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SCHWÄBISCHES TAG BLATT
23. Dezember 1947
Truman fordert 17 Milliarden Dollar für Europahilfe Unterredung Truman- Stalin?
Politische Gründe ausschlaggebend Erklärung Marshalls zur Londoner Konterenz
WASHINGTON.„ Die Wirtschaftskrise, in der sich Europa befindet, hat sich durch die politische Auseinandersetzung zwischen denen, die freie Menschen bleiben und in Achtung der Gesetze leben, und denjenigen, die den die Errichtung totalitärer Staaten benützen wirtschaftlichen Niedergang als Vorwand für wollen, verschärft", erklärte Präsident Tru- man am vergangenen Freitag in einer Bot- schaft an den Kongreß der USA. Truman for- derte vom Kongreß 17 Milliarden Dollar für die wirtschaftliche Wiederaufrichtung Euro- pas. Für den Zeitabschnitt vom 1. April 1948 bis 30. Juni 1949 sind nach der Botschaft Tru- mans 6 800 000 000 Dollar vorgesehen. Truman wies darauf hin, daß die Wieder- gesundung Europas für die Aufrechterhaltung einer Zivilisation notwendig sei, in der die amerikanische Lebensform ihre Ursprünge habe und die den USA die einzige Garantie biete, daß die Nationen, die das Bollwerk der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Menschen- würde darstellten, ihre Unabhängigkeit be- wahren und freibleiben könnten.
Das Programm müsse außerdem mit den internationalen Verpflichtungen der USA und seinen anderen Engagem.ents in der Welt in Einklang gebracht werden. Die Verwaltung des Hilfsprogramms habe sich zu bemühen, ,, dieses große Unternehmen der Außenpolitik der USA weise und wirksam zu leiten".
Truman hob hervor, daß die Gesamtkosten des Hilfsplans trotz ihrer Höhe nur 5 Prozent des Gesamtaufwandes der USA während des Krieges und weniger als 3 Prozent des natio- nalen Einkommens der USA während der Dauer des Programms darstellten. Er hoffe, daß das Privatkapital eine hervorragende Rolle beim Wiederaufbau Europas spielen werde. Die Regierung habe die Absicht, die Investierung amerikanischen Kapitals in Europa zu ermutigen. Er empfehle, Europa in folgenden Formen Hilfe zu gewähren: Geld- beihilfen und Anleihen, die von der Fähigkeit der interessierten Länder, sie zurückzahlen zu können, abhängig gemacht werden sollen.
Präsident Truman unterstrich in bezug auf Deutschland, daß die Produktion der indu-
striell hochentwickelten Gebiete Deutschlands
zum europäischen Wiederaufbau beitragen könnte. Es sei wesentlich, daß dieses Indu- striepotential ausgenutzt und die Ruhrkohlen- produktion erhöht werde.
Zum Problem des Warenaustausches zwi- schen West- und Osteuropa führte Truman aus, das Fernbleiben gewisser Länder Ost- europas von der Pariser Konferenz würde zweifellos die gemeinsamen Bemühungen zum wirtschaftlichen Wiederaufbau erschweren. Je- denfalls dürfe die Wiederaufnahme des Wa- renaustausches nicht verhindert werden. Die Bemühungen gewisser Nationen, den euro- päischen Wiederaufbauplan aus egoistischen Gründen zu verhindern oder zu sabotieren, widersprächen den Grundsätzen der UN.
In einem Begleittext zum Gesetzentwurf wird darauf hingewiesen, daß die von der Regierung der USA vorgesehenen Ziffern als ,, notwendiger Minimalbeitrag zu einem schnel- len wirtschaftlichen Wiederaufstieg Europas"
anzusehen seien.
Gleichzeitig mit dem Gesetzentwurf legte die Regierung der USA dem Kongreß die wich- tigsten Gründe für die Beteiligung der USA am Wiederaufbau Europas dar. Die politischen Gründe seien ausschlaggebend gewesen. Das Scheitern des europäischen Wiederaufbaus würde eine ,, letzte Herabwürdigung der unter die Herrschaft totalitärer Staaten gestellten Menschen nach sich ziehen". Das Programm sei keineswegs auf die 16 Nationen beschränkt, die an der Pariser Konferenz teilnahmen. In dem Bericht wurde weiter betont, daß die Lähmung der deutschen Produktion einer der wesentlichsten Gründe für das mangelnde wirtschaftliche Gleichgewicht Europas ist, und daß in der wirtschaftlichen Stagnierung dieses Landes, dessen Produktion und Handel vor
dem Krieg für Europa einen bedeutenden Fak- tor darstellten, einer der Hauptgründe für die Hemmnisse beim kontinentalen Wiederauf- bau" liege.
