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Sowjets in Bukarest, in Warschau oder in Belgrad ihre Satelliten versammeln. Wenn sie aber mit den ebenbürtigen anglo- amerikani- schen Gegenspielern am Verhandlungstisch sit- zen, dann entbrennt der heftigste Kampf zu- nächst einmal um die Verfahrensfrage. Schon die Pariser Konferenz über die Friedensverträge mit Italien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Finnland war in dieser Hinsicht ein unheil- volles Omen. Es ging weniger darum, wie die Probleme in einer für alle annehmbaren Weise zu lösen seien, sondern darum, wer wen unter welchen Bedingungen überstimmen könne. Wenn Molotow auf dem Forum der Vereinten Natio- nen bisher den kürzeren zog, so hat sich Wy- schinski jüngst auf der Donaukonferenz trium- phierend gerächt. Solche Abstimmungen sind nichts weiter als Messungen der eigenen Ein- flußsphäre.
SCHWÄBISCHES TAG BLATT
Hollands„ gute Frau" steigt vom Thron
Amsterdam bereitet sich fieberhaft auf die am 31. August zu Ehren der Königin Wilhelmine stattfindenden Jubiläumsfeierlichkeiten und auf Prinzessin Juliane vor. Schon jetzt werden alle öffentlichen Gebäude und historisch bedeut- samen Bauten für die Feierlichkeiten herge- richtet. Mehr als 12 km Stoff sollen zur Aus-
die für 5. September angesetzte Krönung der
schmückung der Stadt Verwendung finden.
CD Die alte Dame im Haag ist weltbekannt. Geliebt wird sie von den Holländern, die sie ein halbes Jahrhundert lang weise und milde regiert hat.„ Ist eine gute Frau im Haus, lacht die Freude zum Fenster raus", sagt ein holländisches Sprichwort. In Holland sind gute Der Dualismus von West und Ost, der heute Frauen nicht nur im Haus. Sie sitzen auch auf dem Thron. Am 5. September über- gibt Königin Wilhelmina das Zepter ihrer nicht minder beliebten Tochter Juliana. Das Frauenregiment geht weiter. Die Holländer haben sich dran gewöhnt.
alle internationalen Beziehungen überschattet, wird durch keinerlei Mehrheitsbeschlüsse über- wunden werden. Denn niemand kann die eine oder andere Partei daran hindern, die Konferen- zen zu verlassen und die Freiheit des Handelns für sich in Anspruch zu nehmen. Aber, wie H. G. Wells einmal Stalin in einem Interview ent-
gegengehalten hat: wir sitzen alle im gleichen Schiff. Letztlich kann keiner die Türen hinter sich zuschlagen. Aus solcher Anerkennung des Unabänderlichen und Notwendigen heraus hat es Churchill im neuesten Band seiner Memoiren verurteilt, daß in der Gegenwart die Völker ,, angetrieben von ihren Leiden und den Mas-
senlehren" die Konferenztische umstünden und ungeschmälerte Vergeltung heischten. Als Vor- bild wies er auf die Tage der Verträge von Ut- recht und Wien, wo aristokratische Staatsmän- ner und Diplomaten, Sieger und Besiegte ohne Unterschied, in höflicher und höfischer Disputa- tion zusammenkamen, um die Staatensysteme neu zu schaffen, über deren Grundlagen sie alle eines Sinnes waren". Nur in dem Maße, in dem Einsicht und Vernunft die Verblendung und die
Lockung zur Gewalt überwinden, wird das Ge- spräch der Mächte wieder zu einem Erfolg der
geheimen oder der offenen Diplomatie.
,, Bund deutscher Länder" BONN. Die Tagesordnung für die Eröff-
nungssitzung des Parlamentarischen Rates am 1. September in Bonn sieht, wie von unter- richteter Seite verlautet, lediglich die Wahl des Präsidiums und die formelle Uebergabe des vom Verfassungsausschuß in Herrenchiem- see ausgearbeiteten Entwurfs für den west- deutschen ,, Bund deutscher Länder" vor. An dem Staatsempfang in Bonn werden die drei Zonenbefehlshaber, führende westdeutsche Po- Htiker und Vertreter Berlins teilnehmen.
