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Wien, 9. Dez. Heute Abend brach im Ringtheater Feuer aus, welcher dem Vernehmen nach durch unvorsichtiges Umhergehen mit einer Spirituslampe auf der Bühne entstanden ist. Dar alle Räume des Hauses füllende Publikum flüchtete sich in unbeschreiblicher Verwirrung. Da die Ausgänge bei dem fieberhaften Drängen nicht genügten, wurde die Rettung mittelst Sprungtüchern und Feuerleitern bewerkstelligt Auf dem durch Militär obgesperrten Brandplatze spielten sich unbeschreibliche Jammerszenen ab. Bisher sind 120 anscheinend ohnmächtige, rauchgeschwärzte Personen in die nahegelegene Ret- lungranstalt übergetragen worden. Die Meisten derselben dürsten ihr Leben eingebüßt haben Die Vorstellungen in den übrigen Theatern sind beim Eintreffen der Unglücksbotschaft abgebrochen worden Es wurde Offenboch'r letztes Werk „Hoffmann's Erzählungen- gegeben; Mittag« um 12'/r Uhr hatte ein Matinee zu Gunsten der Untersiützung«- Socielät der Polizeibeamten Wiens für ihre Wittwen und Waisen stattgefunden.
Wien, 9. Dez. Die Zahl der Todten wird j tzt auf 450 geschätzt. Außerdem befinden sich in der Brandruine noch zahlreiche verkohlte menschliche Körper. Der Polizeikorridor ist mit Personen gefüllt, welche Vermißte anmelden. — Unter den agnoszirten Leichen befinden sich zahlreiche Studirende, Geschäftsleute, Einjährig-Freiwillige, viele Ehepaare. Der Gemeinderakh beschloß in seiner heutigen Sitzung sich der Waisen der letzteren anzunehmen. In der Schauspieler-Versammlung bei Jauner erklärte dieser, daß kleinere Schauspieler und Theater-Arbeiter ihre Gage für den Dezember ausbezahlt erhalten sollten. Die Entrüstung des Publikums über die Vorkommnisse, welche die Katastrophe zu solch' großen Dimensionen anwachsen ließen, ist in fortwährendem Steigen. Immer mehr stellt sich heraus, daß die schwersten Versäumnisse vorgekommen, welche ernsten Grund zu strafgerichtlicher Verfolgung geben. Die kürzlich nach dem Theatsrbrand in Nizza vom Ministerium des Innern erlassenen Sicher- heitsinstruklionen sind im Ringtheater gänzlich ignorirt worden. Es war weder Feuerwehr da, noch brannten Oellampen; die Sicherheitrthüren waren verrammelt; ein Mann zur Bedienung der Drahtcourtine fehlte. In der Verantwortung hiefür theilen sich die Theaterleitung, die Polizei und das Stadlbauamt. Graf Taaffe wird in der morgigen Sitzung des Abgeordnetenhauses eine ausführliche Erklärung hierüber geben. Fl. tO.OOO spendete das Kaiserpaar zur Unterstützung der verunglückten und bedrängten Theaterbediensteten. (Frkf. Ztg.)
Wien, 10. Dez. Die heute von Taasse über den Theater- brai, d abgegebenen Erklärungen haben insofern guten Eindruck gemacht, als darin keinerlei Beschönigung versucht, vielmehr zugegeben wurde, daß schwere, streng zu ahnende Nachlässigkeiten vorgekommen seien, welche die Größe des Unglücks bewirkt. Morgen Vormittag beginnt dar Begräbniß der Verunglückten mit der Bestattung von 44 agnoSzirten jüdischen Leichen. — Dre Gefahr des Zusammensturzes der Mauern des Ringtheaters ist so drohend, daß das Herausschaffen der Leichen bis nach der Du-.ch- süyrung der Sicherheits-Arbeiten sistirt werden muß. — Aus Paris wird gemeldet: Für die Verunglückten im Ringtheater zeichnete die Union gönürale 100,000 Fr., der Präsident 10,000 Fr, Madame Bontoux 5000, Unions-Direktor Feder 5000 Fr. Die genannte Bank eröffnet außerdem eine Subskription bei der gesammten Klientel.
Der Brand des Ringtheaters in Wien.
