282
Dimensionen an, daß nachdem die Versuche der Offiziere, die Ruhe herzustellen, mit Hohnlachen beantwortet wurden, ein Bataillon Infanterie mit Feuerwaffen einschreiten mußte und nach heftigem Kampfe erst, in welchem auf beiden Seiten starke Verwundungen vorkamen, die Unruhestifter verhaften konnte.
(Eingesandt.)
Heinrich, mir graut's vor Dir! so möchte man ausrufen, wenn man bedenkt, welcher Cynismus von einem Theil unseres dermaligen Reichstages zur Schau getragen wird. Dian kann ja über die Wirtschaftspolitik des Reichskanzlers urtheilen wie man will und Gegner der herrschenden Regierungsansichten wird es allzeit geben, nicht zum Nachtheit derselben, denn je mehr Angriffe die Gesetzesvorlagen zu gewärtigen haben, desto vollkommener werden sie sich entwickeln, wenn aber wie es in der letzten Sitzung des Reichstages anläßlich der zweiten Debatte über das Tabaksmonopol geschah, bei dem Appell seitens des Fürsten Bismarck an die heiligsten Güter des Deutschen, nemlich „den nationalen Gedanken nicht in Verfinsterung geratheu zu lassen", die Linke durch Zischen antwortet, so muß man sich fragen, welche „Edlen der Nation" stellen wohl ihr Contingent für jene Reihen. Abgesehen von den verschiedenen Anhängseln der sog. Linken bildet immerhin die Fortschrittspartei den Tonmeister. Und welch jämmerliche Dissonanzen vermag ein Eugen Richter in seiner Gesinnungskapelle zu entlocken! Ohne Zweifel war es hauptsächlich die Fortschrittspartei, die jenes ominöse für den größten Theil der deutschen Nation Unwillen erregende Zischen verursachte. Wie lange wollen eigentlich diese Männer noch so „fortschreiten" ? Ehe ein Paar Jahre in's Land gegangen sind, stehen wir bei der französischen Kammer an, allerdings mit dein einen aber desto gravirenderem Unterschiede, daß an der Seine der nationale Gedanke, die Besorgniß um den Staat als Ganzes — wenige Schreier ausgenommen — jeden Parteihader zurückdrüngt, während in Berlin bei derartiger Gelegenheit die Kirch- thurmspolitik der Fraktion, bezw. Fraktiönchen, der Haß gegen die Vertreter des leitenden Staatsgedankens sich in unheimlicher Weise breit macht. Weit entfernt hier eine Lanze für das so viel geschmähte Monopol zu brechen, vielmehr ist es Zweck dieser Zeilen, den, jeder Bildung und Anstand entbehrenden Oppositionsgeist, wie er sich namentlich bei Richter und Consorten herausgebildet hat, zu illustriren. Und welche Verdienste gegenüber dem Kanzler vermag die Fortschrittspartei, vermag hauptsächlich der Referendar a. D. in die Waagschale zu legen? Kein Gewicht wäre dürftig genug auch nur annähernd deren Schwere zu versinnbilden. Außer der allzeit schlagfertigen Phraseologie hat jene Partei auch nicht einen positiven Baustein zur Herstellung des deutschen Einheitsgebäudes beigetragen, nichtsdestoweniger aber hat sie sich zur Aufgabe gestellt, Fürst Bismarck bei jeder Gelegenheit zu discreditiren, die Mehrzahl der Deutschen in geradezu unverschämter Weise ins Gesicht zu schlagen, nicht etwa durch fein pointirte Redensarten und dergl., nein in einer Sprache, wie man sie zu hören nur in den vulgärsten Kreisen gewöhnt ist. Der Begriff des polnischen Reichstages ist landläufig geworden, vergessen wir aber nicht, daß auch unser Reichstag von den künftigen Historikern in's wahre für uns sicherlich wenig schmeichelhafte Licht gestellt werden wird. Mehren sich ja täglich die Stimmen in der ausländischen Presse gegen die Art und Weise des Auftretens seitens des keine Grenze kennenden Oppositionsgeistes, verkörpert in dem bis jetzt unübertroffen und in seiner Manier nächstens zur Mythe gewordenen Richter. Was Wunder also, wenn die letzten Reden Bismarcks wie schmerzliche Abschiedsworte tönten! Der Mann, der in so wahrhaft staunenswerther Weise die heutige politische Constellation Deutschlands kommen sah, weiß wohl nur zu gut, wohin wir gerathen, sollte dieser Parteihaß, die vollständige Verkennung jeglichen Einheitsgedankens noch weiteren Mitgliedern des Reichstages sich bemächtigen. 2.
Tages-Neuigkeiten.