In Herrenchiemsee wurden die Besprechun- gen am Montagnachmittag abgeschlossen. Das Plenum trat dafür ein, daß keine eigene Bun- desfinanzverwaltung eingerichtet und der Bund verpflichtet werde, Ueberschüsse an Ein- nahmen an die Länder zurückzuverweisen. Im Namen der Tagungsteilnehmer dankte ab- schließend Staatsrat Prof. Dr. Schmid der bayerischen Staatsregierung für ihre Gast- freundschaft.
Die Zonenvereinigung BERLIN. Der Direktor der Wirtschaftsab- teilung der US- Militärregierung für Deutsch- land, Wilkinson, vertrat in einem Inter- view die Ansicht, daß die wirtschaftliche Ver- schmelzung der französischen Zone mit der Bizone erst nach Bildung einer westdeutschen Regierung erfolgen werde. Bis zu diesem Zeitpunkt könne die französische Militärregie- rung ihre Besatzungspolitik mit der britischen und amerikanischen koordinieren und auf- hören, den Bedarf ihrer Besatzungstruppen aus dem von ihr besetzten Gebiet zu decken.
Die Reparationsfrage stehe in keinem Zu- sammenhang mit der Verschmelzung der Zo- nen. Die Entscheidung über das Ausmaß der Demontagen liege allein bei der französischen Militärregierung. Die amerikanische Militär- regierung beabsichtige nicht, sich in diese Frage einzumischen.
Männer sind immer rar gewesen im hol- ländischen Königshaus. In vier Jahrhunderten lagen nur 15 Prinzen in der Wiege des könig- lichen Palastes. Der letzte Oranier, König Wilhelm III., holte sich als rüstiger Sechziger eine junge Frau aus Deutschland. Prinzessin Emma von Waldeck- Pyrmont schenkte ihm eine Tochter.„ Ons Wilhelmintje" sagen die Holländer zu ihr. Heute ist sie 68 Jahre alt, und die Zuneigung der Holländer ist nicht geringer geworden.
derländische Viktoria. Man rühmt ihren staats- männischen Blick, ihre kluge Zurückhaltung, ihren persönlichen Mut. Die holländische Ver- fassung beschränkt den Einfluß der Königin auf die Politik. Ihr Rat spielt eine wichtige Rolle. Im ersten Weltkrieg sorgt Wilhelmina dafür, daß Holland neutral bleibt. Im zweiten flieht sie vor den deutschen Truppen nach London. Bei jedem Luftangriff auf die eng- lische Hauptstadt schleppt sie ein dickes Pa- ket wichtiger Staatspapiere in den Luftschutz-
keller.
Nach ihrer Rückkehr zieht die schwerfäl-
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26. August 1948
Die Weltverbesserer
cz Von Zeit zu Zeit finden sich, meist recht zu- fällig- in dieser Sache vielleicht auch weniger zufällig- einige Leutchen zusammen, denen ur- plötzlich aufgeht, in der Welt sei etwas nicht in Ordnung. Und dann setzen sie sich zusammen und denken nicht etwa darüber nach. Nein, sie wollen die Welt gleich verbessern. So auch die- jenigen, die sich in Tübingen jüngst trafen, um drei Tage damit zu verbringen, ihr Ei zu legen. Irgend etwas scheint nicht geklappt zu haben. Das versprochene Kommuniquè blieb aus. Kom- muniquè: ein rundes Wort für eine kurzatmige
Sache.
richtenbüromeldung war die Rede von fortschritt- xistischen).
