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Tages - Neuigkeiten.
VV. 6. Stuttgart, 18. April. Das Cannstatter Volksfest im Kursaal zum Besten der Krippe hat gestern Nacht seinen Abschluß gefunden, nachdem gestern noch trotz der unfreundlichen Witterung der Besuch ein sehr starker gewesen war. — Das Zigeunerlager insbesondere fand fortwährend starken Zuspruch und Besuch. Es erntete vielen Beifall.
— Gestern wurde hier ein Taschendieb zur Haft gebracht, der im Eisenbahnwagen einer mit ihm reisenden Dame ein Portemonaie mit gutem Inhalt wegstipizt hat, was aber noch rechtzeitig von der Dame bemerkt und die Verhaftung des Diebs veranlaßt wurde. Derselbe gibt an, aus Warschau gebürtig zu sein. Ohne Zweifel gehört er jener Kategorie von Dieben an, die jedes Mal aus Oesterreich, Ungarn, Böhmen und Polen zur Zeit des Pferdemarkts, der nächsten Montag beginnt, hieher zu kommen pflegen und denselben unsicher machen. — Was den Pferdemarkt selbst betrifft, der wie bekannt, dieses Jahr erstmals in der Umgebung der Gewerbehalle und nicht mehr auf der Planie abgehalten wird, so verspricht derselbe sehr lebhaft zu werden. Aus dem K. Landgestül, dem K. Leibstall kommen wie alljährlich eine Anzahl Racepferde zur Versteigerung.
— Die französischen I u w el e n s ch w i n d l e r sind, nachdem sie dreimal verhaftet waren, zum dritten Male wieder freigelaffen worden. Sie wollen nur untergeordnete Angestellte der Gesellschaft gewesen sein und von einem Betrüge nichts wissen. Eine Bestrafung wegen Zolldefraudation soll erfolgt sein.
— Die Theilnahme an den Telephon-Verbindungen nicht blos hier, sondern auch nach Außen, nimmt von Tag zu Tag zu. Neuerdings wollen Heilbronn und Feuerbach mit Stuttgart in Verbindung treten mittelst des Telephons.
— Die Gartenbau-Ausstellung ist ohne Deficit verlaufen und doch bedauerte man sehr den Mangel eines Catalogs.
>V. 6. Stuttgart, 20. April. Der morgen beginnende Pferdemarkt wird nach allem was uns bis jetzt darüber von zuverlässiger Seite zugekommen, zu einem der am stärksten mit Pferden aller Art, besonders mit Luxuspferden, befahrenen gehören. Auch der Absatz dürfte nach den vielen bereits eingetroffenen Kaufsliebhabern ein entsprechender werden. Gestern und heute brachte fast jeder Zug der Eisenbahn für den Verkauf bestimmte Pferde hieher und per Bahn kommen in der Regel nur feinere und Nace- pferde. Der diesen Vormittag um 9 Uhr angelangte Zug brachte allein 10 Waggon voll Pferde. Der Circus ist gänzlich als Stallung belegt und erhält sogar eine Restauration.
— Aus Cannstatt kommt uns die Nachricht zu, daß in vergangener Nacht ein starker Brand ausgebrochen ist, der eine jenseits des Neckars einzelne stehende Gerberei gänzlich in Asche gelegt hat. Der Schaden soll nicht unbedeutend sein. Man vermuthet Brandstiftung und hat ein paar Stromer im Verdacht, nach welchen eifrig gefahndet wird.
Cannstatt, 16. April. Die „Cannstatter Ztg." schreibt: Das Fahren mit einem Pferde, dessen Eigenthümlichkeiten dem Fuhrmann unbekannt sind, hat den Hirschwirth M. von Fellbach in hiesiger Stadt in empfindlichen Schaden versetzt. Derselbe fuhr gestern mit einem entlehnten Pferd durch die Stadt; in der Nähe der Wirthschaft zur Traube scheute das Pferd, sprang bei Seite, an einen Sicherheitsstein und zwar so, daß das Untergestell des Wagens ganz zertrümmert wurde und das Pferd sich eine bedeutende Verwundung zuzog. Zum Glück sind die zwei Insassen beherzt genug gewesen, um ans dem Wagen zu springen, ehe der Anprall geschah.
Ludwigsburg, 17. April. Gestern wurde, wie die Ludwigsburger Ztg. meldet, eine Offizierswittwe aus Bayern, eine Frau Hauptmann von Schertlin verhaftet, die als Hochstaplerin unter verschiedenen falschen Vorspiegelungen das Mitleid mehrerer hiesiger Familien zu erwecken suchte.
