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7. luni 1946

die Botschaft-von Wahrheit und Liebe, von Ge­rechtigkeit und Ehrfurcht verwarfen, sich dem Wal­ten und Wirken des Gottesgeistes verschlossen, und dah die Christen ihre Würde, ihre Berufung und Verantwortung gegenüber Gott und Welt, Mensch und Geschichte weithin vergaßen.

Vor dem Willen und der Freiheit des Menschen aber hat das Wirken Gottes und das Walten des schöpferischen Gottesgeistes eine geheimnisvolle Grenze, die Gott nicht überschreitet. Doch es ist ein ungeschriebenes, unerbittliches Gesetz: Wo im­mer der Mensch die Herrschaft Gottes nicht mehr anerkennt, zerbricht und zerfällt des Menschen Ho­heit und Adel, und die Welt, über die der Mensch als Herr gesetzt ist, gerät aus den Fugen und em­pört sich gegen den Menschen.

So wird Pfingsten und sein Geheimnis vom Gottesgeist gerade heute für die Menschen und Christen des Abendlandes zur Besinnung und zum Gericht. Die Botschaft von Pfingsten wird zur Forderung nach einer echten Umkehr des Den­kens und einer wahren Erneuerung des Herzens, daß wir die Götzen des Stolzes und der Lüge, die Absolutheitserklärung des Menschen zertrümmern, daß wir unsere Stellung vor Gott und in der Welt wieder erkennen, daß wir Gottes Wort und Willen zum Gesetz und zur Norm des Daseins er­heben, daß wir Herz und Sinn dem Wirken des Gottesgeistes öffnen und ihn aufnehmen als den Geist der Wahrheit, der Liebe, der Einheit und der Stärke und ihn in Tat und Leben realisieren, dah wir wieder lernen, zu bitten und zu rufen: Komm Schöpfer Geist! und in diesem Geist neue Menschen werden. Von den neuen Menschen aber wird auch eine neue Welt kommen.

Oonoiat jodl xviid vernommen

Im Lommer 1944 stuf trei» > ßlerwlli melir auk einen 8iez Kellvkki"

Nürnberg. Mt der Vernehmung des frü­heren Chefs des Wehrmachtsührungsstabes, Iodl, einem alten Berufssoldaten, dem der Militaris­mus, wie er sagt,im Blute" gelegen habe und der als Süddeutscher auch der Weimarer Republik wie dein Dritten Reich ehrlich seinem Eide getreu gedient haben will, sind die Verhandlungen vor dem Nürnberger Tribunal wieder auf das rein militärische Gebiet zurückgesührt worden. Jodl ist einer der Generale, die während des Krieges als engste Mitarbeiter Adolf Hitlers den besten Ein­blick in die Psyche des Diktators gewinnen konn­te; er hat darüber sehr bezeichnende Ausführungen gemacht, aber auch er muß den Vorwurf einstecken, daß er dennoch nur stur als Soldat seine Pflicht getan und sich nicht gegen die ihm bekannten un­erträglichen Zustände aufgelehnt hat. Er hat nicht einmal zu den militärischen Putschisten des Jahres 1944 gehört, obwohl er schon damals der Mei­nung war, daß in dieser Zeitkein Mensch mehr auf einen Sieg in der eigentlichen Bedeutung des Wortes" hoffen konnte. Die Putschisten seien allein gewesen, bemerkt Jodl, und seinö Auffassung geht dahin, daß es einer gewaltigen Revolution, größer als die des Nationalsozialismus bedurft hätte, um dieses Regime zu stürzen.Die Wehrmacht und der Arbeiter hätten dahinter stehen müssen", sagt Jodl bei seiner Vernehmung.

Das hört sich jetzt sehr schön an, aber jeder Ken­ner der Verhältnisse weiß, daß nur eineRevo­lution von oben", also durch die Generale, einen

Oie KnivviekIunS dei' Karteien

Christlich-demokratische Union Der ursprünglich für Ende Mai vorgesehene Parteitagder CDU. in Berlin ist auf die Tage vom 13. bis 17. Juni verschoben worden. Nach dem Zusammenschluß der CDU. in der amerikani­schen Zone soll nun auch der mit den christlichen Demokraten in den anderen Zonen, auch der öst­lichen, vollzogen werden. Der Vorsitzende der CDU. in der östlichen Zone, Georg Kaiser, hat sein Einverständnis damit ausgesprochen. Auch beim Kontrollrat in Berlin sind vorbereitende Schritte dafür eingeleitet.

