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1. k'ebrilsr 1946

Wirtschaft. Finanzen, Verkehr. Nechtswesen, So­zialpolitik, äußere Politik in ihren Grundzügen einheitlich geregelt und zentral verwaltet sein sol­len. Und auch wer umtarisch gerichtet ist, wird nicht verlangen, daß der Hamburger in Seppl- hosen herumlaufe, der Niedersachse oder Westfale Spätzle als Rormalkost betrachte oder der Bayer sich zum Bliemchenkaffee bekehre.

Streiten wir uns also nicht zuviel über bundes­staatlich« Theorien! Wir Deutschen sind bekanntlich von Haus aus nicht leicht unter einen Hut zu brin- gen. Die einen folgern daraus, daß man uns recht viel Freiheit lassen müsse, damit wir nicht gegen den Stachel locken: dis andern, daß man uns recht straff einschirren solle, da wir ja doch bei jeder Gelegenheit über die Stränge schlagen werden. Recht haben beide insofern, als die mehr oder we­niger einheitliche Form unseres Staates an unse- rer Eigenart nicht viel ändern wird: wie über­haupt die Form eines Staates über sein We­sen nicht immer alles aussagt, so daß etwa ein Föderatiostoat sehr stark zentralistisch regiert oder verwaltet sein kann, wie es auch in einer Mo- narchie unter Umständen demokratischer zugeht als in mancher Republik. (Man sehe sich daraufhin einmal Länder wie Rußland, England, Schweden, Argentinien, dis Schweiz, di« Bereinigten Staa­ten von Nordamerika an.)

Ob Deutschland morgen oder übermorgen in den R imen eines einheitlichen Europa als Ein­heit oder Vielheit sich sinfügen wird, ist vielleicht gar nicht mehr so wichtig: etwa wie es vor 7S Iah- ren nicht gerade ausschlaggebend für Deutschlands Wohl und Wehe war, ob es ein Land Thüringen in seiner Mitte hatte, oder dafür Sachsen-Koburq-Ga< tha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Weimar-Eisenach und noch ein paar solche Gebilde. Wir sind nämlich inzwischen um eine Spiralwindung höher gerückt in der Weltgeschichte, an deren Horizont sich bereits die Vereinigten Staaten der Erde abzuzeichnen beginnen. Von da aus betrachtet erscheinen Pro­bleme wie das hier umrissene wirklich nicht mehr so vordergründig.

Ein Gedanke ober sei hier zur Erwägung ge­stellt einerlei, ob wir uns das künftige Deutsch­land mehr als Einheitsstaat oder als Föderativ- staat vorstellen wollen: sollte man ibm nicht statt Berlin lieber Frankfurt am Main als Hauptstadt geben, wie dies nach der Münchener »Neuen Zeitung" (Nr. 15) der bayerische Mini­sterpräsident Dr. Högner vorgeschlagen hat? Damit wäre vor aller Welt ein Symbol dafür aufgestellt, daß wir den alten preußischen Kurs, der uns in eine Sackgasse und schließlich in den Abgrund ge­führt hat, aufgegeben haben und nun dort wieder anknüpfen wollen, wo jener unheilvolle Weg nach nicht beschritten und wo beste deutsche und demo­kratische Tradition noch lebendig war.

Ja, so ist es: hundert Jahre, nicht dreizehn oder siebenundzwanzig, müssen wir zurückgreifen, wenn wir die Fundamente für ein neues Deutschland le- gen wollen.

AVer ne ^e/leAronr^

Di« österreichische Regierung hat den zur sozialdemokratischen Partei gehörenden Staatssekretär Waldbrunner als ihren eisten Gesandten nach Mos­kau geschickt. «

Die Tschechoslowakei wird italienische Arbeit ter für den Wiederausbau anwerben. Ein erstes Kon­tingent non la aon Arbeitern wird bereits erwartet.

