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politischen Gesinnungsgenoffen dem Dahingeschiedenen hielt. Gesang der Sänger beendete die Feier im Tempel. Inzwischen hatte vor der Synagoge der mächtige Leichenzug sich geordnet, der dann durch die Oranienburger., Friedrichs, und Elsäfserstraße nach dem alten jüdischen Begräbnißplatz sich begab.

Oesterreich.

Die Sprachendebatte wurde am Montag geschlossen, die Abstimmung aber auf den folgenden Tag verschoben. Nachdem noch der Pole O. Hausner gesprochen hatte, wurde nach Uebereinkunst der Rechten die Debatte für geschloffen erklärt mit 171 gegen 169 St., worauf Graf Caronini seinen bekannten Vermittlungsantrag und Fürnkranz den Antrag auf Erlassung eines Sprachengesetzes mit Ausschluß Galiziens und Dalmatiens überreichte. Sodann hielt Plener als Generalredner der Linken eine 2stündige glänzende Rede, worin er insbesondere hervorhob, daß die Minister während der ganzen Debatte schwiegen, ein stummes Eingeständ- niß ihrer Hilflosigkeit. In Böhmen werden die Deutschen beschimpft, weil sie deutsch sprechen, und tief pflanze sich in das Gemüth des Deutschen es ein, wenn er den Ruf hört:Schlagt ihn todt, den Deutschen." Was haben die Czechen für Oesterreich gethan? Wenn es 1620 nach ihrem Sinne gegangen wäre, gäbe es heute kein Oesterreich mehr. Diese Stelle rief einen minutenlangen Beifallsturm auf. Die Gallerten klatschten. Der Präsident befahl, die Gallerten zu räumen, nahm jedoch in Folge Wider­spruchs der Linken die Verfügung zurück. Redner sagte weiter:Wenn die deutsche Sprache die nationale Ehre der Czechen verletzt, werden Sie bald erfahren, was die nationale Ehre der Deutschen verlangt. Wenn die Ent­haltung erwogen wird, so haben uns Polen und Czechen ein nachahmungs­würdiges Beispiel gegeben." Der Redner schloß mit den mit stürmischem Beifall aufgenommenen Worten:Ihr Sieg wird nicht zum ersten Male eine Niederlage Oesterreichs sein." Als Generalredner der Rechten sprach Graf Czartoryski.

Wien, 28. Jan. Der unbekannte Raubmörder, welcher den Detek­tiven Blöch bei Florisdors meuchlings erschoß, weigert noch immer beharr­lich jede Auskunft über seine Person und Herkunft, wodurch die Vorunter­suchung außerordentlich erschwert wird, jedoch dürfte es den eifrigst ange- stellten Nachforschungen doch gelingen, Namen und Wohnort des Verbrechers auszumitteln. Ob er im Auftrag und im Dienste eines Anarchisten die That vollbrachte, oder ob dieß aus individueller Rache geschah, läßt sich zur Stunde noch nicht beurtheilen, immerhin hätte er aber seiner Partei einen schlechten Dienst erwiesen dadurch, daß er nach vollbrachter That den Leich­nam ausraubte und sich dadurch zum gemeinsten Raubmörder stempelte. Für die Wittwe und die beiden Kinder des Getödteten, wie auch für den ange- schoffenen Taglöhner, welcher bei der Festnahme des Thäters ebenfalls sein Leben wagte, sind bereits Sammlungen im Gange zu ihrer Unterstützung. Inzwischen ist in Florisdors Militär eingerückt, um die dort gefährdete Sicherheitspolizei zu schützen und das staatliche Ansehen zu wahren gegen­über einer durch sozialistische Agitationen aufgewiegelten Arbeiterbevölkerung; Florisdors zählt nahezu 4000 Arbeiter.

Tages - Neuigkeiten.

Neuenbürg, 27. Jan. In der heute auf das Rathhaus berufenen außergewöhnlich zahlreich besuchten Gemeindeversammlung haben die Bewer­ber um die erledigte Stadtschultheißenstelle sich eingefunden. Stadtschultheiß Weßinger eröffnete die Verhandlungen mit einer Ansprache, in welcher er die Gründe seines Rücktritts motivirt und die in den letzten Tagen über die Gehaltsverhältniffe stattgehabten Berathungen berührt. Nachdem der Vorsitzende die 5 Kanditaten begrüßt und vorgestellt, läßt er sie unter sich durch das Loos die Reihenfolge der Sprechordnung festsetzen. Dieselben sind: A. Raible, Verwaltungsaktuar in Spaichingen, s. Z. Revisionsassistent hier; H. Bub, Rathsschreiber in Cannstatt, Bürgersohn von hier; E. Adel­