In maßgeblichen Kreisen der USA wird be- über die Europahilfe keine politischen Be- sonders unterstrichen, daß der Gesetzentwurf dingungen enthalte und keine europäische Na- tion sich billigerweise gegen die ausschließlich wirtschaftlichen Bedingungen sträuben könne, denen sich die Länder zu unterwerfen hätten, die mit den USA Verträge abschließen würden. Staatssekretär Marshall befaßte sich am vergangenen Freitag in einer Rundfunkan- sprache mit den Gründen für das Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz. Die Verantwortung hierfür liege bei der Sowjet- union. Er befürchte, daß eine Lösung der Friedensprobleme nicht möglich sei, wenn nicht die kommenden Monate beweisen würden, daß die westeuropäische Zivilisation genügend Vi- talität besitze, um die zerstörerischen Nach- wirkungen des Krieges zu beseitigen und um wieder zu einer lebensfähigen sozialen Struk- tur zu gelangen. Die Weigerung Molotows, sich einem Abkommen über die Frage der Gren- zen und einer Zentralregierung für Deutsch- land sich anzuschließen, habe in erster Linie die Konferenz zum Scheitern gebracht. Nach Ansicht Marshalls hätten in London
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folgende grundsätzliche Entscheidungen ge- troffen werden müssen, um die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands zu ver- wirklichen:
in einem anderen Lande in Betracht ziehen
WASHINGTON. Im Verlauf einer Presse- konferenz in der vergangenen Woche erklärte Präsident Truman, daß er mit Freuden be- dung zu führen, falls dieser nach den USA reit sein würde, mit Stalin eine Unterre- zu kommen bereit sei. Er würde sehr glück- lich sein, sich mit Marschall Stalin in Wa- 1. Die Aufhebung der Zonengrenzen, um shington unterhalten zu können. Auf die Waren in ganz Deutschland zu ermöglichen. würde, gab Truman eine ausweichende Ant- einen freien Verkehr von Personen, Ideen und Frage, ob er auch eine Begegnung mit Stalin 2. Die Freigabe von durch die Besatzungs- wort. Aus dem Verhalten Trumans geht her- mächte als Reparationsleistungen beschlag- vor, daß die USA nicht beabsichtigen, die nahmten Gütern, soweit ihre Beschlagnah- Initiative zu einer Besprechung mit Stalin zu mung nicht auf Grund eines Abkommens aller ergreifen und es diesem überlassen wollen, vier Mächte erfolgte. 3. Die Einführung einer neuen gesunden Währung in Deutschland. 4. Die endgültige Festsetzung der Deutschland aufzuerlegenden Lasten zum Zwecke der Re- parationsleistungen, der durch die Besatzungs- mächte zu gewährenden Vorschüsse und der Besatzungskosten. 5. Die Niederlegung eines allgemeinen Export- Importplanes für ganz Deutschland.
Erst nach Festlegung dieser Punkte hätte an die Bildung einer vorläufigen Regierung für ganz Deutschland gegangenen werden können. Das Staatsdepartement der USA hat nun- mehr beschlossen,„ jede weitere Verfrachtung von demontierten deutschen Werkzeugmaschi- nen nach Osten einzustellen". Dagegen wurde ein Antrag, die Demontagen in der Biżone vorübergehend zu unterbrechen, vom Senat abgelehnt.
Entmutigung in der ganzen Welt"
aber ihr Ziel ist, so bleiben wenig Aussichten, die Zivilisation zu retten."
