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Waldhorn Absteigequartier nahm. Abends fand sich im Saale dieses Hotels eine große Zahl hiesiger Bürger ein. Herr Notar Haffner als Stellvertreter des Ortsvorstehers, begrüßte Seine Excellenz Namens der hiesigen Einwohner und gab der Freude Ausdruck, den Mann in unserer Mitte zu sehen, dessen bürgerfreundliche, patriotische Gesinnung als Minister noch dieselbe sei, wie seit Jahrzehnten, wo er dieselbe als Volksvertreter bethätigt habe; der auf Seine Excellenz ausgebrachte Toast fand begeisterte Aufnahme. Se. Excellenz dankte für das ihm entgegengebrachte Vertrauen, er freue sich diesen Abend im Kreise von Calwer Bürgern zubringen zu dürfen, unter welchen sich alte Bekannte befinden und ihm Gelegenheit geboten sei, neue Bekanntschaften zu machen. Aber wie hier in diesem Saal Männer verschiedener politischer Ansichten versammelt seien, so sei dieß überall im öffentlichen Leben und zum Vortheil derselben, denn nur in Folge der Erörterung der das Volksleben bewegenden Fragen von verschiedenen Gesichtspunkten aus, werde Brauchbares erreicht. So sehr übrigens die politischen Parteien in einzelnen Fragen in ihren Ansichten auseinandergehen, eine gemeinsame Grundlage ihrer Ansichten müßten sie, wenn etwas Ersprießliches sollte geleistet werden können, doch haben und das sei für Württemberg die Landesverfassung, für Deutschland die Reichsverfassung. Dieß anzuerkennen und hochzuhalten, könne einem Patrioten nicht schwer werden. Mögen dann des Weiteren die Ansichten auseinandergehen, die Mäßigung in den politischen Forderungen werde immer wieder den Sieg davontragen. Das Staatswesen müsse ebenso den Anforderungen der Zeit Rechnung tragen u. mit der Zeit vorwärts schreiten, wie der einzelne Bürger, alles Bestehende sei einer stetigen Veränderung unterworfen, es sei deßhalb ein unbedingtes Festhalten am Bestehenden, oder gar eine Bewegung nach rückwärts, ohne Schaden nicht möglich, ebenso wenig ein Vorauseilen, ein Anstreben von Zuständen wie sie in später Zeit oder gar nie geschaffen werden, Ziele, wie sie ideale oder extreme Politiker verfolgen. Gerade deßwegen sei die moderirende Tätigkeit einer maaßvollen Mittelpartei von großem Nutzen. Aus Anlaß des kürzlich erfolgten Rücktritts des Herrn v. Bennigsen vom politischen Leben, habe sich ein Freund dahin ausgesprochen, es werde dieß gut sein und zu einer Klärung der Parteien führen. Er sei anderer Ansicht. Das Vorhandensein zweier schroff einander gegenüber stehenden Parteien führe zu einer Verschärfung der Gegensätze und es sei weder der alleinige Einfluß der einen noch der andern Partei zu wünschen, er habe aber die Neberzeugung, daß die, schroffe Gegensätze vermittelnden gemäßigten Parteien in Zukunft eher zu- als abnehmen.
Der Herr Minister schloß seine hochinteressante Rede, deren einigermaßen ausführliche Wiedergabe uns leider nicht möglich ist, mit den besten Wünschen für die Stadt Calw, auf deren Wohl er sein Glas leerte.
Herr Oberamtsarzt vr. Müller feierte in schwungvoller Rede die Verdienste Sr. Excellenz als Abgeordneten, des muth- und kraftvollen Führers der deutschen Partei, dessen große patriotische Verdienste durch seine Erwählung zum württ. Kammer- und Vicepräsidenten des deutschen Reichstags geehrt worden seien, er schloß mit einem Hoch auf den deutschen Bürger v. Hölder. Der Herr Minister erwiderte hierauf, daß der Kampf für die großen Ziele des deutschen Volks, die wir nun glücklich erreicht hätten, zu seinen angenehmsten Erinnerungen gehöre. Allerdings habe das neu erstandene deutsche Reich auch Lasten auferlegt, gegen welche Manche murren, insbesondere sei die deutsche Heeresverfassung viel angefochten. Aber ohne diese, die jedoch weniger drückend sei, als in allen europäischen Großstaaten, könne die geachtete und gefürchtete Stellung Deutschlands nicht aufrecht erhalten werden. Diese hauptsächlich, sichere dem in der Mitte von drohenden Mächten gelegenen Vaterlande den Frieden und seine materielle Wohlfahrt. Er sei überzeugt, daß die Liebe zu unserem deutschen Vaterland mit der Zeit auch diese Klagen werde verstummen lassen. Auf eine glückliche, große Zukunft des deutschen Reichs bringe er ein Hoch aus. Mit stürmischem Beifall wurde dieser Toast ausgenommen. Es war ein hochinteressanter und schöner Abend, der in persönlichem Verkehr mit dem Herrn Minister verbracht wurde.