Di« vier großen politischen Parteien in Ungarn (Kleinlandwirte, Kommunisten, Sozialdemokraten, Bauernpartei) haben sich einstimmig für die Einfüh­rung derRepublik ausgesprochen.

In Japan «erden Ende März allgemeine Wah­len sein. »

In Java sind neue Kämpse zwischen den briti­schen Truppen und den Eingeborenen im Gange.

Im amerikanischen Repräsentantenhaus ha­ben Abgeordnete beider Parteien den Abbruch der Beziehungen zu Franeo nerlangt.

In der amerikanischen Streikbewe­gung ist sine gewisse Entspannung eingetreten.

In Argentinien wächst die innenpolitische Spannung, je mehr man der auf ?4. Februar vorge­sehenen Präsidentenwahl nahekommt. Oberst P e < ron hat erklärt, er rechne dabei bestimmt mit seinem Siege --

In Ehile ist infolge schwerer Unruhen der Bela­gerungszustand verhängt worden.

Deutsche kgueri auk

lkpeikartz im kreisxrm

Ueber den Neuaufbau Freiburgs äußert sich der städtische Oberbaudirektor in der badischen Presse dahin, daß neben der Rücksicht auf den früheren Reiz der Freiburger Altstadt, der in das neue Bild hinübergerettet werden solle, in die Planung alle neuen städtebaulichen Erkenntnisse und alle ver- kchrstechnischen, hygienischen und sozialen Verbesse, rungen einbezogen werden sollen.

In de»Freiburger Nachrichten" nimmt außer- dem ein Einsender das Wort zur Frage der Lösung des vordringlichen Wohnungsproblems. In vielen beschädigten Häusern sei es vor allem notwendig, einen Dachstock oder einen provisorischen Dachstock zu bauen, damit eine ganze Reihe darunter liegen- der Wohnungen wieder bewohnt werden könne. Das Nächstwichtige sei. kleinere Häuser bis zum Herbst wenigstens wieder bis zum ersten Stock auszubauen und zu verhindern, daß Witterung und Wasser weiterhin ihr Zerstörungswerk aus­üben könnten. Erst dann kämen in der Reihenfolge der Dringlichkeit die geplanten Siedlungshäuser.

Was die Materialfrage betreffe, so sei am wich­tigsten die Steigerung der Produktion von Dach­pappe, um weitere Witterungsschöden zu ver­hindern. Auch die Ziegelfabriken und Kalköfen, die ja einheimisches Material verarbeiteten, müßten wieder auf Höchstproduktian gebracht werden.

/IsestnkkendiirA

Zur Durchführung eines geregelten Wiederaus- baus ist das Gebiet von Aschoffenburg in 8 Be­zirke aufgeteilt worden; jeder dieser Bezirke wird von einem Architekten und einem Bauführer ge­leitet. Das städtische Wiederaufbauamt hat die Be- schlagnahme des notwendigen Materials angeord- net: Zement, Holz, Ziegel üsw. Von den 4540 Häu­sern der Stadt sind nur 950 unbeschädigt geblie­ben: mehr als 1000 sind vollkomemn zerstört wor­den; 780 können wieder bewohnt werden. Mehr als die Hälfte ist jedoch noch reparaturbedürftig. Die städtischen Behörden hoffen, demnächst 1100 weiter« Wohnungen zur Verfügung zu haben.

Der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig hat der Stadt einen Rechenschaftsbericht über den Er­folg der achtmonatigen Aufbauarbeit vorgclegt. Leipzig soll mit Unterstützung der Landesverwal­tung Sachsen wieder seine alte Stellung als Messe­stadt erringen. Schon im Mai 1946 wird die nächste Messe stattfinden. Auch den Ruf Leipzigs als Buch-, Musik- und Universitätsstadt gelte es neu zu festi­gen. Ebenso solle die Fellverarbeitung ihre alte Bedeutung zurückgewinncn.

