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1. k'ebrilsr 1946
Wirtschaft. Finanzen, Verkehr. Nechtswesen, Sozialpolitik, äußere Politik in ihren Grundzügen einheitlich geregelt und zentral verwaltet sein sollen. Und auch wer umtarisch gerichtet ist, wird nicht verlangen, daß der Hamburger in Seppl- hosen herumlaufe, der Niedersachse oder Westfale Spätzle als Rormalkost betrachte oder der Bayer sich zum Bliemchenkaffee bekehre.
Streiten wir uns also nicht zuviel über bundesstaatlich« Theorien! Wir Deutschen sind bekanntlich von Haus aus nicht leicht unter einen Hut zu brin- gen. Die einen folgern daraus, daß man uns recht viel Freiheit lassen müsse, damit wir nicht gegen den Stachel locken: dis andern, daß man uns recht straff einschirren solle, da wir ja doch bei jeder Gelegenheit über die Stränge schlagen werden. Recht haben beide insofern, als die mehr oder weniger einheitliche Form unseres Staates an unse- rer Eigenart nicht viel ändern wird: wie überhaupt die Form eines Staates über sein Wesen nicht immer alles aussagt, so daß etwa ein Föderatiostoat sehr stark zentralistisch regiert oder verwaltet sein kann, wie es auch in einer Mo- narchie unter Umständen demokratischer zugeht als in mancher Republik. (Man sehe sich daraufhin einmal Länder wie Rußland, England, Schweden, Argentinien, dis Schweiz, di« Bereinigten Staaten von Nordamerika an.)
Ob Deutschland morgen oder übermorgen in den R imen eines einheitlichen Europa als Einheit oder Vielheit sich sinfügen wird, ist vielleicht gar nicht mehr so wichtig: etwa wie es vor 7S Iah- ren nicht gerade ausschlaggebend für Deutschlands Wohl und Wehe war, ob es ein Land Thüringen in seiner Mitte hatte, oder dafür Sachsen-Koburq-Ga< tha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Weimar-Eisenach und noch ein paar solche Gebilde. Wir sind nämlich inzwischen um eine Spiralwindung höher gerückt in der Weltgeschichte, an deren Horizont sich bereits die Vereinigten Staaten der Erde abzuzeichnen beginnen. Von da aus betrachtet erscheinen Probleme wie das hier umrissene wirklich nicht mehr so vordergründig.
Ein Gedanke ober sei hier zur Erwägung gestellt — einerlei, ob wir uns das künftige Deutschland mehr als Einheitsstaat oder als Föderativ- staat vorstellen wollen —: sollte man ibm nicht statt Berlin lieber Frankfurt am Main als Hauptstadt geben, wie dies nach der Münchener »Neuen Zeitung" (Nr. 15) der bayerische Ministerpräsident Dr. Högner vorgeschlagen hat? Damit wäre vor aller Welt ein Symbol dafür aufgestellt, daß wir den alten preußischen Kurs, der uns in eine Sackgasse und schließlich in den Abgrund geführt hat, aufgegeben haben und nun dort wieder anknüpfen wollen, wo jener unheilvolle Weg nach nicht beschritten und wo beste deutsche und demokratische Tradition noch lebendig war.
Ja, so ist es: hundert Jahre, nicht dreizehn oder siebenundzwanzig, müssen wir zurückgreifen, wenn wir die Fundamente für ein neues Deutschland le- gen wollen.
AVer ne ^e/leAronr^
Di« österreichische Regierung hat den zur sozialdemokratischen Partei gehörenden Staatssekretär Waldbrunner als ihren eisten Gesandten nach Moskau geschickt. «
Die Tschechoslowakei wird italienische Arbeit ter für den Wiederausbau anwerben. Ein erstes Kontingent non la aon Arbeitern wird bereits erwartet.
Di« vier großen politischen Parteien in Ungarn (Kleinlandwirte, Kommunisten, Sozialdemokraten, Bauernpartei) haben sich einstimmig für die Einführung derRepublik ausgesprochen.
In Japan «erden Ende März allgemeine Wahlen sein. »
In Java sind neue Kämpse zwischen den britischen Truppen und den Eingeborenen im Gange.
Im amerikanischen Repräsentantenhaus haben Abgeordnete beider Parteien den Abbruch der Beziehungen zu Franeo nerlangt.
In der amerikanischen Streikbewegung ist sine gewisse Entspannung eingetreten.