helm, Schultheiß in Ohrnbera bei Oehringen, s. Z. Revisionsassistent hier; H. Maier, Gerichtsschreiber beim K. Landgericht zu Stuttgart. Nachdem der Vorsitzende die Befähigungs- und Führungszeugnisse jedes der Bewerber der Versammlung mitgetheilt, war denselben Anlaß gegeben, die Grundsätze, welche sie bei der Stellung als Ortsvorsteher sich zur Richtschnur nehmen würden, kund zu geben. Die Versammlung hatte ausreichend Gelegenheit, sich für die wichtige Wahl nach allen Seiten, nach Person und Sache, zu orientiren. Hierauf nahm Stadtschultheiß Weßinger noch Anlaß, sich von der heute so zahlreich versammelten Gemeinde in ernst bewegten, warmen Worten als Stadtvorstand zu verabschieden.

Geislingen, 27. Jan. Das hiesige Lokalbl. brachte vor Kurzem folgende Aufforderung:Das allgemeine und geheime Wahlrecht beruft jeden Einzelnen zur Mitwirkung an der Lösung der wichtigsten politischen Fragen. Diese Verpflichtung wird durch Stimmabgabe am Wahltage allein nicht er­füllt ; sie fordert eine entschiedene politische Stellungnahme und Urtheilsfähig- keit, welche der Einzelne nur im Anschluß an Gesinnungsgenossen klären und fördern kann. Die extremen Parteien haben längst eine großartige und energische politische Vereinsthätigkeit entwickelt, während die gemäßigten Par­teien hierin weit zurückgeblieben sind. Ohne Zweifel kann aber jenes werth­volle und unveräußerliche Recht nur dann auf die Dauer zum Wohl des Volkes dienen, wenn die ausgleichende Wirkung der Mittelparteien im vollen Umfang zur Geltung gebracht wird. Es erscheint deßhalb als eine ernste vaterländische Pflicht für alle Anhänger der gemäßigten Richtung und insbe­sondere auch für Diejenigen, welche sich bisher keiner Partei angeschloffen haben, daß sie sich der auf diese Ziele gerichteten Vereinsthätigkeit anschließen. Diese Aufforderung gilt Allen, welche dem deutschen Volke eine ruhige Weiterentwicklung seiner politischen und wirthschaftlichen Verhältnisse auf der Grundlage der von der Reichsregierung eingeschlagenen Wege wünschen." Dieser Einladung zufolge fanden sich heute die Gesinnungsgenossen von Geislingen und Umgebung in solcher Anzahl ein, daß die Räume des Gasthofs zur Sonne überfüllt waren. Von den etwa 400 Anwesen zeich­neten sich nach Verlesung der Statuten 90 Ortsangehörige neu in die Liste des Geislinger Vereins ein, der nunmehr 160 Mitglieder umfaßt. Weiter erklärten sich die meisten Anwesenden aus dem Bezirk für den Eintritt in den das Geislinger Oberamt umfassenden Bezirksverein, dessen Statuten gleichfalls vorgelesen und angenommen wurden. Diesem geschäftlichen Theile der Versammlung folgte die Rede des Prof. Dr. Ludwig über die Auf­gabe der deutschen Partei im Lichte der deutschen Geschichte, welche die Stellung, die diese Partei folgerichtig einnehmen muß, namentlich gegen­über den Zweifeln der jüngsten Zeit, aus der geschichtlichen Entwicklung unserer Verhältnisse ableitete und begründete. Von einer Besprechung der neuerdings in Parteikreisen vielfach erwähnten Rede des Vorstands der Stuttgarter deutschen Partei wurde Abstand genommen, weil dieselbe nach den neueren Erklärungen insbesondere die Stuttgarter Gemeindewahlen im Auge hat. Die Versammlung, in welcher eine gehobene, patriotische Stimm­ung herrschte, nahm hierauf folgende Entschließung an:Die Mitglieder und Freunde der deutschen Partei aus Geislingen, Stadt und Bezirk, aus Ulm und Heidenheim, in der Zahl von nahezu 400 versammelt, beschließen, an" den Zielen festzuhalten, welche die deutsche Partei seit ihrem Bestehen ver­folgt hat. Das Streben der Partei war auf die Erreichung eines einigen und starken deutschen Reichs gerichtet, und da die Reichsregierung die durch die Einigung gewonnene Macht ausschließlich dem Dienste des Friedens und des Volkswohls gewidmet hat, so muß die deutsche Partei der Reichs­regierung rückhaltsloses Vertrauen entgezenbringen und sie mit allen Kräften zu unterstützen suchen. Ein gedeihliches Zusammengehen, z. B. bei politischen Wahlen mit anderen Parteien, ist also nur dann denkbar, wenn dieselben durch ihre Vergangenheit Gewähr dafür bieten, daß sie dieselben Ziele an­streben. Vor Allem thut es Noth, den Frieden durch die Erhaltung der vollen Stärke unseres bewährten Heeres und dadurch die Bestrebungen zur Hebung des Volkswohlstandes zu sichern. Die freiheitliche Richtung wird

Freundschaft zu schätzen und glaube Ihnen dies am besten dadurch beweisen zu können, daß ich in gleicher Weise gegen Sie offen bin.