Cs ist festgestellt worden, daß die kürzlich in der Leipziger Gegend entdeckten Kohlenvorkom­men sich unter der Stadt selbst fortsetzen. Aus diesem Grunde ist es möglich, daß der Wiederauf­bau Leipzig» anders als beabsichtigt durchgeführt werden wird. Der Bürgermeister hat erklärt, daß gewisse Stadtviertel nicht wieder aufgebaut wer­den sollen, und daß man dort Kohls fördern werde.

Im November vergangenen Jahres zählte die Stadt Leipzig ungefähr 585 000 Einwohner. Sie hotte früher 225 000 Wohnungen, von denen un­gefähr 35 000 vollkommen zerstört sind.

Hall« an <I«-r 8aala

In Halle wurden in einer Pressebesprcchung beim Dezernenten des Stadtbauamtes die Probleme des Wiederaufbaus der Hauptstadt der Provinz Sachsen behandelt. Ein besonderes Problem bildet die Wegschaffung der Trümmer, die in einem plan­vollen Großeinsatz gleichzeitig beseitigt und wieder verwendet werden sollen. Um diesen Einsatz zu ge­währleisten, übernimmt die Stadt Halle die Trüm- mer ab 1. Februar in ihren Besitz.

Berlin

Die interalliierte Kommandantur hat den Ber­liner Behörden die Genehmigung erteilt, sämtliche für den raschen Wiederaufbau der Stadt zweck­mäßigen Maßnahmen zu treffen. Alle Gebäude, die über 50 Prozent beschädigt sind, werden in Li­sten eingetragen, während jene, die geringere Schä­den erlitten haben, von ihren Besitzern wieder instandgesctzt werden sollen. Die Kommandan­tur hat den Behörden außerdem einen Fonds von 3 Millionen Reichsmark für den Bau neuer Spreebrücken bewilligt.

In Berlin wurde am 24. Januar im Zeughaus, Deutschlands ehemaligem Armeemuseum, eine

Ausstellung unter dem MottoBerlins Wie- deraufbau" eröffnet. Das Zeughaus wird in Zu­kunft nicht mehr den preußischen Militarismus symbolisieren, sondern im Zeichen des friedlichen Wiederaufbaus der Wirtschaft und Kultur stehen.

Die Ausstellung zeigt die Pläne der Stadt für den Wiederaufbau, der ungefähr 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen wird, und eine Messe, auf der die Erzeugnisse ausgestellt sind, die von den Be­trieben im Sowjetsektor Berlins hergestellt werden.

Krieckricstüstokea

Der Aufbauplan der Stadt Friedrichshafen sieht vor, daß zunächst die für die Militärregierung ar- beitenden Fabriken, dann Arbeiterwohnstättcn, Krankenhäuser und landwirtschaftliche Lagerhäu­ser wieder aufgebaut werden. Ferner sollen wieder aufgebaut werden: das Kurgartenhotel, der Buch- Horner Hof, das Kaffee Schöllhorn, die Pestalozzi- Schule. das herzogliche Schloß, das Strandbad und auch Teile des Paulinen-Stiftes. Auch der Riedle- Park soll wieder in Ordnung gebracht werden. Ferner soll das Trümmerfeld des schwerbeschädig­ten Bodenseemuseums aufgeräumt werden.

