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— Calw, 4. Jan. Alle Blätter sind voll von Berichten über den Eisgang auf den verschiedenen Flüssen. Auf der Nagold ist derselbe, wie wir bereit« berichtet, ohne erheblichen Schaden verlaufen; nur von Unterrsichenbach ent> hält der Pf. B. die Nachricht, daß dort dem Sägmühlepächter Speer von Pforzheim Langholz weggeschwemmt worden sei. und daß das Eis «eine Mi» nute breit" auf dem; Lande liege. In Pforzheim sind sämmtliche 4 Wasser- Übergänge, 2 Brücken und 2 Stege, fortgerisien.I nur die große eiserne Enz. brücke vermittelt noch den Verkehr zwischen beiden Ufern.
Vom Neckar sind in Alloberndorf 2 Brücken fortgeriflrn; ebenso die Brücke in Niedernau, und theilweise auch in Neckarhausen. In Nürtingen ist^ dar große Neckarwehr stark beschädigt. Den größten Schaden hat wohl die weite Nrckarebene zwischen Untertürkheim und Berg erlitten. Durch eine großartige Stauung bei Berg, die mit Dynamit gesprengt werden mußte, war das ganze Thal rückwärts überschwemmt; Gärten und Länder und eine Un- zahl von herrlichen Obstbäumen sind ruinirt. Das Wasser stieg bei Unter» türkheim in 10 Minuten um 8 Fuß; manche Uferbewohner konnten nur mit höchster Noth aus ihren Häusern gerettet werden, alle Keller sind voll Wasser und er arbeitet die Feuerwehr angestrengt an deren Entleerung. Eine Stutt» garter Epuipage wollte trotz ernstlicher Warnung die Straße von Wangen nach Berg fahren, kam aber, da da« Wasser den Weg schon 3' hoch überfluthete, in einen Graben. Nur mit äußerster Noth konnten sich die Insassen (der Pf.B. nennt darunter den Hrn. Mtn. v. Sick) nach Wangen retten, die werth- vollen Pferde aber ertranken und wurden später bei Gaisburg zwischen den Eisblöcken aufgefunden.
Leute im freien Felde mußten sich auf die Bäume flüchten, ein! junger Schreiner, der auf einem Eisschemel an den Zweigen eines Weidenbusches hing, konnte nur mit Noth gerettet werden. Von einigen Personen, die man zwischen Wangen und Obertürkheim, herumirren sah, weiß man nicht, ob sie gerettet sind. In Cannstatt lies der Eisgang noch glimpflich ab, und wird der größte Schaden an Gärten und Ländereien verursacht sein; da« Wasser drang bis in den Gemüsegarten des Hotel Hermann. Die Beschädigten wollen sich über die längst schon sehr verderbliche Höhe des Neckarwehrs beim Cann- statter Wasserhaus beschweren. Halb Stuttgart ist auf den Beinen, um das großartige Schauspiel de« von den Fluthen zvrückgelassenen Meere» von Eis- blöcken zu schauen. Weiter unten am Neckar, von der Sägmühle oberhalb Bissingen wurde viel Stammholz entführt. In Heilbronn staute sich das Eis unterhalb der Stadt furchtbar, drang in den Langholz- und Winterhafen ein und beschädigte die Schisse, die untere Sadt bekam Wasser, die Straßen nach Böckingen, Neckar- und Großgartach sind mit riesigen Eisblöcken bedeckt. Von weiter abwärts fehlen noch Berichte.
Vom Rhein erfährt man, daß in Folge Feststehens der Eises von der Lorely bi» Mainz Rüsselsheim und a. Orte überschwemmt sind. Wegen der Verstopfung des Binger Loches steht Rüdesheim unter Wasser. An der Mündung des Mains bei Fort Gustavsburg ist der Eisenbahndamm zerstört und die Verbindung nach Frankfurt und Larmstadt unterbrochen. Am 2. Jan. Abends ist das Rheineis an der Loreley losgebrochen.
_ Stuttgart, 3. Jan. Die Sektion der Ermordeten wurde vorgestern
vorgenommen. Die Frau hat 46. der Mann 28 Wunden. Der Frau, dem 13 jährigen Mädchen und dem kleinen Kind wurde von dem Unhold überdies der Arm total abgeschlagen. Die beiden schwerverwundeten Kinder sind noch am Leben. Merkwürdig ist, daß das Verbrechen.in der Nacht nach dem Tag begangen wurde, da erstmals in Stuttgart im neuen Justizpalast da« Schwur- gerächt auch zum Urtheil über eine Blutthat tagte. — Die Beerdigung der 4 Leichen der Ermordeten fand heute Vormittag um 10 V, Uhr vom Leichen Haus des Pragfriedhofs aus statt, wohin dieselben gestern Abend von der Leichenstube des Bürgerhospitals verbracht worden waren.