Nach einer Aeuherung des Landesvorsitzenden der bayerischen CDU., Dr. Josef Müller, denkt man sogar bereits an die Anknüpfung internatio­naler Beziehungen, an eineChristliche Union Europas".

Freie demokratische Partei Die Freie demokratische Partei hat auf ihrem Parteitag in Pyrmont am 20. und 21. Mai Land­rat Wilhelm Heile aus Syke bei Bremen zum Präsidenten gewählt und einstimmig einen Antrag angenommen, daß die Parteiorganisationen sämt­licher Zonen sich zu einer einheitlichen Par­tei für ganz Deutschland zusammenschließen sollen.

Der Berliner Parteivorsitzende Dr. Külz er­klärte einem Pressevertreter, die russische Besat- zungsbebörde sei für ein einiges Deutschland und oie Aufhebung der Zonengrenzen. Sie stehe der demokratischen Partei nicht nur wohlwollend ge­genüber, sondern lege sogar besonderen Wert auf ihr Bestehen. Die russische Zone seiin politischer Beziehung die liberalste von allen". Die Freie de­mokratische Partei habe in der russischen Zone über 180 000 Mitglieder und sechs Parteizeitungen.

Niedersächsische Landespartei Auf dem Parteitag der Niedersächsischen Landes­partei in Celle erklärte der Vorsitzende, Landrat Hellwege, Stade, die Partei bekenne sich zum In­dividualismus, könne den Sozialismus nur als Vermassung" begreifen und wolle auch von der Planwirtschaft nichts wissen. Man brauche nur zu dem vernünftigen Grundsatz zurückzukehren, daß die gerechte Arbeit den gerechten Lohn verdiene. Je­des Experiment einer Bodenreform lehne er ab. Die Staatsform der Zukunft müsse föderalistisch sein. Niedersachsen falle die Aufgabe zu, Brücke und Bindeglied zur angelsächsischen Welt zu sein.

Sozialistische Einheitspartei Im StuttgarterNeuen Wort" bezeichnet Willi Bahn die Gründung der SED. als großes histo­risches Ereignis, denn die Einheit der Arbeiter­bewegung sei die Schicksalsfrage des deutschen Vol­

kes.Alle reaktionären Kräfte regen sich und ent­falten eine lebhafte Tätigkeit... Die Arbeiterschaft und mit ihr das gesamte schaffende Volk muß sich gegenüber dieser Front der fortschrittsfeindlichen Kräfte zur engsten Zusammenarbeit finden. Sie .können nicht abwartend zusehen, sie müssen han­deln, ehe sich die Reaktion weiter formiert, Positio­nen um Positionen besetzt und sich maßgebenden Einfluß sichert. Jedes Ausweichen gefährdet unsere Zukunft. Unsere sozialdemokratischen Freunde stehen vor einer klaren Entscheidung: entweder Zusam­menarbeit mit den Kommunisten gegen alle reak­tionären Tendenzen und für die Stärkung der so­zialistischen Bewegung, oder im Kampf gegen die Kommunisten Zusammenarbeit mit den bürger­lichen Parteien auf dem Boden der Koalitions­politik, die uns in der Weimarer Republik ins Ver­derben geführt hat."

Oie kchre ckes Herrn Bürgermeisters

In Baden-Baden erregt ein Schreiben des ehe­maligen Nazibürgermeisters Bürkle lebhaftes Auf­sehen. In einer Jahrestagbetrachtung zum lokalen Kriegsende war imSiidwestecho" von dem seinerzeit in der Stadt allgemein verbreiteten Gerücht die Rede, wonach Bürkle gedroht habe, er werde Leim Herannahen des Feindes die Stadt an allen Ecken durch die HI. anzünden lassen.

