Leite 2 / ^r. 12

12. k'esirvar 1946

Warum nieät ^leicä autliän^en?

Interview mit klein Veitei^izer 8ezrsi-Iiili»»rt8

Origino/berieTrr unsere- Honckerberteliserxtokter» i^i/k 7/onn- 7/eh.-oe/cer

rirmus das Kreuz machten (der übrigens auch in Bayern sein Wesen trieb). Wenn wir heute mit der Entnazifizierung beschäftigt sind, sollten wir nicht vergessen, daß die Wurzeln des Nazismus dorthin zurückreichen. Aus dem nicht li­quidierten ersten Weltkrieg ist der zweite organisch herausgewachsen. Die Lügen von vorgestern sind die Vorläufer der Lügen von gestern gewesen. Die Morde von damals, die Bestialitäten, die in der Zeit, ehe Hitler zur Macht gekommen war, gesche­hen sind, haben den fürchterlichen Reigen eröffnet, der nachher in Deutschland und Europa getobt hat.

Und damals haben sogenannte Demokraten in Deutschland regiert, keine Nazi. Sie sind geschicht­lich mitschuldig an allem, was nachher geschehen ist, auch am zweiten Weltkrieg. Das wollen wir nicht vergessen: und wenn heute hie und da noch Leute von damals auftauchen und nun beimWiederauf­bau" mit Hand nnlegen möchten, in leitender Stel­lung natürlich, nicht mit Hacke und Schippe, dann wollen wir sie uns doch recht genau ansehen, ehe wir ihnen wieder unser Vertrauen schenken.

Es klingt ja wohl für manchen anstößig, aber da heute wieder ein freies Wort erlaubt ist in Deutsch­land, so sei es ausgesprochen: wir müssen in ge­wisser Hinsicht froh sein, daß die Alliierten jeßt bei uns die Macht in der Hand haben. Jener Milita­rismus, an dem unser Deutschland bis ins Mark hinein krank war, läßt sich nicht von heute auf morgen aus unserem Blute ausscheiden. Cr würde wahrscheinlich auch heute wieder frech sein Haupt erheben, wenn wir ganz auf uns selber angewiesen wären. In der Flüsterpropaganda ist schön gleich nach der Niederlage eine neue Art van Dolchstoß­legende aufgetaucht (hundert Tage hätten wir noch durchhalten müssen, die deutsche Atombombe stand kurz vor der Vollendung"), und auch die Fabel von derKriegsschuldlüge" hätte wohl ohne den Nürn­berger Prozeß nicht lange auf sich warten lassen.

Vielleicht werden wir den alliierten Nationen ein­mal dankbar sein, daß sie uns bei der Ileberwin- dung eines Grundübels sozusagen ärztliche Hilfe geleistet haben. Ueberwinden müssen wir es aber schließlich doch selber. Der Wille zur Gesundung scheint immerhin da zu sein. So wollen wir hoffen, daß sie gelingen werde.

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Dar einiger Zeit hat in der Aula der Heidelber­ger Universität Professor Dr. Robert Kemp- ner von der Universität Philadelphia einen Por­trag vor 500 Stndenten überDie Rechtsgrund­lage der Kriegsverbrecherprozesse" gehalten. Kemp- ner ist Oberstaatsanwalt bei der amerikanischen An­klagebehörde in Nürnberg und hat als solcher Mitte Januar dort die Anklagerede gegen den frü­heren Reichsminister des Innern Wilhelm Frick vorgetragen. Er ist nach längerer Irrfahrt am 1. September 1939. dem Tage des Kriegsausbruchs, in USA. angekommen.

Schon im Jahre 1939, als Oberregiernngsrat im Preußischen Jnnenministerum hat er die Stcafver- folgung .Hitlers und die Auflösung der SA. ver­langt, in Eingaben an seine vorgeseßte Behörde und in Aufsätzen in derRassischen Zeitung". 1933 wurde er seines Amtes enthoben und auf Veran- lassung Fricks ausgebürgert. Er floh ans der Haft nach Italien, wurde dort wieder verhaftet, entsloh zum zweitenmal, diesmal nach Frankreich, und von dort aus ging er nach Amerika.