Was wollten die 20 inoffiziellen Gäste aus Ber- lin, München, Hamburg usw. denn eigentlich? Wie durchsickerte, gefallen ihnen die heutigen lige alte Dame in eine kleine Villa am Stadt- Parteien nicht, und da dachten sie es mit einer rand. Der königliche Palast bleibt leer, um ,, Deutschen Union" zu versuchen, mit einer ,, drit- Kohlen und Elektrizität zu sparen. Für hö- ten Kraft"( Frage: wer ist die erste, wer die fisches Zeremoniell hat Wilhelmina nie viel zweite?). Ein weiser Entschluß und sicherer Weg übrig gehabt. Jetzt finden die Audienzen in zu den 49 Parteien von vor 1933. Das andere kommt dann wieder von selbst. In einer Nach- ihrem Wohnzimmer statt. In ihren Muẞestun- den malt die Königin. Sie ist eine talentierte lichen Kreisen der CDU und der SPD( nichtmar- Künstlerin, die öfter Bilder ausstellt und Mit- glied der belgischen Akademie in Brüssel ist. Auf ihre vier Enkelinnen ist sie sehr stolz. Mit ihrem flugzeugsteuernden Schwiegersohn, der im Krieg bei der britischen Luftwaffe Dienst tat, versteht sie sich ausgezeichnet. Er darf sogar in ihrem Speisezimmer rauchen. Nur seine Autokunststücke sind ihr manch- Möge, wer sich berufen fühlt, einer der bestehen- mal unbehaglich.
Eine bescheidene Meinung sei geäußert: Ent- weder gewinnen die bisherigen Parteien aus sich heraus freies Feld und klare Anschauungen über die Grundlebensfragen unserer Gegenwart; oder sie vermögen das nicht. Parteigründungen in die- ser Zeit zeugen nur von politischer Unreife.
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den Parteien beitreten er kann sich's ja aus- suchen, welcher I und seine Gedanken vortra- gen! Bis jetzt hat man doch den Eindruck, daß so gut wie alle aktiven Kräfte den Parteien herz- lichst willkommen sein müssen.
Die oben angeführte Nachrichtenquelle weiß noch zu berichten, daß es vieren der Teilnehmer gelungen sei, zu diesem Zweck per Flugzeug gen Tübingen über Baden- Baden zu wallen. Und hier ist das Positive der ganzen Angelegenheit klar umrissen: eine kleine Urlaubsreise für Berliner.
Die neue Königin Juliana schickt ihre klei- nen Töchter in eine öffentliche Schule. Der Die kleine Prinzessin war schon als Kind Patenonkel der jüngsten, der kleinen Ma- für den Thron bestimmt.„ Kleine Lilienkö- rijke, ist Winston Churchill. Zwischen Den nigin im Tulpenreich" nennt sie der franzö- Haag und London verkehrt man besonders sische Schriftsteller Rostand. ,, Sind diese Leute herzlich. Juliana ist eine glückliche Gattin und Mutter. Die Holländer sind mächtig stolz alle für mich da?" fragt sie eifrig, als sich an ihrem zwölften Geburtstag eine große Men- auf sie und ihre vielseitige Bildung. Wenn sie schenmenge vor dem Schloß angesammelt hat. ihr auf der Straße begegnen, geben sie ihr ,, Nein, du für sie", ist die bestimmte Antwort die Hand. Die alte Königin in ihren langen, fast ausschließlich um Journalisten handelt, ist der Mutter. Wilhelmina hat später oft daran unmodernen Kleidern ist den Anstrengungen des holländischen Neuaufbaues gesundheitlich seit Monaten vertreten. Sie ist für die Hol- nicht mehr gewachsen. Juliana hat sie schon länder„ Mevrouw". Wie ihre Mutter.
gedacht.
Als die Achtzehnjährige den Thron besteigt, sind die sonst so gelassenen Niederländer jungen Königin eine lange Thronrede vor. „ Ich habe mir selbst etwas ausgedacht", er- klärt sie zur Ueberraschung ihrer würdevollen Berater. Der Ministerpräsident ist pikiert. Dann liest er den Entwurf und sagt lächelnd: ,, Ihre Rede ist besser als unsere, Majestät, denn aus ihr spricht das Herz der nieder- ländischen Königin."
aus dem Häuschen. Der Kabinettchef legt der
Wer gönnt ihnen die nicht gerne?
Daß es sich bei den Neupartei- Enthusiasten
geradezu peinlich. Großzügig wäre aber hierzu festzustellen: Auch Journalisten können irren. sie ruhig wiederkommen. Wir freuen uns über Wenn es ihnen in Tübingen gefallen hat, sollen alle, auch über die Ueberflüssigen.
Nachrichten aus aller Welt
FRANKFURT. Zwei amerikanische Flugzeuge, die im Dienst der Versorgung Berlins standen, stießen über Hanau zusammen und stürzten ab.
