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mit großer Sorgfalt gepflegten Gartenhaus abgeschnitten wurden. Möge es den Bemühungen unserer Polizei gelingen, den oder die schuldigen Schlingel ihrer gerechten Strafe zu überliefern.
Ulm, 19. Juni. Heute wurden auf dem Münsterthurm die 2 Köpfe abgenommen, von denen der unterste 3 Fuß weit war. Beide Köpfe wurden vor etwa 200 Jahren angebracht. Der größere konnte 79 Mezen Frucht in sich aufnehmen. — Heute begannen die Kinderfeste und zwar von den katholischen Knaben- und Mädchenvolksschulen. Gestern früh fand für die Kinder in der Wengenkirche ein Gottesdienst statt, heute Mittag MR Uhr sammelte sich der Zug , die Knaben mit Fahnen voran, die Mädchen großentheils weiß gekleidet folgend, in der Wengengasse, von wo aus man mit Musik zur Friedrichsau zog; daselbst blieb man trotz der unfreundlichen Witterung bis Abends 7 Uhr. In den nächsten Tagen kommen die evang. Mädchen-Volks- und Mittel- und zum Schluß die Knabenschulen.
Ulm, 20. Juni. Heute früh wurde eine hiesige Familie von einem schweren Unglück heimgesucht. Kaufmann H. wbllte auf dem Dachboden seines Wohnhauses den in Unordnung gerathenen Aufzug untersuchen, beugte sich zum Dachladen hinaus, stürzte 4 Stockwerke hoch auf das Trottoir herab und gab nach wenigen Augenblicken den Geist auf. — Heute kam ein Reisender auf die Polizeiwache und stellte das Ersuchen, ihn einzusperren, da er gebettelt habe. Demselben wurde bedeutet, daß er des Bettelns nicht überwiesen sei. Er begab sich sofort in einige Läden in der Nähe des Rathhauses um zu betteln, worauf sein Wunsch erfüllt wurde.
Neisse, 21. Juni. Seit 24 Stunden furchtbares Hochwasser; höchster Stand seit 1829. Die evangelische Schule, Kirche, die Kasernen II. und IV., viele Kellerwohnungen stehen unter Wasser. Das Postament steht zum Theil, die Mühlen ganz unter Wasser.
Breslau, 21. Juni. Durch Wolkenbrüche im Gebirge sind die Nebenflüsse der Oder ausgetreten. Vielfach stehen die Ortschaften wenigstens theilweise unter Wasser, wie Glatz, Schweidnitz, Hirschberg. Mehrfach sind Häuser eingestürzt, Brücken fortgerisstn, Bahnverbindungen unterbrochen. Auch ist viel Vieh umgekommen.
Amsterdam, 20. Juni. Heute früh ist eine heftige Feuersbrunst aus der k. Marinewerft ausgebrochen. Das Feuer ergriff die beiden Schiffe „Doggersbank" und „Kortenaer", von denen das erstere durch den Einsturz der Werftmauern zerstört wurde. Der Schaden wird auf 3 bis 4 Millionen Gulden geschätzt. Neber die Ursache des Brandes ist noch nichts bekannt. Der Marineminister sowie die übrigen Behörden waren an der Brandstätte erschienen. 3 Personen sollen verwundet, ein Feuerwehrmann umgekommen sein.
Vermischtes.
— „Ach, das Gold ist nur Chimäre!" An diesen Grundsatz Robert des Teufels glauben heutzutage nur wenige Reiche. Zu diesen gehört u. a. eine Gesellschaft Mexikaner, welche seit einer Woche allabendlich im zoologischen Garten zu Frankfurt a,M. bankettiren und regelmäßig um 10 Uhr bei Beendigung des Concerts dem Kapellmeister 100 Mk. schicken mit der bescheidenen Bitte, noch bis 11 Uhr weiter zu spielen. Die Kapelle und das musikfreundliche Publikum sind mit dieser Grille gar nicht unzufrieden.
— Aus St. Gallen wird der „9t. Z. Z." geschrieben: Vor mehr als einem Jahre hat unser Erziehungsrath die Verfügung erlassen, daß von nun an in den untersten Klaffen der Primarschule mit der Antiquaschrift begonnen und die Erlernung der deutschen erst im dritten oder vierten Schuljahre ausgenommen werde. Unsere Presse wie das Publikum waren aber hievon nicht erfreut und es erhoben sich von allen Seiten Einwände. In den einen Schulen nun wurde die Antiqua eingeführt, in andern nicht, und heute exi- stirt ein vollständiges Chaos. Auf diese Weise kann es leicht kommen, daß ein Kind, das in Folge Wegzugs in eine andere Schule kommt, dort weder lesen, noch schreiben kann. Den gleichen Wirrwarr wie mit der Schriftart, haben wir mit der Ortographie. In diesen Schulen wird nach der neuen, in jenen nach der alten geschrieben. Ihr Korrespondent hat zwei Kinder, das Mädchen schreibt: „theure Eltern", der Knabe: „teure Eltern". Zum mindesten sollte doch in den Schulen Gleichförmigkeit eingeführt und Will- kürlichkeiten ausgemerzt werden."
