Nro. 61

38. Jakirgang.

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Politische Nachrichten.

Dentsches Reich.

Reichstag. Sitzung Freitag 25. Mai. Im Reichstag wurden die §§ 9a10 der Versicherungsvorlage nach langen Geschäftsordnungsdebatten erledigt. K 1a (ländliche Arbeiter) wird mit iZg gegen 134 Stimmen ab­gelehnt. Zu den übrigen Paragraphen wurden nur Aenderungen von unter­geordneter Bedeutung angenommen. Die Abg. Richter (Hagen), Hirsch, Büchte mann (Fortschritt), Gutfleisch, Paasch e, Lasker (Sez.), Windthorst, Frhr. v. Franken st ein, v. Hertling, (Centr.) und v. Maltzahn, v. Minnigervde, v. Kleist-Retzow und Lohren (Kons.'l betheiligten sich an der Debatte.

Reichstag. Sitzung Samstag 26. Mai. Der Reichstag setzte die Berathung der Krankenversicherung fort, und erledigte die M 1162. Prinzipiell wichtige Aenderungen wurden nicht beschlossen. Die angenommenen Abänderungsanträge beschränken sich auf mehr technische Bestimmungen. An der Debatte nahmen Theil die Abgg. Gutfleisch, Eberty, Paasche (Sez.), vr. Hammacher (Nat.-lib.), I)r. Hirsch (Fortschr.) und Frhr. v. Maltzahn- Gultz (Kons.). Der Rest der Vorlage soll in einer Abend­sitzung am Montag erledigt werden. Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. Tages-Ordnung: Gewerbeordnungsnovelle. Schluß 5^/4 Uhr.

Berlin, 25. Mai. Der Reichsanz. meldet: Ein Erlaß des Kaisers an den Kultusminister und an den ev. Oberkirchenrath vom 21 . Mai ordnet die feierliche Begehung des 400jährigen Geburtstags I)r. Martin Luthers durch ein am 10. und 11. Nov. in den ev. Kirchen und Schulen stattfinden­des Kirchenfest an. Am 9. Nov. findet feierliches Einläuten des Festes mit den Kirchenglocken und Choralblasen, am 10. Nov. öffentliche Schulfeier­lichkeiten und vorbereitende Gottesdienste und am 11. Nov. kirchlicher Haupt­gottesdienst statt, wobei als HauptliedEin feste Burg ist unser Gott" zu wählen und in dem Dankgebet der Gesichtspunkt hervorzuheben ist, daß es sich nicht um den Lobpreis eines Menschen, sondern um den Lobpreis Gottes für die in der Reformation dem deutschen Volke zu Theil gewordene göttliche Gnade handelt. Der Erlaß schließt: Ich flehe zu Gott, dem Allmächtigen, der die Gebete, in denen Ich Mich an den Tagen des Festes mit allen Gliedern der ev. Kirche vereinigen werde, Erhörung finden lasse, damit die Feier der theuren evang. Kirche zu dauerndem Segen gereiche.

Aus Hamburg wird der Selbstmord des vr. Edward Banks gemeldet. Ein seltsames Geschick fügt es, daß in ihm im Verlauf eines

Jahres die dritte Hanseatische Persönlichkeit, welche die Würde eines Reichs­tags-Abgeordneten bekleidet hat, durch Selbstmord endete, erst Mosle, dann Sandtmann und nun vr. Banks.

Der Selbstmord des vr. Banks in Hamburg, des Eigenthümers der fortschrittlichen Reform, macht (insbesondere nachdem kürzlich ein anderer Hamburger Fortschrittsführer, der Reichst.-Abg. Sandtmann, auf die gleiche Art geendet) das größte Aufsehen. Banks war (so schreibt man der Wes.Ztg.) 187174 Reichstagsabgeordneter für den 2. hamburgifchen und nach seiner Niederlage in diesem Wahlkreise gegen den von der Hand­werkerpartei aufgestellten Schlossermeister Schmidt von 187477 für den 4. Berliner Wahlkreis. Er gehörte dabei der äußersten Linken der Fort­schrittspartei an. Seitdem hatte er sich fast gänzlich vom öffentl. Leben zu­rückgezogen und ausschließlich seinen geschäftlichen Unternehmungen gelebt, die außer dem Zeitungsgeschäft, einer in großem Umfange betriebenen Buch­druckerei und Buchbinderei, hauptsächlich in sehr ausgchehnten Grundeigen­thumsspekulationen und Häuserbauten bestanden. Vor mehreren Monaten verfiel er in eine Gemüthskrankheit, die seine Aufnahme in eine Heilanstalt nöthig machte, aus der er vor einigen Wochen nur anscheinend gebessert wieder zurückkehrte. Er erschoß sich in seinem Bureau in der Redaktion der Reform, ohne vorher irgend welche Zeichen von außergewöhnlicher Aufregung gegeben zu haben. Ob die Angabe, daß seine Spekulationen ihn in augen­blickliche Verlegenheiten gebracht hatten, die Katastrophe richtig erklärt, ist sehr zweifelhaft, denn der Verst. war ein sehr reicher Mann (man sagt: mehrfacher Millionär) geworden. Banks hinterläßt keine Kinder. Seine Frau lebt im Irrenhaus«. Ein Skandalprozeß, den er wegen seiner häus­lichen Verhältnisse zu führen hatte, dürfte hauptsächlich die Gesundheit des Verst. untergraben haben.

