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später der eigene Haushalt anlegen wird. Damit solle freilich nicht gesagt sein, daß das moderne Stromerwesen und Vagantenthum so edler Natur sei, daß man es nicht bekämpfen und verdrängen müsse. Es solle auch nicht gesagt sein, daß das Wandern auf dem Handwerk noch dieselbe Bedeutung habe wie ehemals und nicht durch die neuere Form des Reifens mit einem bestimmten Ziel ersetzt werden könnte. Es wolle nur gesagt werden, daß man mit dem Unkraut nicht auch zugleich den Waizen ausrotten dürfe, daß man hinter der Entartung einer ursprünglichen Regung des Volksgeistes noch den guten Kern erkennen und schonen möge. Auch der schweizerische Handwerker sehe sich in der Fremde um und habe es nöthig, um nicht von der fremden Konkurrenz gänzlich überflügelt zu werden. Eine vorsichtig einge-. schränkte Unterstützung möglichst allgemein zu machen, wird als moralisch unanfechtbares Hauptmittel gegen das zudringliche Vagantenthum bezeichnet; also bescheidene Ortsgeschenke, deren Ausgabestellen nicht zu nahe aneinander- liegen, und an größeren Stationen Naturalverpflegung. Sobald es eine saure und mühsame Arbeit wird, fechtend das Land zu durchstreifen und dadurch seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, sobald werden auch Tausende von diesem fruchtlosen Treiben zurückkommen und seine Anziehungskraft muß verschwinden. _
Tages. Neuigkeiten.
Stuttgart, 20. Febr. Der freche Bursche, welcher 7 Pferde des Eilgutbeförderers Kormann durch Abschneiden der Schweife entstellt hatte, ist gestern Mittag schon durch Schutzmann Lipps in der Bardilisichen Brauerei zwischen zwei Bund Stroh versteckt in der Person des etwa 36jährigen Johannes Lehner, auch Baier-Hans genannt, verhaftet worden. Lehner betreibt das Haarschneiden der Pferde, soll aber noch nicht bei Kormann thätig gewesen sein. Als Motiv gibt er Mangel an Geld an. Die Haare hatte er für 3 bei einem Bürstenmacher in der Gartenstraße verkauft.
Brackenheim, 17. Februar. Kaum haben wir uns von unserem Feuerschrecken etwas erholt, so folgte gestern Abend 8Vz Uhr Zaberfeld nach, wo ein lOstündiger Brand 2 Scheuern, 1 Scheuernanbau und 1 Schuppen in Asche legte, während 1 Wohnhaus, 1 Hausanbau, sowie 1 Scheuer beschädigt wurden. Die abgebrannten Scheuern, Eigenthum des Jakob und Johannes Ott, waren mit Vorräthen dicht gefüllt., und es ist ein Glück zu nennen, daß das Feuer nicht weiter um sich griff. Von auswärtigen Löschmannschaften kamen zu Hilfe Güglingen, Weiler, Leonbronn und Michelbach. Der Schaden beträgt an Gebäuden ca. 3000 an Vorräthen, die versichert sind, ca. 1000 <16,
Sigmaringen, 19. Febr. R. Wagners Tod wurde auch im f. Hoftheater gedacht. Bei der gestrigen Vorstellung trug das Orchester das Vorspiel zu Parsifal vor. Der Eindruck, den das ausgezeichnet einstudirte Werk auf die Zuhörer hervorbrachte, war von unverkennbarer, mächtiger Mirkung. Es war als ob ein anderes Orchester, andere Instrumente, als sonst, da seien. Kapellmeister I. Lang, unter dessen vortrefflicher Direktion unsere Orchestervorträge entschieden gewonnen haben, hat sich hierdurch wie überhaupt durch die Pflege klassischer Musik entschiedenes Verdienst erworben.
Sigmaringen, 16. Febr. Seit einigen Jahren, namentlich aber im Gegenwärtigen, bemerkt man auf dem Weg zwischen hier und Oberschmeien an einzelnen Stellen, noch mehr aber auf dem Bahnkörper auf den Schwellen da wo die Schienen befestigt sind, fahlblaue Flecken, wie wenn Schmiergel oder feine Feilspähne dorthin gestreut wären. Bei näherem Beschauen sind es jedoch Millionen kleiner Insekten, die, dicht aufeinander gehäuft, so daß man sie mit einem Löffel abheben kann, scheinbar daliegen, nichtsdestoweniger aber in beständiger, lebhaft hüpfender Bewegung sich befinden. Die Thierchen haben eine Länge von etwa r/z Millimeter, schwimmen auch lustig auf dem Wasser, verursachen auf der Haut ein kurzes, kaum merklich stechendes Gefühl, Hüpfen mit Blitzesschnelle von der Hand ab und verbreiten in größerer Menge zerdrückt, einen faulenden Eiern vergleichbaren Geruch. Auch die Bahnwärter versichern, auf anderen Bahnstrecken solche Insekten noch nie gesehen zu haben. Die Thierchen traten bislang im Monat Febr. plötzlich auf, blieben 3—4 Wochen am Leben und verendeten dann am Ort
ihres Erscheinens ebenso schnell, wie sie kamen, einen Flecken wie von dunkel» violeter Tinte zurücklaffend.