Wilhelmsdorf und die Stromer. (Fortsetz.)
Die Arbeit, welche den Stromern in Wilhelmsdorf angewiesen wird besteht in Weganlegen, Einrichtung von Wiesen zur Bewässerung, Forstkul- turanlagen, und Verbesserung des Ackerbodens. Bei letzterer Arbeit wird der Boden 1 Meter tief umgegraben, die „Ortstein"-Schichte zerbröckelt und an die Oberfläche gebracht zur Verwitterung. Die Verbesserung der Grasflächen durch Bewässerung soll es der Kolonie möglich machen einen größeren Viehstand zu halten und durch den dadurch gewonnenen Dünger den Ackerboden zu verbessern. So kann sich der Anbau später besser lohnen. Diese Arbeiten sind den Stromern in Accord gegeben, und so liegt es in ihrem eigenen Interesse, fleißig zu sein, um die bei der Anstalt gemachte Kleiderschuld bald abzutragen und sich das nöthige Reisegeld zu erwerben. Der durschnittliche Verdienst eines Arbeiters ist neben freier Station 40 Pf. pro Tag. Die Leute sehen, nach dem Bericht eines Augenzeugen, zufrieden, gesund und gar nicht mehr stromerhaft aus; auch hat sich der Hausvater und sein Gehülfe nicht über schlechtes Betragen, geschweige denn über eigentliche Exzesse zu beklagen. Hat einer seine Kleiderschuld abgetragen und sich noch, einiges verdient, was in 2—3 Monaten der Fall ist, so verläßt er die Kolonie und tritt in eine ihm von der Anstalt ermittelte Stellung bei sein« Handwerk wieder ein. So wechselt in einem Jahre Wilhelmsdorf etwa t Mal seine Bewohner; im ersten Jahr haben zusammen 198 Personen nach längerem Aufenthalt als geordnete, anständige Handwerksburschen die Kolonie verlassen, in welche sie als abgerissene und verkommene Stromer eingezogen waren. —
Daß eine Arbeiterkolonie wie Wilhelmsdorf ein wirkliches Bedürfmß ist, dafür spricht nicht nur der Umstand, daß sofort nach Eröffnung der Anstalt mehrere Hundert Stromer herheiströmten; nicht blos der gute Erfolg, den die Kolonie bis jetzt gehabt hat, sondern besonders auch der Anklang, welchen dieses menschenfreundliche Unternehmen überall findet. So ist bereits in der Provinz Brandenburg sowie in der Provinz Sachsen die Gründung einer ähnlichen Anstalt ins Auge gefaßt worden, auch in andern Gegenden Deutschlands, z. B. in Hannoveb, in Schlesien, in Württemberg tritt man der Sache näher. In Brandenburg sucht man noch nach geeignetem Terrain, in Sachsen ist von der Regierung ein solches pachtweise angeboten worden und ein edler Mann hat die zum Anfang des Unternehmens nothwendigen 30,000 als Geschenk sofort zur Verfügung gestellt. Daß solche Bestrebungen aber nicht etwa von der Regierung in die Hand genommen werden, hat zum Theil seinen Grund darin, daß dann die Stromer in der Errichtung solcher Anstalten einen Beweis sehen würden, daß der Staat für sie in dieser Weise sorgen müsse. Darum soll die Sache der freiwilligen Vereinsthätig- keit überlassen bleiben. Das schließt aber nicht aus, daß der Staat solche Thätigkeit auf alle mögliche Weise fördere. Wie jeder Einzelne, so hat der Staat ja ebenfalls einen großen Nutzen daran, daß seine Zugehörigen wieder zu tüchtiger Arbeit erzogen werden. Aber es wird von gewissen Seiten auch noch darauf aufmerksam gemacht, daß durch diese neu gewonnenen Arbeiter auch manche Bodenfläche Deutschlands ertragfähiger gemacht werden konnte. Besonders wird von Sachverständigen darauf hingewiesen, daß in Preußen mehr als Hälfte alles Waldes in Privatbesitz sich befinde, daß aber diese Privatbesitzer zum Theil von der Leitung der Forstkulturen nichts verstehen , zum Theil ihnen die nöthigen Arbeiter dazu fehlen. Dies bringt aber den weiteren Mißstand hervor, daß die vorher bewaldeten Bergflächen, wenn sie einmal abgeholzt sind, den guten Waldboden allmählich verlieren und zuletzt kahl werden — ein durchaus werthloser Besitz. Aehn- lich ist es in anderen Gegenden Norddeutschlands mit den großen Flächen Moorboden. Auf der einen Seite also vielfach werthloser Besitz, auf der andern Seite arbeitslose und arbeitsscheue Bevölkerung, — wer wollte da noch zweifeln, ob es wohlgethan sei, Arbeiterkolonien zu gründen, wie Wilhelmsdorf? — _
Kgl. S t a n d e s a m 1 <5 a l w.
