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E ri g l a nd
In der Thronrede ist die wichtigste Stelle ohne Zweifel die, welche mit dürren Worten die Frontveränderung gegen dis Pforte ankündigt. England ist von heute ab nicht mehr als der nachsichtige Freund und Beschützer des Sultans, sondern als der unerbittliche Richter der türkischen Mißwirthschaft zu betrachten. Die britischen Staatsmänner haben den Padischah bisher vor jedem rauhen öuftzug zu schützen versucht, sie haben jede fremde Aktion durch- kreuzt, die den wankenden Bau de« Osmanenstaate» erschüttern konnte. Heute ergrei't England die Initiative im Namen Europa«, um dis Schulden der Pforte einzutreiben. und wo sie zahlungsunfähig erfunden wird, den Konkurs zu eröffnen. Allerdings geht England in seinen Forderungen nicht über das hinaus, wa« ganz Europa auf dem Berliner Kongreß sou der Pforte verlangt hat. und is will auch jetzt nichts anderes, als eine gemeinsame Aktion Europas herdsiiühren, um jene Forderungen endlich durchzusetzen, m t deren Einlösung bisher die Pforte, dank der Nachsicht d-,r Mächte, sich nicht allzusehr beeilen durfte. Allem das Bezeichnende und Neue der Lage ist eben die Führung, welche das britische Kabrnet in der Abwickelung der Geschäfte der Berliner Vertrags an sich genommen hat.
London. 20. Mai „Daily New»* meldet aus Kabul von gestern: Abdurchamcm hat seine Armee mit oem Bemerken entlassen, er bedürfe ihrer Dienste nicht mehr, da er kttnc feindseligen Absichten gegen die Engländer hege.
London, 21. Mai. „Daily News* erfährt, ein Rundschreiben Gran- ville's schlage den Zusammentritt einer internationalen Kommission in Berlin vor zur Berichtigung der griechischen Grenze.
Spanien.
Die Insel C u b a , dir „Perle der Antillen", ist neuerlich der Schauplatz einer weitverzweigte.-! Bc-ick-wörang, die mit Waffengewalt die Unad hängigkeit der Insel elkä-spfen will.
Einer der kühnsten Jnfurgs-:s->fkhrer. Lal xto^Garcia, war bereits ge fangen und zum Tode mrurtheckt. Der General-Gouverneur, Graf Valnia je -a gl -ubts, weil derselbe verwundet war. mit ihm Nachsicht haben zu sollen und schickte idn zur Jatsrnirung nach Spanien. Garem gelang es jedoch, von EaGx zu entfliehen, und j-tzt Neht er wieder «m der Spitze der aufständischen Schwarzen und ist zum Präsident'.;: der Republik Cuba proklamirt worden. Es rst nicht abzusehen, wann Löser an den Oftküsts» der Insel ueuerdmgs wüthende Racenkrieg einen Abschluß staden werde. Der spanische Kolonial- minister wird nun, wie man der „P. C." schreibt, demnächst 300 bis 400 M'Uionen Pesetas nach Cuba senden, die im Wege des öffentlichen Kredits durch Ausgabe von durch dre kubanischen Zote garantirten Schatzschsins» aufgebracht werden sollen. Es entspricht dfts einer Veräußerung der Einkünfte Kuba'« aus zwanzig Jahre. Es ist nicht wahrscheinlich, das dies das letzte Opfer ist, das Spanien bringt. Vkm Jahre 1808—1880 haben die Unruhen auf Kuba eine Milliarde Frar-cs M'Ncklirngen und nicht weuizer als 150.000 Man» sind theils in Folge des Krieges, theils in Folge d-r epidemischen Krai kheiten zu Grunde gegangen.
It u ß l a rr d.
In Petersburg hat der Rihilisten-Prozeß begonnen. Sieben Männer und 4 Frauen sind angeklagt. der Hauptvsrklagts ist ein Arzt. Dr. Weimar, der einem der Mörder die Pistole und das Vollblutpferd zur Flucht verschafft haben soll. Dr. Weimar ist ein angesehener Mann, verkehrte viel in hohe« Kreisen un» war bei dem Thronfolger gut-augejchrieben. Er soll mit unliebsamen EntrrMu ngeu gedroht h abe«.
Tsges-Neuigkeiten.
— Wildbad, 19. Mai. Die neue eiserne Enzbrücke, welche an Stelle der bisherigen hölzernen tritt, geat nun rasch ihrer Vollendung entgegen und macht sowohl durch ihre äußerst lottde Konstruktion, wie auch durch idre sehr
geschmackvolle Ausführung ihrem Erbauer, Herrn Baurakh Leibbrand, alle Ehre.
