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baren natürlichen Einflüssen bedingt ist und dadurch aufs Stärkste die Spekulation anlockt. Bleibt die inländische Ernte weit hinter «dem Bedarf zurück, so ist die Einfuhrspekulation Herrin des Marktpreises und man zahlt ihr unweigerlich das Zehn- und Zwanzigfache der Steuer, die man dem Staate neidet. Genau so haben die Berliner Miether in den Jahren 1872 bis 1874 ihre Miethsteuer zehn- und mehrfach der Häuserspekulation bezahlt. Wenn nur die Hälfte des Scharfsinns und guten Willens, welche aufgeboten wird, die Bevölkerung gegen ihren nothwendigen und nützlichen Beitrag zu den Staatskosten zu verhetzen, darauf verwendet würde, wie sich ohne Beeinträchtigung des gesunden und redlichen Erwerbs solcher Ausbeutung der Massen — zu Gunsten Einzelner — Vorbeugen ließe, würde dem „armen Mann" wahrlich ein besserer Dienst geschehen. So lange aber die Spekulation auch in den nothwendigsten Lebensbedürfnissen freien Lauf hat, nimmt sie genau so viel, als sie herauszupressen vermag, und sie würde den bescheidenen Steuersatz des Staates dazu nehmen, wenn dieser darauf verzichten wollte.
Spanien.
Madrid, 13. Nov. Die Entbindung der Königin von einem Mädchen hat einige Tage früher als erwartet stattgefunden. Bekanntlich war das erste, im I. 1880 geborene Kind des Königs gleichfalls eine Tochter; um nun dem Lande einen männlichen Thronerben zu gewinnen, wurden seit nahezu 3 Monaten von den Priestern aller spanischen Kirchen täglich Gebete an die Jungfrau Maria und alle Heiligen gerichtet, der Königin einen Sohn zu schenken. Es hat aber nichts genützt, das Kind war eine Tochter. Die Bekundung des Personenstandes fand in der südlichen Weise statt, der König präsentirte den im Vorzimmer harrenden Ministern und Staatswürdenträgern das leicht umhüllte Kind auf einem silbernen Teller, der Ministerpräsident schlug den Schleier zurück, um sich zu überzeugen, daß es eine Tochter war, und der Justizminister nahm das übliche Protokoll darüber auf. Damit war die Zeremonie beendet, die etwas unter dem allseitigen Gefühl der Enttäuschung litt.
England.
London, 18. Nov. Die Königin hielt heute auf dem Horseguard- platz Parade über das aus Egypten zurückgekehrte Armeekorps einschließlich einer Marinebrigade und einer Deputation des indischen Contingents, zusammen 8000 Mann, an der Spitze General Wolseley, ab. Große Volksmassen begrüßten die Truppen enthusiastisch.
Aegypten.
Kairo, 18. Nov. Nach einer Havasmeldung wird der Prozeß Arabi suspendirt, bis die Regierung über die Absichten Englands unterrichtet ist. Dieselbe würde vorziehen, auf die Fortführung des Prozesses zu verzichten, falls der Urtheilsspruch angefochten werden sollte. Gerüchtweise verlautet, die egyptischen Truppen in Suez, welche nach Suakin abgehen sollten, hätten eine Meuterei angestiftet und geweigert, sich einzuschiffen.
Tages-Iteuigkeitei».
Calw. Wie verlautet, wird in nächster Zeit in einer allgemeinen Versammlung des Gewerbe-Vereins die Heilbronner Petition an den Reichstag — betreffend Besteuerung der Hausirer und namentl. auch der Detail-Reisenden, sowie ihre Beiziehug zu den Gemeinde-Umlagen — zur Verhandlung kommen und es sollen dabei Unterschriften für den Anschluß an diese Petition gesammelt werden.
— Von dem Fürsten zu Waldburg-Wolfegg und Waldsee ist auf die Pfarrei Unterschwarzach, Dekanats Waldsee, der bisherige Pfarrer Fr. Joseph Riedmüller von Röthenbach, desselben Dekanats, patronatisch ernannt worden.