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Wo mag sich wohl heute der Chef der Reichs­kanzlei, Reichsminister Lammers, onfhalten, der 1932 von Hugenberg her den Anschluß an Hit­ler gesunden hat, damals noch Verfassungsreferent (!) im Innenministerium, Bock als Gärtner, und am 30. Januar 1933 in die Reichskanzlei einzog?

Sein Vorgänger Erwin Planck, Sohn des be­rühmten Physikers Planck, ist am 23. Januar 1915 gehängt worden, weil er mit Goerdeler in Verbin. düng stand: ebenso haben zwei andere seiner Amts­vorgänger als Aktivisten der Opposition den Tod gefunden: Franz Kempner (nicht zu verwechseln mit dem jetzigen amerikanischen Oberstaatsanwalt Robert Kempner), der hingerichtet wurde, und Eduard Hamm, der im Gefängnis Selbstmord be­ging. Ein vierter ehemaliger Kollege, Hermann Pünder, kam ins Konzentrationslager und entging der Hinrichtung durch ein Wunder; er ist heute Oberbürgermeister von Köln.

Nürnberg, 6. Februar. Wer längere Zeit dem Nürnberger Prozeß beigewohnt und Gelegen­heit gehabt hat, die Angeklagten zu beobachten, kann eine Reihe interessanter Feststellungen ma­chen. Besonders aufschlußreich sind die A u s s a g e n der Zeugen, die manches Schlaglicht auf die Einundzwanzig und ihre geistige Verfassung wer­fen, vor allem auf diejenigen Angeklagten, die sich lieber tarnen und im Dunkeln bleiben möchten.

Einer dieser Tarnkünstler istSeyß-Jnguart. Er hat sich auf harmlos zurechtgemacht und sogar an manchen Verhandlungstagen, ähnlich wie Heß, den Eindruck völliger Geistesabwesenheit oder einer recht bescheidenen Intelligenz vorgetäuscht. Als in den letzten Verhandlungstagen feine Machenschaf­ten als Reichskommissar in Holland näher beleuch­tet wurden, zeigte es sich aber, daß man es hier mit einem ebenso intelligenten wie gerissenen Ver­treter des Nationalsozialismus zu tun hat, der von den Propagandaphrasen Hitlers natürlich kein Wort glaubte, sie aber fleißig im Munde führte, wenn er sich davon Nutzen versprach.

Seyß-Jnquart scheute in solchen Fällen auch vor den skrupellosesten Intrigen nicht zurück, vor allem wenn es galt, einen unbequem gewordenenMit­kämpfer" umzulege», wie er das mit dein Führer der holländischen Nationalsozialisten Mussert ver­sucht hat.

Die Demaskierung Seyß-Jnquarts in jener Ver­handlung und das nachfolgende Rededuell des Zeu­gen Corrink mit dem Verteidiger Steinbauer ver- änlaßte mich zu einein Interview mit diesem be­kannten Strafverteidiger, der im Gerichtssaal schon durch seinen österreichischen Dialekt auffällt und hier der einzige nicht reichsdeütsche Anwalt ist.

In einer Verhandlungspause stelle ich mich ihm vor und er begrüßt mich, sehr erfreut, mit den Worten:Aus Tübingen kommen Sie, das freut mich aber wirklich. Meine Tochter war über ein Jahr bei einer Anwaltsfamilie i» Tuttlingen und ist von dort dick und g'sund wieder nach Wien zu-

Die Berliner Delegiertenkonferenz des Freien Deutschen Gewerkschastsbunds (FD- GB.) hat einen geschäftsführendcn Vorstand aus neun Mitgliedern gewühlt. Erster Vorsitzender ist Roman Chwalek (KPD.), zweiter Hermann Schlimme (SPD.).