Nun erhielt die Redaktion von dem inzwischen in­haftierten Bürkle aus dem Lager in diesen Tagen ein Protestschreiben, sauber in Maschinenschrift, in welchem es u. a. heißt:Die ausgestellten Behaup­tungen sind unwahr. Ich werde darin eines gemeinen Verbrechens, nämlich der Anstiftung zur Brandstif­tung beschuldigt ... Ich fordere Sie auf, in der nächsten Nummer Ihres Blattes . . . öffentlich zu widerrufen, andernfalls ich Strafantrag stellen werde. Die Tatsache, daß ich aus politischen Gründen in Haft bin, berechtigt Sie nicht, meine bürgerliche Ehre anzugreifen. Hochachtungsvoll! Kurt Bürkle, ehem. Bürgermeister der Stadt Baden-Baden."

Finden Sie nicht, daß dies ein hübsches Zeichen der Zeit ist? Positiv und negativ. Positiv: die Tat­sache, daß ein politischer Gefangener aus der Haft so etwas schreiben kann und darf, daß ihm die Wahrung seiner bürgerlichen Ehre ein Bestandteil der Men­schenrechte, ein Recht der Demokratie sogar dort zugebilligt wird. Negativ: dies Dokument zeigt, wie unverfroren frech und anmaßend die Nazis heute noch lind. Und daß sie nichts gelernt haben und nie etwas lernen werden.

Man stelle sich einmal vor, was mit einem poli­tischen Gefangenen geschehen wäre, der dem Pg.- Schristleiter eines Parteiblattes mit einem Straf­antrag wegen Verletzung seiner bürgerlichen Ehre gedroht hätte.

Aber das Amüsanteste an dieser Sache ist: der Herr Ehemalige hat anscheinend ganz vergessen, daß er tatsächlich ein Brandstifter ist er hat nämlich die Synagoge in Baden-Baden seinerzeit anzünden und nicht löschen lassen, denn er war auch Kommandant der Feuerwehr! II.

Erfolg versprochen Hütte, weil der Arbeiter ja zum größten Teil in der Uniform gesteckt und in der Rüstungsindustrie unter scharser Kontrolle der Nazis gestanden hat, während die revolutionären Elemente aus dem Arbeitertum und den intellek­tuellen Schichten in KZ-Lagern schmachten mußten.

Interessant ist, was Jodl sonst noch im Laufe seines Verhöres zu berichten hatte. Er verwahrt sich gegen Gisevius, dah er eineRiegelstellung" bei Hitler innegehabt habe, obwohl er täglich zwei­mal Vortrag über die Lage gehalten hat und somit weit über fünftausendmäl mit Hitler im engsten Kreis zusammen gewesen ist. Auf die Frage seines Verteidigers, Professor Cxner, ob es möglich ge­wesen sei, Hitler zu widersprechen, sagt Jodl. daß er viele Male in schärfster Form widersprochen habe, aber es hätte auch Zeiten gegeben, in denen man überhaupt nicht widersprechen durfte. Die Generale hätten, so bemerkt Jodl weiter, dann oft die Verzögerungstaktik anwenden müssen, umAf­fektbefehle" Adolf Hitlers zu mildern. So habe er z. V. die Kündigung der Genfer Konvention ver­hindern können. Die Verzögerungstaktik habe bei dem Befehl Hitlers, die feindlichen Tiefflieger der Lynchjustiz preiszugeben, zum Ziele geführt, aber bei dem bekanntenKommandobefehl" (Er­schießung feindlicher Spezialtrupps) keinen Erfolg gehabt. Der Diktator habe gegen alle Generalstabs- öffiziere großes Mißtrauen gehabt und der ge­samten Äehrmacht skeptisch gegenüber gestanden. Bekannt sei sein Ausspruch:Ich habe ein reak­tionäres Heer, eine christliche oder kaiserliche Ma­rine und eine nationalsozialistisch« Luftwaffe."

Jodl bestätigt es, daß das Hauptquartier über­aus scharf gesichert gewesen sei. Den eigentlichen Sperrkreis" habe er und sein Stab nicht einmal betreten dürfen.In dieses Allerheilige drang von der Außenwelt außer Lageberichten sehr wenig", bemerkt Jodl. Das Leben im Hauptquartier be­zeichnet er als eine Mischung zwischen Kloster und KZ. Es sei ein Martyrium gewesen, und die Ge­nerale Hütten sich nur als Gäste gesühlt (!)