Niederstetten, 18. April. Die vergangene Nacht brachte uns einen starken Frost, so daß es diesen Morgen hier wieder Eis hatte. Heute weht ein scharfer, schneeverheißender Nordwind; Leute von auswärts kommen mit Mäntel und Fausthandschuhen in die Stadt, wie im Hochwinter. Jndeß soll die Vegetation keinen Schaden genommen haben.
Heilbronn, 18. April. Unter Bezugnahme auf den Ihnen jüngst bekannt gewordene Selbstmord des Bauern Christian Kämmle vom
Buchhof, Gemeinde Steinheim, Oberamts Marbach, nachdem 3 seiner Söhne mit etwa 6000 ^ Fahrnißerlös das Weite gesucht hatten, ist weiter mitzutheilen, daß es sicherem Vernehmen nach gelungen ist, eines der Flüchtlinge, der sich noch im Besitze von 1700 befand, in Havre habhaft z» werden. Seiner Auslieferung sammt dem Gelds wird wohl keinem Hinderniß begegnen. Die beiden Brüder des Verhafteten dagegen scheinen mit dem Reste des Geldes ungefährdet über das Wasser gekommen zu sein; sie wer- den sich zweifelsohne nach den Ver. Staaten geflüchtet haben und sind in diesem Fall, weil nach dem Auslieferungsvertrag zwischen Deutschland und diesen Staaten wegen Betrugs und betrüglichen Bankerutts eine Auslieferung nicht stattfindet, unerreichbar entkommen.
Vom Hohenloh e'schen, 18. April. Nicht als ob der holde Lenz bei uns angekommen wäre, sondern als ob der Winter bei uns Einkehr halten wollte, haben sich die Witterungsverhältniffe bei uns gestaltet: bei scharfem Nordost zeigte heute früh 5 Uhr das Thermometer über 1 o unter Null. Kein Eis. Fast hat es den Anschein, als ob .uns wie im Jahre 1847 nochmals Schnee in Aussicht stände. Dortmals fiel am Samstag vor der Konfirmation, ich glaube am 17. April 1847, der Schnee so tief, daß man am Konfirmationstage Bahnschäufeln mußte. Am 11. Mai 1847, wo Berichterstatter in Cannstatt war, schneite es nochmals heftig; daselbst blühte» die Aepfelbäume prächtig zusammen und einen sonderbaren Contrast bildete dazu der Schnee. Im selbigen Jahre gab es massenhaft Obst, so daß man im Spätherbst von den Eßlinger Bergen das Simri gebrochene Luiken um 6 Kreuzer erhielt. Schw. Merk.
Aus dem Bezirk Crailsheim. Der Landwirth U. in Heinkenbusch ist Aufseher für freiherrliche Waldungen. Vor einigen Wochen traf er nun zwei Bursche auf frischer That über einem Waldfrevel; auf Vorhalt bedrohten sie ihn mit einem Messer. Andern Tags stahlen die zwei Kameraden wieder Holz im gleichen Wald und abermals wurden sie von dem Aufseher ertappt. Diesmal drohten sie nicht blos, sondern sie brachten ihm mit dem Messer eine schwere Kopfwunde bei, so daß in Folge dessen der Mann über 14 Tage schwer krank darniederlag. Die Sache kam zur gerichtlichen Anzeige.
Riedlingen, 17. April. Dem Kind einer hiesigen Wittwe wurde vom Arzt eine Arznei gegen Husten verordnet, in welcher auch Morphium sich befand. Nachdem das Kind gestern früh von der Arznei eingenommen hatte, verfiel es in einen tiefen Schlaf, das Athmen wurde immer schwerer und Nachmittags erfolgte der Tod. Da Morphiumvergiftung vermuthet wird, fand heute Nachmittag eine gerichtliche Sektion statt.
Straßburg, 18. April. Von der Polizei ist den hies. Wirth en zur Pflicht gemacht worden, an Schüler, welche ohne elterliche Begleitung ihre Wirthschaft besuchen, keine Getränke zu verabreichen, hauptsächlich aber Schülerverbindungen in ihren Wirtschaften nicht zu dulden. Zuwiderhandlungen werden durch Entziehung der Wirtschaftskonzession bestraft.
Wien, 18. April. Hugo Schenk und Schlossarek sollen am Mittwoch, 23. April, hingerichtet werden.
Wien. Bezüglich des Eisert'schen Raubmordes führte die Untersuchung zu einem wichtigen Resultate. Bei einer am 14. März stattgehabten Razzia wurde in der Wohnung des inhaftirten Fried eine Visitkarte auf den erdichteten Namen Ferdinand I. Schiller gefunden. Auf der Rückseite derselben heißt es in verschwommener Schrift, daß gewisse Gegenstände übernommen wurden. Durch eine Vergleichung mit den saisirten Schriften wurde die Handschrift Novotny's auf der Karte constatirt. Erwiesen ist ferner Novotny's Anwesenheit in Wien am 10. Januar und dessen spätere Rückkehr nach Budapest. Die Untersuchung nimmt an, in Novotny jenen von der Wiener Polizei gesuchten Mann, der vor der Eisert'schen Wechselstube -Wache hielt, gefunden zu haben.