Ihr seid die ersten Deutschen seit acht Jahren, denen ich die Hand gebe: mein Händedruck ist das Zeichen des Einverständnisses und der Brüder­schall." So hatte Louis Saillant, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundcs, kürzlich die Vorstandsmitglieder des FDGB. in Berlin be­grüßt. Und Otto Braß hatte ihm geantwortet: Viele Ihrer Kameraden sind von deutschen Sol­daten getötet oder von der Gestapo zu Tode ge- martet worden. Sie selbst sind wie ein Wild durch ganz Frankreich gehetzt worden, und doch haben Sie den Weltgewerkschaftskongreß beschworen, sich vom Haß gegen die deutschen Arbeiter frei zu.hal­ten. Wir werden Ihre Weigerung nie vergessen, die Arbeiterschaft irgendeines Landes mit der Re­gierung zu identifizieren, von der sie unterdrückt wurde."

Nun hat Sir Walter Citrine, der Führer der Delegation des Weltgewerkschaftsbundes, der ge­genwärtig Deutschland bereist, bei einer Unterhal­tung mit deutschen Gewerkschaftern in Berlin er­klärt, er werde sich für den Eintritt der deut­schen Gewerkschaften in den Weltgewerk­schaftsbund einsetzen. Es sei das Ziel seiner Reise, zu prüfen, wie weit die deutschen Gewerk­schaften an der Ausrottung des Nazismus teilneh­men könnten. Ende Februar werde der Bericht der Delegation in Paris den vier Besetzungsmächten vorgelegt werden.

Die internationale Gewerkschaftsdelegation hat sich von Berlin nach Leipzig und dann über Nürn­berg nach München begeben.

Frankfurt. In der amerikanischen Zone gab es am 1. Februar 201 Gewerkschaften mit etwa 150 000 Mitgliedern.

rückgekommen. Wir stehen mit unseren Tuttlinger Freunden immer noch in enger Berbindung und ich schätze die Schwaben und das Schwabenland ebenso hoch wie das meine Tochter seit ihrem Auf­enthalt in Württemberg tut."

Frage:Sie sind Oesterreicher und waren sicher kein Parteigänger der Nazis. Warum haben Sie die Verteidigung von Seyß-Jnquart übernom­men?"

Antwort:Ja mein, ich Hab' auch früher schon jeden verteidigt, der zu mir gekommen ist: Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten und diesmal halt den Seyß-Jnquart. Nationalsozialist war ich nie. Im Gegenteil, die Nazis haben mich als bekannten Demokraten gleich nach dem Einmarsch sechs Wo­chen lang eingesperrt. Zum Angewöhnen wahr­scheinlich."

Frage:Wie beurteilen Sie die Aussichten ihres Mandanten?"

Antwort:Mit meinem Urteil möcht' ich dem Gericht nicht vorgreifen. Ich Hab' aber den Ein­druck, daß Seyß-Jnquart mit Oesterreich besser wegkommen wird als mit Holland. Was die Hol­länder für eine Wut auf ihn haben, das hat ja der Herr Corrink deutlich genug gesagt."

Frage:Dann sind Sie also der Ansicht, daß Seyß-Jnquart in Oesterreich nicht unbeliebt war?"

Antwort:Das ist wieder zuviel gesagt, nicht unbeliebt! Man muß aber bedenken, daß in Oester­reich vor dem Einmarsch der Deutschen doch recht verworrene Verhältnisse geherrscht haben. Dollfuß, ja der war populär, den haben die Oesterreicher gemocht, von seinen direkten politischen Gegnern natürlich abgesehen. Sein Nachfolger, der Herr von Schuschnigg, der war nie populär, der ist mit sei­nen adeligen Offizieren in der Früh' ausgeritten; vom Volk hat er nichftviel wissen wollen und das Volk van ihm auch nicht. Er ist eigentlich erst be­liebt geworden als Märtyrer für Oesterreich, wie ihn Hitler ins Konzentrationslager gesperrt hat, in Ehrenhaft übrigens, wo es ihm natürlich nicht so

Hamburg. Der Führer der britischen Gewerk­schaften, Citrine, hat an einer Gewerkschafts­versammlung in Hamburg teilgenommen, bei der gleichzeitig die erste deutsche Gewerkschaftszeitung, eine in einer Auflage von 25 000 Exemplaren un­ter dem TitelGewerkschaftszeitung" erscheinende Monatsschrift, lizenziert wurde.