Bayreuth, 19. Febr. Um 4 Uhr begann die Leichenfeier Wagne r's. Turner und Feuerwehr hielten die Ordnung aufrecht. Unter den Klängen des Siegfriedmarsches erfolgte vor dem Bahnhofe die Aufbahrung. Namens der Stadt hielt Bürgermeister Muncker die erste Rede mit dem Ausdruck des Schmerzes über den Verlust. Er sprach von der Liebe aller Bayreuther zu dem entschlafenen Meister und legte einen Kranz auf den Sarg nieder. Sodann sprach der Vorsitzende des Verwaltungsraths der Bühnenweihfestspiele Feustel, welcher insbesondere den Pflichten Ausdruck gab, welche das Andenken Wagner's auflege, zumal die Wiederholung des „Parsifal" betonte und mit den Worten schloß: „Ich danke Dir von Herzen für das, was Du geschaffen hast! Es ist vorauszusehen, daß Jahrhunderte Dich nennen werden, daß man Dich hier suchen wird. Ruhe sanft!" Ein erhebendes Grablied beschloß diesen Theil der Feier. Nunmehr formirte sich der Zug, der von einer Abtheilung Feuerwehr eröffnet wurde. Trauerherolde und Kränze tragende Deputationen folgten, dann Wagen mit Kränzen, der Leichenwagen mit vier Rappen bespannt, der Sarg mit dem kostbaren Kranze des Königs Ludwig geschmückt; zur Seite die Bahrtuchträger, und Feuerwehrleute mit Flambeaux. Dem Leichenwagen folgte die gesammte Geistlichkeit Bayreuth's und der Vertreter des Königs von Bayern , Graf Pappenheim. Von der Familie wohnte diesem Theile der Feier Niemand bei. Es folgten sodann die nächsten Freunde des Hauses und Deputationen von Städten und Künstlergenossenschaften, das Offizierkorps vom 7. Infanterie- und vom 6. Chevauxleger-Regiment, die Spitzen der Behörden, die Gemeindevertretung, die Bürgerschaft von Bayreuth in langem Zuge. In der Villa „Wahnfried" waren nur etwa 100 besonders geladene Personen zugelassen. 12 Bürger trugen den Sarg in die Gruft. Die Bahrzipfel hielten hier die drei Kinder Wagner's. Die Einsegnung der Leiche war kurz, aber in hohem Grade rührend; Alles schluchzte bei dem letzten Abschied.
Luzern, 17. Februar. Die Betriebs-Einnahmen der Gotthard- Bahn im Januar betrugen für den Personen-Verkehr 200,000 Franken, für den Güter-Verkehr 430,000 Franken; die Betriebs-Ausgaben im Januar betragen 412,000 Franken.
Konstantinopel, 15. Februar. Während des Gottesdienstes am letzten Freitag in der Sultan - Achmed - Moschee bestieg der Imam die Kanzel, das Gebet für den Sultan herzusagen, als plötzlich ein Sofia, der ihm bis zu den Stufen der Kanzel gefolgt war, ihm mit einem Dataghan, den er in den Falten seines Gewandes verborgen hatte, unter dem lauten Ruf: „Was! Du willst für einen Mann beten, der dieses Land in's Verderben stürzt!" den Kopf spaltete. Die Gemeinde schien vor Entsetzen starr der Mörder stieg gemächlich von der Kanzel herab und entfernte sich. Er wurde später von der Polizei verhaftet und auf Befehl des Sultans nach Mldiz Kiosk gebracht, wo er, während seines Verhörs in Gewahrsam ge- halten wird. ___
Vermischtes.
— Seit Freitag wüthet über England und Schottland wieder ein von unaufhörlichen starken Regengüssen begleiteter heftiger Sturm, der zu Wasser und Land zahlreiche Unfälle verursacht hat. In der Aberdeenbay, unweit Donmouth, scheiterte das Schiff Tasmania. Die 21 Köpfe starke Mannschaft wurde mit großer Mühe durch den Raketen-Apparat gerettet. In der Runde von London wurden viele Häuser entdacht, Bäume entwurzelt und Schornsteine niedergeweht. Der Home Park in Windsor gleicht einem See. In Kingston und andern Dörfern an der Themse stehen viele Häuser bis zum obersten Stockwerk unter Wasser. Aus Somersetshire und andern Binnenprovinzen werden ebenfalls verheerende Ueberschwemmungen gemeldet.