In Argentinien wächst die innenpolitische Spannung, je mehr man der auf ?4. Februar vorgesehenen Präsidentenwahl nahekommt. Oberst P e < ron hat erklärt, er rechne dabei bestimmt mit seinem Siege --
In Ehile ist infolge schwerer Unruhen der Belagerungszustand verhängt worden.
Deutsche kgueri auk
lkpeikartz im kreisxrm
Ueber den Neuaufbau Freiburgs äußert sich der städtische Oberbaudirektor in der badischen Presse dahin, daß neben der Rücksicht auf den früheren Reiz der Freiburger Altstadt, der in das neue Bild hinübergerettet werden solle, in die Planung alle neuen städtebaulichen Erkenntnisse und alle ver- kchrstechnischen, hygienischen und sozialen Verbesse, rungen einbezogen werden sollen.
In de» „Freiburger Nachrichten" nimmt außer- dem ein Einsender das Wort zur Frage der Lösung des vordringlichen Wohnungsproblems. In vielen beschädigten Häusern sei es vor allem notwendig, einen Dachstock oder einen provisorischen Dachstock zu bauen, damit eine ganze Reihe darunter liegen- der Wohnungen wieder bewohnt werden könne. Das Nächstwichtige sei. kleinere Häuser bis zum Herbst wenigstens wieder bis zum ersten Stock auszubauen und zu verhindern, daß Witterung und Wasser weiterhin ihr Zerstörungswerk ausüben könnten. Erst dann kämen in der Reihenfolge der Dringlichkeit die geplanten Siedlungshäuser.
Was die Materialfrage betreffe, so sei am wichtigsten die Steigerung der Produktion von Dachpappe, um weitere Witterungsschöden zu verhindern. Auch die Ziegelfabriken und Kalköfen, die ja einheimisches Material verarbeiteten, müßten wieder auf Höchstproduktian gebracht werden.
/IsestnkkendiirA
Zur Durchführung eines geregelten Wiederaus- baus ist das Gebiet von Aschoffenburg in 8 Bezirke aufgeteilt worden; jeder dieser Bezirke wird von einem Architekten und einem Bauführer geleitet. Das städtische Wiederaufbauamt hat die Be- schlagnahme des notwendigen Materials angeord- net: Zement, Holz, Ziegel üsw. Von den 4540 Häusern der Stadt sind nur 950 unbeschädigt geblieben: mehr als 1000 sind vollkomemn zerstört worden; 780 können wieder bewohnt werden. Mehr als die Hälfte ist jedoch noch reparaturbedürftig. Die städtischen Behörden hoffen, demnächst 1100 weiter« Wohnungen zur Verfügung zu haben.
Der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig hat der Stadt einen Rechenschaftsbericht über den Erfolg der achtmonatigen Aufbauarbeit vorgclegt. Leipzig soll mit Unterstützung der Landesverwaltung Sachsen wieder seine alte Stellung als Messestadt erringen. Schon im Mai 1946 wird die nächste Messe stattfinden. Auch den Ruf Leipzigs als Buch-, Musik- und Universitätsstadt gelte es neu zu festigen. Ebenso solle die Fellverarbeitung ihre alte Bedeutung zurückgewinncn.
Cs ist festgestellt worden, daß die kürzlich in der Leipziger Gegend entdeckten Kohlenvorkommen sich unter der Stadt selbst fortsetzen. Aus diesem Grunde ist es möglich, daß der Wiederaufbau Leipzig» anders als beabsichtigt durchgeführt werden wird. Der Bürgermeister hat erklärt, daß gewisse Stadtviertel nicht wieder aufgebaut werden sollen, und daß man dort Kohls fördern werde.
Im November vergangenen Jahres zählte die Stadt Leipzig ungefähr 585 000 Einwohner. Sie hotte früher 225 000 Wohnungen, von denen ungefähr 35 000 vollkommen zerstört sind.
Hall« an <I«-r 8aala
In Halle wurden in einer Pressebesprcchung beim Dezernenten des Stadtbauamtes die Probleme des Wiederaufbaus der Hauptstadt der Provinz Sachsen behandelt. Ein besonderes Problem bildet die Wegschaffung der Trümmer, die in einem planvollen Großeinsatz gleichzeitig beseitigt und wieder verwendet werden sollen. Um diesen Einsatz zu gewährleisten, übernimmt die Stadt Halle die Trüm- mer ab 1. Februar in ihren Besitz.