DieStuttgarter Zeitung" schreibt:In einer Kon­ferenz in Karlsruhe beschäftigten sich die Gewerk­schaftsvertreter von Württemberg und Baden mit Organisationsfragen. Es wurden dabei auch Fra­gen des wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbaus behandelt, wobei mißbilligt wurde, daß die Mitwir­kung der Arbeiterschaft bei der Gestaltung der Wirt- schasis- und Sozialpolitik noch zu keiner Zeit so ge­ring bewertet worden sei wie gerade jetzt."

Oie Ztreisilie^eAnag in O8-^.

Washington. Der Vizepräsident der Auto- mobilarbeitergewerkschaft', Reuther, beschuldigt die großen Unternehme», vor allem aber die General Motors und die Stahlmagnaten, das amerikani­sche Volk und die Regierung dazu zwingen zu wol­len, eine ungerechtfertigte Preiserhöhung anneh­men zu müssen, welche es ihr erlauben soll, unzu­lässige Gewinne zu machen. Als Vorwand geben sie an, daß sie anders die Löhne nicht erhöhen könnten.

N e u y o r k. Im Hafen von Neuyork streiken die Schleppdampferbesatzungcn wegen einer Lohner­höhung van 20 Prozent. Die Stadt würde bei einer längeren Dauer des Streiks mit Lebensmitteln und Brennstoff sehr knapp werden.

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Die amerikanischen Gewerkschaften sind in zwei Lager gespalten: die AFL. (American Fe­deration os Labour) und den CIO. (Congreß of Industrial Organisation), der sich 1930 unter John Lcmi? von der AFL. getrennt hat und mehr kämp­ferischen Charakter hat als der.reformistische" AFL. (die dem Weltgewerkschaftsbund nicht an­geschlossen ist).

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Oer pariser uittl 8eine TvituriKen

Einige Tage lang boten die Straßen von Paris ein ganz ungewohntes Bild. Infolge einer Lohn­differenz waren die Druckereiarbeiter in den Aus­stand getreten und es erschien keine Tageszeitung. Wer weiß, was für den Pariser die Zeitung be­deutet, der kann sich die Fassungslosigkeit der Leute oorstsllen, als sie eines Morgens aus die Straße kamen und ihren Zeikngshändler nicht an seinem gewohnten Platz fanden.

In kaum einer Stadt der Welt werden mehr Zei­tungen gelesen als in Paris. Im Durchschnitt kauft jeder, auch der ärmste oder sparsamste Mensch, eine Morgen- und eine Abendzeitung und jede Woche einige Zeitschriften. 25 Tageszeitungen erscheinen, und eine ganze Reihe davon haben über eine halbe Million Auslage. Die Wochenschriften sind gar nicht zu zählen.

Dabei handelt es sich mit ganz wenigen Aus­nahmen um Blätter, die höchstens 17 Monate alt sind. Denn die Vorkriegspresse existiert nicht mehr. Vergebens würde man heute an den Zeitungsstän­den die Namen suchen, die früher in der ganzen Welt bekannt waren: Matin, Le Petit Parisien, Le Jour, Jntransigeant, Paris-Soir. Denn bei der Befreiung von Paris wurde all den Zeitungen das Erscheinen verboten, die während der Besetzungs­zeit erschienen waren und die Politik der von den Nazis geduldeten Regierung von Vichy gutgeheißen hotten. Zeitungen, die mit dem Einzug der Wehr­macht freiwillig ihr Erscheinen eingestellt hatten, wie die großen Blatter der drei führenden poli­tischen Parteien, tauchten wieder auf und erschie­ne,, noch während der Straßenkämpfe in Paris: die kommunistische Humanste, der sozialistische Po- pulaire, die christlich-soziale Aube.

Der in 500 000 Exemplaren gedruckte Figaro und einige andere politisch unabhängige Zeitungen min­derer Bedeutung machten es ihnen nach. Der alte, sehr ernsthaste und würdige Temps, das französi­sche Gegenstück der Times, erscheint unter dem neuen Namen Le Monde. Eine Menge von Zei­tungen erstand aus Geheimzeitungen der Wider­

standsbewegung, und man erkennt diese Blätter schnell an ihre» Namen: Resistance Widerstand, France Libre Freies Frankreich, Liberation Befreiung, Combat Kainpf.

