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deßwegen mit einigen Zeitungen, diese ihm diese Würde absprechen, in Fehde gerathen ist. Zu einem Preßprozeß ist es allerdings noch nicht gekommen. Und dieser Mann wird von dem auf seine, demokratische Freiheit pochenden Volke immer zu den höchsten kantonalen und eidgenösischen Würden erhoben. Und nun sage man noch, die Schweizer seien ein Bauernvolk!

Deutsches Reich.

Reichstag. Sitzung Donnerstag 30. Aug. Präs. v. Levetzow eröffnet die Sitzung um 12>/s Uhr. Das Haus tritt in die Berathung des mit Spanien abgeschlossenen Handelsvertrages ein. Abg. vr. Hänel sucht aus staatsrechtlichen Gründen die evidente Verfassungswidrigkeit der von der Negierung zu Unrecht veranlaßten vorläufigen Inkraftsetzung nachzuweisen. Der Vertrag sei rechtsungiltig, so lange ihn der Reichstag nicht genehmigt habe. Wegen der Hamburger Sprit-Klausel wolle er nicht gegen den Ver­trag stimmen, nachdem der hamburgische Vertreter im Bundesrath diesen Ver­trag angenommen. Die Regierung aber sei verantwortlich und könne nur durch Jndemnitätsantrag eine verfassungsmäßige Erledigung der Angelegen­heit herbeiführen. Senator Versmann: Der Hamburger Senat habe geglaubt, daß ein partikuläres Interesse den vielen gemeinsamen Interessen nachstehen müsse und sich deßhalb für die Annahme entschieden, die er an zuständiger Stelle zu verantworten wissen werde. Staats - Sekretair von Burchard: Die Gründe, welche die Regierung veranlassen, von der Ein­berufung des Reichstags einstweilen abzusehen, sind in der gestrigen Eröff­nungsrede klar und unumwunden dargelegt. An der Sprit-Klausel habe Spanien ein ganz berechtigtes Interesse; dieselbe sei eine logische Consequenz der Motive zu dem Handels-Vertrage, eine besondere Erwägung wäre gar nicht nöthig gewesen. Staatssekretär vr. v. Schelling weist nach, daß auch ohne weitere Bestimmung der Vertrag durch die nachträgliche Genehmi­gung volle Geltung von Anfang an erhalte. Abg. Reichensperger« (Crefeld) (Centrum) hat den Wunsch, die Regierung möge doch eine Ent­schädigung derjenigen Personen in Betracht ziehen, die durch den Vertrag benachtheiligt werden. Staats-Sekretair von Burchard kann dies nur für ganz ausnahmsweise Fälle in Aussicht stellen. Abg. Bamberger (Sez.) beantragt Commissionsberathung der Vorlage. Abg. vr. Frege (Kons.) hält eine solche für überflüssig, und den Vertrag für vortheilhaft auch für Deutschland. Abg. Oechel Häuser: der Vertrag thut die Un­haltbarkeit des gegenwärtigen Systems der Kampfzölle dar. Abg. v. Kar- dorff (Kons.) würde wünschen, daß die im Freihafengebiet Hamburgs lie­genden Spritraffinerien von der Regierung angekauft werden. Dies wäre die einfachste Lösung der ganzen Streitfrage. Der Antrag auf Verwei­sung an eine Commission wird gegen die Stimmen der Sezessionisten abge­lehnt, nachdem noch der Abg. Bebel (Soz.-Dem.) erklärt hatte, daß er gegen den Vertrag stimmen werde, weil die Reichsregierung die Interessen Hamburgs nicht genügend wahrgenommen. Nächste Sitzung Freitag 10 Uhr: Interpellation Rickert (Anberaumung der Wahl in Torgau-Liebenwerda, 2. Lesung des Handelsvertrags und Fischerei-Convention. Schluß 5 Uhr.

Reichstag. Sitzung Freitag 31. August. Der Reichstag erledigte heute die Interpellation Rickert wegen Verzögerung der Wahl in Torgau- Liebenwerda. Ein Beschluß wurde nicht gefaßt. Die Abgg. Rickert (Sez.), Meier, Halle (Sez.), Hänel (Fortschr.), Braun (Soz.) und Dirichlet (Fortschr.) verurtheilen das Verhalten der Regierung als ver­fassungswidrig , während v. Minnigerode und v. Ludwig dasselbe entschuldigten. Die Staats-Minister v. Bötticher und v. Puttkammer motivirten die Verzögerung mit dem Eintritt von Hochwasser in dem Wahl­bezirk. Demnächst wurde die Debatte über den deutsch-spanischen Handels- Vertrag fortgesetzt. Sonnemann und Ree (Fortschr.) sprachen gegen denselben, namentlich gegen die Spritklausel, die v. Ludwig und Uh den (kons.) vertheidigen. Die Debatte wird heute Abend 8 Uhr fortgesetzt. Schluß 41/2 Uhr.