Was heute über die schreckliche Katastrophe bekannt, bringen wir übersichtlich zusamunngestellt wie folgt: Um 2/^7 Uhr war es, als die ersten Zuschauer durch das Hauptportal des Theaters mit dem Schreckensruse: „Feuer- auf die Straße stürzten. In demselben Moment drangen bereits uus den Fenstern des vierten Stockwerks auf der Frontseite des Theaters Rauchwolken. Im Innern des Theaters verloschen die Gasflammen und die bereits in ziemlich bedeulender Anzahl namentlich aus den Gallerten angesammeiten Zuschauer. welche schreckensbleich nach den Ausgängen drängten, waren mit einemmal im Dunkeln — ein Moment, dar den Schrecken und die Panik ins Entsetzliche steigerte. An den Fenstern machten Einige Miene, ohne Weiteres aus das Trottoir herabzuipringen. Unter
den auf der Straße Versammelten erhob sich dagegen ein wilder Lärm und die tausendfältigen Zurufe: „Noch warten — warten, die Feuerwehr kommt schon!" Er war ein Bild entsetzlichster Verwirrung Wir sahen einen Mann, der seiner auf dem Ballone befindlichen Gattin und Tochter, die händeringend nach dem Gatten und Vater herabblickten, ununterbrochen in den rührendsten LiebeSworten zurief, sie möchten noch einige Minuten Geduld haben und ja nicht den Sprung hinuntermachen, denn er sehe bereits die Löschmänner mit langen Leitern anrücken. Ein alter Herr, in feinen Pelz gehüllt, schrie wiederholt zum Balkon hinauf in französischer Sprache: „Julie, bist Du oben?- Er erhielt keine Antwort.. . Endlich erschien die Feuerwehr, die das Sprungtuch zuerst unter dem Seitenbalkon entfaltete, 84 Personen, Weiber und Kinder unter schrecklichem Geschrei, erst zaudernd, doch durch Angst getrieben, sprangen herab. Feuerwehrleute wurden sofort mit Fackeln in alle Räume des Theater« geschickt, um nach ohnmächtig gewordenen oder verunglückten Zuschauern zu suchen. Auf die immer wiederholten Rufe: „Niemand da? — Niemand da?", antwortete nur das unheimliche Prasseln der Flammen. Kämpfend mit der heißen Atmosphäre und erstickendem Rauche fand man in dem engen Gange zwischen der zweiten und dritten Gallerie einen wirren Knäuel Menschen. Es wurde Leiche um Leiche aus dem Knäuel gelöst und hinabgeschafft. Es war eine grausige Arbeit. Die Unglücklichen, deren Haare und Gesicht von der glühenden Luft versengt und von Rauch geschwärzt waren, hatten in der wilden Flucht sich in den Gang eingekeilt und waren, da sie weder vor- noch rückwärts konnten, erstickt. Man schaffte die versengten Leichen herab und trug sie ins Polizeigebäude, wo sich sofort 20 bis 30 Aerzte versammelten. Aber ihre Kunst konnte den Opfern nichts mehr nützen. — Gegen halb 10 Uhr flog mit donnerähnlichem Gekrache der Gasometer des Theaters in die Luft. Der Dachstuhl des anstoßenden Gebäudes ge- rieth gegen 10 Uhr ebenfalls in Brand. Der Pächter des Ringtheaters, Direktor Jauner, war 8 Uhr Abends von der Stätte, wo sein Hab und Gut verzehrt wurden, ohnmächtig in seine Wohnung gebracht worden. Die Menschenopfer, die das Unglück geiordert, sino noch nicht zu zählen. Der Hof der Polizsidirektion bietet den grausigen Anblick eines Leichenfeldes. Da liegen sie nebeneinander, Männer. Frauen und Kinder. Hier zwei Geschwister, das läßt die Aehnlichkeit der beiden Gesichter erkennen, eng umschlungen wie im Schlafe; dort eine Frau. Entsetzen im Antlitz, mit den starren Fingern krampfhaft das Opernglas umklammernd; dort ein Mann mit zerfetzten Kleidern und krampfhaft geballten Fäusten. Doch mit der Zahl der Unglücklichen, die hier nebeneinander ruhen, ist die Zahl der Opfer des Brandes nicht abgeschlossen. Von den Zuschauern der dritten und vierten Gallerie sind mehr noch, als ihrer todt gefunden wurden, von dem Feuer völlig zerstört worden. Mit dem Zusammenbruche der obern Sliegenhäuser stürzten sie hinab in die Gluih. die das Innere des Theaters füllte. Die suchenden Angehörigen von Verunglückten irren mit entsetzlichen Klagen zwischen den Leichen umher, die meist so entstellt sind, daß ein Erkennen ohne nähere Untersuchung unmöglich war. Das Platzkommando sendete Sanitätswagen und SanilälSsoldaten, mit deren Unterstützung die Leichen nach und nach ins allgemeine Krankenhaus transportirt wurden. Dort wurden sie gewaschen und aufgebahrt, um morgen agnorzirt zu werden. Dort werden sich morgen die schmerzlichsten Szenen ereignen. Die Leichen, die zuletzt aus dem brennenden Theater geschosst wurden, waren so verschlungen, daß es zweifellos ist, die Unglücklichen haben mit einander gerungen, um zuerst die Thüre zu gewinnen. — Man glaubt mit Sicherheit annehmen zu können, daß die Zahl der Verunglückten sich auf gegen 300 beläuft. Es ist indeß nur eine Schätzung. Es ist möglich, daß selbst diese Ziffer noch weit hinter der Wahrheit zurückbleibt. Bis jetzt sind 147 Leichen herausgczogen worden, in der zweiten Gallerie liegt jedoch noch eine große Anzahl, zumeist bis auf die Knochen verbrannt. Der Frkf. Ztg. wird gemeldet: „Es wurden für beide Gallerien über 900 Karten ausgegeben. Man glaubt nicht, daß die Hälfte der diese Karten Benutzenden gerettet wurde.- Die Zahl der angegebenen Vermißten übersteigt 600. Ueber den Ausbruch des Brandes gibt es viele Lesarten. S hr wahrscheinlich klingt folgende: In der Oper „Hofmann's Erzählungen,- welche am Abend vorher zum erstenmale mit großem Erfolge ge-
,Geh' nur, mein Kind — wir sind fertig. Geh', damit wir k ine Scene erleben.-
„Wie kann man sich so lange mit dem elenden Geschäft des Thec- trinkens oushallen!- rief Frau Poldine entschieden verächtlich dem sich schnell - rähernden Mädchen zu. „Ich habe mit Ihnen zu sprechen, Dora!"
