550
die Mitglieder des Bundesraths Einladungen erhalten hatten. Da man dis Gewohnheiten des Fürsten kennt. so erwartete man, daß nach dem <Essen bei der Zigarre eines der bekannten politischen Plauderstündchen gehalten werden würde, in denen der Reichskanzler seine Auffassungen zum besten gibt. Diesmal war die Spannung der Gäste besonders groß, und sie ist auch nicht getäuscht worden. Der Reichskanzler ging ohne Umschweife unmittelbar auf die Fragen ein, die jetzt alle Gemüther bewegen, und äußerte sich ganz in dem Sinne der o fi-'ösen Noten in der Norrdd. A. Z. Er könne sich nicht dazu entschließen, den Kaiser zu verlassen oder gar im Zorne zu scheiden; aber so einfach, wie man sein Verbleiben im Amte hinzustellen beliebe, liege die Sache doch nicht. Es sei freilich recht bequem, wenn man beständig wiederhole, er werde schon bleiben; denn es sei ja richtig, daß das für das Ausland und auch im Innern, z. B. sür den Verkehr mir dem Kaiser, seine Wichtigkeit habe; aber dann dürfe er doch wohl eine bessere Behandlung erwarten, auf die er mehr sehe, als auf guten Lohn. Man könne doch nicht von ihm verlangen, daß er das, war er für unrichtig und schädlich halte, sür seine Gegner in Ordnung bringe und erledige, daß «r sich einfach zum gehorsamen Diener der Fraktionen mache. Bei dem Widerstande aber, aus den seine Politik in neuester Zeit gestoßen sei, bei -er Feindseligkeit, mit der ihn sogar die amtlichen Blätter verbündeter kleiner Regierungen während der letzten Wahlen bekämpft hätten, müsse er. wenn er auf dem von ihm eingeschlagenen Wege forlschreite. einen Konflikt befürchten, und dem wolle er nach seinen Kräften Vorbeugen. Er wolle also einmal sehen, ob andere Männer, die sich des öffentl. Verrrauens, wie es die letzten Wahlen bekundet haben, in höherem Maße erfreuen, es geschickter anfangen und günstigere Ergebnisse erzielen würden, als er. An welche Parteien er zu diesem Behufs heranzutreten habe. sei ihm durch den Ausfall der Wahlen vorgezeichnet. Es würde sich also nur darum handeln, ob «r im Zentrum oder in der liberalen Partei wichtige leitende Persönlichkeiten finden würde, welche ein Programm aufstellen könnten, dem der Kaiser seine Zustimmung zu geben vermöchte und das sie im neuen Reichstage durchu-sktzen sich Zutrauen würden. Diesen glücklicheren Händen würde er dann die Leitung der Geschäfts übergeben, mährend er sich darauf beschränken würde, die guten Beziehungen zum Auslands aufrecht zu erhalten. Wenn «r also auch von seinem verfassungsmäßigen Rechte, zu jeder Zeit seinen Abschied nehmen zu dürfen, aus Ergebenheit für seinen kaisert. Herrn nicht Gebrauch machen wolle, so werde er nunmehr dahin wirken, daß ein wirklicher Stellvertreter, ein Vizekanzler, für den er beim Reichstage ein Gehalt von 60,000 fordern werde, an seiner Statt in die Leitung der Geschäfte eintiete. Er selbst werde sich dann auf sein „Altentheil" zurückziehen.
Frankreich
Paris, 19. Nov, 7 Uhr Abends. Man besorgt, daß es der Kolonne Logerot, welche demnächst in Gaoes anlangt, in Folge des Strandens des Schiffes Martinique an Lebensmitteln fehlt. Martinique halte 500.000 Rotionen und OOO.OdO Francs geladen. — Der Präsiden! des Oberregir- rungSralhs von Algerien kündigte an. er werde nächsten Montag die Sitzungen sujpendiren, wenn bi» dahin kein Generalgouverneur ernannt sei. — Chanzy soll ein Korpskommando erhalten. Farre ließ sich heute in die Fraktion Union Republicain des Senats aufnehmen.
Paris. 19. Nov., 9 Uhr 59 Min. Abends. Daß Seinepräfekt Herold bei der Wahl zum lebenslänglichen Senator durchfiel, verursachte namentlich unter den Gambetlistischen Deputirlen große Aufregung Herold erhielt 8 Stimmen weniger als Voisins Laoerniere von der Rechten, was der Abwesenheit von etwa einem Dutzend republikanischer Senatoren zuge- schriebrn wird.
