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sind von compacten Menschenmengen besetzt. Das Wetter hat sich gebessert. Um 8 Uhr versammelten sich die außerordentlichen Botschafter, das ganze diplomatische Korps bei Herrn v. Schweinitz und begaben sich gemeinsam zur Krönungsceremonie. Im Innern der Kirche werden wegen des be­schränkten Raums nur die Missionschefs, die ersten Räthe und die Militär­attaches zugelassen, die übrigen Mitglieder des diplomatischen Korps nehmen außerhalb der Kirche auf einer Tribüne Platz. Um 8 VZ Uhr traf das diplo­matische Korps im Kreml ein. Bald darauf begaben sich der Großfürst- Thronfolger, die Mitglieder des Kaiserhauses und die fremden Fürstlichkeiten in einem prächtigen Zuge nach der Kathedrale. Trompetengeschmetter und Paukenschall kündigten an, daß der Kaiserzug formirt sei. In dem Augen­blick, wo der Kaiserzug erscheint, läuten alle Glocken, die Musikkorps spielen, die Tambours schlagen an und die Truppen präsentiren. Aus der dichtge­drängten Volksmasse erschallen brausende Jubelrufe.

Tages - Neuigkeiten.

>V. 6. Stuttgart, 25. Mai. Unglücksfälle und Jnconvenienzen durch das Velocipedfahren, das hier in sehr beunruhigender Weise überhand genommen hat, haben die Polizei-Abtheilung des Gemeinderaths veranlaßt, in Folge verschiedener eingelausener Klagen und Reklamationen die Sache nach einem Polizei-Verordnungsentwurfe, den der Vorstand des Stadt-Polizeiamts, Oberamtmann Schmidhäuser, ausgearbeitet und in heutiger öffentlicher Gemeinderathssitzung vorgetragen hat, zu regeln. Der hiesige Velocipedklub hat, damit ihm keine Schwierig­keiten in den Weg gelegt werden, seine Statuten darnach eingerichtet und zur Genehmigung vorgelegt. Dadurch sind Glocken als Warnungszeichen, bei Nacht Beleuchtung, sowie die einzuhaltende Fahrbahn und das Ausweichen vorgeschrieben, und das Befahren von Trottoirs und Fußwegen verboten. Das gilt nicht blos für den Velocipedklub, sondern auch für andere Veloci- pedfahrer. Strafen bis zu 60 okL in Geld.

Cannstatt, 24. Mai. Auf Wunsch des hiesigen Anti-Hutabneh- mungsvereins ließ heute das hiesige Stadtschultheißenamt am Kursaalgebäude Plakate anheften mit der Aufschrift:Man bittet, nicht durch Hutabnehmen zu grüßen."

Friedrichshafen, 25. Mai. Den vielen Fremden, welche unsere Bodenseestadt zum alljährlichen Sommeraufenthalt zu nehmen pflegen, wird es angenehm sein, zu hören, daß es der württ. Dampfschifffahrtsverwaltung gelungen ist, eine Fahrbegünstigung in der Weise herbeizuführen, daß künftig an Sonn- und Festtagen auf allen Bodenseefahrten für Hin- und Rück­fahrt nur die einfache Taxe bezahlt werden muß. Diese Fahrpreis­ermäßigung wird sicher mit Freude begrüßt werden. Bereits sind einzelne Kurgäste hier eingetroffen, doch beginnt die Hauptsaison erst mit Herannahen der Gerichtsserien. Die Ankunft des Königs erfolgt am 10. Juni, diejenige der Königin Anfangs Juli

Giengen a. B., 25. Mai. Vorgestern Nachmittag verunglückte ein 17jähriger Müllerbursche in der Maise r'schen Kunstmühle in Hermaringen dadurch, daß ein Haufen Mehl, den er beim Aufräumen zu stark untergrub, auf ihn hereinstürzte. Bis man den Verschütteten herausschaffte, war er bereits todt.

Kassel. Durch die Untersuchung in der hier ermittelten Brief- m a rk e n - F äl s ch u n g hat sich herausgestellt, daß nahezu 140,000 Stück der Falsifikate, ä 50 H, also ca. für 70,000 ^ in das Publikum gebracht worden sind. Wie schon mitgetheilt, sind die Marken täuschend nachgeahmt. Die ruchlose Gefährdung von Eis enb a hnzügen durch Heran­wälzen großer Steine aus die Schienen scheint in Niederhessen zur Epidemie geworden zu sein. Nachdem diese Büberei wiederholt auf den Linien Esch- wege-Treysa und Kassel-Waldcappel vorgekommen ist, auch bereits einmal eine strenge gerichtliche Bestrafung erfahren hat, wurde die gleiche Unthat in voriger Woche wiederum auf der Strecke Kassel-Marburg (bei Hofgeismar) verübt. Glücklicherweise ging es bis jetzt jedesmal ohne Unfall ab. Strengste Untersuchung ist eingeleitet.

nicht die Hofthüre aufgeriegelt und dem Vogelvieh das Futter hingestreut hat."