— Besigheim, 28. Dez. Daß unsere Schafzüchter mit Zwillings- und Drillingslämmern beglückt werden, ist gerade keine Seltenheit, viel seltener dürste der unserem Stattschäfer Hilligardt vorgekommene Fall sein. Derselbe mußte ein Mutterschaf schlachten, das nicht weniger als sechs Lämmer im Leibe hatte. Diese Fruchtbarkeit bei den Schafen soll einen guten Sommer bedeuten.
— Brackenheim, l. Jan. Gleich zu Beginn des Neujahrs wurde eine hiesige Familie in schweres Leid versetzt. Ein im 2. Ulanenregiment zu Ludwigsburg als Musiker dienender Sohn, mit Nachtwandeln behaftet, gerieth
heute früh 3 Uhr in seiner Kaserne an« Fenster und fiel 3 Stock hoch so Übel auf die Straße!, daß er augenblicklich tobt war. Kaum vor dem betr. Telegr. wurden die Eltern durch rin freundliche« Neujahrsglückwunschschreiben Seitens des Sohnes erfreut.
— Freudenstadt. 1. Jan. Letzte» Mittwoch wurde in der Sitzung de» hiesigen Gemeinderaths da« neueintretenbe Mitglied beeidigt. In der darauffolgenden Berathung über die zu vertheilende Bürgergabe wurde beschlossen: jedem Bürger in Anbetracht der ungünstigen Zeitverhältnisse. welche für den armen Mann sehr drückend sind. 11 Meter tannenes Scheiterholz aus dem städtischen Holzgarten oder hiefür 50 aus der städtischen Waldkasse. trotz» dem dieselbe im verflossenen Jahre eine» Ausfall d. h. einen Mindererlös von 22.000 in Folge der gedrückten Holzpreise hatte, aufs Kalenderjahr 1880/->1 zu verabfolgen.
— Rottenburg, 31. Dez. Die Frau de» Restaurateurs Erath hatte dessen Rock im oberen ^ausgangs zum Zwecke des Ausklopfens aufgehängt. In demselben befand sich die goldene Uhr nebst goldener Kette im Werthe von 300 »1L. Zufällig wurde die Frau von diesem Geschäft auf einige Zeit abberufen, uud als sie wiederkam, war Ubr und Kette verschwunden. Vom Dieb hat man bis jetzt nicht die geringste Spur.
— Weingarten, 2. Jan. In der Neujahrsnacht wurde auf einem Hofe, der zur Gemeinde Baienfurt gehörte, eine Bäuerin, eine Wittwe, dis demnächst sich wieder verheirathen wollte, von ihrem 16jährigen Sohn erschossen. Ob ein unglücklicher Zufall im Spiel gewesen, oder ob ein Verbrechen vorliegt, kann noch nicht angegeben werden. Man will gern das elftere annehmen, obgleich der Sohn sich geflüchtet hat.
— Straß bürg, 3o. Dez. Letzten Sonntag Morgens zwischen 4 und 5 Uhr ist auf dem Straßburger Dahnhofe ein Werthpacket mit 13600 Mark gestohlen worden. Der Inhalt bestand in 1SOOO Mark Gold (Zwanzigmarkstücke, verpacht in einem Beutel der Reichsbankstelle Lübeck) und 3ovO Mark Papier (30 Hundertmarkscheine, deren Nummern nicht angegeben werden können.) Die kaiserl. Ober-Postdirektion in Straßburg sichert eine Belohnung von 75ri Demjenigen zu, welcher Umstände zur Anzeige bringt, die zur Ermittelung des Thäters und zur Wiedererlangung des gestohlenen Geldes führen.
— Frankfurt, 29. Dez. Auf dem Boden des alten Stadttheaters barst in Folge der milderen Temperatur der den Abschluß der Zuleirung bildende Luftkessel, worauf das Wasser sich unaufhaltsam in die Räume des Theaters ergoß. Die Feuerwehr wurde herbeigerufen und stellte die Schieber ab;! die- selbe ist damit beschäftigt, das Wasser auszupumpen. Doch ist der Schade» ein immerhin beträchtlicher. Derartige Fälle kommen jedoch in den letzten Tagen gelegentlich der Temperaturwechsels massenhaft vor.