Tunis, 19 Nov Die Truppen Ali Bcys, welche Zaghouanland gebrandschatzt, sind nach Tunis zurückgeführt und dort größcentheil» entlassen Das Dampfschiff „Martinique", weiches bei Cap Boa auf den Grund ge- rathen, ist wieder flott gemacht und nach Goutetka zurückgekehrt.
Italien.
Rom, 17. Nov. Das Königspaar ist um halb 12 Uhr ein- getroffen und wurde auf dem Bahnhof von den Ministern. den obersten Hofchargen, dem Bürgermeister und den Spitzen der Behörden empfangen. Damen übcr:eichten der Königin ein prachtvolle» Blumenbouquet. 16 Ge-
wsrbeverelne mit Bannern und mehr als 4000 Personen begleiteten den königl. Wagen bi» zum Quirinal, wo das Königspaar mit den königl. Prinzen auf dem Balkon erschien und für die enthusiastische Volkskundgebung dankte. — Senat und Kammer haben ihre Arbeiten wieder ausgenommen. Zm Senat legte Depretis einen Gesetzentwurf zur Abänderung des Gesetzes bete, den Bodenkcedrt vor. In der Kammer wurden verschiedene Anfragen und Interpellationen angemeldet, so von Rus- poli über die Zwischenfälle bei der Leichenfeier Pius IX, von Mafsari wegen Mittheilung der Aktenstücke betreff» Tunis und Egyptens. Depretis erklärt morgen, ob und wann er antworten werde.
Rom. 19. Nov. Der Papst präkonistrte im gestrigen Konsistorium den neuen Patriarchen von Westinvien, einen neuen Erzbischof von Serajewo und unter anderen auch die Bischöfe von Trier, Fulda und Mostar.
Türkei.
K o n st a n t i n o p e l, 19. Nov. Die Botschafter überreichten Donnerstag der Pforte eine Kollcktivnote, betreffend Zdie tückisch-griechische Grenzlinie zwischen Kritiri und Zarko. wonach dle vertragsmäßige Tcaye unveränderc beizubehalten sei. Die Note sagt: Nachdem die Grenzkom- mission im Prinzip die Majorität zugelassen hat, ist Beibehaltung der vertragsmäßigen Trays Kritinr Zarko wir allen gegen die Stimmen der linkischen Kommissäre angenommen worden und erklären sich die Botschafter inkompetent. — Ali Nizam Pascha und Neschid Bey werden Kaiser Wilhelm tie Dekoration des Niichani Jmliaz-Ordens überbringen.
Tages-Neuigkeiten.
Stuttgart, 15. Nov. (Würtlembergficher Obstbau-Verein.) Mit der gestern Abend im Schützenhossaale adgehaltenen Monalsversamwlung war eine kleine Odstausstellung verbunden. Es waren prachtvolle Sorten, meist Tafelobst, welche in gefälligem Arrangement auf einer Tafel auege- dreitel lagen. Dieselben waren dem Verein von einigen Mitgliedern zur Verfügung gestellt und wurden von den zahlreichen Besuchern der Versammlung wir Interesse und Wohlgefallen gemustert. Der Vorstand, Oekonomie-Rath Ramm, eröffnet« vre Versammlung mit der Mitlheilung. daß eine derartige Ausstellung auch mit den künftigen Versammlungen dieses Winters verbunden sein werde, damit die Theilnehmer ihre Kemitmß der Obstsorten daran bereichern können. Es wurden nun sofort 5 Lpfel- sorten und 6 Birnsorten vorgezeigt, erläutert, der den Anwesenden m Umlauf gesetzt und schließlich auf den Geschmack geprüft. — Der zweite Gegenstand der Tagesordnung betraf die Winieroorträge, über welche sich die Versammlung dahin aussprach, daß dieselben wie in den beiden letzten Jahren mit der Kultur und Pflege der Obstbäume sich befassen und in gleicher Weise wie früher von Herrn Gaucher, Baumschulenbesitzer hier, gehalten werden sollen. Bei den Monatsversammlungen sollen dann anser- weiiige Vorträge z. B. über die Krankheiten der Obstbäume und die schädliche Einwirkung der Infekten rc staufinven. Ja dem sür tue Mitglieder aufgestellten Fragekasten waren folgende Fragen eingelegt: 1) Ist der Königsfleiner auf Zwergbäumen oder aus Hochstämmen zu ziehen? 2) Könnte nicht eine Anzahl von Apfel- und Birnsorten angegeben werden, welche besonders in Stutlgart's höheren Lagen empfehlenswerlh sind? 3) Wie verhält es sich mit der Tragfähigkeit der sog. Zlwmtbirne? 4) Welche Sorten soll man auf einen Süßapfelbaum pfropfen? Jede dieser Fragen wurde eingehend besprochen, indem sowohl dis anwesenden Sachverständigen wie auch einzelne Mitglieder ihre Erfahrungen mittheilten und es >st nicht zu verkennen, daß durch diese Fragstellungen das Lehrreiche der Versammlungen bedeutend erhöht wird.
