Seit« 4 Schwarzwald-Wacht

Mittwoch, den 17. Mai 1930

Rote-Kreuz-Schwestern tagen in Stuttgart

^inisterilllret Or. Ltätile über >VeIl3nscIiLuun8 und Oesunäbeit

Stuttgart, 15. Mai. Die Reichstagung der Schwesternschaft des Deutschest Roten Kreuzes wurke am Montagvormittag in der Gewestbchalle feierlich eröffnet. Der Lhef des Amtes für Schwesternschaften beim DRK.- Präsidium, DRK.-Generalhauptführer Prof. Dr, Stahl, begrüßte die als Vertreter von Staat, Partei und Wehrmacht zahlreich erschienenen Ehrengäste und die Schwestern. Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Herzog von Loburg, betonte in seinen Begrüßungsworten, daß die Schwesternschaften entscheidende Mit« arbeit am großen Friedenswerk des Führers lei­sten. Ferner hielten Begrüßungsansprachen Mini­sterialrat Dr. Ruppert im Namen der Reichs­regierung, Generalarzt Dr. Ost « rland als Ver­tretern des Oberkommandos der Wehrmacht. Innen­minister Dr. Schmid namens der württember- gischen Landesregierung und Oberbürgermeister Dr. Strölin.

Dem von Generaloberin von Oertzen erstat­teten Arbeitsbericht war zu entnehmen, daß dis Zahl der DRK.-Schwestern im letzten Jahr vort 12 748 auf 15 724 gestiegen ist. Trotzdem erfordere die zunehmend« Vergrößerung der Arbeit immer noch ein Mehr an ausgebildeten Schwestern. Der Schwesternberuf sei mit dem wirklichen Sol­datentum zu vergleichen; er gebe>er ein­zelnen Schwester aber die absolut« Geborgenheit und Sicherheit in der täglichen Arbeit und bei Schicksalsschlägen. Der Arbeitsbericht verzeichnet fünf neue Mutterhäuser in Elbing, Wien, Salz­burg, Steyr und Graz. Die Arbeit in Universi­tätskliniken sei in stetem Zunehmen begriffen.

Eine tiefschürfende Rede hielt Ministerialrat Dr. Stähle überWeltanschauung und Gesundheit'. Es genüge heute nicht, die Ge­sundheit zu erhalten, sondern wir find darüber» hinaus verpflichtet, alle uns vom Schöpfer mit­gegebenen Anlagen zu höchster Leistung zu ents wickeln. Das .Streben nach Höchstleistung und Höchstentwicklung aller Anlagen solle aber nicht dem Geltungsbedürfnis und Machtstreben des ein­zelnen entspringen, sondern seine letzte Wurzel »m Willen am Dienste zum Volke haben. Es sei also weltanschaulich bedingt und im Nationalsozialis­mus verankert, denn dieser sei nichts anderes als angewandte Biologie. Seine Sendung sei es, das deutsche Volk lebensgerecht zu führen; er unterscheide sich dabei von den Weltanschau­ungen vergangener Jahrhunderte, die unter dem Einfluß artfremder Lehren oft genug den Leib verleugneten und nur die Seele gelten lasten woll­ten. Leib und Seele feien aber untrennbar und aleichwertia aneinandergekopvelt. Der Leib sei nicht der Knecht der Seele und die Seel« nicht der Herr des Leibes, sondern beide stünden in ständigen gegenseitigen Wechselwirkungen und beide müßten beim Gesunden geführt und behan­delt werden. Seelsorge sei daher auch von der leiblichen Sorge untrennbar und könne kein Mono­pol eines bestimmten Standes sein. Unsere Auf­gabe sei es, das ewige Leben unseres Volkes zu schützen und daraum die Gesunden lebensgerecht zu führen uick> alle Volksschäden zu bekämpfen.

Am Nachmittag sprachen Marta Heß. Leiterin der Hauptstelle Frauen- und Mädelarbeit im Ras­senpolitischen Amt, Reichsleitung der NSDAP., überRastenhygiene und Jndividualhygiene" und Professor Kißling-Mannheim überHerd- infektion und Allgemeinerkrankung'.