Die Krönung in Moskau.

Moskau, 25. Mai. Die Verkündigung des Krönungs­tages durch Herolde wurde heute programmmäßig fortgesetzt.

Moskau, 27. Mai. (Privatdep. d. F. I.) Das Wetter war auf­geheitert. Seit Tagesgrauen umlagert die Volksmasse den Kreml und die Zugänge. Um 7 Uhr ertönen Kanonenschüsse. Das Volk bekreuzt sich und betet für langes Leben des Herrscherpaares. Das Manifest umfaßt sechs Foliobogen. Der an den Wladimirsaal stoßende Bojarenplatz ist provisorisch zum Speisesaal mit Eisendach verwandelt, die Wände sind mit Segeltuch roth gekantet worden. Hier speisen 300 Generale und Chefs der Truppen- theile. Auf dem Platz vor der Erlöserkirche, der mit dem Bojarenplatz durch eine gedeckte Treppe verbunden ist, wurde ein Eisenzelt in Form eines großen Saales, ebenfalls aus Segeltuch, der Plafond mit dem goldenen kaiserlichen Adler geziert, errichtet, hier speisen 600 Hof- und Staatwürden­träger.

Moskau, 27. Mai. Um 7 Uhr Morgens kündigten Artilleriesalven und allgemeines Glockengeläute die Krönungsfeier an. Die Umgebung des Kremls ist von früh Morgens sehr belebt und die nicht reservirten Räume

(Nachdruck verboten.)

Der Sohn des Göerwirths.

Kiminal-Nowelle von Karl Zastrow.

(Fortsetzung.)

Martin richtete sich im Bette auf und lauschte nach dem Fenster hin. Noch ein paar Mal wiederholten sich die Schüsse, allein diesmal klangen sie ferner und leiser, dem verhallenden Donner gleich.

Diese Hallunken!" murmelte der Knecht,sie scheinen heut ganz in der Nähe zu wildern. Na ich erleb's noch, daß das ein Ende mit Schrecken nimmt."

Er legte sich auf die andere Seite und indem er sich mit einem ge­wissen Behagen dem Gedanken hingab, daß es im Grunde genommen doch tausend Mal besser sei, ein schlichter Knecht mit schwerer Arbeit und leichtem Gewissen, denn ein Wilderer mit weniger anstrengender Beschäftigung und schuldbeladener Seele zu sein, schloß er die Augen von Neuem und begann laut zu schnarchen.

Die Pferde standen aufrecht vor den Krippen, stampften den strohigen Grund und wieherten laut, als Martin erwachte und sich die Augen rieb. Die Morgensonne lachte zum Fenster hinein. Er sprang auf und sah mit wirren Blicken um sich.Ei Martin!" brummte er, indem er in die Holz­schuhe fuhr,passirt Dir das auch einmal, daß Du die Zeit verschläfst?...

Na . . . wenn der Alte merkt, daß ich noch nicht gefüttert Hab', so krieg ich Grobheiten auf den Hals! Er ergriff den Stalleimer und trat auf den Hof hinaus. Während er raschen Schrittes auf den in der Mitte befindli­chen Brunnen zuging, warf er einen Seitenblick auf das Parterrefenster des nach dem Hose zu belegenen Schlafzimmers.

Das ist ein Glück!" murmelte er vor sich hin,die Fenster sind noch geschlossen. Der Alte hat heute entweder die Zeit verschlafen, oder er sitzt bereits fix und fertig angekleidet auf dem Sopha und frühstückt mit dem Herrn Sohn! Da hat er heut' 'mal kein Aug' für unsereinen."

Er ließ den Pumpenschwengel mit einer gewaltigen Kraftanspannung durch die Luft sausen und wuchtig strömend und schäumend stürzte das '"Wasser in den Eimer. Eben wollte er den letzteren abheben und sich nach dem Stall zurückbegeben, als es ihm plötzlich war, als habe ein gedämpfter Schrei, aus dem Innersten des Hauses herklingend, sein Ohr berührt.

Die Hühner und Enten gackerten und schnatterten vor der Hofthüre, wo sonst in aller Frühe bereits das Futter ausgestreut lag und auch die Tauben und Sperlinge, welche sich unter das Hofgeflügel gemischt hatten, stimmten in das geräuschvolle Concert ein. Der Knecht starrte einen Augen­blick sinnend in die aufrührerische gefiederte Welt. Dann schüttelte er den Kopf, setzte langsam den Eimer auf die Erde und schritt auf die Hofthüre zu mit den Worten:

Da drinn' im Haus ist was passirt, mag's nun etwas Gutes oder Schlimmes sein, aber passirt ist was! Wenn der Alte auch die Zeit ver­schläft , und mit dem Sohn, mit dem er spinnenfeind seit Jahren ist, zu­sammen frühstückt, das ist noch lang nicht so wichtig, als daß die Liese noch