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Arbeiter in Frankreich vom volkswirthschaftlicken und sozialwissenschaftlichen Standpunkt aus. Er schätzt die italienische Kolonie in Marseille auf ca. 70,000 Seelen; die Zahl der deutschen Arbeiter in Paris, der belgischen in Nordfrankreich ist nach ihm eine sehr bedeutende; nach amtlichen Erhebungen wohnen 800.000 Ausländer in Frankreich. Der freimüthige Kritiker verhehlt sein Bedauern darüber nicht, daß Frankreich diese Ausländer sich nicht nu assimiliren verstanden habe, so daß sie zum mindesten fremd neben den Einheimischen hergehen — ein Verhältniß , das sich in kritischen Momenten leicht zum Konflikt zuspitzen könne. Dieser vielfach angefeindeten Fremdlinge bedürfe aber das Land schon im Interesse der BevölkerungSzu- nahme. Es macht dem scharfen Beobachter und unerbittlichen Statistiker schwere Sorge, daß seit 1874 die Zahl der Geburten in stetiger Abnahme begriffen (1873 : 966,000; 1874: 954.000; 18:78 937,000; 1879: 936.000) und zu befürchten ist, daß in Bälde die Deutschen und Italiener Frankreich um Vo in der Bevölkerung überholt haben werden. Besserung dieser drohenden Aspekten hofft Lerop-Beaulieu nur von der innigeren Verschmelzung der ausländischen mit der einheimischen Bevölkerung und von der Vermehrung französischer Anziehungskraft für die Fremden mittelst Erleichterung der Naturalisation und humaner Behandlung der Einwanderer. Dem unfruchtbarer werdenden Volkskörper soll frisches Blut zu seiner Regeneration zugesührt werden.
In Frankreich und Algier ist nur noch von dem gefürchteten Häuptling Bou-Amena, dem Führer der aufständischen Araber die Rede. Wer ist aber Bou-Amama — der Mann mit dem Turban — oder Bou-Amena — der Mann des Glaubens? Beide Namen sind Beinamen. Einem großen Geschlechts scheint er nicht anz»gehören, er ist anscheinend ein Abenteurer, der sich durch persönliche Eigenschaften an die Spitze geschwungen hat. Er versteht, wie die französischen Blätter anerkennen müssen, die arabische Taktik aus dem Grunde: die Wege unsicher machen, die Bevölkerung beunruhigen, die Truppen in Athen, halten, sie durch lange Märsche ermüsen und sie plötzlich überfallen. In Frankreich herrscht die Ansicht, daß Bou-Amena die Unterstützung der mächtigsten arabischen Brüderschaft, der Si-Mouli-Taieb. genieße, deren Oberhaupt in der Nähe von Tanger in Marokko mit fürstlicher Macht residirt und dessen Agenten durch ganz Algerien verbreitet sind, in der französischen Verwaltung und den eingeborenen Truppen, ja bis in di: arabische Umgebung des Gouverneurs Grevy. Sehr verdächtig ist der Abfall der einheimischen Truppen (Goums) beim Zusammentreffen Bou-Amenas mit Oberst Jnnocenti. Der Pariser .Figaro" deutet an, daß es wohl englischer Einfluß sein könne, der sich bei Sid- Abdel-Salem, dem Oberhaupt der mächtigen Brüderschaft, zur Geltung gebracht habe. Seit Abdel-Kaders Zeiten ist kein so kühner Parteigänger in Algerien aufgetreten.
Spanien.
Der Masseneinwanderung russischer Juden nach Spanien steht der §. 11 der spanischen Verfassung, welcher allen Nichtkatholiken die öffentliche Ausübung ihres Kultus untersagt, hindernd entgegen. Schon im Jahre 1569 scheiterte an der Bestimmung dieses Paragraphen die Einwanderung marokkanischer Juden, welche von der Madrider Regierung zur Rückkehr nach Spanien eingeladen worden waren. Sie setzten sich lieber den Verfolgungen der Mohamedaner aus, als aus die öffentliche Ausübung ihres Kultur zu verzichten. Die gegenwärtige Regierung soll nun entschlossen sein, bei den im September zusammentretenden neugewählten Cortes eine Revision des angezogenen Paragraphen zu Gunsten der Hetecodoxen zu beantragen.
Dänemark.
