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zur Mitarbeit herangezogen worden, steigert sich auch das Interesse und die Freudigkeit am Beruf und bietet die Gewähr für ein ersprießliches Zu­sammenwirken der einzelnen Faktoren. Die Anwesenheit des gegenwärtigen türkischen Unterstaatssekretärs Wettendorf in Berlin hatte die Veranlassung zu dem Gerüchte gegeben, daß derselbe eine größere Anzahl deutscher Finanz- und Verwaltungsbeamten für für den türkischen Staatsdienst zu engagiren beabsichtigte. In Folge dessen ist Herr Wettendorf mit diesbezüglichen schriftlichen Gesuchen geradezu über­schwimmt worden. Wie jedoch zuverlässig verlautet, hat Herr Wettendorf einen derartigen Auftrag seitens der türkischen Regierung nicht erhalten. Das sächsische Ministerium hat bezüglich der bevorstehenden Luther­feier an alle Kreishauptmannschaften des Landes eine Verordnung erlassen, worin der Wunsch ausgedrückt wird, daß die bevorstehenden Festtage der Lutherfeier, der 10. und 11. November von der Abhaltung öffentlicher Tanzbelustigungen freigehalten werden möchten. Durch einen Betrunkenen und infolge Provokation seitens eines jüdischen Einwohners veranlaßt, haben in Neu-Stettin mehrfache Excesse stattgefunden, welche jedoch seitens der dortigen Behörden sehr bald unterdrückt wurden, obschon eine gewisse Aufregung unter der dortigen Bevölkerung infolge des Cösliner Urtheils, auch jetzt nicht zu verkennen ist. Bei der Landtags­wahl im Kreise Deutsch - Krone - Flatow ist der freiconservative Abgeordnete vr. Wehr gewählt worden. In Leipzig hat unter großer Betheiligung der Bevölkerung die Enthüllung des Leibniz-Denkmales stattgefunden, wobei Oberbürgermeister Georg: und der Rector der Universität Professor vr. Kis Ansprachen hielten.

Das gefährlichste Gewerbe der Welt ist ohne Zweifel die Seefischerei. Auf der etwa 3000 Bewohner zählenden Elbinsel Finkenwärder gibt es 200 Fischerwittwen mit etwa 400 Waisen, die ihre Ernährer in den letzten Jahren burch Tod in den Wellen verloren haben. Bei dem letzten Sturm sind wieder 20 Fischer in den Wellen umgekommen.

Frankreich.

Wenn sich ein Theil der französischen Presse der Hoffnung hin­gegeben hatte, daß der gefürchtete Jnterpellationssturm der radi­kalen Linken im Parlament unterbleiben würde, so hat sich diese Hoffnung als trügerisch erwiesen. Die radikale Linke hat jetzt einstimmig be­schlossen , das Ministerium wegen seiner auswärtigen Politik zur Rede zu stellen. Man darf sich also auf interessante Enthüllungen über den Stand der Tonkinfrage gefaßt machen, da die Radikalen der Sache sicherlich auf den Grund gehen dürften.

England.

In England gab es kürzlich einen Sturm im Theekessel, gegen den der Sturm im Glase Wasser ein Kinderspiel war, denn er brachte ganz England in Aufruhr. Er wurde erregt durch eine Rede des Dekans von Bangor, worin er das in England übliche starke Theetrinken scharf ver­dammte und es als die Ursache mancher Uebel bezeichnete, an welchen die heutige Zeit leide, denn der Thee mache die Menschen nervös und reizbar, unzufrieden mit ihrer Lage und führe schließlich zur Revolution! Darob in den Blättern ein großartiger Streit; die Branntweinbrenner, Brauer, Wirthe und Schnappstrinker riefen dem Dekan als ihrem Kämpen Beifall zu; die Theehändler, Theetrinker, Mäßigkeitsvereinler und Blaubündler hingegen riefen Anathemas auf sein Haupt herab; die Geistlichkeit sah ihren abtrünnigen College» mit scheelen Blicken an, und schließlich wurde der Lärm so groß, daß der kühne Dekan seine urspringliche Behauptung erheblich mäßigen mußte, und so wurde denn derSturm im Theekessel" glücklich beigelegt.

Rußland.