— Vermöge Höchster Entschließung vom 30. v. M. haben Seine Königliche Majestät die erledigte evangelische Helferstelle in Liebenzell, Dekanats Calw, dem Pfarrer Dr. Salzmannn in Pfäffingen, Dek. Herrenberg, gnädigst übertragen.
— Bei der am 15. Mai durch die Prüfungskommission der K. Regierung für den Schwarzwaldkreis vorgenommenen niederen Dienstprüfung im Departement des Innern sind die nachgenannten Kandidaten zu Uebernahme der in K. 7 der K. Verordnung vom 10. Febr. 1837 bezeichneten Aemter für befähigt erklärt worden: Müller, Gg. Friedr., von Calw, Schäfer, Gottlieb Jmanuel, von Calw, Kober, Christ. Friedrich, von Stammheim. OA. Calw.
Stuttgart. Von jetzt ab werden bei der Bahnhofkaffe Stuttgart kombinirbare Rundreisebillete für die Schweiz in Verbindung mit Anschlußretourbilleten nach und von schweizerischen Grenzstationen ab Stuttgart, beziehungsweise Heilbronn, Pforzheim, Nottweil, Tübingen, Reutlingen und Ulm und umgekehrt — zu ermäßigten Preisen und mit 45tägiger Giltigkeitsdauer für die II. Klaffe aller fahrplanmäßigen Züge und für die III. Klaffe der gewöhnlichen Personenzüge ausgegeben. Die Bestellung fraglicher Billete kann direkt (auch brieflich) bei der Bahnhofkaffe Stuttgart, sowie bei den Bahnhof- bezw. Billetkaffen der übrigen vorgenannten Württemberg. Stationen erfolgen. Bei denselben ist das Nähere über die neue Einrichtung zu erfragen und werden Bestellzettel nebst gedruckten Verzeichnissen über sämmtliche aufliegende schweizerische Nundreise-Koupons unentgeltlich verabfolgt.
6. Stuttgart, 18. Juni. Die Ueberführung der Schätze unserer K. öffentlichen Bibliothek ins neue Gebäude hat heute begonnen und wird inindestens 6 Wochen in Anspruch nehmen. — Die sü d- deutsche Buchhändlermesse hat heute ihren Anfang genommen. Die Abrechnung selbst findet morgen wie gewöhnlich im Bürgermuseum statt. Letzterem hat der verstorbene Bankier Friedr. Federer seine bedeutende und werthvolle Bibliothek vermacht. Das Leuze'sche Jnselbad Berg hat nun die elektrische Beleuchtung eingeführt. — Gestern Nacht wurde die Feuerwehr der Stöckachgegend allarmirt: es brannte in Cannstatt von 11 Uhr an und wurde eine Scheuer und ein Wohnhaus hinter der Stadtkirche, Rathhaus und Gasthof zum Bären total zerstört und mehrere andere angebrannt. Man vermuthet Brandstiftung.
Vom Welzheimer Wald, 17. Jnni. Am Freitag hat sich ein schweres Gewitter entladen, das zwischen Alfdorf und Gmünd kurz vor 5 Uhr Nachmittags dem Haselbachthal entlang bis gegen Muthlangen und Lin- dach Schlossen gebracht, die großen Schaden angerichtet haben.
Asperg, 17. Juni. Das Hagelwetter, welches die Nachbargemeinden am 15. d. M. so schwer heimsuchte, hat auch die Früchte eines Theils der Aecker und Weinberge hiesiger Markung vernichtet. Von den auf Mark- gröninger und Thammer Markung verhagelten Aeckern und Weinbergen gehören viele den Einwohnern von Asperg.
Aus dem mittleren Remsthal, 17. Juni. Die Kirschenernte ist jetzt im Remsthal in vollem Gange und wird wohl diese Woche ihren Höhepunkt erreichen. Der Ertrag übertrifft alle Erwartungen. Eine Anzahl Großhändler, hauptsächlich aus den größeren Städten Bayerns und aus Ulm, haben sich in Stetten, Strümpfelbach, Grunbach, Geradstetten, u. s. w. niedergelassen und versenben täglich Hunderte von Körben prächtiger Früchte per Eilgut. Die Eisenbahnverwaltung kommt denselben aufs Zuvorkommendste entgegen. Man darf das hiedurch in unsere Gemeinden kommende Geld auf mehrere Hunderttausend schätzen. Der Geldregen fällt aber auf einen dürren Boden, denn der vorige Herbst war gar zu schlecht; und besonders das Mißrathen der Kartoffeln hat unserer Bevölkerung arg wehe gethan. Jetzt ist aber alles wieder der besten Hoffnung, und Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden.