FRANKFURT. Der Landesvorsitzende der hessi- schen LDP forderte in einem Schreiben den hessi- schen Ministerpräsidenten Stock auf, sofort mit der Koblenzer Regierung offizielle Verhandlungen über einen Zusammenschluß des Südteils von Rheinland- Pfalz mit Hessen aufzunehmen.
Der ,, schönen Mutter schön're Tochter", wie die Holländer ihre anmutige Königin nennen, heiratet den ersten Mann, in den sie sich auf einem Ball im Neuen Palais in Potsdam. verliebt. Sie wird mit dem eleganten Garde- offizier nicht besonders glücklich, und Herzog monatlich etwa 2000 Personen nach Palästina aus- Heinrich von Mecklenburg bleibt für die Hol- länder immer der deutsche Prinz.
Bürger Könige. Das Leben am Hof unter- In Holland sind die Könige Bürger und die scheidet sich, soweit es nicht dem Staat und der Oeffentlichkeit gehört, wenig von dem einer ,, deftigen" holländischen Familie. Wil- helmina, eine der reichsten Fürstinnen der Welt, liebt eine einfache und ruhige Lebens- führung. Sie iẞt das kräftige Geldersche Rog- gebrot lieber als Kuchen, und ihre Tochter muß gut kochen lernen.„, Onze Koningin", sagen die Holländer befriedigt, wenn sie ihr auf dem Rad in den Straßen Den Haags be- gegnen.
Als Thronfolgerin Juliana die Universität Leiden bezieht, verwandelt sie sich in die Studentin Lockie van Buren. Sie wohnt mit gleichaltrigen Studienfreundinnen in einem der kleinen Häuser in Kattwyk und fährt je- den Tag auf dem Rad zur Universität. Als sich einmal zwei Kommilitoninnen über ihre kräftigen Beine mokieren, sagt sie seelenruhig: Vergeßt nicht, Mädels, daß diese Beine Säu- len sind, auf denen das Haus Oranien heute ruht." Lockie spricht sieben Sprachen und ist für jeden Sport zu haben. Den Dr. jur. macht sie mit Dutt und Gretchenscheitel. Einen Bu-
MÜNCHEN, 750 Juden werden noch in dieser Woche von München auswandern. In Zukunft sollen
reisen dürfen.
MÜNCHEN. Um Beschleunigung der Herstellung von achtprozentigem Qualitätsbier bemühte sich im Münchener Stadtrat die Bayernpartei. Bier set in Bayern kein Genuß-, sondern ein Nahrungsmittel.
verhaftet wurden, sind 42 sofort auf die Dauer von einem Monat bis zu zwei Jahren in Arbeitslagern interniert worden.
LONDON. Die ,, Times" setzte sich dafür ein, daß die Betreuung der Gräber deutscher Kriegsgefalle- ner auf den europäischen Friedhöfen wieder der Deutschen Kriegsgräberfürsorge unterstellt werde.
LONDON. Acht Deutsche, darunter zwei Frauen, sind mit einem Motorboot von Hamburg kommend in dem irischen Hafen Waterport eingelaufen. Sie haben den Kontinent ,, aus Furcht vor einem neuen Krieg", wie sie erklärten, verlassen.
TEHERAN. Der iranische Außenminister erklärte, seine Regierung werde niemals ein ohne ihre Zu- stimmung abgeschlossenes Abkommen über die Bahrein- Inseln und das dort vorkommende Erdöl anerkennen.
BERLIN. Der dänische Außenminister Rasmussen, der während seines Aufenthalts in Berlin Bespre- chungen mit den Chefs aller Militärregierungen über das Problem der Rückführung der 45 000 deut- weigert. Er beabsichtigte, unter der Schirmherr-
schen Flüchtlinge in Dänemark abhielt, ist nach Westdeutschland weitergereist.
BERLIN. Durch eine Ueberschwemmungskatastro-
phe im Spreewaldgebiet wurden 700 qkm Boden- fläche unter Wasser gesetzt und ein Teil der Kar-
toffel- und Gemüseernte vernichtet.
nach Dnepropetrowsk soll in Niederösterreich an der WIEN. Das größte Wassergroßkraftwerk Europas
Donau gebaut werden.