Außenminister Bevin zur Londoner Konferenz/ Abkommen über Finanzierung der Bizone LONDON. Der englische Außenminister Be- vin erklärte in der vergangenen Woche vor dem Unterhaus: ,, Während der Außenmini- sterrat ein wichtiges Instrument zur Vorbe- reitung der F nsverträge hätte sein sollen, hat er leider
seiner Bildung zwischen der Durchführung dieser Aufgabe und der Aus- nutzung seiner Vollmachten zu ganz anderen Zwecken geschwankt. Es besteht kein. Zweifel, daß dadurch Entmutigung in der ganzen Welt hervorgerufen wurde"
Nach Hinweis darauf, daß die Finanzlage Englands es der britischen Regierung nicht er- laubt habe, den europäischen Regierungen zu Hilfe zu kommen, betonte Bevin, daß der von Staatssekretär Marshall vorgeschlagene Hilfsplan die Zustimmung der britischen Re- gierung gefunden habe:„ Zu unserem großen Bedauern hat sich die sowjetische Regierung sofort gegen den Vorschlag Marshalls ausge- sprochen und die unmittelbaren Nachbarn un- ter häßlichen Druck gesetzt, um ihre Teil- nahme am Marshall- Plan zu verhindern. Die britische Regierung betrachtet die Behand- lungsweise der sowjetischen Regierung als eine Verletzung der Handlungsfreiheit dieser Staaten. Die sowjetische Regierung hat damit die Unabhängigkeit und Souveränität dieser Staaten beeinträchtigt."
Bevin stellte zur deutschen Frage fest, daß die vier Mächte unbedingt zu einem Abkom- men über die deutschen Grenzprobleme kom- men müßten:„ Es wäre lächerlich, das deut- sche Problem diskutieren zu wollen, ohne überhaupt die Grenzen des Landes zu ken- nen" Zur Frage der Reparationen erklärte Bevin:„ Deutschland kann keine Reparatio- nen bezahlen, wenn ihm nicht Rohstoffe und Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden. Man kann aber von England nicht verlangen, es soll diese Kosten übernehmen, um unseren Alliierten zu Reparationszahlungen zu helfen." Zur Frage der deutschen Einheit sel festzustellen, eine deutsche Zentralregierung dürfe nicht zum Instrument der Besatzungs-
mächte werden.
ver-
Der britische Kriegsminister, Shinwell, erklärte am vergangenen Sonntag:„ Die Lon- doner Konferenz ist gescheitert, aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen." Er könne nicht glauben, daß die Sowjetunion sich von der übrigen Welt isolieren wolle.„ Wenn das
Inflationsprogramm in Frankreich
werden soll.
Die Finanzkommission der Nationalver- sammlung billigte am vergangenen Samstag den Gesetzentwurf über die Sonderabgabe zur Bekämpfung der Inflation.
Drei Gesetzentwürfe der Nationalversammlung vorgelegt/ Spaltung der CGT. PARIS. Der französische Finanzminister, sein, die durch eine Art Pflichtsparen erreicht René Mayer, unterrichtete am vergangenen Freitag die Nationalversammlung davon, daß die Regierung drei Finanzpläne vorlege, um die Inflation zu bekämpfen, die kein chroni- sches Uebel mehr, sondern bereits zu einer akuten Gefahr geworden sei und die Möglich. keit in sich berge, daß das Land in Kürze dem Ruin ausgeliefert werde: ,, Wir sind heute an einem Punkt angelangt, wo die Inflation gleichzeitig der Produktion, der sozialen Ord- nung, der Wirtschaft und sogar der nationalen Unabhängigkeit schadet. Das Budget muß aus-
geglichen werden."
Der Marshallplan werde zum entscheiden- den Teil die Mechanisierung des Landes er- möglichen. Die Produktion müsse durch Ueber- stundenarbeit vorangetrieben werden. Eine Re- vision der Preise der Industrie sei unbedingt erforderlich. Es würden etwa 50 Stoppreise angeordnet, andererseits habe man die Ab- sicht, wieder den freien Verkauf für Waren einzuführen, die nicht wirksam kontrolliert werden könnten. Mayer kündigte außerdem drakonische Steuern für Vergnügungsstätten und eine Steuer für Untätige an.
Der Budgetvoranschlag, den Finanzminister Mayer bekanntgab sieht für das Jahr 1948 900 Milliarden Francs an Ausgaben und 817 Milliarden Francs an Einnahmen vor. Der Budgetausgleich könne nur mit Hilfe der an- geführten Finanzpläne und der Steuerreform hergestellt werden.