Das 8kstuttpradlein

Dem Schuttproblem in F r i e d r i ch s h a fe n ist eine nachdenkliche Betrachtung in derSchwäbischen Zeitung" vom 22. Januar gewidmet. Der Artikel­schreiber schätzt die Masse des zu bewegenden Schutts, den die Fliegerangriffe (unterließen, auf 150 000 abin, Da dieser Schutt auf möglichst billige Weise abgeführt werden sollte, gab es drei Möglich­keiten: Ausfüllung eines Userstreifens am östlichen Stadtende, Auffüllung einer Kiesgrube und end­lich Versenkung des Schutts mit Hilfe vorhandener Spezialkähne der Reichsbahn in den Bodenfee. Man will mit einem kleinen Verjuchsabschnitt in der Alt. stadt beginnen, um Erfahrungen zu sammeln. Stadt­verwaltung und Unternehmerschaft zeigen sich je­denfalls sest entschlossen, anzupacken. In diesem Zusammenhang düfrte der Vergleich mit Pforz­heim interessieren: Pforzheim hat bisher eins Ge­samtfläche von 30 000 <zm frcigelegt. Dies entspricht einer Crdbewgung von 230 000 cbm oder 4200 Eisenbahnwaggons.

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Ein Parlamentsausschuß der französischen Re­gierung wird sich auf eine Reise nach der fran­zösischen Besatzungszone in Deutsch­land und Oesterreich begeben, und zwar nimmt eine Gruppe in Innsbruck, eine anders in Baden- Baden ihren Ausgang. Während eines dreiwöchi­gen Aufenthaltes sollen die Lebensmittellage, Fragen der politischen Organisation und der Ge­werkschaften erforscht werden.

Eine amerikanische Kommission be­reist zurzeit die drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands. Sie wird Hilfsmaßnahmen für ver­schiedene notleidende Bevölkerungsgruppen ein­leiten.

Eine. Kommission des Weltgewerkschafts­bundes befindet sich auf dem Wege nach Berlin. Sie wird geführt von Leon Jauhaux, dem Leiter des Weltgewerkschaftsbundes; in seiner Begleitung sind führende englische (Citrine) und amerikanische (Hillman) Gewerkschaftsführer, sowie holländische, tschechische und andere Delegierte.

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VmsierllllnK 6er Oeiitscston nu« 6er Tscsteelio.slovastei

Prag. Zwischen tschechoslowakischen und ameri. konischen Militärbehörden sind Vereinbarungen über die Umsiedlung der Deutschen aus der Tsche­choslowakei getroffen worden, die erhebliche Bor- teile gegenüber der ersten Umsiedlungssaktion mit sich bringen. Die Umsiedler können in Zukunft ihre gesamte Kleidung und leicht transportierbare Gü­ter, wie Bettzeug usw. mitnehmen. Nur Geld. Ju­welen und dergleichen sind von der Mitnahme aus­geschlossen.

Prag. Anläßlich des ersten Transporter von Sudetendeutschen nach der amerikanischen Besat­zungszone erinnern zuständige Kreise daran, daß 2 Millionen 500 000 Deutsche aus der Tschecho­slowakei nach dem Reich überführt werden sol­len; 1 500 000 sind für die amerikanische Besat­zungszone, der größte Teil der übrigen für die russische Besatzungszone bestimmt.

Man weist darauf hin, daß diese Emigranten nach der Reihenfolge in drei Kategorien eingeteilt worden sind: 1. Die Nazis, 2. die Arbeitslosen, 3, diejenigen, deren Tätigkeit für den Augenblick als für dis Wirtschaft des Landes notwendig betrachtet wird.

In der Tschechoslowakei werden nicht mehr als 300400 000 Deutsche verbleiben. Es handelt sich um diejenigen, die wegen ihrer nazifeindlichen Tätigkeit die tschechoslowakische Nationalität erhal- ten haben, diejenigen, die nicht der NSDAP, an­gehört haben und mit tschechischen oder slowakischen Frauen verheiratet sind, und die aus diesen Ehen Kinder haben; und endlich eine kleine Zahl von Spezialarbsitern, die in der Industrie benötigt werden.

Marienbad, Der erste Transport von 1200 Deutschen aus der Tschechoslowakei ist von hier nach Bayern gegangen.