Jodl erklärt, kein Antisemit gewesen zu sein, weil nicht eine Rasse oder ein Volk, auch die Kan­nibalen nicht, an sich gut oder böse seien, sondern nur das Einzelindividium. Die Generale hätten über die wahren Verhältnisse in den Konzentra­tionslagern keine Ahnung gehabt, weil hierMei­sterstücke, der Geheimhaltung" Vorgelegen hätten. Es seien den Generalen Fotos über Garten­anlagen in Dachau, Theresienstadt und Warschau vorgelegt worden, als ob es sich dort um vorbild­liche kulturelle Anlagen gehandelt habe.

*

Die Verteidigung der angeklagten Organisatio­nen hat aus den Gerichtslagern der einzelnen Zo­nen geeignete Zeuqen ausgesucht, die von einer besonderen Kommißion vernommen werden. Eine Auswahl dieser ausgesuchten Zeugen wird dann in der Hauptverhanülung gehört werden. Für die SA. sind aus 800010 000 Meldungen rund 90 Zeugen geladen worden, von denen einige in der Hauptverhandlunq erscheinen werden. Für das Korps der Politischen Leiter hat die Verteidigung 50 Zeugen, für die Gestapo 70 Zeugen benannt.

Ick Irsxle einmal einen Lliinesen, xvas ilin suk seinen Reisen an» ineisien gekesselt lrätte. Kr er­widerte mir darauf, dak er in Kurops kauptsäck- lick den Ausdruck von kliitliglceil, Iraner und sorge auf allen Oesicktern empfunden Iialre, uncl dali er (len Kindruck lialre, wir trennten alle Künste, rnit ^nsnalune der 80 Einsacken, glürktick ru sein.

Ilelrersll, sagte er, sind Litten nnd Kinricktun- gen nack dem Olanlien snigeselinitteu nnr kei den ckri 8 t!icken Völkern nickt. Daü dis Religion, die den klenselien sagtXVorüker liennruliigt ilir euck denn?", die sie lelrrt, nidit 8 auf Krden xn l>e- sitnen, 8 ick gegenseitig ru keifen, einander an lie- lren nnd dem die reckte XVsnge 2u liieten, der einen auf die linke selilägt gerade die nnruliig- sten, reichsten, gebildetsten, eründungsreicksten, lleiLigsten, listigsten, belegtesten Völker gebildet bat. die unablässig liinscken, siclr 2u erleitern nnd größer 211 lerden, die Völker scklieklick, deren Kkre am kitzligsten ist nnd sick am meisten der Veraeibnng und dem ^usgleicb lidersetzt: das konnte er nickt begreifen.

Unser Dnbebsgen kommt in der ?at dsber, da 6 Religion nnd Kultur uns na<k entgegengesetzten Ricktunxen Zerren, und daL lir ns<k keiner Rick- tnng etlas Oansies und Reines rn vollenden ver­mögen. Da >vir leder das eine nock das anders aukgeben lollen, baben lir ans Ruropa eine statte der Rüge und der Kompromisse gemackt.

V^ir baben die ungebeuerliiken Krückte dieser ebebreckerisc^ren Verbindung geseben: lir baben geseben, lie die Nationen Ruropss sukeinsnder- prallten und im Namen desselben Oottes, im Na­men Lbristi töteten, der dock gesagt bst: IXie dein Lckwert in die sdreide. /kndrs

Kriex und Llreik

Man schreibt uns aus Stuttgart: Der Herr Landes- bischof Wurm hat in der Sitzung des Stuttgarter Vorparlaments vom 28. Mai 1946 eine Auffassung geäußert, die einer gewissen Beleuchtung und Korrek­tur bedarf. Er hat es gebilligt, daß in der künftigen Verfassung der Krieg geächtet werde; aber, so hat er weiter ausgefiihrt. wir müssen uns darüber klar sein, was das bedeute. Bedeute es nicht auch, datz die Gewerkschaften auf Streik verzichten müssen? Darin liege eine christliche Ergebung in den Willen Gottes.

Ganz so einfach, wie Herr Wurm meint, ist die Sache nicht. Vielleicht erinnert er sich noch einer Zeit, wo er zwar für Kriege, aber gegen Streiks war, auf jeden Fall aber nicht für Streiks gegen den Krieg. Heute, da die Idee und die Wirklichkeit des Krieges abgewirtschaftet hat, soll nun mit Hilfe eines theo­logischen Sophismus auch der Streik für ungesetzlich erklärt werden. Die Gleichsetzung von Krreg und Streik ist etwa ebenso passend wie die Eleichjetzung des Willens Gottes mit dem Willen des Arbeit­gebers, gegen den sich der Streik richtet. Die mora­lischen und politischen Gründe für unseren Abscheu gegen den Krieg sind ganz andere, so grundverschie­den von den Gründen, die etwa einem Streik ent- gegengehalten werden können, datz man sich geniert, darüber weitere Worte zu verlieren.