— Die Deutschen in Petersburg haben für die Ueberschwemmten am Rhein 20,000 gesammelt.
Gemeinnütziges.
— Um Stangenbohnen recht lange blühend und tragbar zu erhalten, ist folgendes Mittel zu empfehlen. Sobald die unteren Blätter beginnen welk zu werden, was dann auch bald an dem Blütenansatz der
Die Dame hatte im Lauf des Gesprächs allmählich ihre Fassung wieder erlangt und schlug jetzt mit ziemlich ungezwungener Freimüthigkeit das Auge zu dem erregten Manne auf, als ob sie mit einein guten Freunde rede. Sie mußte alles daran setzen, um ihren Plan durchzuführen. Wales doch eigentlich nur wenig, was sie bei dem Wagniß zu verlieren hatte, während sie viel zu gewinnen hoffen durfte.
„Ter Herr Graf kennen die Domestiken nicht," sagte sie mit einer vornehmen Geberde; „Sie wissen nicht wie sie unter einander zusammen halten. Dazu sind sie klatschsüchtig und wenn einer von ihnen aus dem Dienste geschickt wird, so wissen sie allerhand Vermuthungen aufzustellen, welche ihnen den wahren Grund ersetzen müssen. Wenn der Herr Graf den Verwalter fortschicken und es dringt auch nur der Funke von einer Ahnung darüber zu jenen Menschen hinab, was die Veranlassung hierzu gewesen sei, so wird es einen Eklat geben, wie ich ihn nicht wünschen möchte. — Es sind nicht alle Herrschaften so abgeschlossen gegen die Zuträgereien der Dienstboten, als der gnädige Herr Graf," setzte sie mit bedeutungsvollem Kopfnicken hinzu.
Der Graf hatte aufmerksam zugehört; was er in der Heftigkeit seines Zornes übersehen, die Dame hatte es vollständig getroffen. Wenn er den Verwalter fortjagte, konnte es einen Eklat geben, der ihn in den Kreisen des Adels völlig unmöglich machte und was — ein plötzliches Zucken in seinem Gesicht verrieth die Heftigkeit seiner Erregung, was wäre dann aus seinen Plänen mit dem Grafen Jrtvany geworden? Bei der ersten Kunde von einer auch nur vorübergehenden Neigung seiner Tochter zu dem niedrig stehenden Mann wäre jener s-fort zurückgetreten. — Aber was war da zu thun? Der Schlag hatte sein Herz und noch mehr seinen Stolz und seinen
Verstand so plötzlich und hart getroffen, daß er wirklich fühlte, wie die ruhige Ueberlegung ihn verlassen habe. Die, die Ehre seines Hauses so schwer kompromittirende mögliche Aussicht, welche ihm die Gelellschaftsdame jetzt vorstellte und welche nur allzu sicher eintreten mußte, wenn auch der Verwalter über den Grund seiner Entlassung wirklich reinen Mund gehalten hätte, verwirrte den sonst so kalt berechnenden, seinen Leidenschaften gebietenden Mann so völlig, daß er, vielleicht das erste Mal in seinem Leben, unter der Last der Verhältnisse sich beugen mußte und eines fremden Rathes zu bedürfen schien. Ein unterdrückter Seufzer entstieg seiner Brust und mit völlig veränderter Stimme frug er die, wie mitleidig zu ihm aufblickende Dame:
„Und haben Sie, Fräulein Ilona, eine Meinung, wie dem vorzubeugen sei?"
Fast hätte die Dame ihren Triumph darüber verrathen, daß sie schneller, als sie gedacht, als sie auch nur zu hoffen gewagt, ihr Ziel erreicht habe. Nur mit Mühe nnterdrückte sie die, in Auge und Stimme aufquellende Freude, als sie, bescheiden das Auge senkend, in demüthigstem Ton versetzte:
„Der Herr Graf sind sehr gütig. Wenn ich meine bescheidene Ansicht aussprechen darf, so halte ich es für geeigneter, den Verwalter da zu lassen und die Gräfin auf einige oder auch auf längere Zeit zu entfernen, bis entweder sich ein anderer Grund für die Entlassung des Verwalters fände, oder, was ohne Zweifel das sicherste wäre, Gräfin Irma sich entschlösse, standesgemäß zu heirathen."
(Fortsetzung folgt.)