Berlin
Die interalliierte Kommandantur hat den Berliner Behörden die Genehmigung erteilt, sämtliche für den raschen Wiederaufbau der Stadt zweckmäßigen Maßnahmen zu treffen. Alle Gebäude, die über 50 Prozent beschädigt sind, werden in Listen eingetragen, während jene, die geringere Schäden erlitten haben, von ihren Besitzern wieder instandgesctzt werden sollen. Die Kommandantur hat den Behörden außerdem einen Fonds von 3 Millionen Reichsmark für den Bau neuer Spreebrücken bewilligt.
In Berlin wurde am 24. Januar im Zeughaus, Deutschlands ehemaligem Armeemuseum, eine
Ausstellung unter dem Motto „Berlins Wie- deraufbau" eröffnet. Das Zeughaus wird in Zukunft nicht mehr den preußischen Militarismus symbolisieren, sondern im Zeichen des friedlichen Wiederaufbaus der Wirtschaft und Kultur stehen.
Die Ausstellung zeigt die Pläne der Stadt für den Wiederaufbau, der ungefähr 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen wird, und eine Messe, auf der die Erzeugnisse ausgestellt sind, die von den Betrieben im Sowjetsektor Berlins hergestellt werden.
Krieckricstüstokea
Der Aufbauplan der Stadt Friedrichshafen sieht vor, daß zunächst die für die Militärregierung ar- beitenden Fabriken, dann Arbeiterwohnstättcn, Krankenhäuser und landwirtschaftliche Lagerhäuser wieder aufgebaut werden. Ferner sollen wieder aufgebaut werden: das Kurgartenhotel, der Buch- Horner Hof, das Kaffee Schöllhorn, die Pestalozzi- Schule. das herzogliche Schloß, das Strandbad und auch Teile des Paulinen-Stiftes. Auch der Riedle- Park soll wieder in Ordnung gebracht werden. Ferner soll das Trümmerfeld des schwerbeschädigten Bodenseemuseums aufgeräumt werden.
Das 8kstuttpradlein
Dem Schuttproblem in F r i e d r i ch s h a fe n ist eine nachdenkliche Betrachtung in der „Schwäbischen Zeitung" vom 22. Januar gewidmet. Der Artikelschreiber schätzt die Masse des zu bewegenden Schutts, den die Fliegerangriffe (unterließen, auf 150 000 abin, Da dieser Schutt auf möglichst billige Weise abgeführt werden sollte, gab es drei Möglichkeiten: Ausfüllung eines Userstreifens am östlichen Stadtende, Auffüllung einer Kiesgrube und endlich Versenkung des Schutts mit Hilfe vorhandener Spezialkähne der Reichsbahn in den Bodenfee. Man will mit einem kleinen Verjuchsabschnitt in der Alt. stadt beginnen, um Erfahrungen zu sammeln. Stadtverwaltung und Unternehmerschaft zeigen sich jedenfalls sest entschlossen, anzupacken. In diesem Zusammenhang düfrte der Vergleich mit Pforzheim interessieren: Pforzheim hat bisher eins Gesamtfläche von 30 000 <zm frcigelegt. Dies entspricht einer Crdbewgung von 230 000 cbm oder 4200 Eisenbahnwaggons.
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Ein Parlamentsausschuß der französischen Regierung wird sich auf eine Reise nach der französischen Besatzungszone in Deutschland und Oesterreich begeben, und zwar nimmt eine Gruppe in Innsbruck, eine anders in Baden- Baden ihren Ausgang. Während eines dreiwöchigen Aufenthaltes sollen die Lebensmittellage, Fragen der politischen Organisation und der Gewerkschaften erforscht werden.
Eine amerikanische Kommission bereist zurzeit die drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands. Sie wird Hilfsmaßnahmen für verschiedene notleidende Bevölkerungsgruppen einleiten.
Eine. Kommission des Weltgewerkschaftsbundes befindet sich auf dem Wege nach Berlin. Sie wird geführt von Leon Jauhaux, dem Leiter des Weltgewerkschaftsbundes; in seiner Begleitung sind führende englische (Citrine) und amerikanische (Hillman) Gewerkschaftsführer, sowie holländische, tschechische und andere Delegierte.