-(Zum Schutze der Frauen.) Die geringen Strafen, welche den in
"Mgland landesüblichen „Weiberprüglern" zugemeffen werden, und die eingefleischte Brutalität der Männer in den unteren Volksklassen, welche die furchtbarsten Mißhandlungen ihrer Ehehälften als eine Art legitimen Sports betrachten, veranlaßen den Abgeordneten Macfarlane in Folge einer unbefriedigenden Antwort seiner diesfälligen Interpellation im Unterhause anzumelden, daß er den Antrag stellen werde, die Frauen dem Thierschutzgesetze zu unterstellen, um ihnen einen besseren Schutz zu sichern, als dies gegenwärtig der Fall ist.
trag gelegt, wie heute, und sein Spiel schien den rohen Gemüthern in einer Weise zu Herzen zu dringen, die die schönste Belohnung für ihn war. Aber nur den beiden ersten Zeilen schien jedes Ohr in andachtsvollem Schweigen zu lauschen. Bei Beginn der dritten sielen, wie auf ein schweigend gegebenes Zeichen, alle die rauhen Matrosenkehlen mit der ganzen Gewalt ihrer seeluftgeschwellten Lungen ein, und die Töne eines Chorgesanges, wie er sicherlich in diesen Räumen noch nie erklungen, wälzten sich durch die offenen Fenster auf die Straße hinaus, bis weithin an das Gestade der See, so daß die Vorübergehenden voll Erstaunen stehen blieben und kopfschüttelnd dem eigen- thümlichen Konzerte lauschten.
Die wenigen Matrosen, bei denen die Kampflust jedes andere Gefühl überwog, hatten das Zimmer verlassen, da man ihnen auf gute Manier zu verstehen gegeben, daß ihre Anwesenheit überflüssig sei.
Als das Lied zu Ende, näherte sich der junge Seesoldat dem Musiker mit einem Glase schäumenden Gerstensaftes. „Hier, stärkt Euch durch einen Trunk!" mahnte er in freundlichem Tone, „und dann laßt es für heute genug sein. Legt Euch zur Ruhe. Will's bei meinen Kameraden schon verantworten. Ein andermal mehr. Wir kommen wohl noch öfter zusammen.
„Hast Recht, Bob!" riefen ein paar ältere Matrosen. „Der junge Mensch weiß noch nicht, was dazu gehört, eine Theerjacke mürbe zu machen. Kommt Freund!"
Sie wandten sich von dem jungen Musiker ab, welcher tief aufathmend sein Instrument in deii Kasten legte und nach seinem Stübchen zurück schlich.
Hier setzte er sich auf das Sopha, stützte den Kopf in die Hand und überließ sich seinem Nachdenken. Wie viel hatte er in der kurzen Zeit, seit er seine geachtete kaufmännische Stellung aufgegeben, erfahren und erlebt, und wohin war es mit ihm gekommen?
Aus jener so überaus günstigen Stellung, die ihm die Aussicht bot, Inhaber eines bedeutenden und angesehenen Geschäfts zu werden, war er zu einem jener namenlosen handwerksmäßigen Musiker herabgesunken, für die der Volkswitz die Bezeichnung „Bierfiedler" erfunden hat. Ja, er stand beinahe noch unter dieser Kaste. Dem rohesten Menschenschläge, den Seeleuten, spielte er zum wüste« Tanze auf. Er seufzte tief und schwer und schüttelte trübe das Haupt. Auf die Dauer konnte er das nun und nimmermehr. Nur zu gut fühlte er, daß der Umgang mit den derben, größtentheils ungebildeten Seeleuten und das Bewußtsein, von ihnen abhängig zu sein, niederdrückend und allmälig demoralisirend auf Charakter und Gemüth einwirken mußten.
Im gleichen Grade mußte seine Empfänglichkeit für das wahrhaft Schöne und Gute sich abstumpfen, mußte seine Selbstachtung sich verringern. Gegen ein solches Verkommen seiner geistigen Anlagen aber wollte er mit allen Kräften arbeiten. Dahin durfte es nie kommen, und nach einer Weile reiflichen Nachdenkens war er zu dem festen Entschlüsse gelangt, kein Mittel unversucht zu lassen, um eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stelle zu erlangen, die ihm gleichzeitig Gelegenheit bot, sich weiter empor zu arbeiten.
(Fortsetzung folgt.)