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München. Die Absicht der österreichischen Re­gierung, die sogenanntenillegalen Nazi" in

Oesterreich auszubürgern und nach Deutsch, land abzuschieben, hat in Bayern eine scharfe Re­aktion ausgelöst. Die bayerische Regierung wurde beim Alliierten Kontrollrat in Berlin vorstellig, um die Auswanderung österreichischer Nazi nach Bay- ern zu verhindern. Der bayerische Innenminister Seifried hat erklärt, dis Ausweisung österreichi­scher Nazi nach Deutschland verstoße gegen die Be­stimmungen des internationalen Rechts,Wir empfinden die Haltung unseres österreichischen Nach- barn als einen Affront gegen die antifaschistische Regierung Bayerns, der uns um so unverständ­licher erscheint, als unsere Haltung gegenüber dem neuen Oesterreich immer korrekt war."

In österreichischen Kreisen erklärt man zu die­sem Protest, daß, falls Bayern und andere deut­sche Länder die Uebernahme der illegalen öster­reichischen Nazi verweigerten, eine neue Grupp« van Staatenlosen entstehen müßte, die nie­mand haben wolle. Oesterreich sei entschlossen, die illegalen Nazis auszubürgern und sie los zu wer­den.

»

Wien. Die Behörden protestieren gegen die un. erlaubte Ankunft van 4000 deutschen Flüchtlingen aus Ungarn und Jugoslawien. Der Abtrans­port Deutscher aus. der russischen Zone Oesterreichs in die amerikanische hat begonnen. Sämtliche Reichs-, Volks- und Sudetendeutschen, die nach dem 13, März 1938 nach Oesterreich zugewandert sind, wurden aufgefordert, sich auf den Abtransport vorzubereiten.

Höxnvr xexeo kiepsrslisrniis

Der bayerische Ministerpräsident Dr, Högner hat in einer Rede gesagt:Wir sind nicht gewillt, uns Berchtesgaden und seine Umgebung entreißen zu lassen. Wer immer in diesen Gebieten für einen Anschluß an Oesterreich Propaganda macht, wird van uns als Landesverräter vor Gericht gestellt."

2. Kekrusr 1St3

Znm drittenmal jährt sich heute die Tragö­die von Stalingrad, non der an ge­rade zehn Jahre nach derMachtergreifung" die Kurve des nationalsozialistischen Deutsch, lands sich abwärts zu neigen begann. Wir veröffentlichen hier den Brief eines Sta­lingradkämpfers, der heute noch unter dem Furchtbaren leibet, das er damals mitgemacht har. Wir möchten dabei seststellen, daß die schwe­ren Vorwürfe, dis er gegen die Offizier« richtet, nicht durchweg zut'eisend sind, und möch- ten auch den Leser bitten, sich vor ungerechtfer­tigten Verallgemeinerungen zu bitten, die schon so manches Unheil angerichtet haben, D, Red.

Der Kampf uw Stalingrad war zu Ende. Wo vor Stunden noch, am 31. Januar, die Hölle tobte, wo zahllose Geschütze pausenlos Tonnen non Stahl und Sprengstoffen gegen die letzten Kampsstände der immer kleiner werdenden Häuslein der Vertei­diger schleuderten, wo ein Inferno von unvorstell­barer Gewalt in Feuer und Rauch über uns säst Wehrlose herniederging, da breitete sich endlich dos Schweigen des Todes über das Riesenfcld verschnei­ter Trümmer aus, das einmal Stalingrad gewesen war.

Irgendwo hatte ein kraftloser Arm eine der letzten Handgranaten gegen die in dichten Massen heran­brandende, unermeßliche Ueberzahl der todesver- achtenden Angreifer geschleudert. Irgendwo hatte eine froststarre Hand den letzten Patronenrahmen tn die Kammer des Gewehrs gedrückt, um die letz­ten fünf Schüsse von den ungezählten Millionen, - die seit den letzten Augusttagen die Luft über Sta- lingrad zerrissen hatten, abzugeben. Irgendwo bricht jäh das harte Rasteln der letzten einsamen Maschi­nengewehre ab, der Schütze bricht zusammen, er hat leine letzte Kraft hergegeben und dann, dann wird und bleibt es still. Die Nacht bricht herein und zum letzten Male sind die Motoren der braven Jus zu hören, die uns noch einmal mit Verpfle­gung und Munition versorgen. Ein entstammtes

Feuer gibt den tapferen Flugzeugführern das Ab- wurfgelände am Zirkus bekannt.