WIEN. Die österreichischen Kommunisten begrün- den ihre Zustimmung zur sowjetischen Donaukon- vention, die Oesterreich von dem freien Donauver- kehr ausschließt, damit, die Donau habe viele Jahre lang nur der Vorbereitung zum Krieg und den In- teressen der Kriegstreiber gedient.
WIEN. Nach einer Meldung der Wiener ,, Welt- presse" befinden sich in der UdSSR im Diplomaten- lager Ljublino noch eine Reihe ehemaliger deut- scher Diplomaten, die wichtige Positionen bei den Sowjets erlangt hätten. Genannt werden u. a. Dr. des Auswärtigen Amtes, der gegenwärtig eine her- vorragende Stellung im Balkanbüro des Kominform bekleidet, und der frühere Botschaftsrat in Moskau,
WASHINGTON. Dem wegen seiner linksradikalen Ansichten bekannten Dekan von Canterbury wurde das Einreisevisum in die Vereinigten Staaten ver- schaft der Gesellschaft für amerikanisch- sowjetische Freundschaft eine Vortragsreise in den USA zu un- ternehmen. Diese Gesellschaft steht in den USA auf der Liste der ,, umstürzlerischen Organisationen". WASHINGTON. Anfang dieser Woche sind 3000 Ar- beiter der Atomwerke von Los Alamos in Streik getreten.
LAKE SUCCESS. Ueber 33 Millionen Dollar be- nötigen die UN für das Jahr 1949. Der Haushalts- plan des Jahres 1948 hatte mit noch fast 35 Millio- nen hohe Sonderausgaben für die Verlegung der UN- Vollversammlung nach Paris zur dortigen Ge- neralversammlung und die Balkan- sowie die Korea- kommission enthalten.
NEU- DELHI. Der Oberkommandierende der ame- rikanischen Seestreitkräfte im Ostatlantik und im Mittelmeer, Admiral Connally, stattete der indischen Regierung einen Höflichkeitsbesuch ab.
NEU- DELHI. Der Gesetzentwurf für ein neues in- disches Zivilrecht sieht die Umwandlung des bisher auf religiöse Bräuche begründeten Hindurechtes vor.
Herausgeber und Schriftleiter: W. H. Hebsacker( z. Zt. In Url.) bikopf hat die Königin verboten. Ihre Heirat Clodius, der frühere Leiter der Wirtschaftsabteilung Insbesondere soll die Ziviltrauung eingeführt, die
Dr. Ernst Müller und Alfred Schwenger
Weitere Mitglieder der Redaktion:
Dr Helmut Kiecza und Joseph Klingelhöfer Monatlicher Bezugspreis einschl. Trägerlohn 1.80 DM, durch die Post 2.16 DM. Einzelverkaufspreis 20 Pf. Erscheinungstage: Dienstag, Donnerstag, Samstag
Det Hace von Sigestissen
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mit dem Prinzen Bernhard zur Lippe- Bie- sterfeld, den sie auf einer Skitour in Igls ken- nenlernt, ist nicht nur für Holland eine Sen-
sation.
Hilger.
PRESSBURG. Von 67 Personen, die bei juden- und In England nennt man Wilhelmina die nie- regierungsfeindlichen Kundgebungen in Preßburg
über die Schwelle. Es war der Spieler, ich erkannte ihn an der Kopfform und den VON KARL FUSS weißen Haaren, hätte mich nicht schon das in- zwischen eingetretene Schweigen belehrt. Er und kalt. Ich aber, der Musik von Jugend an sah mich mit stechenden Augen an, abwesend verfallen, wollte mir die Gelegenheit, einen Spieler von solchen Graden und Gnaden, noch kennenzulernen, nicht entgehen lassen. dazu in diesem weltabgeschiedenen Winkel,
Mein alter Freund Willibald Hartmann hatte mich für die Ferien auf seinen Hof im Ober- schwäbischen eingeladen, wo er sich vor län- gerer Zeit angekauft hatte. Wie gerne war ich dem Ruf in jenen geliebten Winkel zwi- schen Donau, Bodensee und Allgäu gefolgt, der sich, abseits von den großen Verkehrs- straßen, noch ein gut Stück bäuerlicher Ur- sprünglichkeit bewahrt hat.