Reichstag. Abendsitzung Freitag 31. Aug. Präs. v. Levetzow eröffnet die Sitzung um 8'/i Uhr. Die Debatte über den deutsch-spanischen Handels-Vertrag wird fortgesetzt. Abg. Richter- Hagen (Fort.) erwidert dem Senator Versmann, daß die Hamburger Spritfabrikanten nicht Fortschrittler, sondern entschiedene Gegner dieser Partei seien, wie sie in

Wahlflugblättern dargethan haben. Hoffentlich wird ihre Bismarck-Verbim- melung durch die Spritklausel etwas abgekühlt. Abg. Barth (Sez.) em- fiehlt den Antrag Kapp und bedauert, daß nicht Commissions-Berathung stattgefunden. Senator Versmann bemerkt dem Abg. Frege (kons.) gegenüber, daß er darin, daß in Hamburg russischer Sprit rectifizirt wird, keinen Schmuggel finden könne. Abg. Dirichlet (Fortschr.): Der Groß­grundbesitz hat beim Anbau von Kartoffeln zum Zwecke der Spiritus-Fabri­kation bedeutende Vortheile gegen den Kleingrundbesitz. Art. 9. des Schluß- Protokolls (die sog. Spritklausel) wird hierauf angenommen und zwar gegen die Stimmen der Sezessionisten und Fortschrittler; auch der Rest des Ver­trages wird nach kurzer Debatte angenommen. Abg. Braun, Wiesbaden, (Sez.) weist darauf hin, daß durch die nachträgliche Genehmigung des Ver­trages eine volle Indemnität noch nicht gewährt werde. Staats-Sekretär v. Bötticher hält die Form der Indemnität für gleichgiltig, ein beson­deres Gesetz für entbehrlich. Abg. Hänel (Fort.) kann ohne besonderes Gesetz keine Indemnität bewilligen. Staats-Sekretär v. Schelling be­gründet juristisch den Standpunkt der Regierung. Die nachträgliche Geneh­migung des Vertrages wird gegen die Stimmen des Fortschritts, der Sezes­sionisten und eines Theiles der National-Liberalen ausgesprochen. Die internationale Fischerei-Convention wird debattelos genehmigt in erster und zweiter Lesung. Der Antrag Kard 0 rff auf Erlaß eines Gesetzes wegen Verallgemeinerung der Zollermäßigungen wird nach längerer Debatte im Wesentlichen angenommen. Nächste Sitzung: Sonnabend 11 Uhr. Dritte Lesungen und Rechenschaftsbericht über das Sozialistengesetz. Schluß 12 Uhr.

Reichstag. Sitzung Sonnabend 1. Sept. Der Reichstag ist am Sonnabend geschlossen worden, nachdem er den deutsch-spanischen Handels- Vertrag angenommen, und der Reg. Indemnität ertheilt hat. Mit Aus­nahme der Abgeordneten Richter- Hagen und v. V 0 llmar (Soz.Dem.) sprachen sämmtliche Redner Grod, Bamberger, v. Kardorff, v. Minnigerode, Windthor st und Braun- Wiesbaden für den Vertrag, nachdem die Jndemnitätsklausel als besonderer Gesetzes-Paragraph formulirt war. Um 3 Uhr erfolgte der Schluß der Session unter den üb­lichen Förmlichkeiten durch Staats-Minister v. Bötticher.

Berlin, 30. Aug. Weit ausgreifend, umfassend, gewaltig sind die politischen Pläne des deutschen Reichskanzlers. Mit wachsamem Auge ver­folgt er das Getriebe der europäischen Diplomatie, und bald hier, bald dort greift seine Hand in dasselbe ein, oft nur Wenigen sichtbar, aber stets fest und entscheidend. Alle politischen Fäden laufen heute in Berlin zusammen, wo der Webstuhl der Geschichte steht. Man mag über Bismarcks innere Politik denken, was man will, die Art aber, wie er die auswärtige Politik des Reiches leitet, wie er fortwährend bemüht und bedacht ist, seine Schöpf­ung für die Zukunft zu sichern und alle Gefahren, die Deutschland bedrohen könnten, entweder zu beseitigen oder wenigstens zu vermeiden sie wird stets von Freund und Feind bewundert werden. Auf diesem Felde ist er der größte Staatsmann des Jahrhunderts. Man kennt das Ziel, welches Bis­marck seit Jahren anstrebt. Es ist die vollständige Jsolirung Frankreichs, das durch dieselbe unschädlich gemacht und gezwungen werden soll, Frieden zu halten. Dieser feste Punkt der Politik des deutschen Kanzlers bestimmt seine Haltung in jeder großen europäischen Frage, von ihm geht er aus, so oft eine unvorhergesehene Lage ihm neue Entschlüsse abnöthigt. Als er die Allianz mit Oestreich suchte und abschloß, als er zwischen Deutschland und Italien ein neues Band knüpfte und diese Freundschaft kürzlich neu be­lebte, als er in der egyptischen Angelegenheit England bereitwillig entgegen kam immer und immer war der Gedanke, Frankreich von jedem Bündniß abzuschneiden, sein leitender Stern. Er leitet ihn auch jetzt bei dem Be­mühen, ein bisher den inner europäischen Kämpfen seit zwei Jahrhunderten fernstehendes Land in nähere Beziehung mit Deutschland zu bringen; er leitet ihn' bei der stets klarer hervortretenden Absicht, eine Allianz mit Spanien anzubahnen.