>V6. Stuttgart, 18. Nov. Sicherem Vernehmen lnach wird im Laufe des morgenden Tags das Regierungsblatt ausgegeben werden, welches das Königliche Dekret über die Vornahme der allgemeinen Wahlen zur Kammer der Abgeordneten im ganzen Lande und zwar auf den 20. Dezbr. enthalten wird. Wir werden in Nächstem ein Verzeichniß derjenigen (Kandidaturen bringen die bis jetzt als zuverlässig bekannt worden sind, wobei aber insofern immer noch einige Aenderungen vor sich gehen können, als es öfter
vorkommt, daß Jemand seine bereits angenommene unter veränderten Um* ständen wieder zurückzieht. Von den 7 guten Städten ist bis jetzt nur eine und zwar die kleinste, Ellwangen, ohne bestimmten Candidaten; von den 63 Oberamtsbezirken nur 5; nämlich Ellwangen, Leonberg, Leutkirch, Saulgau und Spaichingen, und bei diesen ist mit großer Wahrscheinlichkeit, wenigstens bei Leonberg, Saulgau und Spaichingen anzunehmen, daß die bisherigen Abgeordneten wieder Wahlbewerber sein werden. Ueberhaupt ist man der Ansicht, daß das schließliche Wahlergebniß keine namhafte Linderung in der Zusammensetzung der Kammer nach den politischen Parteistandpunkten bringen werde.
Reutlingen, 17. Nov. Im Laufe dieser Woche fand eine zahlreich besuchte Versammlung hiesiger Bürger aller Stände und Parteien statt, um über die Aufstellung eines Kandidaten als Abg. für unsere Stadt Beschlüsse zu fassen. Allgemein kam der Wunsch zur Aeußerung, es möchte unser Stadtschultheiß Benz gebeten werden, das Mandat von Reutlingen wieder zu übernehmen. In der gleichen Versammlung wurde eine Deputation aus 8 Männern gewählt, um demselben den Wunsch der Bürger zu unterbreiten. Diese begab sich gestern Mittag auf das Rathhaus. Zu allgemeiner Freude hat Stadtschultheiß Benz die Annahme des Mandats für unsere Stadt zugesagt und versprochen, in einer demnächst anzuberaumenden Versammlung die Gründe und Motive zu entwickeln, welche ihn bei Annahme und Ausübung des Mandats zur maßgebenden Richtschnur dienen werden. Die Wiedererwählung unseres seitherigen Abg. Benz unterliegt keinem Zweifel; von Aufstellung eines Gegenkandidaten weiß man bis jetzt nichts. Für den Bezirk Reutlingen gewinnt immer mehr Kaufmann Wendler aus Gomaringen an sicherem Boden, sowohl oberhalb als unterhalb der Steig. Seine Erwählung wird ebenfalls mit überwiegender Majorität erfolgen, da ohnedieß auch für den Bezirk kein Gegenkandidat aufgestellt ist. Für dieses- mal scheinen also für Stadt und Bezirk die heftigen Wellenschläge einer erregten Wahlbewegung erspart zu bleiben.
Rottweil, 17. Nov. Ein Fechtbruder trat gestern Vorm, in einen Putzladen, um einen Zehrpsennig zu holen. Die Modistin öffnete die Schublade des Tisches, um ihm etwas zu geben, im selben Augenblick gab er ihr einige Streiche auf den Kopf und ins Gesicht, bemächtigte sich des beläufig 4 betragenden Inhalts der Lade, während die Getroffene ohnmächtig niedersank, und suchte das Weite; bis jetzt ist er noch nicht beigebracht.
Horb, 16. Nov. Soeben gelangt hierher die Nachricht, daß in Göppingen ein Individuum, auf das Signalement des Buß'schen Raubmörders paßt, festgenommen worden sei. Behufs Feststellung der Identität sind Seitens des Oberamtsgerichts mittelst Telegramms zwei Personen in Mühringen beordert worden, nach Göppingen zu reisen, um ihm dort konfrontirt zu werden. Bei dem einen derselben, Johann Albus, hat der Raubmörder sich vorher rasiren lassen, der Andere, Jakob Emele, Zimmermeister, hat ihn lang im Gasthaus zum Lamm beobachtet und wußte bei der Untersuchung die genauesten Angaben über ihn zu machen.
Von der Alb, 17. Nov. Unsere Alb hat seit vorgestern einen Eispanzer angelegt. Sämmtlicher Regen, welcher fiel, verwandelte sich sofort in Eis. Die Baumzweige und Grashalme sind mit krystallhellen Eismassen umgeben. Die ganze Oberfläche von Wald und Feld ist eine ununterbrochene Eisschichte. Gestern krachte es ,den ganzen Tag, wie wenn ein Manöver gehalten würde. Eine Menge Neste und Stämme ist schon gebrochen. Heute ist zwar Erwärmung eingetreten und ein Theil des Eisanhangs gefallen, allein es müßte mehrere Tage warm bleiben, bis die Bäume ganz frei würden.