Er war unter diesen Gedanken bei der Thüre angelangt, die von innen jeden Abend verriegelt und am Morgen von der Magd geöffnet wurde. Er legte sein Ohr an die Spalte und lauschte in's Haus.hinein. Dabei fiel sein Auge auf die morsche Bretterhütte, in welcher bis vor kurzer Zeit Sul­tan, der alte Hofhund, seinen Wächterpflichten obgelegen hatte. Das alte Thier war vor einer Woche wohl in Folge seines Alters verendet und der Eberwirth hatte für einen entsprechenden Ersatz noch nicht gesorgt. Auch eine Nachlässigkeit, die einmal zum schlechten Ende gereichen kann," dachte Martin, ich Hab' ein paar Mal schon an den Hofhund erinnert. Wie kann solch ein Wirthshaus ohne Hund bestehen?"

Er wurde durch ein lautes schmerzliches Stöhnen unterbrochen, das, wie er jetzt deutlich vernahm, aus dem Hausflur klang.Liese seit Jhr's?" fragte der Knecht, dessen heimliches Entsetzen mit jeder Minute stieg,um Gottes willen, antwortet, was ist passirt?"

Das Stöhnen wurde lauter, unheimlicher, wilder. Nur ein und der­selbe Lautha ha ha!" schlug grell und schneidend an die Ohren des entsetzten Mannes, der sich jetzt mit raschem Entschluß seitwärts wandte, die Axt ergriff, die neben dem Hauklotz lehnte und mit zweien gewaltigen Schlägen die Thüre in Trümmer schlug.

Der Hausflur mündete in die Küche. Auf dem Heerde glommen die Reste eines Feuers, das heute mit ganz besonders unheimlichem Schein, das hier für gewöhnlich herrschende Halbdunkel unterbrach. Auf den breiten Stufen von Ziegelsteinen aber, die zu dem Küchenraum empor führten, saß

Vermischtes.

DampferF rance" der Compagnie Generale Transatlantique, welcher am 12. Mai in Havre abfuhr, kam nach lltägiger Fahrt Mittwoch, den 23. ds. wohlbehalten in New - Uork an.

In Hamburg ist vor einigen Tagen der Plan eines Seeverbrechens entdeckt worden. Dort kam das Hamburger SchiffPaul" von Shanghai an und wurde auf Anhalten der Staatsanwaltschaft unter Hafenwache ge­stellt, um das Löschen der aus Stückgütern bestehenden Ladung, unter wel­chen sich ca. 2000 Kistenkire LrsÜ6r8* (kleine rothe Raketen) befinden, zu verhindern. Zwischen den letzteren feuergefährlichen Kisten fand man nämlich eine große Anzahl leicht entzündlicher Chinesischer Zündhölzer lose umherliegen, welche schon beim Verladen der Güter in China absichtlich aus­gestreut sein müssen. Ob hier die Verlader die Hand im Spiele haben, oder ob ein Racheact vorliegt, muß erst die Untersuchung ergeben. Die Ladung soll hoch versichert sein, und es ist als ein großer Zufall zu bezeich­nen, daß das Schiff nicht in die Luft sprang. Wie man wissen will, wurde das Seeschiff schon als verschollen bezeichnet, da es 230 Tage Reise gehabt, und die Befrachter sollen bereits auf Auszahlung der versicherten Summe gedrungen haben.

Aus Hamburg wird der große Erfolg gemeldet, den der junge Wachtel, Sohn von Theodor Wachtel, bei seinem Debüt am dortigen Stadttheater als Stradella fand.