Sraueneinsatz für BolkssesuMeit

Vorträge auf der DRK.-Schwcst«rntagung

Stuttgart, 16. Mai. Es ist eine überaus glückliche Anordnung der Vortragsfolge, daß die DRK.-Schwestern auf ihrer Stuttgarter Tagung auch von den künstlerischen Schönhei­ten des Schwabenlandes tiefe Eindrücke gewin­nen konnten. Prof. Dr. Otto Schmidt- Stuttgart hielt am Dienstagvormittag im Universum einen Lichtbildervortrag überMei- sterwerke der schwäbischen Bildhauerkunst". In

der Gewerbehalle sprach Dozent Dr. Hermann Maurer überSchwabens Schicksal in der deutschen Geschichte".

Iran De. Vorwerk, Hauptabteilungslei.

verstärkte Abwanderung von Frauen und Mä­deln auS den Tätigkeiten deS unmittelbaren Dienstes an Leben und Gesundheit in die lebensferneren Berufe der Industrie und des Handels, die durch die zahlenmäßig schwäche- ren Nachwuchs-Jahrgänge nicht ausgeglichen werden könne. Um den Gefahren, die damit für Lebenserhaltung, Kinderreichtum und Ge­sundheit entstehen, zu begegnen, müssen alle nur möglichen Mittel angewandt werden. So­fern es sich nur um vorübergehende Erschei­nungen handelt, müssen Hilfsmaßnah­men getroffen werden, wie sie im EhrenhilfS- dienst des Deutschen Frauenwerks in der Nach­barschaftshilfe oder Erntehilfe eingerichtet worden sind. Sofern eS sich allerdings um eine grundsätzliche Bevorzugung lebensfernerer Be­rufe handelt, müsse mit allen Mitteln der Er­ziehung und mit dem ganzen Nachdruck natio- nalsozialistisch-weltanlcbaulicker Einilnknabm-

vorgegangen werden. Die Arbeit der national­sozialistischen Frauenorganifation sei von vorn- herein davon ausgegangen, die Mitarbeit der Frauen am Aufbau des Volkslebens dadurch erfolgreicher zu gestalten, daß gerade die frau­lichen Kräfte und Fähigkeiten geweckt und ge­stärkt und zu höchster Einsatzfähigkeit entfaltet werden. Nur dann sei Leben und Gesundheit eines Volkes gewährleistet, wenn arbeits­mäßig aber auch innermenschlich die Frauen mit natürlicher Sicherheit zu ihren Aufgaben stehen.

Am Dienstagnachmittag besuchten die Ta­gungsteilnehmer die Reichsgartenschau.

2><»neaelöbnls an den Führer

Anläßlich der Reichsbaaung der Schwestern­schaften des Deutschen Roten Kreuzes wurde an den Führer «in« Telegramm geschickt, das vom Präsidenten deS Deutschen Roten Kreuzes, Herzog von Coburg, und von U-Bri- gadeführer Dr. Grawitz unterzeichnet ist. In diesem Telegramm entbieten über 1000 Schwestern des DRK., die in Stuttgart zur Arbeitstagung versammelt sind, dem Führer als dem Schirmherrn des Deutschen Roten Kreuzes das Gelöbnis unwandelbarer Treue zum Dienst am deutschen Volke im Bewußtsein der Verpflichtung zum Einsatz im Kriegssani­tätsdienst der Nation. Der Führer hat der Reichstagung der Rotkreuz-Schwestern für die Uebermittlung der Grüße mit besten Wün­schen für ihre weitere Arbeit erwidert.

7voo Schwaben beim Reichskriegertag

Stuttgart, 16. Mai. Vom 2. bis S. Juni findet der diesjährige Reichskriegertag in Kassel statt. Zahlreich ist dabei die Beteili­gung aus dem Gaukriegerverband S ü dwe st. Alte Soldaten des großen Kris- ges und mit ihnen erstmals die jungen Ka­meraden, die erst kurze Zeit auz der Wehr­macht entlassen sind, fahren gemeinsam nach Kassel. In sechs Sonderzügen fahren die 7000 Teilnehmer auS dem Gaukriegerver­band Südwest unter Führung des Gaukrie- gerführerS, O-Standartenführer Oberst z. V. Eberhard, am Samstag, den 8. Juni. Sie treffen am Montag, 5. Juni, wieder in ihren Heimatorten ein. Der Großdeutsche NeichSkriegertag wird in diesem Jahre nicht wie sonst 100 000 Mann, sondern mehrere hunderttausend Kameraden deS NS.-Neichs- kriegerbundeS in Kassel Vereinen. Erstmalig werden die Kameraden der Ostmark, des Su­deten- und Memellandes an diesem Neichs- kriegertag teilnehmen.