Neuenbürg. 20 Mai. Schultheiß Becker in Ottenhausen wurde gestern Mittag in unmittelbarer Nähe des Rathhauses daselbst von einem hrrabgekommenen Bürger des Orts über den Steg des dort vorbeifließenden Bächleins unversehens hinuntergeworfen, wodurch er. der Sturz war etwa 11/2 m tiei, lebensgefährliche Verletzungen erlitt. Da- Amtsgericht und Ge richi-arzt sind sofort eingsschritten. und wurde der Thäter in Haft genommen. Die That hat keinen Parteigrund. sie erfolgte i« Wortwechsel über eine Seitens de« Schultheißen auf Ansuchen der Eh-frau des betr. Individuums angeordnete vorbeugende Maßregel
— Stuttgart. 21. Mai. Gestern Nachmittag etnns vor 11/2 Uhr ereignete sich auf dem Bauplatz? der Grwerbehalle ein Unglücksfall, indem ein 18 Meter Hohr« Gerüst, sn dessen Errichtung gerade gearbeitet wurde, zusammenbrach und vv» demselben 2 ledige Zimmerleuts heradstürzten, von denen-der eins bereits gestorben ist, der andere hoffnungslos darnieder liegt. Die Polizei und Gerichtsbehörden erschienen sofort mit Sachverständigen auf dem Platze zur Aufnahme des Thatbcstandes und zur Untersuchung, ob in techniicher Beziehung nichts verabsäumt worden ist. Soviel verlautet, soll bis jetzt Niemand eine Schuld an dem Unglück beigemesserr werden können; es ist der Aursvruch der Sachverständigen adzusarten.
— Stuttgart, 22. Mai. Vorgestern Nachts zwischen 12 und 1 Uhr wurde in die Registratur des geheim-n Kabinets Sr. Majestät des Königs eingebrochen. Die Diebe bohrten zuerst die in dis Kanzlei führende Thürs an standen jedoch dann von oem Versuche, hier einzudringen, ab und stiegen durch ein kleines Fenne:, welches nach der Treppe zu geht, in das Diener- zimrnsr, von wo aus sie durch die unverschlossene Zwischenthür in die Kanzlei gelangten. Hier öffneten sie nun die Schränke und Laden, fanden jedoch nur für sie Werthlose Papiere. Bei Anbohrung einer verschlossenen Pultlad:, in welcher sich eine kleine Kasse befand, sind sie — wahrscheinlich Lurch d e .-at- rouills — unterbrochen worden, so daß sie den Versuch aufgas.n u:.d durch die Thüre entflohen, ebne irgend etwas entweudet zu haben. Die Thäter müssen mit de: O-rtlichkttt jedenfalls vertraut gewesen sein. Eine Spur von ihnen war bis jetzt trotz der emsigen Recherchen von Seile der Poüzct noch nicht zu entdecken.
— Nürtingen, 19. Mai. Als heute der Bauunternehmer Schaal sich von seinem BerNtSgeschäfte zum M ttsgrss-n begeben wollte, überfiel ihn der von Neckarthailsinge» hirher gezogene Speisewirth Jakob Wcvzslburger und versetzte ihm mehrere Stiche in Kopf und Nacken, wobei die Messerspitze in der Hirnschale stecken blieb. Der Angreifer verfolgte den Schaal rw-L bis in dessen Haus, b's kr von Nachbarn verjagt uns von der Polipi verhaftet wurde. Der Verletzte liegt in bemitlndenswkrthem Zustands darnieöer.
— Ein großer Unzlücksfall hat sich am 18. d. At. bei Konstanz auf dem Bodensre zugeiragen. 18 Touristen, junge Leute, die ihren PfingstauL- flug dorthin gerichtet, unternahmen Mittags i/z12 Uhr mit einem K.elschiff eine Wass-rparrie. Der See schlug in Folgs e-nss starken Nordwindes zic-m- lich hohe Willen. Dis Gondetfahrer kamen bis in die Höhe der Villa des Grasen Douglas, als sich das Schiff vollständig füllte. Ihre Lage wurde sehr- gefährlich. Um Hilfe zu bringen entschlossen sich 2 Insassen, an das Land zu schwimmen, was sie auch ausführten. Inzwischen halte Gondoiis: Miez vom Konstanz-;: Hasen aus dir kritische Lage der Ausflügler bemerkt und fuhr mit seinem Gehiifsn nach der Unglücksstelle ab. Nach einer anstrm gsndsn Fahrt gelangte er noch rechtzeitig an Ort und Stelle, um 5 zu retten, ein Sechster, der ebenfalls dem Land» zuschwimme» wollte, wurde von dcm gleichfalls zu Hilfe eilenden Grafen Zeppelin in "sein Fahrzeug ausgenommen. Während der Zeit des Bangens und HoffeaS hatten die im Schiffs Zurückgebliebenen s«f ihre zwei dem Lande zusckwimmendr» Kameraden nicht weiter
gor-nen, vollenkkn Sie es Sterbens hinterlc-ssc ich Ihnen meine Rache uno mein Ve mögen, und ich vertraue Ihnen. Bertrand.