mir soeben durch Ihr meisterliches Spiel ge- ,, Ich danke Ihnen für den Genuß, den Sie schenkt haben", sagte ich nähertretend. Der sein, mit einem verwitterten Bauernkopf vol- Mann, es mochte ein angehender Sechziger ler Eigenwille, lange weiße Strähnen fielen ihm in den Nacken, bekleidet war er mit ei- braunen Schlafrock nem hierzulande weiß Gott nicht üblichen kernd, ohne etwas zu erwidern. Es war mir - der Mann lachte gluk- peinlich, auf mein gut gemeintes Kompliment
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Als ich in den ersten Tagen meines Auf- enthalts einmal durch Sigertissen ging( am Rande des Dorfes lag Hartmanns Besitzung), fesselten mich plötzlich die Töne eines Kla- viers. Ein Klavier in diesem kleinen Bauern- nest? Ich ging den Klängen nach, deren Rhyth- mus mich beunruhigte tes und schwieriges Beethoven- Konzert, mei- - es war ein berühm- sterlich, aber etwas undiszipliniert gespielt. Indem ich dem wunderlichen Spiel nach- spürte, stieß ich auf einen großen Hof- den Wetzelhof, wie ich nachher erfuhr. Aus einem Fenster des ersten Stockwerkes fluteten die aufwühlenden Töne, und von meinem erhöh- ten Standpunkt gegenüber dem in einer klei- nen Mulde sich duckenden Hof konnte ich mit leiser Stimme: ,, Pst durch den dünnen Vorhang einen sich auf und nieder neigenden weißhaarigen Kopf sehen, ohne zu erkennen, ob er zu einem Mann oder zu einer Frau gehöre. Nach dem weichen An- schlag und der ganzen leicht verzärtelten Klangfarbe war es mir nicht zweifelhaft, daß hier eine Frau spielte, eine Frau von hervor- ragender Musikalität und kapriziösem Cha-
so ohne Antwort zu bleiben.
entwickeln. Es lag wohl an mir, sollte sich ein Gespräch
rakter.
Meine sinnreiche Berechnung täuschte mich. Indes ich noch am Zaune stand, hinter dem ein bunter Bauerngarten seine zauberische Fülle entfaltete, und der nun verhallenden Musik des großen Meisters nachsann, öffnete sich die Haustüre und es trat ein älterer Mann
Sigertissen überhaupt Klavierspiel zu hören." ,, Ich habe gestaunt", fuhr ich fort ,,, hier in Es fiel mir nichts Besseres zu sagen ein. Jetzt trat der Mann auf mich zu, lächelte auf eine kindlich freundliche Weise und sprach sterchen nicht!" Und winkte zu seinem Fen- stören Sie die Gei- ster hinauf, als flatterten da noch die Noten- köpfe als kleine Flügelwesen herum.
Ich war etwas befremdet ob dieser An- sprache, aber ich hatte im Leben schon zu viele Künstler und Kunstbegeisterte mit merkwürdigen Angewohnheiten kennen ge- lernt, um nicht gleich auch diesen Mann gel-
ten zu lassen, der, eben erst zurückgekehrt aus der Töne Geisterreich, wohl noch ganz benommen war.
Wieder blieben wir eine Weile stumm, wie- der suchte ich das Gespräch weiterzuführen. ,, Ich habe das Konzert auch schon gespielt, manches anders als Sie- Sie sind sehr ei-
genwillig in seiner Deutung". Da flüsterte der Alte:„ Wenn Sie es wünschen, lasse ich Ihnen die Musikkapellen meiner sämtlichen Kürassierregimenter aufspielen!" Bestürzt fuhr ich zurück. Wie, konnte ein solcher Spieler
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Scheidung ermöglicht und die Polygamie abgeschafft werden. Auch weibliche Nachkommen sollen nun- mehr erbberechtigt werden. Dieses Gesetz, das tau- sendjährige, Sitten beseitigen würde, hat im Parla- ment und anscheinend sogar in Regierungskreisen lebhafte Opposition hervorgerufen.