Nach letzten Meldungen beabsichtigt die französische Regierung eine Lohnerhöhung um 35 Prozent als Ausgleich für die unvermeid- liche Steigerung der Industriepreise um 22 Prozent, die als Folge der Aufhebung der Staatszuschüsse und der Normalisierung der Industriepreise erwartet wird In diesem Pro- zentsatz soll die Erhöhung des Grundlohnes, die kürzlich bewilligte Teuerungsentschädi- gung und die Heraufsetzung der Ueberstun- denbezahlung mit enthalten sein.
Die Spaltung innerhalb der französischen Gewerkschaftsbewegung ist nun Tatsache ge- worden. Die Vertreter der Minderheitsgruppe mit Léon Jouhaux an der Spitze sind aus dem allgemeinen Gewerkschaftsverband( CGT) ausgeschieden. Beschlossen wurde die unver- zügliche Schaffung einer neuen Gewerkschafts- zentrale, die im Gegensatz zur überwiegend kommunistischen CGT einen unpolitisch, rein berufsmäßigen Charakter haben und sowohl den Parteien wie der jeweiligen Regierung gegenüber ihre völlige Unabhängigkeit bewah- ren soll. Bis zur Abhaltung eines konstituie- renden Kongresses soll die neue Gewerk- schaftszentrale von den führenden Migliedern der Gruppe ,, Force ouvriere" geleitet werden. Die von Finanzminister Mayer angekündig- Das Programm dieser Gruppe fordert Rück- ten Maßnahmen der französischen Regierung kehr zu den traditionellen demokratischen betreffen drei Gesetzentwürfe: 1. Einen Ge- Methoden der Gewerkschaftsvertretung, Kampf setzentwurf mit Bestimmungen über den gegen jeden Versuch, ein Personalregime in Staatshaushalt und zur Erschließung neuer Frankreich aufzurichten und Opposition gegen Hilfsquellen. 2. Einen Gesetzentwurf, der zur die Politik der Blocks, die den Welfrieden Auflage einer Anleihe berechtigt und schließ- bedrohten. lich einen Gesetzentwurf über eine„ Sonder- Das Auseinanderbrechen der CGT wird all- abgabe im Rahmen des Kampfes gegen die gemein als die unmittelbare Folge der von Inflation". den Kommunisten zu rein politischen Zwecken Das Hauptziel dieses Antiinflationsprogram- ausgenutzten Streikbewegung in den letzten mes dürfte die Stabilisierung der Währung Monaten angesehen.
Das„, Foreign Office" hat am vergangenen Wochenende bekanntgegeben, daß bis jetzt noch keine Maßnahmen zur Einberufung einer neuen Konferenz der europäischen Staaten, die an der Pariser Wiederaufbaukonferenz beteiligt waren, getroffen worden seien, um mit den Vertretern der USA über die Ver- teilung der amerikanischen Hilfe auf diese Länder zu verhandeln. Eine solche Konfe- renz werde jedoch vor den Einzelbesprechun- gen, die zwischen den USA und jedem der betreffenden europäischen Länder eingeleitet würden, stattfinden.
Zu dem in der vergangenen Woche in Wa- shington unterzeichneten Abkommen über die Finanzierung der Bizone in Deutschland ver- öffentlichte das Foreign Office" ein Kommu- nique, in dem abschließend betont wurde:„ Die beiden Regierungen hoffen, mit Hilfe dieses Abkommens so schnell wie möglich eine bi- zonale Wirtschaft schaffen zu können, die in der Lage ist, sich von der Hilfe der britischen und amerikanischen Länder freizumachen und die zum friedlichen Wiederaufbau Europas bei- tragen wird."
Der Gesamtbetrag für den Unterhalt der Bizone einschließlich der Besatzungskosten und der Lieferung von Lebensmitteln und Roh- stoffen wird in den USA für das Jahr 1948 auf 1700 Millionen Dollar veranschlagt. Davon ha- ben die USA nach dem letzten Abkommen etwa 1300 Millionen, die britische Regierung den Rest zu übernehmen..
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den ersten Schritt zu unternehmen.
In Kreisen, die der sowjetischen Botschaft nahestehen, wird es als unwahrscheinlich an- gesehen, daß Stalin im Augenblick den ersten Schritt unternimmt.