Kopenhagen, 30. Juni. Ein Erlaß des Ministers des Innern schärft die strenge Jnnehaltung des Verbots der Ein fuh r von leb snd en Rindern, Schafen und Ziegen aus Deutsch landein mit dem Hinzufügen, daß eine Befreiung von diesem Verbot vorläufig nicht zu erwarten sei.
Amerika.
Washington, 2. Juli, 11 Uhr Vormittags. Präsident Garsield wollte heute früh nach Longbranch fahren, als auf dem Bahnhof einMörder einen Schuß auf ihn abfeuerle. Der ver -
wundetePräsident wurde alsbald nach dem weißen Hause gebracht; die Aerzte lassen Niemand zu ihm. Die Verwundungen sollen nicht tödt- lich sein. Die Umgebung des weißen Hauses ist von einer ungeheuren, erregten Menschenmenge umgeben. Der Mörder soll verhaftet sein. Nähere« noch nicht festgestellt.
Washington, 2. Juli, Nachmittags 2'/z Uhr. Der Zustand Garfields wird immer bedenklicher. Man befürchtet eine innere Verblutung. Der allgemeine Eindruck ist, daß Garfield der Auflösung schnek entgegengehe. Die Aerzte wollen den Versuch nicht wagen, die Kugeln herauszuziehen. — Ein Bülletin von Abends 8i/z Uhr sagt: Man glaubt, der Präsident werde keine Stunde mehr leben. — Ter Mörder des Präsidenten ist ein eingewanderter Franzose, Namens Guiteau, der sich bemüht haben soll, einen Consul-Posten zu Marseille zu erhalten. Verschiedene Meldungen behaupten, Guiteau sei geisteskrank.
Washington, 2. Juli Abends. Der Präsident Garfield ist am rechten Arm und der rechten Hüfte in der Nähe des Rückgrats verwundet. Die Aerzte sprachen sich aus, daß die Wunden zwar bedenklich, aber nicht gerade tödtltch seien. Der Präsident ist bei Bewußtsein; er ließ sofort seiner Gemahlin telegraphtren, daß sie zu ihm komme. Der Mörder weigert sich, seinen Namen zu nennen; es heißt, daß derselbe früher Consul in Marseille gewesen sei.
Washington. 3. Juli. Morgens. (Privattelegramm der „Franks. Presse".) Der Viceprästdent der Vereinigten Staaten, General Chester- Arthur. hat die Regierung übernommen. Für den wahrscheinlichen Fall, daß Garfield seiner Wunde erliegt, wird eine Neuwahl nicht erforderlich sein. Nach der amerikanischen Verfassung führt in diesem Falle der Vice- präsident bis zum Schluffe der Regierungeperiode die Geschäfte des Präsidenten. — Vicepräsident General Chester-Arthur war im Wahlkampfe Gegner Garfield's und Anhänger Grant's. Für das im letzten Augenblicke bewiesene Entgegenkommen der Grantpartei wurde er zum Vicepräsi- denten nominirt.
TagesNeuigkeiten.
— Calw, 3. Juli. Am Feiertage Peter und Paul. Mittwoch, den 29. Juni, Abends 6 Uhr zog ein weitverbreitetes schweres Gewitter über die Markung Ostelsheim. Der mit seiner Heerde am Bergabhang in der Richtung gegen Simmozheim waidends 1?>/z alte Schasknecht I. Fr. Kober von Stammheim suchte Schutz unter dem Dachvorsprung des dem Sonnenwirth Hch. Stahl gehörigen, an den Abhang angebauten Bierkellers und wurde hier mit seinem Hunde von dem Blitze erschlagen. Der Blitz hatte am 2ten Sparren ein Loch von Mannsdicke in das Schindeldach gerissen, den Sparren zerfetzt, und war dem Schäfer einem Kugelschuß gleich durch beide Schläfe und dann am Leib hinab gefahren, so daß Kleider und Stiefel gänzlich zerrissen waren und Kleidersetzen auf dem Dache hingen. An der Uhr des Schäfers war das Glas und ein Zeiger weggeschlagen. Die herrenlosen Schafe machten sich über einen Linsen- und Kleeacker her aus dem sie der in der Nähe wohnende Bahnwärter vertreiben wollte und der dann bei der Umschau nach dem Schäfer diesen auf seinem Hunde liegend entdeckte. Ausser dem durch beide Schläfe gehenden Loche zeigte der Körper des Tobten keine weiteren Verletzungen, an dem Hunde waren gar keine solche zu entdecken.