In anderen Ländern und anderen Großstädten liest ebenso wie in Paris jeder Mensch morgens die Zeitung im Autobus oder in der Untergrund­bahn. Aber der Pariser liest morgens und nachmit­tags und abends, er liest sehr häufig zwei Blätter verschiedener Parieirichtung, um ein objektives Bild zu bekommen, er kauft um 2 Uhr eine Früh-Abend- ausgabe und um 7 Uhr eine Spätausgabe, und wenn sein Weg ihn an einem der Verlagshänser vorbeiführt, in deren Schaufenster die letzten Mel­dungen aushängen oder mit Laufbandschrist ange­kündigt werden, dann bleibt er stehen und liest auch das noch begierig. Und nebenbei liest er eine politische Wochenschrift, oder eine literarische oder sozialpolitische Fachschrift. Der Pariser ist wahr­scheinlich der Großstädter, der am meisten Geld für bedrucktes Papier ausgibt.

Das macht die Fassungslosigkeit erklärlich, mit der der Pariser dem plötzlichen Ausbleiben der Zei­tungen gegenüberstand. Immer wieder traten die Kunden an die Zeitungsstände und fragten: Gibt's immer noch keine Zeitungen? Wissen Sie nicht, ob der Ausstand bald zu Ende sein wird?

Zwar konnte die Presse nicht erscheinen, aber die Redaktionen der großen Blätter lieferten dem Rundfunk eine Abschrift ihrer täglichen Leitartikel und der Rundfunk gah statt seiner täglichen Zei­tungsschau eine SendungGesprochene Presse", in der die Hörer die Meinung der politischen Schrift­leiter zu den Tagesereignissen erfahren konnten. Die Namen der maßgebenden Journalisten sind jedem Pariser bekannt, und es sind dies nicht nur die politischen, sondern auch literarische Schriftleiter oder Theater- und Filmkritiker.

Sehr bekannte Schriftsteller, wie Francois Mau- riac oder Georges Duhamel, arbeiten an Tages­zeitungen mit und tragen damit viel zur Stei­gerung des sprachlichen Niveaus der Presse bei. Der Journalist steht heute in Frankreich qesellichaft- lich und politisch an hervorragender Stelle. Im Befreiungskampf hat er eine sehr bedeutende Rolle

gespielt, und in der Nationalversammlung stellen die Journalisten die stärkste Berufsgruppe dar. Früher waren das die Rechtsanwälte. Fast alle bedeutenden Parteiführer in der Nationalversamm­lung sind gleichzeitig politische Journalisten, wie Leon Blum von der sozialistischen und Maurice Schumann von der christlich-sozialen Partei.

Vorläufig erscheinen die Pariser Tageszeitungen infolge des immer noch herrschenden Papierman­gels nur mit zwei Seiten im Großformat. Die Zeit­schriften aber sind schon zum großen Teil auf acht Seiten gewachsen und bieten für ein paar Franken unglaublich viel.

Daß gerade im Augenblick der Regierungsneu­bildung keine Zeitungen erschienen, war für den Pariser ein besonderes Pech. Solche politischen Er­eignisse von besonderer Tragweite färben aus das Stadtbild sonst gewöhnlich durch das Erscheinen von Sonderausgaben der Presse ab, die den Ver­käufern ans den Händen gerissen werden. Diesmal konnte nian sich nichts aus den Händen reißen, und wenn nicht in den Verkehrsmitteln, in den Laden und den Geschäften eifrig die Aussichten des neuen Ministeriums diskutiert worden wären, hätte man nichts davon gemerkt, daß Frankreich an einem politischen Wendepunkt angekommen war.

Ueberhaupt hat das der Krieg so mit sich ge­bracht, daß auch die aufregendsten Nachrichten mit Skepsis und vor allem mit äußerster Ruhe aus­genommen werden. In den letzten sechs Jahren hat die Pariser Bevölkerung so unglaubliche, so para­doxe Dinge erfahren und über sich ergehen lassen müssen, daß kaum noch irgend etwas die Leute aus ihrer Ruhe zu bringen vermag.