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Prag. Zwischen tschechoslowakischen und ameri. konischen Militärbehörden sind Vereinbarungen über die Umsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei getroffen worden, die erhebliche Bor- teile gegenüber der ersten Umsiedlungssaktion mit sich bringen. Die Umsiedler können in Zukunft ihre gesamte Kleidung und leicht transportierbare Güter, wie Bettzeug usw. mitnehmen. Nur Geld. Juwelen und dergleichen sind von der Mitnahme ausgeschlossen.
Prag. Anläßlich des ersten Transporter von Sudetendeutschen nach der amerikanischen Besatzungszone erinnern zuständige Kreise daran, daß 2 Millionen 500 000 Deutsche aus der Tschechoslowakei nach dem Reich überführt werden sollen; 1 500 000 sind für die amerikanische Besatzungszone, der größte Teil der übrigen für die russische Besatzungszone bestimmt.
Man weist darauf hin, daß diese Emigranten nach der Reihenfolge in drei Kategorien eingeteilt worden sind: 1. Die Nazis, 2. die Arbeitslosen, 3, diejenigen, deren Tätigkeit für den Augenblick als für dis Wirtschaft des Landes notwendig betrachtet wird.
In der Tschechoslowakei werden nicht mehr als 300—400 000 Deutsche verbleiben. Es handelt sich um diejenigen, die wegen ihrer nazifeindlichen Tätigkeit die tschechoslowakische Nationalität erhal- ten haben, diejenigen, die nicht der NSDAP, angehört haben und mit tschechischen oder slowakischen Frauen verheiratet sind, und die aus diesen Ehen Kinder haben; und endlich eine kleine Zahl von Spezialarbsitern, die in der Industrie benötigt werden.
Marienbad, Der erste Transport von 1200 Deutschen aus der Tschechoslowakei ist von hier nach Bayern gegangen.
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München. Die Absicht der österreichischen Regierung, die sogenannten „illegalen Nazi" in
Oesterreich auszubürgern und nach Deutsch, land abzuschieben, hat in Bayern eine scharfe Reaktion ausgelöst. Die bayerische Regierung wurde beim Alliierten Kontrollrat in Berlin vorstellig, um die Auswanderung österreichischer Nazi nach Bay- ern zu verhindern. Der bayerische Innenminister Seifried hat erklärt, dis Ausweisung österreichischer Nazi nach Deutschland verstoße gegen die Bestimmungen des internationalen Rechts, „Wir empfinden die Haltung unseres österreichischen Nach- barn als einen Affront gegen die antifaschistische Regierung Bayerns, der uns um so unverständlicher erscheint, als unsere Haltung gegenüber dem neuen Oesterreich immer korrekt war."
In österreichischen Kreisen erklärt man zu diesem Protest, daß, falls Bayern und andere deutsche Länder die Uebernahme der illegalen österreichischen Nazi verweigerten, eine neue Grupp« van Staatenlosen entstehen müßte, die niemand haben wolle. Oesterreich sei entschlossen, die illegalen Nazis auszubürgern und sie los zu werden.
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Wien. Die Behörden protestieren gegen die un. erlaubte Ankunft van 4000 deutschen Flüchtlingen aus Ungarn und Jugoslawien. — Der Abtransport Deutscher aus. der russischen Zone Oesterreichs in die amerikanische hat begonnen. — Sämtliche Reichs-, Volks- und Sudetendeutschen, die nach dem 13, März 1938 nach Oesterreich zugewandert sind, wurden aufgefordert, sich auf den Abtransport vorzubereiten.
Höxnvr xexeo kiepsrslisrniis
Der bayerische Ministerpräsident Dr, Högner hat in einer Rede gesagt: „Wir sind nicht gewillt, uns Berchtesgaden und seine Umgebung entreißen zu lassen. Wer immer in diesen Gebieten für einen Anschluß an Oesterreich Propaganda macht, wird van uns als Landesverräter vor Gericht gestellt."
2. Kekrusr 1St3
Znm drittenmal jährt sich heute die Tragödie von Stalingrad, non der an — gerade zehn Jahre nach der „Machtergreifung" — die Kurve des nationalsozialistischen Deutsch, lands sich abwärts zu neigen begann. Wir veröffentlichen hier den Brief eines Stalingradkämpfers, der heute noch unter dem Furchtbaren leibet, das er damals mitgemacht har. Wir möchten dabei seststellen, daß die schweren Vorwürfe, dis er gegen die Offizier« richtet, nicht durchweg zut'eisend sind, und möch- ten auch den Leser bitten, sich vor ungerechtfertigten Verallgemeinerungen zu bitten, die schon so manches Unheil angerichtet haben, D, Red.