Das lenkbare Luftschiff. Die gefahrvolle Luftexpedition, die Herr Doktor Wölfert aus Leipzig am 21. d. Abends in Berlin mit seinem lenkbaren LuftschiffDeutschland" trotz des strömenden Regens an­trat, nahm einen verhältnißmäßig glücklichen, wenn auch für den kühnen Lustreisenden recht gefährlichen Verlauf. Nachdem der Riesen-Aerostat, der nebenbei bemerkt ca. 900,000 Lit. Gas faßte, sich mittelst der Hubschrauben vor den Augen der nach Tausenden zählenden Zuschauer bis zu einer Höhe von 500 Meter emporgecrrbeitet hatte, versuchte Dr. Wölfert durch Umsetz­ung der horizontal gestellten Schiffsschrauben-Flügel in eine vertikale Stell­ung den Ballon gegen den schwachen Nordwestwind, der ihm gleich im An­fang einen Südsüdostkurs gab, zu bugsiren. Bei diesem Versuche, der eine geradezu übermenschliche Kraftanstrengung erheischte, versagte plötzlich das zur linken Schraube gehörige Zahnrad den Dienst, so daß Dr. Wölfert ge­zwungen war, nur mit der rechten Schraube weiter zu arbeiten. Die un­ausbleibliche JÄge war die, wie dieß auch von der Erde mit bloßem Auge wahrgenommen wurde, daß der Ballon sich beständig rechts herum um sei­nen Mittelpunkt drehte, der beste Beweis, daß die Flügel trotz ihrer Winzig­keit doch einen Einfluß auf den Koloß ausübten. Durch das beständige Drehen war der Ballon wiederholt gezwungen, dem Winde seine Breitseite zuzuwenden, und wurde so beständig in südsüdöstlicher Richtung über Rudow davongetrieben. Höher steigend verschwand das Luftschiff in den Wolken, über denselben durch den herrschenden Oberwind einen fast direkt nordöstliches Kurs annehmend. Durch einen Spalt in den Regenwolken gewahrte Dr. Wölfert, der mit Aufbietung aller Kräfte weiterarbeitete und der sich bei dieser Arbeit eine nicht unbedeutende heftig blutende Verletzung der rechten Hand zugezogen, unter sich grünes Feld und in weiterer Perspektive die Oberspree und den Müggelsee. Mit Geistesgegenwart beschloß nun der Aeronaut, um nicht ein unfreiwilliges Bad in der Müggel zu nehmen, die Schrauben wieder horizontal zu stellen und sich herabzuwinden. Trotz der einseitigen Wirkung der Flügel erreichte er schließlich nach und nach seinen Zweck und sah nun die Erde allmählig wieder näher kommen. Hinter Jo­hannisberg schwebte der Ballon, ohne daß es nöthig gewesen, das Ventil zu ziehen, langsam und majestätisch herab und blieb ohne irgend welche Er­schütterung mitten auf einer sumpfigen Wiese stehen. Obwohl Dr. Wölfert in Folge des übermenschlichen Arbeitens fast erschöpft war, so leitete er doch noch persönlich die Entleerungsarbeiten, bis mehrere Bekannte, die dem kühnen Luftschiffer in der Befürchtung, daß ihm ein Unglück zugestoßen, von Berlin aus nachgefahren, auf dem Felde eintrafen und die Verladung nach Berlin bewerkstelligten. Nach Ausbesserung des Schadens soll das Luftschiff eine zweite Fahrt am nächsten Montag unternehmen.

Die Regelung und Kontrole der Kinderfahrpreise auf Eisen- und

regungslos zusammengekauert eine weibliche Gestalt, von deren bleichen Lippen unausgesetzt jene lauten unartikulirten Klagetöne klangen, die dem er­schrockenen Mann ein Frösteln nach dem anderen durch die Glieder jagten.

Er nahm einen Feuerbrand vom Heerd und leuchtete dem Weibe in's Antlitz. Er erkannte die Magd, allein sie war sehr entstellt. War es lei­denschaftlicher Zorn, war es tödtliche Furcht oder qualvolles Entsetzen, das in diesen starren, todesbleichen Zügen, in diesen stieren Augen um den Vor­rang stritt? War irgend eine Gewaltthat an dieser armen alten Frau ver­übt worden, die keinen Feind besaß und über Reichthümer, welche die Hab­sucht hätte reizen können, nicht verfügte?

Die gläsernen, unheimlich gerötheten Augen wanden sich mit seltsamem Ausdruck dem Gefährten zu. Heißer Drang zu sprechen, und das Weh der Verzweiflung über die Unfähigkeit, sich mittheilen zu können, sprachen aus den erlöschenden Blicken. Martin ergriff die Kranke unter den Armen und versuchte sie aufzurichten, wobei er sie immer wieder von Neuem bat, sich zu fassen und nur mit einem einzigen Worte zu sagen, was ihr fehle oder was überhaupt geschehen sei.

Allein die alte Liese mühte sich vergeblich ab, ein Paar zusammen­hängende Sätze hervorzubringen. Aus ihrem Lallen setzte Martin nur die Wortekann nicht . . . kann nicht!" zusammen. Ebenso erschien der ganze Körper starr und gelähmt. Mit Mühe vermochte der Knecht sie auf einen Schemel zu setzen.Der Schlag hat sie gerührt," murmelte er, Gott sei dem armen Geschöpf gnädig! Hier scheint etwas Gräßliches vorgegangen zu sein."

(Fortsetzung folgt.)