Am Morgen des 1. Februar bleibt der übliche Morgengruß der unzähligen feindlichen Batterien aus. Die Bomber, die ihre vernichtenden Brocken stets erbarmungslos auf engstem Raum abwarfen, wollen uns heute keine Todesangst einjagen. Die Pak, Flak und die moralisch vernichtenden Stalin­orgeln schweigen und das Pitschen der vorgeschobe- nen und angreifenden MP.-Schützen bleibt aus. Nur ab und zu, wenn unsereiner gar zu frech wurde, zerriß eine Gewehrkugel die Luft über un­seren Köpfen. Sonst war es ruhig. Alle, alle ahn­ten. was diese Ruhe bedeutete. Wie sehen die Män­ner aus? Schwarz, verrußt und dreckig, elend in zerfetzten Kleidern steckend. Was zeigen die Züge der spitzen, knochigen, verdreckten und behaarten Gesichter? Die Augen sind in den wahnsinnigen Hungerquolen und Todestagen tief eingefallen, dunkel, blutumrandet und wie Feuer blitzend. Keine Miene verzieht sich und nur Haß und unbezähm- liche Wut ist aus den Gesichtern zu lesen. Das Schimpfen und Fluchen hat längst aufgehort.

Stumpf, völlig entkräftet und niit erfrorenen Gliedern durchsucht ein großer Teil die Trümmer­haufen und Fahrzeugruinen nach irgend etwas für den zusammengefchrumpften, sich drehenden, sich selbst verschlingenden Magen. Der Stahlhelm, Waffe und Munition ist schon längst weggeworfen. Die Qualen des Hungers, der Kälte und der Läuse sind unerträglich. Langsam verlieren diese Leute die Energie, den Willen zum Leben, die Erinne­rung an die Lieben in der Heimat. Sie sind halb wahnsinnig. Ich hatte des öfteren Gelegenheit, die Zustände in den rückwärtigen Ruinenhaufen und Kellerlöchern zu sehen. Die total zu wilden Tieren verkommenen und verelendeten Gestalten suchen nur etwas für den Magen, Genießbar oder ungenießbar. Nur her damit. Hunger! Die rasende Arbeit des Todes wird nicht beachtet, Deckung ist nicht mehr nötig, stur, immer aufrecht, zu Tode er­schöpft wird gesucht, bi; die Leute endlich von der erlösenden Kugel getroffen werden. Die Verwundeten rufen nach Hilf«. Doch sed« hat genug mit sich

selbst zu tun, Verbandstoff und Medikamente sind längst aufgebraucht. Der Tod des Erfrierens ist die einzige Hilfe, Die Ruinen, Plätze und Ecken sind dicht mit Toten besät. Beerdigungen kannten schon tagelang nicht mehr durchgeführt werden. Die Ein­heiten sind aufgelöst, aufgeteilt und nur sehr we­nige wissen über das Schicksal des besten Kamera­den Bescheid. Jeder ist nur für sich selbst vorhanden.