Auf keinen Fall sollte die Diskussion auf das theo­logische Gebiet verlegt werden, wo sie bei Gott nicht hingehört.

Demokratie ist die Betätigung aller Begriffe, die wahrhaft menschlich machen. Sie ist der Wille der Menschheit, der Völkerfrrede. Freiheit im Inneren, Ausgleich des Besitzes und ist es in dieser Folge.

Todesstrafe für die flanptsebrddi^en

Osg Urteil KeZev äie Xri«88v erlireclier von IXeue - Lremme

Rastatt. Nachdem Generalstaatsanwalt G r a- nier nach Abschluß der Beweisaufnahme seine Anklagerede gehalten und Staatsanwalt Jor­dan die Verhängung der Todesstrafe gegen die Hauptschuldigen Fritz Schmoll, Peter Weiß, Drokur, Kunkel, Weertz, Quinten, Baron, Fries, Hornetz, Regulski sowie für die Büroangestellten Arnold und Buchs, die Köche Weiland und Groß sowie gegen den Sanitäter Dörr beantragt hatte, ist von dem Hohen Gericht am Abend des 5. Juni nach zwei­stündiger Beratung das Urteil gefällt worden.

Entsprechend dem Antrag des Anklagevertreters sind die genannten Hauptschuldigen zum Tode verurteilt worden.

Der Angeklagte Alois Müller, der Sanitäter Saar und Frau Koch haben je 15 Jahre, Lorentz und Bender je 12, ein rumänischer Staatsange­

höriger und der Angeklagte Hein je 10 Jahre Ge­fängnis bzw. Zwangsarbeit erhalten. Der Sanitä­ter Dörr und die Angeklagten John und Weiler sind zu je 10 Jahren, Frau Bruhns zu 8 Jahren, Olga Braun zu 5 Jahren Gefängnis und die wei­teren Angeklagten zu 3 bzw. 4 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Angeklagte Leibfried ist frei­gesprochen und sofort auf freien Fuß gesetzt worden.

Den Angeklagten steht die Einlegung der Revi­sion innerhalb von zehn Tagen zu.

Mit dem zu Ende gegangenen ersten Kriegsver­brecherprozeß vor dein Hohen Gericht in Rastatt haben damit die unmenschlichen Grausamkeiten von Neue-Bremme die gerechte Sühne gefunden.

Von aller Reicksstadtnerrnekkeil

Von IdlLttlrü

Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, als Napoleon das Antlitz Europas neu formte, bestand dasHeilige Römisch« Reich Deutscher Nation" aus zahllosen kleinen Herrschaften, Länd- chen und Ländern, die im Schmelztigel der Er­eignisse ihre Selbständigkeit verloren und mit größeren Staaten zu einheitlichen Staatengebilden zusammengeschmolzen wurden. War es ein Un­glück, wie die vom Schicksal Getroffenen glaubten? War es ein Segen für das Ganze? Der Zwang zur Zentralisation hat zweifellos vieles Gute, vor allem auf kulturellem Gebiet, vernichtet. Das Gei­stesleben der säkularisierten. Klöster erlosch mit einem Schlag. Die großen und kleinen Reichs­städte, in denen um 1800 noch ein reiches und selb­ständiges Kulturleben blühte, paßten sich mehr oder weniger dem Charakter der größeren zentralen Re­sidenz an, und die neuen Staaten gaben ihren Teilen im Lauf eines halben Jahrhunderts ein einheitliches Gepräge.

Es war freilich oft eine kuriose Welt, die mit der alten Reichsstadtherrlichkeit unterging. Gerade in der kleinen Stadt, die ängstlich auf ihre Rechte bedacht war, hatten sich alte, ja mittelalterliche Ge­bräuche, Sitten und Gesetze bis in die neue Zeit hinein erhalten. Am reichsten, wohl auch am leben­digsten, fließen die Quellen über die Reichsstadt Bi- berach. Neben Schulmännern wie Krais, Oster­mayer, Lutz und Osterdinger ist vor allem der Bi- beracher Maler Johann Baptist Pflug, der in den Erinnerungen eines Schwaben" ein überaus reiz­volles Bild seiner Vaterstadt und der bewegten Zeit kurz vor dem Ende der alten Reichsstadt­herrlichkett entwirft.