Stuttgart. 17. Juni. Von der katholischen Kirchenbau-Lotterie fiel der zweite Gewinn von 10,000 Mark einem Fabrikarbeiter in Cannstatt zu. Den dritten Preis von 1000 Mark erhielt ein Johann Zeltner in Abtwil (Schweiz), den 4. Preis von 500 Mark ein Fabrikarbeiter hier.
Auch der 5. Preis (500 Mark) ist einen« anscheinend dem Arbeiterstande angehörigen Alaune zugefallen.
Tübingen, 10. Juni. In der Neckargasse wollte gestern Abend ein Anfangs der Fünfziger stehender geachteter hiesiger Bürger, Drehermeister Bozenhardt, auf einer Leiter stehend, einen Schild an seinem Geschäftslokal anbringen, wobei die Leiter unglücklicher Weise brach und der Mann herabstürzte. Wie man hört, hat derselbe bei dem Sturz beide Füße gebrochen, doch soll sein Befinden vorerst ein den Umständen nach befriedigendes sein.
U l m, 10. Juni. Die für Morgen Vormittag in Aussicht genommene Parade der württ. Garnison vor Sr. Maj. dem König ist heute abbestellt morden. Heute früh 8 Uhr fand in der Friedrichsau eine Vorparade statt. — Wie wir hören, beabsichtigt der hiesige Gewerbeverein die bayr. Landesgewerbeaussiellung in Nürnberg zu besuchen und wenn thunlich von hier aus einen Extrazug zu arrangiren, dem sich auch andere Gesellschaften anschließen könnten.
Heidelberg, 10. Juni. Gestern Abend 7>/s Uhr ereignete sich t auf dem Neckar unterhalb Schlierbach ein höchst beklagenswerther Unglücksfall, s Verschiedene Mitglieder einer studentischen Corporation, welche eine Tour gemacht hatten, hatten ein Boot gemietet, um von Schlierbach nach Heidelberg zurückzufahren. Dicht unterhalb Schlierbach gerade gegenüber der letzten Bootstation wollte der Bootsmann trotz des Abrathens eines der Insassen über den einen Steindamm hinweg — der Wasserstand war ziemlich hoch — ^ in das freie Strombett fahren. Dabei lief der Kahn mit Heftigkeit auf die Steine des Dammes auf und neigte sich in höchst bedenklicher Weise auf die linke Seite. Der Bootsmann, welcher aufrecht stand, stürzte in den Fluß, der Stockhagen folgte ihm nach und ohne den Kahn flott machen zu können, sahen die Insassen, welche selbst in Lebensgefahr schwebten, den Unglücklichen stromabwärts schwimmen. Die ganz nahe stationierten Schiffer hatten den Unfall schon vorher gesehen und sprangen sofort in die Boote. Der Arme mar schon in die Nähe des Dammes geschwommen und hatte dort Grund gefaßt. Der erste der zu Hilfe eilenden Schiffer war kaum noch 10 bis 15 Schritte von dem Unglücklichen entfernt, da entriß die Stärke der Flut demselben den Boden unter den Füßen und er sank. Den suchenden Schiffern war es unmöglich, seinen Körper sofort aufzufinden. Der Schiffer, Namens Ueberle, ! ist ein Witwer von über 70 Jahren und hinterläßt eine erwachsen Tochter, t
Berlin, 15. Juni. Der Kaiser erwies, wie schon gemeldet, heute ! dem Reichskanzler die Ehre, bei ihm zu speisen. Außer der Fürstin und ^ dem Grafen Wilhelm v. Bismarck, sowie den Flügeladjutanten Grafen Bran- denburg und Lehndorff waren unter anderen Graf Paul Hatzfeldt, Unter- i staatssekretär Dr. Busch, Graf Waldersee, Freifrau v. Spitzemberg, die j Wittwe des kürzlich verstorbenen württembergischen Gesandten, zur Tafel ge- ! laden worden. >
Linz, 15. Juni. Im Parke des dem Grafen Coudenhove gehörigen Schlosses in Ottensheim, eine Stunde oberhalb Linz am linken Donau-Ufer gelegen, wurden heute zwei elegant gekleidete und hübsche junge Damen erschossen aufgefunden. Jede der beiden Leichen hatte einen Schuß in der Brust; die Gesichtszüge beider waren nicht im mindesten entstellt. Neben ! jeder lag ein kleiner Revolver. Die Damen waren Französinnen und hießen Albine Renneville und Marie dÄlmonte; sie sollen der französischen Botschaft j in Wien nicht unbekannt sein. In der Nacht wußten sie in den versperrten und von einem Hunde bewachten Schloßpark zu