Entwichener RSrber wieder gefaßt

Ludwigsburg, 16. Mai. Der 38 Jahre alte Zuchthäusler Wilhelm Keim, der wegen Mädchenmords ursprünglich zum Tode ver­urteilt, später aber zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe begnadigt wurde, ist am Samstag aus dem Hof des Zuchthauses, wo er mit Arbeiten beschäftigt war, mit Hilfe einer Leiter über die Mauer entwichen. Durch die sofort aufgenommenen Fahn­dungsmaßnahmen konnte der Verbrecher am Dienstagmorgen in Blaufelden wieder gefaßt werden. Der Bursche. der an Weib- nachten 1935 in Bartenstein seine Ge-

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liebte ermordet hat, war offenbar auf dem Wege nach feinem Geburtsort Herren­tierbach.

Me für die überlastete Bäuerin

Friedrichshafen, 16. Mai. Auf einer KreiS- fchulung der NS.-Frcmenschaft des Kreises Friedrichshafen wurde bekannt gegeben, daß die Ortsgruppen des Kreises nun für die Bäuerin in der arbeitsreichsten Zeit Flick- und Näh st üben einrichten werden. Die Frau aus der Stadt wird, besonders in der Einkochzeit, als Garten und Küchenhilfe ein- springen. Die Jugendgruppenmitglieder wer­den sich in Erntehilfslager melden.

Nnm-ttifter aus versckmWer Liebe

Memmingen, 16. Mai. Nach zweieinhalb­tägiger Verhandlung fällte das Schwur­gericht das Urteil gegen den 35jährigen Josef Seitle von Markt Wald bei Mindelheim. Es lautete wegen acht Verbrechen her schwe­ren Brandstiftung und eines Verbrechens der einfachen Brandstiftung auf 12 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust und Sicherungsverwahrung. Die Verhandlung ergab, daß der Angeklagte in zahlreichen Fällen selbst an den Löscharbeiten teilnahm, ja sogar an den Nachtwachen be­teiligt war, die wegen der zahlreichen Brand­fälle eingerichtet worden waren. Seitle gab an, daß er aus verschmähter Liebe und Verärgerung die Anwesen in Brand gesteckt habe. Der Schaden durch die Serie von zehn Brandstiftungen beträgt ins­gesamt etwa 100 000 Mark. In einigen Höfen legte Seitle auch deshalb Feuer, weil er beim Kammerfensterln bei derAngebeteten' kein Gehör fand. Einem Landwirt zündete Seitle den Hos gleich dreimal hintereinander an. iveil der Besitzer den Leuten von dem nächt­lichen Besuch Seitles bei seiner Magd erzählt hatte.

Oa8 ^Ieue8le in Kür^s

LivtLtv krviAniss« aus aller IVelt

Der erste Tag der großen Besichtigungsfahrt der Reichsleiter und Gauleiter der NSDAP, durch das Gebiet der Saar- und Moselberge stand völlig im Zeichen der starke« inneren Ver« bundenheit zwischen dem politischen »nd dem militärischen Soldatentum Adolf Hitlers. Di« führenden Männer der deutschen Wehrmacht «nd die führenden Männer der Bewegung fan­den sich zu einer engen Gemeinschaft, die di« Sicherheit und das Wohl unseres Volkes in der Zukunft verbürgt. Generale des Heeres gaben dem Führerkorps der Partei durch Vorträge einen umfassende« Einblick in die Gestaltung des riesigen Sicherheitswalles im deutschen We­sten.

In einer Kulturpolitischen Gro in Prag zeigte Gaupropagandaleiter Holler eingehenden Darlegungen an Hand der Tat­sachen des 20jährigen Kampfes die Erkenntnis für Deutsche und Tschechen auf, die für die poli­tische Neugestaltung im böhmisch-mährischen Raum in Zukunft notwendig find, denn nicht Kampf der Völker gegeneinander ist die Parole, sondern einzig und allein der Kampf der Lek­stungen.

