihrer Entlassung starb sie.

Das ist in groben Umrissen, was ich an jenem Abend von Freund Willibald und Frau Agathe über das Schicksal jenes Mannes er- fuhr, dessen Spiel es mir so angetan hatte. Die Dämmerung hatte sich niedergesenkt, wir schwiegen lange. In dieses Schweigen hinein dröhnten vom nahen Dorfe her die schick- salsträchtigen Klänge der Egmont- Ouvertüre, gespielt vom Narren Lorenz Wetzel...( Ende)