Reform des Vetorechts?
LAKE SUCCESS. Der Sicherheitsrat der UN hat am vergangenen Freitag mit neun gegen zwei Stimmen die sowjetischen Einsprüche ge- gen eine Behandlung der Frage der Reform des Vetorechtes und beschlossen, diese Frage auf die Tages- unberücksichtigt gelassen ordnung zu setzen.
sammlung", an die die Reformfrage durch die Der Rat erwartet, daß die„ kleine Ver- Vollversammlung überwiesen wurde, sich mit diesem Problem befassen wird, damit der Rat erneut die Diskussion hierüber aufnehmen kann.
Der sowjetische Delegierte Gromyko be- stätigte erneut, daß die Sowjetunion niemals einer Abänderung des Vetorechtes der stän- digen Mitglieder des Sicherheitsrates zustim- men werde.
Vertrauen für die neue Regierung ROM. Die italienische Verfassunggebende Nationalversammlung hat mit 303 gegen 118 Stimmen bei 14 Stimmenthaltungen der neuen Regierung de Gasperi ihr Vertrauen aus- gesprochen.
In der vorausgegangenen Debatte erklärte der Führer der italienischen kommunistischen Partei, Togliatti, daß die Zusammenset- zung der Regierung in keiner Weise der Be- friedung des Landes diene. Togliatti betonte, daß die Regierung de Gasperi die kommuni- stische Partei außerhalb des Gesetzes stellen
wolle.
Ministerpräsident de Gasperi rechtfertigte
seine Haltung in einer Rede, in der er be-
hänge. Die Wahlen müßten sich unter diesen tonte, daß von Ruhe und Ordnung viel ab- Gesichtspunkten abspielen, denn ,, wenn die Wahlen in Unordnung und unter Zwang statt-
finden, haben wir die Freiheit und die Repu-
blik verloren".
Die liberale Partei forderte eine Volksab- stimmung über die neue Verfassung der ita- lienischen Republik, die am 1. Januar 1948 in Kraft treten soll.
Infolge seiner Ernennung zum stellvertre- tenden Ministerpräsidenten ist Giuseppe Sa- ragat als Sekretär der Sozalistischen Minder- heitspartei zurückgetreten.
, Wir leben in einer Demokratie"
Sowjetische Militärverwaltung erzwingt Rücktritt Jakob Kaisers und Ernst Lemmers BERLIN. Die Vorsitzenden der CDU in der Ostzone, Jakob Kaiser und Ernst Lem- mer, sind am vergangenen Samstag von der sowjetischen Militärverwaltung( SMA) ihrer Posten enthoben worden.
Der Leiter der Informationsabteilung der SMA, Oberst Tulpanow, forderte in ver- schiedenen Unterredungen mit den sechs Lan- desvorsitzenden der CDU in der Ostzone den Rücktritt Kaisers. Er drohte schließlich, daß sämtliche CDU- Minister der Ostzone demissio- nieren müßten, falls Kaiser nicht die Kon- sequenzen aus der Forderung der SMA ziehe. Auf die Frage der CDU- Vertreter, ob ein Befehl der SMA über die Absetzung Kaisers zu er- warten sei, antwortete Tulpanow, der Rück- tritt Kaisers sei seine Sache: ,, Es ist Ihre An- gelegenheit, die Krise zu lösen, denn wir le- ben in einer Demokratie."
In Kreisen der CDU stellt man resigniert fest, daß Auflösung und Erhaltung der CDU nunmehr ausschließlich von der SMA abhänge. Man rechnet mit einem völligen Zerfall der Partei in der Ostzone, da die Mehrheit der CDU- Mitglieder nach wie vor zu Kaiser ste- hen soll und bereit zu sein scheint, die Kon- sequenzen zu ziehen.
Mit der Geschäftsführung der CDU in der Ostzone wurde Otto Nuschke, der am Volkskongreẞ teilgenommen hatte, und Bür- germeister Dr. Friedensburg beauftragt. Den Vorsitz der Partei haben die bisherigen Lan- desvorsitzenden von Sachsen und Mecklen- burg, Dr. Hickmann, Dresden, und Lo-
Auflage dieser Zeitung, die vor kurzem von 100 000 auf 75 000 gekürzt worden war, nun- mehr mit der Begründung, die Zeitung habe Propaganda gegen den von der SED einbe- rufenen ,, Volkskongreẞ" betrieben, auf 50 000 herabgesetzt. Nach dem Wechsel in der Chef- redaktion wurde die Auflage wieder auf 100 000 erhöht.