Einwenden kann ich freilich gegen Ihren Entschluß nichts und selbst wenn ich begründete Einwendungen machen könnte, so würde mir das nichts nützen, denn Sie lieben einmal und vor diesem Machtworte muß jede andere Stimme schweigen. Nur auf Eins möchte ich Sie aufmerksam machen, lieber Edmund! So jung und unerfahren ich auch bin, so glaube ich doch die Ansicht bestimmt vertreten zu können, daß eine Liebe ohne gegen­seitiges Vertrauen, ohne das unbedingteste Vertrauen ein Unding ist. Das was Jeder, der Sie näher kennt, als unschätzbare Tugend an Ihnen ver­ehrt, die Offenheit, die vollkommene Harmonie Ihres inneren Wesens mit Ihrem äußeren haben Sie wohl je daran gedacht, ob diese Tugend auch Ihrer Braut in dem Grade eigen, wie sie für ein glückliches Eheleben noth- wendig ist? Wahrheit und Vertrauen, lieber Edmund, das sind die Grund­pfeiler jedes Freundschafts-, jedes Liebesbündniffes. Denken Sie einmal nach: das Mädchen, dem Sie in so hohem Grade zugethan sind, ist ver­schlossen, in sich gekehrt. Ich gebe es zu, sie mag ein Geheimniß haben, das sie vor den Augen der Welt geheim zu halten begründete Ursache hat"

Fräulein Emmy!" unterbrach er sie im Tone des Unwillens.

Aber," fuhr die junge Dame rasch, ohne seinen Einwurf zu beachten fort,sie gibt sich ja in fast jeder Hinsicht anders, als Sie selbst. Wie könnte ich je einem Manne in Liebe angehören, an dem kein Zug wahr, der mir unfaßbar, räthselhaft erschiene? O, wie kann sich das auf die Dauer vertragen, Sie, die Offenheit und Vertrauensseligkeit selbst das Mädchen die wandelnde Lüge? Wohin muß ein solches Verhältniß führen?"

Sie übertreiben, Emmy!" versetzte er lächelnd.Wie kann ich schon jetzt verlangen, daß diese jugendliche und doch so ernste Seele, die sich unter de- Lebens rauhesten Stürmen entwickelt haben mag, sich in jeder Hinsicht

dem Einblicke des fremden Mannes, denn fremd bin ich ihr doch bis jetzt noch, bloßlegen soll? Das kann sich erst später finden, und ihre Zurückhal­tung davon bin ich überzeugt wird schwinden, sobald wir verheirathet sein werden. Wenn sie mich dann ganz kennen gelernt und gefunden haben wird, daß ich ihres Vertrauens werth bin, wird sie sicherlich nicht säumen, mir dasselbe in unbegrenzter Weise zu schenken."

Das junge Mädchen zuckte mit den Schultern.

Auf dem Grunde der weiblichen Seele," versetzte sie, soll nichts schlummern, was Ursache hätte, sich zu verbergen, keine Regung, die das Auge nicht klar und offen wiederspiegelte, und was in einem schuldlosen Mädchenherzen blüht und knospet, das mein ich könnte jeder fremde Blick auch erschauen, selbst wenn ein rauher Nord darüber hingestreift ist. Wie viel mehr müßte der Freund einen klaren Einblick in mein Naturell haben, dem für's ganze Leben anzugehören ich gelobt habe."

Er strich leise mit der Rechten über die wie im leisen Unmuth gefaltete Stirn. Die Wahrheit dieser Worte fiel ihm schwer auf's Herz. Dann aber, als komme ihm plötzlich bei, daß ihr scharfer Tadel ja einem eifer­süchtigen Gefühl entspringen könnte, lächelte er im leichten Triumphe und sagte nach einer Pause:Sie sind eine überaus strenge Richterin, Fräulein Emmy, und es will mich bedanken, als theilten Sie jenes Vorurtheil, das man im Allgemeinen gegen diese armen Mädchen hat, die das herbe Geschick frühzeitig auf das stürmische Meer des Lebens hinausschleudert und denen man es daher wahrlich nicht verargen sollte, wenn der heitere Lebensspiegel sich allmählig trübt und sich dann weigert, die finsteren und stachligen Blüten des Menschenhaffes zu zeigen, die auf dem Grunde der Seele lang­sam heranreifen und die freilich nicht für Jedermanns Auge taugen.

(Fortsetzung folgt.)