Bem 15. bis 2'. Juni 1683.
Geborene.
15. Juni. Marie Einilic, Tochter des Georg Gustav Essig, Bäckers und Wirtbs.
Gestorbene.
15. Juni. Wilhelm Stickel, Schneidermeisters Ehesran, Marie Louise, geh. Mrnstr,
62 Jahre alt.
16. Juni. Carl Christian Linkeuheil, Sohn des Christian Jakob Linkenheil, Metzgcr-
meister, 1^/, Jahr alt.
„An den Geheimsekretär im Finanzministerium, Herrn Simon Avenares, in Berlin."
Er wandte mechanisch den Brief um. Derselbe war nicht verschlossen, und als er ihn rasch auseinandergefaltet, las er Folgendes:
„L i e b e r B ru de r !
Wie Du siehst, habe ich Deinen Rath befolgt und die kleine Reise, die mich nach Deiner Absicht zerstreuen sollte, angetreten. Ob ich wiederkehre, weiß ich nicht. Mehr als je bin ich meines Lebens überdrüssig und sehne mich beinahe fieberhaft nach einer Gelegenheit, diese Bürde von mir zu werfen. Vielleicht ist dies der letzte Brief, den Du von mir erhältst. — Zürne mir nicht, wenn Du eines Tages in den Zeitungen lesen solltest, daß die Leiche Deiner unglücklichen Schwester irgendwo an's Land gespielt wurde. Ich kann nach dem entsetzlichen Schicksalsschlage, der mich betroffen, nicht länger leben. Bete also für mich und fluche nicht meinem Andenken. Grüße Diejenigen, die mir eine aufrichtige Theilnahme, eine freundliche Gesinnung bewahrt haben und verfüge über meinen Nachlaß wie Du willst.
Der Himmel nehme Dich in seinen Schutz, und lasse Dich so glücklich inrden, als Tu es bei Deiner Bravheit und Herzensgüte verdienst.
Deine unglückliche Schwester Iosephin e."
Der junge Mann überlas den Brief mehrere Male. Er unterbrach die eigenthümliche Lektüre nur, um sinnend vor sich hirrzustavren und immer
und immer wieder den Kopf zu schütteln. Wo war der Ariadnefaden, der ihn aus diesem Labyrinth leitete? —
Er winkte den Wirth herein und behändigte ihm das auf dem Tische liegende Geld mit den Worten: „Hier, Herr Mosler, Euer Gast war immerhin ehrlich genug um nicht mit der Zeche durchzubrennen!"
Der Wirth betrachtete das Geldstück mit einem kühlen Lächeln, woraus er es in die Tasche schob mit den Worten: „Zehnmal so viel wollt ich m- lieren, wenn die unangenehme Geschichte nicht in meinem Hause passirt wäre!"
Sternberg wandte sich nach dem Oberkellner zurück mit der Frage: „Sie sind fest überzeugt, daß die Dame das Haus auf dem gewöhnlichen Wege nicht verlassen hat?
„Ich will meinen Kopf darauf wetten!"
Der junge Beanite trat an das Fenster und sah in den Hof hinunter.
Sein Auge siel auf ein Asphaltdach, das die Bedeckung eines in den Hof gehenden Vestibules bildete. Der mit einigen Baum- und Strauchpar- thieen gezierte Hof war von einem niederen Zaun umschlossen. Man brauchte durchaus kein gewandter Turner zu sein, um vom Fenster aus auf das Dach und von hier auf den Erdboden zu gelangen. Noch leichter erschien das Uebersteiqen des Zaunes, welcher die Grenze zwischen diesem und dem Nachbarhof bildete.
Der junge Beamte machte schnell alle diese Wahrnehmungen. Pwtz' sich aber schwang er sich zum Erstaunen aller Zuschauer zum Fenster hinaus auf das Dach, nahm einen kleinen runden blitzenden Gegenstand auf uns kehrte mit demselben ebenso rasch in das Zimmer zurück. (Forts, folgt-)