Stuttgart, 18. Nov. Die letzte Skandalaffaire, welche eins von dem Weinhändler Julius Baumann dem Oberhofmerster von Thumb opplicirte Ohrfeige zum corpus äelioti hatte, hat sehr schnell ihren Abschluß vor dem Landgericht gesunden. Der von Staatsanwalt Schosnhardl zur Anklage gebrachte Sportsman rst auf Grund der §§ 185 (Beleidigung) und 223 (Körperverletzung) zu einem Jahr Gesängniß verur- theilt. Die Vertheidigung führte Herr Rechtsanwalt Schickler. Herr
Das Attribut der höchsten Majestät.
Zm Kample groß, und nach dem Siege mild Bist du es, die die Thränen Armer stillt;
Du trägst mit Würde der Verbannung Schmerz,
Vertrauend blickt dein Auoe himmelwärts —
Vom Glorienlicht der Hoffnung mild umzogen,
Stehst eine Heldin du m Sturmeswogen!
Die arme Gräfin zitterte, als sie vernahm, daß diese Verse an sie gerichtet waren. Ein Heller Thränenstrom entstürzte ihren schönen Augen. Begeisterter, als ob er diese Thränen gesichert, fuhr der schwärmerische Advokat fort I
Und herrlich hat die Gottheit dich geweiht,
Mit Stolz verbindest du Bescheidenheit.
Der Frauen höchste Schöne strahlt darin,
Mein Ideal, du, meine Königin!
Mit großer Selbstzufriedenheit, sein Taschentuch in der Hand, trat der Advokat plötzlich in dis Thür. Er sah Kathi, deren Gesicht von Thränen erglänzte.
„Mein Gott," fragte er erschreckt, „was ist geschehen? Sie weinen, Kathi. Sie befinden sich in einer Aufregung."
Die Gräfin konnte nicht ausweichen.
„Ach. Herr Advokat, diese. Verse!" schluchzte sie.
„Hast Du mich belauscht?"
»Ohne daß ich es wallte. O, wie schön, wie groß ist es, eine verbannte, eine verfolgte Frau zu besingen!"
Ferenz starrte die Köchin an. Diese Worte waren nicht in dem gewöhnlichen Dialekte der Landleute gesprochen. Und welche Empfindung ver- rtethen sie!
Die Gräfin Thekla Andrasy. van ihrem Gefühle hingerissen, hatte ihre Maske vergessen. Doch schon im nächsten Augenblicke erinnerte sie sich daran. Bestürzt trat sie zu dem Tische und setzte das Kaffeeservice nieder. Ihre kleinen Hände zitterten, ihr Gang war schwankend. Sie wollte sich entfernen ; doch ehe sie noch die Thür erreicht hatte, ließ sich ein Trommelwirbel in der Straße vernehmen. Thekla mußte sich an dem nahestehenden Stuhle halten, um nicht zu Loden zu sinken.
„Diese Angst, diese Verwirrung!" ries Ferenz. »Wer bist Du, wer sind Sie?" fügte er rasch hinzu, indem er das Gesicht der Gräfin, deren Schönheit selbst der bäuerische Kopfschmuck nicht beeinträchtigen konnte, anstarrte.
„Lossen Sie mich! Lassen Sie mich! Ein augenblicklicher Schwindel — er ist vorüber!"
Thekla lauschte ängstlich auf das Trommeln in der Straße, das noch fortdauerte.
„Großer Gott, Sie zittern vor diesem Signale!" rief Ferenz. „Und diese Züge, die ich schon im Bilde gesehen. — Nein, nein, Sie sind nicht, wa» Sie scheinen — Sie sind die Gräfin Thekla Andrasy!"
Die Gräfin erhob sich wieder, ehe der Advokat ihr Beistand leisten konnte. Angst und Beiorgniß schienen plötzlich verschwunden zu sein. denn aus ihren Augen strahlte das Feuer des Muthes, der große Geist, der Gefahren trotzt — die Schwäche der Frau war besiegt.
(Fortsetzung folgt.)