Diese eiserne Ruhe darf nicht mit Gleichgültig­keit verwechselt werden. Das Interesse der Men­schen aller Berufe und Gesellschaftsschichten nicht nur für die Angelegenheiten ihres eigenen Landes, sondern für die der ganzen Welt ist außerordent­lich wach und^rege. Die Jnformationspresse hält ihre Leser über alle wichtigen Vorgänge in Politik. Wissenschaft, Kunst und Technik auf den, lausen­den. Der an und für sich schon überdurchschnittlich gebildete Frnnzose nimmt all das wißbegierig in sich aus und verarbeitet es geistig.

schlecht gegangen ist wie den anderen Häftlingen. Und Seyß-Jnquart hat sich als sein Nachfolger nach meiner Kenntnis der Verhältnisse bemüht, Gegensätze auszugleichen. In Holland hat er es viel schwerer gehabt, denn dort hatte er von An­fang an mit einer starken Widerstandsbewegung zu rechnen."

Frage:War eine solche Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus in Oesterreich nicht vorhanden?"

Antwort:Oh doch, gewiß, und der, Widerstand wurde von Jahr zu Jahr stärker und auch immer besser organisiert. Das hat sich am Ende des Krie­ges gezeigt, als die deutschen Truppen aus Wien abziehen mußten; sie wurden damals, besonders in den Arbeitervorstädten, von den Angehörigen der österreichischen Widerstandsbewegung heftig beschos­sen, vor allem die SS die vor ihrer Flucht aus Wien den Stcphansdom angezündet hatte.

Ein deutscher Flakofsizier hatte den Befehl be­kommen, auch noch den Stephansturm zusammen­zuschießen, aber dieser Offizier war zum Glück mit einer Wienerin verheiratet und so hat er es doch nicht übers Herz bringen können, diesen ebenso sinnlosen wie barbarischen Befehl auszuführen, so daß die Wiener wenigstens das alte Wahrzeichen ihrer Stadt, denSteffel", behalte» durften. Solche Sachen hätt' der Seyß-Jnquart sicher nicht gemacht oder gutgeheißen, aber es ist halt schwer, das dem Gericht nachzuweisen.

Ich weiß, wie die Valksstimmung ist und was die Leut', gerade auch in Nürnberg, über diesen Prozeß sagen: daß das eine ganz unnötige Hetz sei, die doch nur unser Geld koste, und daß man sich die Zeit und die Arbeit sparen und alle Einund­zwanzig doch lieber gleich aufhängen soll. Sie ha­ben ja sicher auch gelesen, was am Samstag kn den Nürnberger Nachrichten" gestanden hat mit der UeberschriftEine Mutter schreibt an Göring";daß diese Frau jeden Einzelnen van diesen Naziverbre­chern an ein Ochsengespann hängen und zu Tod schleifen möchte, allein schon deshalb, weil sie ihr den einzigen Buben gemordet haben.

Das versteh' ich alles recht gut, vom mensch­lichen Standpunkt aus, aber als Jurist muß ich sagen, daß doch schon früher jeder Raubmörder und sogar der Haarmann und der Kürten einen Anwalt gehabt haben und daß es dem Empfinden der Kulturwelt entspricht, jedem Angeklagten das unbeschränkte Recht seiner Verteidigung zu geben. Es ist ja nicht schön, was wir Anwälte in unserer Praxis alles sehen und hören müssen, und ich glaube, davon kommt es auch, daß jeder von uns ein Steckenpferd hat, als Gegengewicht gegen die vielen häßlichen und oft grausigen Dinge, mit denen wir uns von Berufs wegen befassen müssen. Ich bin zum Beispiel Hellenist und Numismatiker; ich Hab' eine große Sammlung griechischer und römi­scher Münzen. Oder eigentlich, setzt er nach einer nachdenklichen Pause hinzu, ich Hab' sie gehabt, weil ich ja nicht weiß, ob ich von all' den vielen schönen Stücken, die ich mein ganzes Leben lang gesammelt habe, noch je einmal eines Wiedersehen werde.