Crailsheim, 17. Nov. Die Hoffnung, daß dem hiesigen Beziick bei der bevorstehenden Wahl ein Kampf erspart bleiben möge, da kaum die Wunden von der vorjährigen Reichstagswahl geheilt sind, scheint sich nicht zu erfüllen. Den Bemühungen einiger Mitglieder des hiesigen Volksvereins ist es, wie berichtet, gelungen, Rechtsanwalt Payer in Stuttgart zur Annahme einer Kandidatur zu bestimmen. Der bisherige Abg. Stadtschultheiß Sachs, veröffentlicht in dem heutigen Grenzboten sein Programm, gegen das auch von gegnerischer Seite kaum etwas wird eingewendet werden können.
Saulgau, 17. Nov. Gestern früh halb drei Uhr brannte das ziemlich große Wohn- und Oekonomiegebäude das Bauern Gottlieb Gebhart
Als endlich die Ruhe wieder hergestellt war, rief der Präsident den als Sachverständigen zugezogenen Förster Erdmann auf, und ersuchte ihn, d.ie Aussage des Angeklagten zu prüfen.
Dieser war offenbar über die Wendung der Sache verstimmt. Er hatte zuerst erklärt, daß die Kugel in den Lauf des Wilderers passe. Allein sdine Prüfung war eine kurze gewesen; der Wilderer hatte mit der-Angst des Todes und der Schmach die Kugel betrachtet. Gleichwohl war der Förster zu sehr Ehrenmann, um nicht einen leicht möglichen Jrrthum einzugestehen.
Er nahm die Kugel zwischen die Finger, wie es vorher der Angeklagte gethan hatte, und schien bei seiner Prüfung dessen Manipulationen genau nachzuahmen. Er warf einen sorgfältigen Blick durch den glänzenden Lauf des Gewehres, aus welchem der Wilderer geschossen hatte, ünd nachdem er nochmals die Kugel von allen Seiten betrachtet, sprach er laut und vernehmlich :
„Der Angeklagte hat Recht, die Kugel ist nicht aus diesem Gewehre gekommen!"
Die Gerichtsverhandlung war abgebrochen. Der Wilddieb saß wieder in seiner Zelle, denn noch war ja seine Unschuld nicht völlig erwiesen. Ein heiteres Hecheln breitete sich über dessen Gesicht, es konnte ja nicht fehlen, daß er nun bald aus seiner Haft entlassen würde.
Da klirrten die Riegel und der Untersuchungsrichter trat ein, mit wohlwollender Miene den Gefangenen betrachend.
LeMtzr erhob sich und trat auf den Eingetretenen zu.
en Sie nun, daß ich unschuldig bin, Herr Kriminalrath?" fraM 1 weicher.Stimme.
„Ja, ich glaube es," war die Antwort, allein es ist nöthig, daß Ihr uns weiter helft."
„Wie kann ich das, Herr Kriminalrath?"
„Könnt Ihr Euch auf die Richtung des Schusses besinnen, als Ihr den Hirsch gefehlt habt?"
„Ich glaube es zu können. Aber warum das?"
„Dann müßte sich ja wohl Eure Kugel finden lassen!"
Ein blitzähnliches Leuchten des Verständnisses zuckte über das Gesicht des Wilderers.
„Ja, wenn sie in einen Baum gefahren wäre!" sagte er nachdenklich.
„Ich glaube das mit ziemlicher Gewißheit annehmen zu dürfen. Die Bäume jenes Waldes stehen trotz ihrer Stärke ziemlich dicht und wenn Ihr nicht gerade nach einer Lichtung geschossen habt —"
„Der Hirsch stand gerade an der dichten Stelle," warf der Wilddieb raich ein, und in seinem Gesichte spiegelte sich die Hoffnung wieder, welche sein Inneres erfüllte.
„Wohlan, dann müssen wir suchen. Morgen früh werden wir uns in den Wald begeben."
Am andern Morgen fuhr der Untersuchungsrichter, von dem Revierförster Erdmann begleitet und von dem unter Bewachung befindlichen Wilddieb gefolgt, hinaus nach der Stelle, welche der Wilddieb als diejenige be- zeichnete, wo er auf dem Anstande gewesen sei; er bezeichnte den Baum, hinter welchem er gestanden, und gab mit großer Genauigkeit die Richtung an, in welcher er geschossen habe.
(Fortsetzung folgt.)
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