Die amtlichen Organe der russischen Regierung versuchen die an den Börsen Europa's verbreiteten Alarmgerüchte zu beschwichtigen mit dem Hinweis, daß die russische Regierung gegenwärtig bestrebt sei, ihre ganze Kraft und Thätigkeit der inneren Lage des Reiches zuzuwenden. Wie sehr man in Petersburg über das Verhalten des Fürsten von Bul­garien verstimmt ist, beweist der Umstand, daß der Generaladjutant des Letzteren, General Lefsevop und der Ordonanz-Offizier, Kapitain Polsikoff welche beide dem russischen Armeeverbande angehören, nach Rußland zurückberufen worden sind. Elf Offiziere des mingrelischen

Regiments im Kaukasus wurden, als nihilistischer Umtriebe verdächtig, ver­haftet und nach Petersburg transportirt. Ebenso haben unter den Marine- Offizieren in Odessa und Nikolajew zahlreiche Verhaftungen statt­gefunden.

Türkei.

Die Erderschütterungen in der Umgegend von Smyrna dauert fort und ist daher auch in Konstantinopel die Aufregung und Besorg- niß aufs Aeußerste gestiegen. Bei dem letzten Erdbeben sind in Tschesme über 3000 Häuser eingestürzt, 50 Personen wurden getödtet, mehr als 300 schwer verwundet, über 20,000 Menschen sind obdachlos, sodaß die türkische Regierung einen dringenden Aufruf um Unterstützungen erlassen hat. In Folge des Wiederauftretens der Cholera in Alexandrien mußten die bereits aufgehobenen sanitären Anordnungen wieder von Neuem in Kraft gesetzt werden, was gleichfalls die Bevölkerung in der türkischen Hauptstadt erheblich beunruhigt.

Syrien.

Die Gährung, welche einige Zeit unterdrückt war, kommt wieder zum Durchbruch. An den Straßenecken von Damascus fand man Plakate angeschlagen, welche zur Abwerfung des türkischen Joches auf­fordern, über das Gebahren Houndi Pascha's, des General-Gouverneurs Klage führen und die arabischen Muselmänner aufstacheln. Die Plakate gingen von den reichsten und einflußreichsten Familien aus. Alle männlichen Mitglieder der Letzteren wurden daher verhaftet, ihre Papiere mit Beschlag belegt und eine umfangreiche Untersuchung eingeleitet, welche jedoch im Ge­heimen geführt wird.

^ Tages - Neuigkeiten.

Liebenzell, 24. Okt. Um unserer Jugend das Andenken an den Gottesmann Luther recht theuer und werth zu machen, wurde hier ein allgemeines Kinderfest in Aussicht genommen, das man mit Rücksicht auf die Jahreszeit nicht am eigentlichen Geburtstag, sondern schon heute ausführte. Etwa 370 Schulkinder aus allen Orten der Parochie sammelten sich um 1 Uhr vor unserem idyllisch gelegenen Kirchlein; nachdem der Stadt­pfarrer eine zum Herzen gehende Ansprache gehalten hatte und an sämmtliche Schüler Luthermedaillen ertheilt waren, marschirte die Kinderschaar, der sich viele Erwachsene anschloßen, unter Vorantritt der Stadtmusik das Städtchen hinab auf den freien Platz zwischen dem Bahnhof und den Badanlagen. Dort wurde eine Lutherlinde nach vorangegangener poetischer Ansprache des Helfers gepflanzt, deren Schlußstrophen hier ein Plätzchen finden mögen:

Nun pflanzl sie in die <Äde als ein Gedächtnißmal Sie sei ein bleibend Zeichen im schönen Nagoldthal,

Daß Luther's Werk und Namen niemalen untergeht,

So lang noch deutsche Zunge zu Gott im Himmel fleht.

Im Sonnenschein und Regen das junge Reis erstark,

Es nähre Gottes Seegen der Lutherlinde Mark!

Bis in die fernsten Zeiten künd sie der Engel Schaar:

Ich Linde bin gepflanzt im Lutherjubeljahr.

Sodann trugen 2 Schulkinder von ihrem Lehrer für den Zweck verfaßte Gedichtchen vor, und nun stimmte die ganze Versammlung in das Lutherlied ein, als eben die Sonne durch die Wolken brach. Sofort entfaltete sich auf den anstoßenden Nagoldwiesen ein buntes Treiben, ein Volksfest im Kleinen mit Wettspielen, Preisvertheilungen u. dergl., welches bei einbrechender Dämmerung mit einer Anrede des ersten Lehrers endigte. Ein auf dem sog. Klosterbuckel abgebranntes Freudenfeuer gab dem wohlgelungenen Fest den richtigen Abschluß. Schw. Merk.