dringen; um Mitternacht feuerte eine von ihnen einen Revolverschuß durch ein Fenster in eine ebenerdige Wohnung des Schlosses; das Projektil wurde aufgefunden. Hierauf erschossen sie sich selbst. Im Schlosse hatte man von dem traurigen Vorfall keine Ahnung. So viel bis heute bekannt war Frl. d'Almonte die Tochter einer französ. Schauspielerin, hatte in Paris auf kleineren Bühnen Operettenrollen gesungen und war zwecks Ausbildung nach Wien mit oben genannter Renneville gekommen. Dort lernte die d'Almonte den minderjährigen Grafe» Coudenhove kennen und lieben. Einer gesetzlichen Verbindung stellten sich Hindernisse entgegen und als Frl. d'Almont sich Mutter fühlte nahm der Graf Coudenhove keinen Anstand das Kind auf seinen Namen „Heinrich" tau- s fen zu lassen. Das Kind wurde nach Alencon gebracht und in ausreichender Weise versorgt. Hinterlassene Papiere der Beiden zufolge legen den Grund des Selbstmords klar und daß Frl. Renneville sich freiwillig entschlossen habe § mit ihrer Freundin zu sterben. s
Sie konnte nicht Rast noch Ruhe vor dem niederschmetternden Druck ihrer Angst finden. Ihre Hoffnung beruhte auf Cyrill's Brief. Dieser konnte aber erst in einigen Tagen kommen, und wie sollte sie die langen Stunden unaufhörlicher Spannung ertragen?
Endlich kam der Brief.
Mit welchem Herzklopfen beobachtete sie des Schiffes Heransegeln an die Werste. Unfähig zu warten, eilte sie in das Postbureau. Hier gab man ihr bald das Schreiben.
Sie eilte zurück, vor Aufregung zitternd. Zu Hause angekommen, flog sie in ihr Zinimer, und riß den Brief auf.
Er lautete wie folgt:
Mein theuerstes Lieb! Ich hoffte, im Stande zu sein, Dir Worte des Trostes und der Liebe zu senden, aber die Aussichten sind dunkler, als meine ärgste Furcht sie erwartet hatte.
Die ganze Stadt hält meinen Vater für schuldig. Juda Murdock träufelt ihr jeden Morgen seine giftigen Lügen durch eine Zeitung ein, mit der er sich in Verbindung gesetzt. Mein armer Vater hat nichts zu hoffen.
Ich habe ihn gesehen, aber Alles ist trüber als je. Er ist ruhig und gefaßt, aber der Gefahr bewußt, die über seinem Haupt schwebt. Er kann keine Aufklärung geben. Und was das Schlimmste, er ist durch irgend einen geheimen Grund, den ich nicht aufzufinden vermag, zum Schweigen verpflichtet. Er kann nichts sagen, nichts aufklären, selbst mir nicht. In Bezug auf das Mädchen ist er gänzlich stumm. Er verweigert jede Erklärung in Betreff seines, neben dem Leichnam gefundenen Hutes. Er will nicht angeben, wo er gewesen, als die schreckliche That geschah.
Er ist stumm, und weigert sich, die Ursache seinetz^Schweigens zu nennen. Er gibt keinen Wink, und sagt, daß er sterben wird, ohne eine Andeutung zu geben.
O Leila, die Qualen, die ich erdulde, übersteigen meine Kräfte.
Mit jedem Tage nimmt der allgemeine Glaube an seine Schuld zu. Ich fürchte, daß ihm keine Rettung mehr bleibt.
Was soll aus mir werdeu? Muß ich eine solche Sorge tragen? Muß ich meiner süßen Liebe auf immer entsagen? Gott allein weiß es.
Mein Vater ist schuldlos. Dies allein weiß ich. Dies ist «nein einziger Trost. Wäre er es nicht, ich würde wahnsinnig werden.
Lebe wohl, meine Leila! Ich schreibe Dir wieder. Ich will an der Hoffnung festhalten, bis sie mich auf ewig verläßt.
Dein Dich treu liebender
Cyrill.
10. Kapitel.
Kurz nachher ließ sich ein Besuch bei Miß Rawdon melden.
Es war Juda Murdock.
Ihr bekümmertes Aussehen würde jeden Andern gerührt haben; aber ein weiches Gefühl lag nicht in seiner Natur, und außerdem hätte er einem solchen nie zu Gunsten eines verhaßten Nebenbuhlers nachgeben können.
. Es überrascht Sie, mich zu sehen, Miß Rawdon.
' In der That.
Das Geschäft, welches mich zu Jhnm führt, ist leicht zu errathen. Ich kam mit dem Packetboot. Sie werden, wie ich vermuthe, Briefe erhalten haben. (Forts, folgt.)