Wie prachtvoll stehen gleich zu Beginn die wohlehrenoösten, wohlvorgeachten, fürsichtigen und wohlweisen" Herren, die den kleinen Buben im Singen prüfen, vor dem Auge des Lesers. Da ist der stattliche Bürgermeister von Pslummern, der eine nicht minder stattliche und aufschlußreiche Reihe von Annalen über seine Vaterstadt schrieb. Er trägt einen Frack von farbiger, geblümter Seide

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und kurze, mit silbernen Schnallen versehene Bein­kleider. Der Frack mit großen Knöpfen von blau angelaufenem Stahl ist geöffnet, damit man die wundervolle, mit Vögeln und Vogelkäfigen gestickte Atlasweste sehen und den steifen, in'Falten schlan­genförmig herabfallenden Jaoot bewundern kann, aus dem die sogenannte Herznadel in Brillanten hervorblitzt. Trotz seiner Großartigkeit kann er es mit dem Dekan Waldvogel nicht aufnehmen: denn der hat etwas, was das Blibenherz des klei­nen Pflug restlos entzückt. Nicht etwa die Schna­belschuhe mit ihren IV- Zoll langen Schnäbeln, die sich an dem geistlichen Herrn gar hofsärtig aus­nehmen, und die einfachen, aus glänzendem Sassian gemachten des Bürgermeisters in Schatten stellen. Es ist etwas ganz anderes. Dem Herrn Dekan hängen zu beiden Seiten der Beinkleider zwei gol­dene Uhrenketten aus den Taschen. Wenn er nun nach der Zeit sehen will, reißt er die Uhren mit einem Ruck aus den Taschen in die Höhe, betrachtet die emaillierten, mit Blumen und Vögeln versehe­nen Uhrblätter, läßt die kostbaren Zeitmesser an den funkelnden Ketten tanzen und versorgt sie durch einen artigen Trick mit einem Ruck wieder in den Taschen, wo sie gleichsam in seinem Bauch geheim­nisvoll die Stunden schlagen. Natürlich ist der Kap­lan, der neben ihm sitzt, so hager wie der Dekan korpulent, so beweglich als jener bedächtig und gravitätisch, eine wahreTausendfühlernatur".

So kurios wie dieses Trifolium, das zwar be­lustigend, aber durchaus nicht lächerlich wirkt, so seltsam war vieles in und an dieser kleinen Re­publik, in die man sich eigentlich verlieben müßte. Da war das Stadtregiment, um jeden konfessio­nellen Streit fernzuhalten, streng paritätisch ge­ordnet und gerecht verteilt. Es gab einen evange­lischen und einen katholischen Bürgermeister, gleich­viel katholische wie evangelische Senatoren. Ueber- haupt waren alle Stadtämter bis zum Nacht­wächter herunter gleichmäßig an beide Konfessio­nen verteilt. Nur der Totengräber war immer evangelisch; sein Amt nährte nicht zwei Familien.

Dafür war der Stadtuhrner, wohl aus dem glei­chen Grunde, immer katholisch. Das Stadtschreiber­amt aber wechselte zwischen den beiden Parteien. Und als ein einziges Mal von der heiligen Regel abgewichen wurde, gab es einen jahrelang dauern­den Prozeß durch alle Instanzen bis zum Reichs­gericht in Wien. Der umstrittene Amtsträger aber war Biberachs bedeutendster Sohn: Wieland. Doch nicht nur die städtischen Ämter waren pari­tätisch besetzt. Auch manche bürgerlichen Berufe unterlagen der gleichen Teilung. Es gab einen ka­tholischen und einen evangelischen Apotheker, sogar die Büchsenmacherei war friedlich konfessionell ge­schieden. Der Magistrat hatte auch zwei Gesell­schaftlokale. die sogenannten Patrizierstuben; auch sie waren nach dem gleichen Prinzip geschieden. Doch nicht verbürgt, ob sich die Herren Senatoren ihre gelegentlichen Festtagsschwipse oder -räusche immer in konfessioneller Gebundenheit geholt ha­ben und ob die gezogenen Schranken dabei nicht oft übersprungen wurden. Man war in Biberach immer Mensch, man lebte und ließ leben.