Dora's Schweigen denn sie hatte jedenfalls eine neugierige und theil- nehmende Frage erwartet, verstimmte und reizte die junge Dame. Ihre Mrßlaune klang herbe wieder in dem Tone, womit sie fortfuhr:
„Euch hier, in dSm Paradiese des Eises und des Schnees, scheint nichts in Verwunderung und Erstaunen bringen zu können. Es ist Euch wohl kaum eingefallen, darüber nachzudenken, was mich zu einer Zeit.wo sich unsere verwandtschaftlichen Bande zu lösen und zu zerreißen schienen, hie- her geführt hat?"
Diese Frage verdiente eine Antwort. Dora maß die junge Frau, welche so übermüthig ihr Urthetl herausforderte, mit lächelnden Blicken, ehe sie antwortete:
„ Sie irren, Frau Poldine! Wir haben uns schon den Kopf darüber zerbrochen, und haben täglich irgend einer Explosion Ihrer extravaganten Laune enlgegengesehenl- Dar lebhafte Mienenspiel Dora's zeigte momen- lan eine große Neigung zu einem Spotilächeln. allein sie verbarg es schnell.
„Aber Sie haben nichts errathen?- fragte Frau Poldine.
„Ich habe mir keine Mühe gegeben — die Lösungen Ihrer Launen kommen von selbst und früh genug."
„Viel Geduld und wenig Neugier!" warf Frau Poldine ein. „Die Lösung wird Sie diesmal nicht erfreuen." — Da» Mädchen dachte daran,
daß zu einer solchen Voraussetzung gar kein Anlaß vorläge. — „Sie haben meiner Verbindung mit Nxhard von Moorhagen niemals des Wort geredet — -
„Nein, Gnädige! Nein!" unlerbroch Dora sie mit tiefem Ernste. „Niemals. gottlob niemals, habe ich zu dieser Ehe gerathm!"
„Weil sie selbst Richard liebten. Ich weiß —-
„Sie wissen gar nichts, Frau Poldine I" warf Dora barsch und trocken > hin. „Was wollen Sie jetzt von mir?"
Die Kälte und Entschlossenheit Tyeodorens, welche in solchen Momenten an Grobheit grenzten, halten für die Weltdame Poldine immer etwas Zmponirendes. Das war leider von dem Mädchen oft genug erprobt.
„Was ich von Ihnen will?" wiederholte sie;, ebenfalls wieder etwas eingeschüchtert. „Ich will Ihnen gestehen, daß ich Hoffnung, ganz fest begründete Hoffnung auf eine Versöhnung mit Richard habe," — Theodore zuckle heftig zusammen und ihre Wangen rötheten sich — „daß ich deßhalb meinen Amenthalt hier genommen habe, um hier, wo ich vor vier Jahren das erste Geständniß seiner Liebe empfing, von Neuem glücklich zu werden," schloß Frau Poldme rriumphirend.
Theodore war sichtlich überrascht, ja unzweifelhalft erschrocken über diese Berichterstattung. Ihre Fassung hatte einen argen Stoß erlitten, und sie stammelte verwirrt:
„Ich verstehe das nicht! Ich weiß nicht, wie ich Ihre Erzählung deuten soll! So viel mir bekannt ist, kann Ihre Ehe mit Richard so gut als getrennt betrachtet werden — die gerichtlichen Erkenntnisse —"
(Fortsetzung folgt.)