England.

London, 1. Sept. Der Standard bringt einen Artikel über den Jahrestag der Schlacht von Sedan, worin die Friedfertigkeit und Mäßigung der d. Politik seit dem Tage von Sedan gerühmt wird.

Inzwischen fand die Verlobung des Herrn v. Friedberg mit Betty Winterfeld statt. Die Bitte der jungen Dame um Aufschub hatte keine Be­rücksichtigung gefunden. Der Bankier drängte, der verhaßte Bräutigam noch mehr. So wurden dem Opferlamm die Fesseln angelegt.

Mit dem Ring, dem ewig bindenden, am Finger, stand sie an dem Verabredeten Abend an der Pforte des Parkes, welcher sich in der Aus­dehnung von beinahe einer halben Meile an den prächtigen Garten des Bankiers schloß. Es war eine Stunde vor Mitternacht, als Berklitz eintraf. Da wandelten sie denn zum letzten Male in den verschlungenen Gehegen des Parkes, unter dem Leuchten des scheidenden Gewitters, Arm in Arm und sprachen von ihrem heißen, wilden Schmerz, von ihren zertrümmerten Hoff­nungen. Ringsum schwieg das Leben, schlief die Welt. Wo zwei Menschen­kerzen eine so ernste und vernehmliche Sprache führen, da muß die Welt schweigen; aber die Welt schwieg nur, weil sie schlief.

Stunde auf Stunde verrann. Nur eine Viertelstunde, eine Minute, eine Secunde noch, und darüber verging die Zeit und der junge Gott des Tages lugte bereits mit einem Strahl seiner Feueraugen durch das herbst­liche Grün und scheuchte Betty auf einem Umwege in das Haus zurück Kaum eine Woche später ward sie die Gattin des Herrn v. Fried­berg. In dem Moment, als der Brautzug, vom Kirchgänge heimkehrend in den Festsalon trat, erfuhr die junge Frau die Verhaftung des Geliebten wegen der entsetzlichen Todsünde des Vatermordes.

Es war mir, als sei plötzlich tiefe Nacht um mich her entstanden," so schilderte mir Betty den Eindruck, welchen die Entsetzens-Nachricht auf sie hervorgerufen. Keinen Sinn mehr hatte ich für die Lust und Fröhlichkeit um mich her, für wohlgemeinte Neckereien und noch besser gemeinte Toaste.

Wie ein starres, todtes Marmorbild muß ich neben meinem Gatten gesessen haben! Ach, und wenn dieser Gatte nur ein Mann gewesen wäre, dem ich den kleinsten Theil des entsetzlichen Geheimnisses hätte anvertrauen können, das mir das Herz zerriß. Bei dem unglückseligen Naturell meines Mannes dürfte ich dies unter keinen Umständen wagen. Herr v. Friedberg besitzt ein unglaubliches Talent, sich und andere zu quälen durch die engherzige und beschränkte Anschauung der ihn umgebenden Verhältnisse, durch die maßlose Eifersucht und den unbegründeten Argwohn, der das Hauptelement seines Charakters bildet. Er würde in seinem Jähzorn meine und meiner Familie Ehre schonungslos Preis gegeben haben.

Ich mußte schweigen, schweigen unter unsäglichen Martern und Qualen In meiner Angst warf ich einige Worte auf ein Blatt Papier und adressirte dieselben an den Staatsanwalt Bernicki. Mit einer fieberhaften Spannung und einer Unruhe, die jeden Schlaf von meinem Lager fern hielten, lauschte ich auf das Ergebniß dieses Schrittes. Und was bekam ich zu hören? Der Unglückliche, befragt wegen der Absenderin dieses Briefes, bekannte sich der That für schuldig, um jede Möglichkeit, mich und die Meinigen in's Ver­derben zu stürzen, auf diese Art abzuschneiden ... Ein Ahnung sagte mir daß Gott Sie mir gesandt hat, schloß die junge Frau ihre Erzählung . . . nicht wahr, Sie werden den Edelsten der (Men nicht ungerecht verurtheilen lassen, werden Alles aufbieten, um den wahren Thäter zu ermitteln, und mir die Ruhe, die lang entbehrte süße Ruhe wieder zu geben. Nicht wahr?" -

(Fortsetzung folgt.)