Der Kampf uw Stalingrad war zu Ende. Wo vor Stunden noch, am 31. Januar, die Hölle tobte, wo zahllose Geschütze pausenlos Tonnen non Stahl und Sprengstoffen gegen die letzten Kampsstände der immer kleiner werdenden Häuslein der Verteidiger schleuderten, wo ein Inferno von unvorstellbarer Gewalt in Feuer und Rauch über uns säst Wehrlose herniederging, da breitete sich endlich dos Schweigen des Todes über das Riesenfcld verschneiter Trümmer aus, das einmal Stalingrad gewesen war.
Irgendwo hatte ein kraftloser Arm eine der letzten Handgranaten gegen die in dichten Massen heranbrandende, unermeßliche Ueberzahl der todesver- achtenden Angreifer geschleudert. Irgendwo hatte eine froststarre Hand den letzten Patronenrahmen tn die Kammer des Gewehrs gedrückt, um die letzten fünf Schüsse von den ungezählten Millionen, - die seit den letzten Augusttagen die Luft über Sta- lingrad zerrissen hatten, abzugeben. Irgendwo bricht jäh das harte Rasteln der letzten einsamen Maschinengewehre ab, der Schütze bricht zusammen, er hat leine letzte Kraft hergegeben — und dann, dann wird und bleibt es still. Die Nacht bricht herein und zum letzten Male sind die Motoren der braven Jus zu hören, die uns noch einmal mit Verpflegung und Munition versorgen. Ein entstammtes
Feuer gibt den tapferen Flugzeugführern das Ab- wurfgelände am Zirkus bekannt.
Am Morgen des 1. Februar bleibt der übliche Morgengruß der unzähligen feindlichen Batterien aus. Die Bomber, die ihre vernichtenden Brocken stets erbarmungslos auf engstem Raum abwarfen, wollen uns heute keine Todesangst einjagen. Die Pak, Flak und die moralisch vernichtenden Stalinorgeln schweigen und das Pitschen der vorgeschobe- nen und angreifenden MP.-Schützen bleibt aus. Nur ab und zu, wenn unsereiner gar zu frech wurde, zerriß eine Gewehrkugel die Luft über unseren Köpfen. Sonst war es ruhig. Alle, alle ahnten. was diese Ruhe bedeutete. Wie sehen die Männer aus? Schwarz, verrußt und dreckig, elend in zerfetzten Kleidern steckend. Was zeigen die Züge der spitzen, knochigen, verdreckten und behaarten Gesichter? Die Augen sind in den wahnsinnigen Hungerquolen und Todestagen tief eingefallen, dunkel, blutumrandet und wie Feuer blitzend. Keine Miene verzieht sich und nur Haß und unbezähm- liche Wut ist aus den Gesichtern zu lesen. Das Schimpfen und Fluchen hat längst aufgehort.
Stumpf, völlig entkräftet und niit erfrorenen Gliedern durchsucht ein großer Teil die Trümmerhaufen und Fahrzeugruinen nach irgend etwas für den zusammengefchrumpften, sich drehenden, sich selbst verschlingenden Magen. Der Stahlhelm, Waffe und Munition ist schon längst weggeworfen. Die Qualen des Hungers, der Kälte und der Läuse sind unerträglich. Langsam verlieren diese Leute die Energie, den Willen zum Leben, die Erinnerung an die Lieben in der Heimat. Sie sind halb wahnsinnig. Ich hatte des öfteren Gelegenheit, die Zustände in den rückwärtigen Ruinenhaufen und Kellerlöchern zu sehen. Die total zu wilden Tieren verkommenen und verelendeten Gestalten suchen nur etwas für den Magen, Genießbar oder ungenießbar. Nur her damit. Hunger! Die rasende Arbeit des Todes wird nicht beachtet, Deckung ist nicht mehr nötig, stur, immer aufrecht, zu Tode erschöpft wird gesucht, bi; die Leute endlich von der erlösenden Kugel getroffen werden. Die Verwundeten rufen nach Hilf«. Doch sed« hat genug mit sich
selbst zu tun, Verbandstoff und Medikamente sind längst aufgebraucht. Der Tod des Erfrierens ist die einzige Hilfe, Die Ruinen, Plätze und Ecken sind dicht mit Toten besät. Beerdigungen kannten schon tagelang nicht mehr durchgeführt werden. Die Einheiten sind aufgelöst, aufgeteilt und nur sehr wenige wissen über das Schicksal des besten Kameraden Bescheid. Jeder ist nur für sich selbst vorhanden.