Dem Brief lag ein Testament d-i, das in aller Form Rechtens abgefaßt war und Josef Loriot zum Universalerben Bsrtrand's de Moclux einsetzte.
Der Juwelier las diesen Brief mehrmals, und er vergaß dabei gänzlich' seinen Sohn
Endlich bemerkte er dessen Brief.
„Was kann er mir zu sagen haben?" fragte er sich.
Er erbrach den zweiten Brief.
Gaston schrieb:
Mein Vater!
Du arbeitest seit langer Zeit an dem Ruin und der Entehrung Deine» Bruders, de« Herrn de Vcubonne.
Ein Mann hat Dich dabei unterstützt, den ich soeben getödtet habe.
Ich muß Dir nun sagen, daß ich nHt nur Deinen Haß nicht theile, sondern daß ich Fräulein Melanie de Valbonne liebe.
Lebe wohl. Later, mein Platz ist nicht an Deiner Seite, sovderu bei dem Manne, den Tu ruinirt, bei dem unglücklichen jungen Mädchen, dar Du in's Elend gestürzt hast. Sie will ich beschützen, für sie will ich wirken.
Gaston.
Dies Mal war Josef Loriot besiegt.
Er verbarg sein Gesicht in den Händen und weinte.
Sein Sohn verließ ihn.
War nützte ihm nun noch seine Rache?
Er weinte lange.
„Wohlan!" rief er endlich, „wenn ich auch keinen Sohn mehr habe, so bin ich doch reich, unv werde das Vergnügen haben, Jenen, der mir mein Erbtheil gestohlen hat, tm tiefsten Elend und in Verzweiflung zu sehen. Die Rache rst eine schöne Leidenschaft, wenn das Herz gefühllos ist gegen Alles Andere."
Josef Loriot belog sich aber selbst in dem er so sprach.
Er dachte weniger an seine Rache als an seinen Sohn.
Und Gaston hatte ihn verlassen!
So oft Loriot ein Geräuich auf Ser Treppe Härte, glcrubcs er, fern Sohn
komme zurück.
Aber Gaston kam nicht.
Eine Stunde nach der andern verging, und der Alts schritt immer noch weinend im Zimmer auf und ab.
Endlich kam Jemand.
E« war Emil, Gaston's Freund.
„Wo ist mein Sohn? fragte ihn Loriot.
„Ich weiß es nicht," antwortete Emst.
„Hast Du ihn nicht gesehen?"
„Ich habe ihn soeben verlassen."
„Du weißt also, wo er ist?"
„Ja. aber das ist ebenso, als wenn ich es nicht wüßte."
„Was willst Du damit sagen?"
„In einer Stunde wrrv er Pac:S verlassen haben."
„Ohne mich Wiederzusehen?"
„Ja," sagte Emil traurig.
„Ader wohin geht er?" . , ^ ^ .
„Nach Amerika," erwiderte der junge Mann. „Ec will versuchen, dort Vermögen zu erwerben, um das Unheil, das Sie angerichtet haben, wieder gut zu machen." „
„O!" rief der Juwelier. „Er wird nicht abreisen! Ich will es nicht! „Es gibt nur ein Mittel, ihn zurück zu halten."
„Welches?" „
„Indem Sie das thun. was ich Ihnen in seinem Namen sagen soll/ „Was will erL" fragte der Me mit ängstlichem Blick.
„Er verlangt eine Million."
Josef Loriot wich entsetzt zurück. ^ »
„Er verlangt die Million, die Sie besitzen," sagte Emil in kaltem Tone, „die Million, ohne welche das Haus Lalbonette de Valbonne bankerott fft.
„Ah!" rief der Alle. „Er will, daß ich auf meine Rache verzichte. Er will, daß ich mein eigenes Werk zerstöre! . . . Nein! Nein! Er soll abreffen ! . . . Er soll abreisen!" (Forts, folgt.)
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