VV. 6. Stuttgart, 26. Okt. Die deutsche Partei hielt gestern Abend wiederum eine stark besuchte Vereinsversammlung, wobei der Vorstand Oek.-R. Grub eine mit Beifall aufgenommene Eröffnungsrede hielt. Von besonderem Interesse war der Vortrag des vr. Lang über die politischen Ereignisse des Jahres, den Stand der Partei, ihre Zwecke und Ziele und die große Aufgabe, die ihr im deutschen Reiche Vorbehalten sei, wenn sie dieselbe richtig erfasse und mit Consequenz durchführe: nämlich die Aufgabe, eine starke Mittelpartei zu bilden um die Reichsregierung gegen die Bestrebungen der extremen Parteien zu beschützen.

Leider ist von hier die Flucht eines ungetreuen Postbeamten zu melden, des Postassistenten Bommas; man spricht von einem Defizit von

ohne jedoch ein besonderes Interesse zu erregen, da man noch immer und hauptsächlich in weiblichen Kreisen auf das Eintreten eines ungleich wichti­geren Ereignisses gespannt war, nämlich auf die Verlobung des Herrn Stein­fels mit dem Fräulein Rettig, von der jedoch noch immer nichts verlauten wollte.

Es war an einem milden freundlichen Herbstabend, als Ottilie mit ihrer Mutter in der von Weinreben umrankten Laube des kleinen Gärtchens saß. Die Sonne war soeben untergegangen. In dem lückenhaften Laube der Bäume und Büsche zwitscherten die Vögel ihre Abendlitzder; aber auch die Purpurfarben der Abendröthe spielten zwischen den hinsterbenden Blättern und ihr erbleichender Schimmer verlieh der Gegend rings umher einen schwer- müthigen Hauch.

Ottilie hatte die Stickerei, mit der sie beschäftigt war, in den Schooß sinken lassen. Gedankenvoll starrte sie in die abendliche Landschaft hinaus. Was man sich von der Veränderung des Mädchens in der Stadt erzählte, war vollständig begründet. Die regelmäßigen Züge, an und für sich schon kalt und abweisend, halten eine auffallende Starrheit angenommen, und doch zuckte es zuweilen wie ein steckendes Weh, oder ein bitteres Hohnlächeln über sie hin, namentlich dann, wenn das Mädchen sich unbeachtet glaubte. Dann hatten ihre Wangen eine beinahe lilienhafte Blässe angenommen. Die Augen waren von einem leisen, bläulichen Rande umgeben und hatten einen sinnen­den träumerischen Ausdruck.

Das Gespräch war schon längere Zeit in's Stocken gerathen. Mutter Tochter schienen jede mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt zu sein, und

Ottilie bemerkte es nicht, daß sie von ihrer Mutter verstohlen beobachtet wurde.

Ottilie! woran denkst Du schon wieder?" unterbrach die Letztere 'end­lich das Schweigen.

Die Angeredete fuhr auf, wie aus einem tiefen Traume erwachend. Nun, es geht einem Manches im Kopfe herum, Mutter!" erwiederte sie ausweichend.Seitdem mir der Vater meine Zukunft in etwas minder rosigerem Lichte gezeigt hat, als ich sie anzusehen mich gewöhnt hatte, denke ich wohl hin und wieder, wie es werden soll, wenn Ihr Beide einmal nicht mehr seid. Es ist das wohl sehr natürlich!"

Du hast es nicht besser haben wollen, Kind!"

Du kennst meine Gründe, Mutter!" antwortete Ottilie mit steigen­dem Unwillen,ich denke, daß sie stichhaltig sind!"

Eine Pause von einigen Minuten entstand. Die Mutter hatte ihre Handarbeit wieder ausgenommen. Ottilie starrte mit finsteren Blicken in die sich allgemach verdunkelnde Gegend hinaus.

Steinfels spricht sich auch nicht aus", nahm die Mutter das Ge­spräch wieder auf.Man weiß nicht, was man von ihm zu halten hat. Er bleibt sich in seinem Benehmen vollständig gleich, artig bis zur Galanterie, bescheiden und würdevoll nach jeder Richtung hin, aber kalt wie Eis! Von den dringenden Einladungen, die der Vater an ihn richtet, macht er in der spärlichsten Weise Gebrauch. Der hegt nicht im Entferntesten die Idee, in nähere Beziehung zu uns treten.

(Fortsetzung folgt.)