schichte hat vor dreißig Jahren das ganze Land in Aufruhr gebracht. Ich selber hab' sie mir vom alten Pfarrer erzählen lassen, der voriges Jahr gestorben ist; er verkehrte viel bei uns und er hat die Beteiligten alle noch in dieser bäuerlichen und menschlichen Tra- nicht richtig im Kopfe gut gekannt, ja, war selber eine Nebenfigur gödie. Ihr trauriges Ueberbleibsel ist dieser
sein? Als ahne er etwas von meinen Ge- danken, knurrte er mich unversehens böse
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an: ,, Nehmen Sie sich in acht, Exzellenz! verrückte Lorenz; er schäffelt auf seinem Meine Musik ist ganz richtig, aber ich habe früheren Hof, den jetzt ein Vetter von ihm sie vergiftet.- hören Sie: vergiftet!" bewirtschaftet, noch ein bißchen herum, wenn Mann, der Hofbauer wohl, aus dem Stadel- fel- 1" In diesem Augenblick trat ein stattlicher er nicht gerade Klavier spielt. Der arme Teu- scharf:„ Lorenz, sofort geh ins Haus!" tor, sah uns beieinander stehen und rief
Der Angerufene zuckte zusammen und schlich wie ein geprügelter Hund zurück. Unter der Tür drehte er sich nochmals schnell um und wies mir die Zunge.
Ich schaute nach dem Bauer aus, ich wollte Näheres über diesen seltsamen Musikanten erfahren, aber die vorhin nur angelehnte Scheuertür war jetzt geschlossen. Mir schien, der ganze Hof starrte mich feindselig an. Auskunft dienen. Ich ging. Man wollte mir augenscheinlich mit keinerlei
Die Sache trieb mich um. Der Mensch da hatte einen Charakterkopf und sein Spiel war trotz allem herrlich. Wie konnte ein Was für ein Geheimnis steckte hinter diesem Geistesgestörter so virtuose Musik machen? Narren? Durfte man überhaupt dieses Wort
gebrauchen?
Auf dem Rückweg von meinem Spazier- an der Straße: holzhackend. Er murmelte et- gang sah ich ihn wieder auf dem Hofplatz nicht mir, den er gar nicht beachtete. Ich was vor sich hin, aber ich merkte, das galt
wagte nicht mehr, ihn anzureden.
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Nachdenklich sah der Freund vor sich hin. Es war ein prächtiger Frühherbstabend, ich glaube, in dieser Jahreszeit ist das Oberland am schönsten. Wir saßen auf der gedeckten Veranda mit dem Ausblick, den ich so liebte: auf die Anhöhen ringsum, die sich wie eine Horde Katzenbuckel krümmten einzelnen saßen kleine Waldstücke auf wie dicke Bü- schel auf Tierrücken, und in die Mulden ku- schelten sich stattliche Höfe, wenn sie nicht hochfahrend auf den Kuppen thronten, Wind und Wetter trotzend. Die Abendsonne flammte triumphal über das Land und tauchte ein- zelne Flecke in rote Glut.
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, Willst du wohl so lieb sein und uns noch
einen guten Tropfen holen?" wandte sich Karl die Geschichte von Lorenz Wetzel er- Willibald an seine Frau.„ Ich will Freund zählen, du kannst vielleicht an einigen Stel-
len nachhelfen, wenn mich das Gedächtnis in Stich läßt."
älter war als ihr Mann, schien mir etwas zu Frau Agathe, die übrigens ein paar Jahre Wein. Als die Gläser zusammengeklungen, be- erröten. Schweigend holte sie eine Flasche
gann Freund Hartmann zu erzählen. Im fol- Beim Abendbrot erkundigte ich mich bei genden ist ungefähr das niedergelegt, was Freund Willibald. ,, Merkwürdig, daß wir noch ich an diesem Abend gehört; wo der Bericht nicht auf diesen Fall zu sprechen gekommen lückenhaft war, konnte ich ihn durch Be- sind", erwiderte er.„ Das ist ein Stoff für fragen anderer Leute ergänzen, die Erinne- dich, du brauchst nur die Tatsachen zu er- zählen, die sind romanhaft genug. Die Ge- noch sehr lebendig. rung an die Angelegenheit war im Volke ( Fortsetzung folgt)