Wie sieht es ober in den Kellcrräumen aus? Da kauern die Offiziere, die man schon seit Wochen nicht mehr gesehen hat, und bedauern sich selbst und werden Herr über die Verpflegung der total aus­gehungerten Männer in vorderster Stellung. Mit 50 oder auch 100 Gramm Brat mußten diese aus- kammen, doch blieb auch dieser Mundvoll recht oft aus. Hier hören sie im Radio:Bis zum letzten Mann die Pflicht getan. Generale. Offiziere, Un­teroffiziere und Mannschaften fochten Schulter an Schulter....!" Aber die Männer wissen er besser. Sie haben es gesehen. Langsam kommt es durch dis neue, jedoch diesmal wahre Parole: Am 2. Fe- bruar. Morgen, Gefangenschaft! Die meisten Män­ner spielen nun nochmals mit ihren Pistolen und betrachten die für besondere Zwecke aufgehobene Munition,Gehen oder ein sofortiges Ende?" Das war nun das große ernste Rätselraten Die Ge­fangenschaft wurde jedoch meistens dem Selbstmord vorgezogen.

In dem Morgengrauen des 2. Februar 1943 wurde die weiße Flagge gehißt und zu unserer größten Ueberraschung war die Aufnahme durch die russischen Offiziere die ritterlichste, die man sich denken kann. Stets und immer wieder mußten die Erstürmer ihre höchste Anerkennung und Bewun­derung über unsere Selbstaufopferung zum Aus. druck bringen. Sie sahen in uns nur Menschen ahne Nerven, Menschen, die den Tod verachten. Mit einer derart wirklich ehrenvollen und kameradschaft­lichen Aufnahme hatten wir nicht gerechnet, daher waren wir über alle Maßen erstaunt. So traten mir den Weg mit zusammengebissenen Zäbnen und in ohnmächtigem Grimm gegen unsere ober­sten und unteren Psrführer an. Doch eines wissen wir: »Wem« Sott ftrist, dem» straft «r ohn« Sno-

den!" Stets waren wir in den Augen der russi­schen Frontsoldaten ritterliche Kameraden und keine verhaßten Feinde.

Meist nur Unteroffizierdienstgrade führten die kämpfenden Einheiten, und die Herren gaben im­mer wieder schriftliche Aushaltebefehle: Haltet aus, der Führer haut euch raus! Sie erkundigten sich aber nie persönlich um das Wohl und Wehe der ver­ratenen, hungernden und schmachtenden Soldaten. Im Gegenteil, sie verkrochen sich in sichere Bunker, warm und mit Pelzen oft luxuriös ausstaffiert, mit wahnsinnigen Verpflegungsvorräten, um ja nicht gestört zu werden. Die Terminmeldungen wurden meist über den Daumen gemacht, in höchst unverantwortlichster Weise. Sa vom ersten Tage der Einkesselung an. Verrat, Betrug und Korrup­tion, wo man hinsah, und wir alle waren die Ver­blendeten und Verführten,

Nun waren die Körper total erschöpft, krank, er» froren und schon von den Läusen ongefressen. Das Fleckfieber nahm ungeheure Fortschritte und die rasende Arbeit des Todes konnte nicht aufgshalten werden. Trotz der mühevollsten besten Behandlung und besonders der Hilfeleistung der russischen Aerz- tinnen und Schwestern, denen für ihre aufopfernde Arbeit ganz besonderer Dank und Anerkennung ge­bührt, war es Gattes Ratschluß, alle bis auf ein« Handvoll heimzuholen und einzureihen in seiner Engel Scharen.

Schweigend kann ich mich heute nur verneigen vor den Müttern, Frauen und Kindern, die nun jahrelang in wartendem Schmerz gebangt haben um die Ihren, die ie in der Hölle von Stalingrad wußten und über die sie nie Gewißheit erfahren werden.

Stalingrad wie oft haben wir dort, wenn dt» Sonne iinterqiiig, nach Westen geschaut, vor Hunger und Kälte schauernd, dorthin wo irgendwo in wei­ter Ferne unsere Heimat, unsere Lieben waren, denen jeder unserer Gedanken galt. Wir wußten, daß sich nur sehr wenige zu den Wundevmenkchen zählen durften, di« zu ihren Lieben zurückkehr«» «erd«». »««»1«« »M«