tz-r-ck'w, 3. Juli. Heute wurde in Stam mheim der Schultheiß Johann Jakob Kämpf zur Ruhe bestattet, nachdem er am 1. ds. seiner Monate langen, hauptsächlich durch dis Folgen des Alters hervorgerusenen Krankheit erlegen ist. Wem dies nicht schon vorher bekannt war, konnte aus dem großen unabsehbaren Leichenzug ersehen, daß diese letzte Ehre einem Manne galt, der in allgemeiner Achtung stand, dem Viele in Liebe zugethan waren. Es folgten dem Sarge außer dem Vorstand des Bezirksamts viele andere Beamte, wohl alle Amtsgenossen des Verstorbenen, welche
entzog sich rasch dem Danke der weinenden Menschen. Der kleine Magister, ! der die Unterhaltung belauscht hatte, stand wie eine Salzsäule auf dem Vorsaale. Philipp ging mit ihm in sein Arbeitsstübchen.
„Kennen Sie die Wohnung des Mannes, dem sie ein Gedicht an Madame Lindsor gefertigt haben?"
„Ja, mein Herr!" stammelte der bewegte Novellist.
„Ueberbringen Sie ihm diesen Brief."
„Gern, lieber Herr l"
„Wenn er nach dem Absender fragt, so sagen Sie ihm, er sei ein armer verheiratheter Schriftsteller, und Ihnen befreundet. Durch Sie habe er die Adresse des Herrn Majors von Wildau erfahren. Als Lohn für diesen Weg werde ich Ihnen den Druck Ihrer Novelle besorgen, und ein doppeltes Honorar vermitteln. Antwort bringen Sie mir nur dann, wenn Sie den Adressaten nicht zu Hause getroffen haben."
Philipp verließ eilig das Haus, daß Elias nicht einmal nach seiner Wohnung fragen konnte. Fünf Minuten später schritt der Magister mit seinem Briese über die Straße dem Hotel de Basiere zu. Er traf den Major in seinem Zimmer, gab den Brief nach der erhaltenen Vorschrift ab, uud entfernte sich wieder. Kaum hatte der Empfänger die wenigen Zeilen gelesen, als er einen Lohndiener kommen und sich von ihm nach der be- zeichnelen Wohnung Philipp'- führen ließ.
„Das trifft sich gut!" murmelte er, als er die schmale Treppe Hinanstieg. „Der Bursche ist also so verarmt, daß er meine Mildthätigkeit anflehen muß. Die gute Josephine hat sich für ein leichtsinniges Weib!
verwendet, das ist klar. Wollen sehen, wer die saubere Huldgöttin meines Neffen ist."
Er traf Philipp in einem einfachen, freundlichen Zimmer. Die gegenseitige Begrüßung läßt sich denken.
„Vortrefflich, Herr von Martern," rief der Onkel, „es ist also meine Prophezeiung eingetroffen! Man heirathet eine leichtsinnige Person, um an den Bettelstab zu kommen. Ich hätte Deinen Brief unberücksichtigt lassen sollen; da es mich aber drängt, Deine liebenswürdige Gattin zu sehen-"
„Sie werden sie kennen lernen," sagte Philipp, der vor Aufregung zitterte. „Darum bitte ich, Ihr Urtheil so lange zu verschieben."
Der Major setzte sich ans einen Stuhl, und betrachtete Philipp mit Jnquisitormienen.
„Du kennst meine Offenheit, Philippbegann er nach einer Pause, „und darum theils ich Dir zunächst mit, daß ich nach Leipzig gekommen bin, um mich zu verheirathen. Hieraus ermiß die Ansprüche, die Dir von Rechtswegen an mein Vermögen bleiben. Willst Du Dir mein Wohlwollen erhalten, so verhehle mir nichts, Du hast Dich für Deine Frau ruinirt?"
„Nein!"
„Hast Du gespielt?"
„Auch das nicht!"
„Beim Teufel, was hast Du denn mit Deinem Vermögen angefangen? Lüge nicht, Philipp, es wird Dir nicht gelingen, meine Meinung von Deiner Frau umzugestalten!" rief aufbrausend der Major.
(Fortsetzung folgt.)