Wie sieht es ober in den Kellcrräumen aus? Da kauern die Offiziere, die man schon seit Wochen nicht mehr gesehen hat, und bedauern sich selbst und werden Herr über die Verpflegung der total ausgehungerten Männer in vorderster Stellung. Mit 50 oder auch 100 Gramm Brat mußten diese aus- kammen, doch blieb auch dieser Mundvoll recht oft aus. Hier hören sie im Radio: „Bis zum letzten Mann die Pflicht getan. Generale. Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften fochten Schulter an Schulter....!" Aber die Männer wissen er besser. Sie haben es gesehen. Langsam kommt es durch dis neue, jedoch diesmal wahre Parole: Am 2. Fe- bruar. Morgen, Gefangenschaft! Die meisten Männer spielen nun nochmals mit ihren Pistolen und betrachten die für besondere Zwecke aufgehobene Munition, „Gehen oder ein sofortiges Ende?" Das war nun das große ernste Rätselraten Die Gefangenschaft wurde jedoch meistens dem Selbstmord vorgezogen.
In dem Morgengrauen des 2. Februar 1943 wurde die weiße Flagge gehißt und zu unserer größten Ueberraschung war die Aufnahme durch die russischen Offiziere die ritterlichste, die man sich denken kann. Stets und immer wieder mußten die Erstürmer ihre höchste Anerkennung und Bewunderung über unsere Selbstaufopferung zum Aus. druck bringen. Sie sahen in uns nur Menschen ahne Nerven, Menschen, die den Tod verachten. Mit einer derart wirklich ehrenvollen und kameradschaftlichen Aufnahme hatten wir nicht gerechnet, daher waren wir über alle Maßen erstaunt. So traten mir den Weg mit zusammengebissenen Zäbnen und in ohnmächtigem Grimm gegen unsere obersten und unteren Psrführer an. Doch eines wissen wir: »Wem« Sott ftrist, dem» straft «r ohn« Sno-
den!" Stets waren wir in den Augen der russischen Frontsoldaten ritterliche Kameraden und keine verhaßten Feinde.
Meist nur Unteroffizierdienstgrade führten die kämpfenden Einheiten, und die Herren gaben immer wieder schriftliche Aushaltebefehle: Haltet aus, der Führer haut euch raus! Sie erkundigten sich aber nie persönlich um das Wohl und Wehe der verratenen, hungernden und schmachtenden Soldaten. Im Gegenteil, sie verkrochen sich in sichere Bunker, warm und mit Pelzen oft luxuriös ausstaffiert, mit wahnsinnigen Verpflegungsvorräten, um ja nicht gestört zu werden. Die Terminmeldungen wurden meist über den Daumen gemacht, in höchst unverantwortlichster Weise. Sa vom ersten Tage der Einkesselung an. Verrat, Betrug und Korruption, wo man hinsah, und wir alle waren die Verblendeten und Verführten,
Nun waren die Körper total erschöpft, krank, er» froren und schon von den Läusen ongefressen. Das Fleckfieber nahm ungeheure Fortschritte und die rasende Arbeit des Todes konnte nicht aufgshalten werden. Trotz der mühevollsten besten Behandlung und besonders der Hilfeleistung der russischen Aerz- tinnen und Schwestern, denen für ihre aufopfernde Arbeit ganz besonderer Dank und Anerkennung gebührt, war es Gattes Ratschluß, alle bis auf ein« Handvoll heimzuholen und einzureihen in seiner Engel Scharen.
Schweigend kann ich mich heute nur verneigen vor den Müttern, Frauen und Kindern, die nun jahrelang in wartendem Schmerz gebangt haben um die Ihren, die ie in der Hölle von Stalingrad wußten und über die sie nie Gewißheit erfahren werden.
Stalingrad — wie oft haben wir dort, wenn dt» Sonne iinterqiiig, nach Westen geschaut, vor Hunger und Kälte schauernd, dorthin wo irgendwo in weiter Ferne unsere Heimat, unsere Lieben waren, denen jeder unserer Gedanken galt. Wir wußten, daß sich nur sehr wenige zu den Wundevmenkchen zählen durften, di« zu ihren Lieben zurückkehr«» «erd«». »««»1«« »M«