Die Faschistische »nd Korporative Kammer genehmigte Dienstagnachmittag den HeereS« Haushalt 1939/40. Italien verfügt nach der Neu­ordnung des Heeres über 64 Infanteriedivi­sionen, die durch den Grenzschutz und die Ka­vallerie um weitere 12 Divisionen auf 76 Di­visionen erhöht werden. Neben diesen Divi­sionen des Landheeres steht die Organisation der faschistischen Miliz, die in die einzelne« Armeekorps leicht eingegliedert werden kan». General Pariani gedachte in der Kammer der italienischen Freiwilligen in Spanien, die 7 000 Tote hatten.

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39. Fortsetzung

Vor wenigen Stunden noch war sie tm Gewirr von Piccadilly Circus gewesen, hatte sie sich nach Bondstreet durchgefragt und war rin wenig zaghaft an Schaufenstern vorbeige­gangen, in denen die Gold-, Silber- und Pla- tinschätze der ganzen Erde zu liegen schienen. Vor den Türen der Juweliere hatten gewal­tige. bärenstarke Männer gestanden, in bunten goldbetreßten Mänteln, und feierlich wie Denk­mäler. Als sie aber endlich den Mut fand, eines der Geschäfte zu betreten, hatte der monumen­tale Portier die Tür aufgeriffen und sie gc- , grüßt, wie eine Königin.

Jetzt zeigten sich an ihrer linken Hand ein paar Helle Streifen. Tort hatte sie die Ringe getragen, für die ein Londoner Juwelier viel mehr gezahlt, als sie je erhofft hatte. Einer die­ser Ringe war ein Geschenk Karl Wagners ge­wesen. Wie durfte man über den Verlust be­trübt sein? Man hatte mehr verloren, als einen Ring.

In ihrer Handtasche war das Telegramm, das sie gestern abend erhalten hatte.Fall Storkow hoffnungslos", lautete es, und Char­lotte entsann sich, daß sie den Text lange nicht begriffen hatte. War Wagner betrunken gewe­sen. als er es absandte? Erst viel später war es ihr bewußt geworden, daß er ja nichts von Percy wußte, daß sie seinen Namen nicht ge­nannt hatte, und er nur annehmen konnte, sie hätte ihn beschworen. Peter Storkow zu retten. »Ich sterbe ohne Dich!" Wie lange war das

her, daß sie geglaubt hatte, dies sei ein Ruf des Mannes, den sie einmal geliebt? Kaum mehr als eine Woche, und es schienen Jahre zu sein! Dennoch, hatte denn nicht Dr. Fenn den Krankheitsbericht Percys an Karl Wagner ge­sandt?

Die Taxe fuhr den Kurfürstendamm herauf und bog dann in eine Seitenstraße ein. Sie fuhr sehr langsam, denn zahlreiche Menschen überquerten den Fahrdamm. Die hellflam­mende Inschrift an der Fassade eines großen Gebäudes spiegelte sich im regennassen Asphalt. Es war ihr Theater, an dem sie vorüberfuhr. Eben war die Vorstellung dort zu Ende. Die Menschen kamen aus dem Vestibül auf die Straße; Charlotte sah leuchtende Abendkleider unter dunklen Mänteln hervorschimmern, sie erkannte in den Händen der Vorübergehenden Operngläser und Programmhefte und zuwei­len glaubte sie ein paar Worte zu verstehen. Sie sprachen von der Vorstellung, von der Vor­stellung. in der sie nicht gespielt hatte. Sie las mit einem Blick die leuchtende Reklameschrift. Wellers Name stand dort, und der einer Kolle­gin, die ein reizendes Geschöpf war und die nur den einen Fehler hatte, zu reizend zu sein.

Und ich?, dachte sie, bin ich schon vergessen? Sie wollte den Fahrer halten lassen, sofort. Sie wollte in die Garderobe stürzen oder hin­auf zum Büro und Floris Reuter suchen. Ir­gendwo mußte er wohl noch sein. Sie wollte ihm sagen: Da bin ich! Laß mich spielen! O Gott, wie ist es schwer, nicht bei euch spielen zu dürfen, sondern im Leben, im Leben, das vol­ler Leid und Tränen war!

Nein, diese Rolle war nicht zu Ende. Keiner konnte sie ihr abnehmen,

Ihre Hand hämmerte gegen die Glasscheibe So fahren Sie doch schneller!" rief sie. und der Mann am Steuer nickte. Er hatte wieder freie Bahn.