Ja, und den Seyß-Jnquart will ich nach bestem Wissen und Gewissen verteidigen, wie auch das Urteil des Gerichts über ihn äusfallen mag. Ich will als Anwalt meine Pflicht tun, auch wenn ich weiß, daß ich mich damit nicht überall beliebt mache."

Die Pause ist zu Ende.Habe die Ehre", sagt Herr Dr. Steinbauer und schüttelt mir herzlich dis Hand,Sagen Sie auch bitte einen schönen Gruß in Tuttlingen!"

Er schreitet bedächtig dem Gerichtssaal zu, noch ein paar Bekannten zuwinkend, ein aufrechter De­mokrat aus dem alten Oesterreich, ein Anwalt des Rechts, Numismatiker und Hellenist, mit einem un­erschütterlichen Glauben an das Gute und Schöne, der ihm die Kraft gegeben hat, alles zu über­stehen: den Zusammenbruch Oesterreichs noch dem letzten Weltkrieg, das Dritte Reich und die Verfol­gungen durch die Nazis, unter denen auch er zu seiden hatte, und die Sorgen und Bürden seines Berufs, deren größte zurzeit Herr Seyß-Jnquart ist, der Mann, der seine und Dr. Steinbauers Hei­mat an den Tyrannen und Reichsverderber Adolf Hitler auslieferte und dem er trotz allem sei­nen Beistand nicht versagt.

VkirgritnOrtli^i knr : Or. Hcksirei-

Früher gehörten die Franzosen zu den Völkern, denen man eine Abneigung gegen das Reisen und eine freiwillige Beschränkung aus ihre eigenen An­gelegenheiten nachsagte. Ob das nun zu Recht oder Unrecht gesagt wurde, heute trifft das auf keinen Fall mehr zu, und das Weltbürgertum der Fran­zosen ist sprichwörtlich. Bei allem Respekt für seine Traditionen und bei allem Nationalstalz denkt der Franzose heute in weltweiten Begriffen und ist mehr Weltbürger als alle anderen Europäer. Da wo andere geistig immer noch innerhalb der natio­nalen Grenzen stehen, denkt der Franzose an die Menschheit und das Schicksal der Welt. Er braucht zum Leben die Stimusanz eines großen Ideals, und seine politische Erziehung weist ihm seit mehr als 150 Jahren die Bahn des Fortschritts. ?. O.

Die ZeitungFrance-Soir" hat einen Repor­tage p r ei s , denPrix Claude-Blanchard", gestif­tet. Auch die Verleihung desPrix Albert Londres" soll dieses Jahr wieder aufgenommin werden.

Die A u t o r e n s ch u tz f r i s t, die in Frankreich 5g Jahre betragt, wird für jeden Autor, der fürs Vater­land gestorben ist an der Front, in den Partisa­nenkämpfen oder im K.-Z. um 3l> Jahre verlän­gert.

Oer I^sII b urtvniigler

Wilhelm Furtwängler war bei Schluß des Krieges in der Schweiz fcstgchalten worden. Er ver- brachte mehrere Wochen in einem Sanatorium und ist nun aus der Schweiz ausgereist, nachdem ihn der In­tendant des Wiener Staatstheaters cingeladen hatte, nach Wien zu kommen. Furtrvänglers Beziehungen zu den Nationalsozialisten sollen nachgeprüft werden und der Alliierte Kontrollrat in Wien wird über den Un- tersuchungsbefund später entscheiden.

In Salzburg war Furtwängler vorübergehend fest- genommen worden, weil er keine Einreiseerlaubnis m» französisch besetzte Gebiet Oesterreichs hatte.

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In dem Artikel über Prof. Leonhardt in unse­rer letzten Nummer ist ein Fehler unterlaufen. Lean- bnrdt war Kapellmeister ln Hannover s191L) und Weimar llllM. dann Generalmusikdirektor in Stutt­gart l192B. wo er zugleich an der Staatlichen Musik­hochschule tätig war.