Das Büro des Vorstandes der SPD in Han- nover hat zur Entfernung Kaisers und Lem- mers aus der Leitung ihrer Partei wie folgt Stellung genommen:„ Mit der Entscheidung der sowjetischen Besatzungsmacht, die beiden Ostzonen- CDU- Vorsitzenden ohne Befragen der Mitglieder von der weiteren Leitung der Organisation auszuschalten, ist eine dreißig Monate währende Fiktion ruhmlos zu Ende gegangen. Diese Entscheidung bestätigt die Richtigkeit der sozialdemokratischen Auffas- sung, daß es unmöglich ist, in der Ostzone ein wirkliches Mehrparteiensystem und damit de- mokratische Zustände unter den gegenwärti- gen Umstände aufrechtzuerhalten. Die Ost- zone nähert sich mehr und mehr dem Cha- rakter der totalitären ,, Volksdemokratie", in deren Mitte Parteisysteme unmöglich sind und nur eine Staatspartei herrscht."
Der Berliner„ Tagesspiegel" äußert, die Krise innerhalb der CDU habe nichts mit
deutschen politischen Fragen zu tun, sondern trage das Zeichen„ made in cominform". Es sei alles nach den von Lublin bis Budapest „ erprobten Rezepten" vor sich gegangen. Ber- lin hoffe jedoch, daß Jakob Kaiser nicht von
seinem Posten zurücktrete.
Jakob Kaiser und Ernst Lemmer haben zu
bedanz, Schwerin übernommen. Von der SMA wurde die Schaffung eines Direktorium- komitees der CDU vorgeschlagen, das bis zur Wahl eines neuen Vorsitzenden für die den Vorgängen noch keine Stellung genom- Partei in der Ostzone die Geschäfte führen men. soll.
Die Vorsitzenden der Landesverbände be- schlossen nach den Besprechungen mit der SMA, dem Landesausschuß folgende Entschei- dung vorzulegen: Die Landesverbände der Sowjetzone beabsichtigen, sich so lange von der Landesregierung zu trennen, bis eine Ba- sis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der SMA wieder hergestellt ist. Diese Regelung soll trotz des Vertrauens zu Jakob Kaiser erfolgen, weil sonst eine vertrauens- volle Zusammenarbeit der Landesverbände mit der SMA nicht möglich, die Fortsetzung einer eigenständigen Unionsarbeit in der Zone aber notwendig ist.
Ohne die Entscheidung der Landesverbände abzuwarten, hat der Vertreter der SMA be- kanntgegeben, daß die SMA bis auf weiteres die Vorsitzenden der Landesverbände als ober- ste Vertretung der CDU ansehe.
Im Zusammenhang mit der Absetzung Kai- sers durch die SMA wurde auch der Chef- redakteur des Berliner CDU- Organs, der ,, Neuen Zeit", seines Amtes enthoben und die
Die gleichen Ziele wie das Kominform
BERLIN. Delegierte verschiedener Länder der Westzonen beim Berliner Volkskongreẞ" haben beschlossen, in ihren Ländern gleich- falls ,, Volkskongresse" einzuberufen. Der Par- teivorstand der SPD hat bei einer Sitzung in Hannover sich dafür entschieden, an diesen Kongressen nicht teilzunehmen. Aehnliche Er klärungen liegen von seiten der CDU örtlich
vor.
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In Berlin gibt der ständige Ausschuß des , Volkskongresses" nunmehr eine Wochenzel- tung Deutscher Volkskongreẞ" mit einer Auflage von einer Million Exemplaren her-
aus.
Der Vorsitzende der SED, Wilhelm Pieck, erklärte in einem Presseinterview,„, die So- zialistische Einheitspartei gehört zwar nicht dem Kominform an, aber sie verfolgt die gleichen poltischen und ideologischen Ziele. Wir hoffen, daß die Welt durch das Informa- tionsbüro von Belgrad vor einer Katastrophe bewahrt bleibt."