Gegen Mitternacht stand sie vor dem großen Mietshaus, in dessen ausgebautem Dach Kar! Wagner eine kleine Wohnung hatte. Sie schaute hinauf und sah. daß alle Fenster dunkel waren. Er war noch nicht daheim, und vielleicht kam er überhaupt nicht heim. Sie stellte sich in den Eingang, aber auch hier traf sie der Regen, und der Wind war sonderbar weich und warm, er spielte mit der blonden, widerspenstigen Locke, die unter dem Hutrand hervorquoll.

Sie versuchte, eine Zigarette anzubrennen, doch das Flämmchen erlosch immer wieder Schließlich gab sie es auf. Nur Karl Wagner verstand es, im tollsten Sturm ein Streichholz so anzuzünden, daß es wie eine Fackel auf­flammte.

Bei jeder Gestalt, die im Schein der Straßen­laterne auftauchte, zuckte sie zusammen. Wenn er es wäre! Aber er war es nicht. Sie blickte auf die Uhr. Die Zeiger schienen sich kaum zu bewegen. Bis 1 Uhr, beschloß sie. zu warten. Aber als es I Uhr war, verlängerte sie die Frist um eine Viertelstunde. Auch diese ver­strich, und nun schwor sie sich, fortzugehen, so­bald es halb wäre. Fünf Minuten nach halb trat sie auf die Straße, da sah sie ihn kommen, und sie erschrak mehr, als je zuvor, wie sie ihn auf sein Haus zugehen sah. Nicht, daß er schwankte. Er ging aufrecht und sicher, aber etwas war in seinem Schritt, das an den Gang eines Menschen erinnerte, der herumirrt und ohne Ziel ist. Er hatte den Mantel geöffnet und die Hände in den Taschen vergraben. Sein Blick war gesenkt und seine Lippen lallten leise eine Melodie. Sie wußte, daß er gern einen Schlagervers summte, dies aber war etwas an­deres ... Es schien ein Lied zu sein, das sie sehr anging, und plötzlich wußte sie, daß es das Lied der Ophelia war, das er sang. Da stand er vor ihr. und weil sie nicht zur Seite trat und ihm , daS Ausweichen beschwerlich schien, blickte er

auf. Das Lied erlosch, aber er schien kaum ver­wundert zu sein. Er lächelte sogar ein wenig und wollte an ihr vorüber. Da packte sie ihn am Arm.

.Karl, kennst du mich nicht mehr?" Erst jetzt, beim metallenen Klang ihrer Stimme, begann er zu zittern.

Nein", sagte er langsam. .Ich kenne dich nicht, und ich habe dich nie gekannt. Gute Nacht, meine Dämel" Er riß sich mit einer kur­zen Bewegung los und ging weiter. Sie folgte ihm die wenigen Schritte bis zur Haustür.

Du bist wahnsinnig oder betrunken!" flü­sterte sie.O Gott. Karl, warum bist du so,"

Ich bin weder wahnsinnig noch betrunken", sagte er. während er den Schlüssel einschob. «Ich versuche, beides zu sein. Aber es gelingt mir nicht. Nichts gelingt mir mehr."

Ich muß dich sprechen, Karl. Sofort."

Sprechstunden vormittags von 911 Uhr in der Klinik!" Er lachte, als hätte er einen herrlichen Witz gemacht. Charlotte achtete nicht darauf, sie stieß die Haustür auf und trat vor ihm ein.

Es hat doch keinen Zweck!" hörte sie hn sagen.Es hat wirklich keinen Zweck, meine Dame. Sie erinnern mich... Oh. wenn Sie wüßten, an wen Sie mich erinnern!"

Sie gab ihm keine Antwort, sie lies die Trep­pen empor und stand schwer atmend vor seiner Tür. als er eben aus dem Lift trat.

Erst jetzt, im Schein der Hellen Flurbirne, schien er sie wirklich zu erkennen. Etwas wie ein Schrei hallte durch das Treppenhaus, er warf den Hut zu Boden und sprang auf sie zu. Charlotte wußte nicht, ob er sie umarmen oder töten wollte. Vielleicht wollte er beides, dieser Mann, der wahnsinnig oder betrunken war, dann kam jetzt das Ende und bald würde alle? gut und versunken sein.

Fortsetzung fvll.

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