Regiert wurde zwar nach demokratischen Grund­sätzen; doch scheinen die Patriziergeschlechter ver­möge ihrer Bildung, ihres Reichtums und ihres inneren Zusammenhalts größeren Einfluß auf die Regierungsgeschäfte gehabt zu haben. Und als um die Jahrhundertwende ein Bürgerlicher, Dr. Ste­cher, zum Reichsbürgermeister gewählt wurde, hatte er einen großen Teil seiner Mitbürger gegen sich. Sie konnten es nicht übers Herz bringen, daß ein Plebejer Dr. Stecher war der Sohn eines Zuk- kerbäckers ihr Herr sein solle. Merkwürdiger­weise hatte er, der Protestant war, die meisten Feinde unter seinen Glaubensgenossen. Sein ka­tholischer beliebter Kollege, der schon erwähnte Herr von Pslummern mit seiner phantastischen At­lasweste, entstammte einer alten, berühmten Pa­trizierfamilie. Der Haß gegen Dr. Stecher ver­leitete einst junge Burschen, die bei derFrüh­messe" im Gasthaus ,Lum Strauß" saßen, den bösartigen Keißbock des Wirtes auf das Stadt- oberbaupt zu Hetzen. Das Tier raste auf den nur mit dem Gesangbuch bewaffneten schwarzgeklei­deten Mann los und es entspann sich rin Zwei­kamps, in dem drr Bürgermeister unter dem Ge­

lächter der Burschen zweiter Sieger im Straßen­kandel wurde. Die Anstifter des Attentates kamen zwar mit einer leichten Arreststrafe davon, wur­den aber bei der nächsten Aushebung zum Militär sofort eingestellt. Aus dem Krieg gegen Österreich 1809 kamen sie zwar heil zurück, aus den Eisfeldern Rußlands aber gingen alle zugrunde.

Regieren muß damals in der kleinen Republik etwas sehr Schwieriges gewesen sein. Tagte der Magistrat nämlich auf dem Rathaus, wozu jeden Dienstag und Freitag um ^s8 Uhr morgens das Glöcklein rief, so wurde vom Amtsknecht die Straße mit eisernen Ketten abgesperrt, damit die Köpfe der .ehrenvösten' Herren nicht im Denken durch das Rumpeln der Fuhrwerke gestört wurden. Alle Amtshandlungen waren mit einer Feierlichkeit ver­bunden, die ihnen Bedeutung und Wichtigkeit ver­lieh. Heiratete ein Bürger, so mußte er mit Ober­und Untergewehr versehen zum ehelichen Krieg be­waffnet antreten, der Braut, die als Zeichen ihrer Tugend rote und weiße Keuschheitsbänder in den langen Zöpfen trug, vor dem Stadtoberhaupt Treue und wackere Erfüllung der ehelichen Pflich. ten schwören, sein Gewehr'laden und die etwa schlafenden Schreiber durch einen Schuß zum Fen­ster hinaus wecken und versprechen, auf dem Esch- bach für kommende Geschlechter zwei Bäume zu pflanzen. Die Bürgermeister sahen abwechselnd höchst persönlich nach Wohl und Wehe der Stadt. Begaben sie sich, von einem Senator und zwei schwerbewaffneten Soldaten begleitet,um die Stadt", so trat die Wache ins Gewehr. Den Amts­hut auf dem lockigen Perllckenkopf, das Meerrohr mit dem massiv goldenen Knopf in der Hand, so schritten sie feierlich und gravitätisch durch die win- keligen Gassen, um überall nach dem Rechten zu sehen.

Ein großer politischer Tag war in den Reichs- städten derSchwörtag", an dem alle Bürger feierlich die Verfassung der Stadt beschworen. Die Senatoren saßen in ihren schwarzen Mänteln im Halbkreis vor dem Chor in der Kirche. Die Zünfte standen, ein jeder Mann bewaffnet und ebenfalls in schwarzem Mantel, in einer durch Herkommen geregelten Ordnung im Schiff. Ein Bürgermeister verlas die Eidesformel, dis von allen nachgeh>ro»