Straßburg (Elsaß), 19. Juni. Gestern Abend 10 Uhr brach im Dachstuhl des Telegraphenamtes Feuer aus, wodurch die Fernsprech-Ein- richtung, welche gegen 100 Abonnenten zählt, vollständig zerstört wurde. Die Säle, worin die Telegraphen-Apparate standen, wurden geräumt und erleidet der Telegraphendienst keine Unterbrechung. Nachts 1 Uhr wurde das Feuer bewältigt.
Vermischtes.
— Auszug ans dem Brief eines Passagiers welcher mit dem Dampfer „Normandie" von Havre nach Nerv-Jork gereist ist:
„Mit der Kost waren wir wohl zufrieden, wir haben jeden Tag zweimal
Coupee zweiter Classe steigen sehen. Sie trug einen modernen Sonnenschirm in der rechten Hand und schlug den Weg nach dem Hotel zu den drei Ankern ein."
„Tie Dame trug einen mit Grashalmen garnirten Hut?"
„Ja wohl, Herr Kriminalkommiffarius, der Hut war, so viel ich bemerken konnte, mit einem Büschel künstlicher Grashalme, Aehren und Kornblumen garnirt."
Der junge Mann athmete tiei auf. Seine Augen leuchteten. Er wandte sich an die Gruppe der Polizisten mit den Worten:
„Sie werden ihre volle Aufmerksamkeit darauf zu richten haben, daß der Verbrecher die diesseitige Stadt nicht verläßt. Beobachten Sie die Zugänge zum Bollwerk und dem Bahnhof. Wir werden in der Bahnhofs-Restauration wieder Zusammentreffen."
Er winkte dem hageren Manne, ihm zu folgen, und Beide verließen den Perron, um den Weg nach dem Drei - Anker - Hotel einzuschlagen.
Auf dem dumpfen gewölbten Flur desselben trat ihnen der Oberkellner mit der blendend weißen Serviette über dem Arm entgegen:
„Sie wünschen, meine Herren?"
„Einer Dame die Aufwartung zu machen, die vor zwei Stunden mit dem Berliner Zuge eingetroffen und in ihrem Hotel Quartier genommen hat."
Der Oberkellner nickte. Er blieb vollständig unbefangen. Er mochte die beiden Männer , in deren Aeußerem nichts die polizeiliche Amtswürde verrieth, für Angehörige der Dame halten. Das Drei-Anker-Hotel erfreute sich des besten Renomee's. Es war niemals vorgekommen, daß Personen
von zweideutigem Ruf oder dunkle Existenzen in demselben Aufenthalt genommen hatten. Mit einem „Bitte, einen Augenblick Geduld, meine Herren!" schritt er in das Restaurationszimmer zurück und kehrte nach wenigen Sekunden mit dem aufgeschlagenen Fremdenbuche wieder.
„Frau Posträthin Iosephine Elsbert aus Berlin", bemerkte er ruhig, mit dem Zeigefinger auf die letzte Zeile deutend, „die Dame wohnt auf Nr. 15. Soll ich die Herren anmelden?"
„Ist nicht nöthig!" erwiderte Sternberg ruhig, „wir werden erwartet?
„Eine Treppe links das letzte Zimmer!" ergänzte der Oberkellner, schritt aber gleichwohl den Besuchern voran, um das Zimmer genau zu bezeichnen."
Sie standen bald vor der Thüre, welche auf ovalem Porzellanschilde die dir. 15 trug. Sternberg klopfte an, aber er wartete vergeblich auf eine Antwort. Kein Laut drang aus dem geheimnißvollen Zimmer. Der junge Mann klopfte stärker, aber Alles blieb still.
Der Kommissär prüfte den Mefsingdrücker des Schlosses, allein der Mechanismus gab nicht nach. Die Thür blieb verschlossen. Sie war von innen verriegelt.
Die beiden Besucher wechselten einen raschen Blick des Einverständnisses, dann schlug der Kriminalbeamte mit der Faust gegen die Thüre, daß es durch das ganze Haus dröhnte. Der Lärm lockte den Wirth und andere Hotelbedienstete herbei ; Sternberg nahm Herrn Mosler, den Wirth, bei Seite und weihte ihn mit kurzen Worten in den Zweck seiner Sendung em.
(Fortsetzung folgt.)