— Wiesbaden, 30. Dez. Al« bei einer gestern im Parke beim Jagd» schloß Platte abzuhaltenden Jagd der Pächter derselben, der berühmte Augen« arzt Geh. Hofrath Dr. Pagenstecker in einen Schlitten einsteigen wollte, ging plötzlich dessen geladene Lefaucheux Flints los, der Schuß durch seine Hand, dann durch den Backenknochen unü durch den Kopf. Der Schwerverletzte befand Ich einige Stunden in hingebendster Pflege beim Verwalter des Schlosses, ist aber dennoch, trotzdem auch ärztliche Hilfe bald zur Stelle war, noch am gestrigen Abend gestorben.
St. Gallen, 31. Dez. Großes Eisenbahnunglück des Zürcher 10 Uhr- zuges: Zwei Lokomotiven wurden über Bord geworfen, zwei Gepäckwagen ganz, ein Personenwagen halb zertrümmert. Der Zugführer ist todt, der La- komotivführer unter der Lokomotive lebendig begraben. Gegen 5 Personen vom ZugSpersonal und 8 Passagiere sind lebensgefährlich bis leicht verwundet,
Rom. 30. Dez. Eine fremde Dame, Namens Schmitt, angeblich amerikanischer Nationalität, weilt seil Anfang Dezember in Rom, wo sie schon mehrfach vom Papst empfangen wurde. Man erzählt sich von derselben, daß sie im Begriff steht, in den Besitz einer kolossalen Erbschaft zu kommen, von der sie 18 Millionen an den Heiligen Stuhl geschenkweise übermachen wird. Eine andere nickt so große, aber doch sehr bedeutende Summe wird.die Dame für die Armen Roms stiften, weil mehrere ihrer Vorfahren in Rom begraben liegen. Die römischen Zeitungen versichern, daß diese Nachricht, welche anfangs für eine Fabel gehalten wurde, wirklich begründet ist. Die Dame bewohnt das Hotel Costanzi.
Feuilleton.
Eine Jugendsünde.
Roman von Ponson du Terrail.
Freie deutsche Bearbeitung von Hermann Roskofchny.
(Foryctzung.)
' „Ein Almosen, mein Herr!" sagte eine zitternde Stimme neben dem Banquier, als dieser der Stelle zuschritt, wo er seinen Wagen zurückgelassen hatte.
Bei dem Klang dieser Stimme erbebte der Banquier.
Neben ihm stand ein junger Mann mit einer Blouse bekleidet, der ihm mit halb abgewendetem Gesicht dis Hand entgegenhielt.
Herr Valbonette de Valbonne war ein gefühlvoller Mann. Die in. der ganzen Haltung des jungen Mannes sich ausdrückende Scham, der Ton, in dem er an seine Freigebigkeit appellirte. rührte ihn und erweckte sei« Mitgefühl.
Indem er ihm ein Goldstück in die Hand drückte, fragte er:
„Du bist ohne Arbeit, m-jn Junge?"
„Meine Mutter," erwiderte der Gefragte mit traurigem Ton, „ist vor zwö'f Lunden gestorben und ich habe kein Geld, um die Begräbnißkosten zu bestreiten."
„Wo wohnst Du?" fragte der Banquier.
„In jenem Hause, im fünften Stockwerk."
. ^ü.'e mich in Deine Wohnung!" befahl der Banquier kurz.
Der ju-'ge Mann ging voran und der Banquier folgte.
Im Jahre 1833 wann die Straßen von Paris noch sehr schlecht be
leuchtet, und die kurze Scene, welche wir geschildert haben, hatte sich in einem Halbdunkel abgespielt, das dem Banquier »icht gestattete, den jungen Mann genauer zu betrachten.
Aber beim Eingang des bezeichneten Hauses brannte eine Laterne und da warf Herr de Valbonne einen raschen Blick auf seinen Begleiter.
Er mochte dreiundzwanzig Jahre alt sein, war sehr blaß. hager, klein von Gestalt, aber fein von langen blonden Haaren umrahmtes Gestchr war von einer fast mädchenhaften Zartheit.
Kauni hatte der Banquier ihn genauer angesehen so stieß er einen Schrei der Verwunderung, ja des Schreckens aus.
„O mein Gott l Welche Aehnlichkeit!" murmelte er vor sich hin.
Der junge Mann war überr«scht stehen geblieben.
„Wer bist Du? Wie heißt Du? Wie hieß Deine Mutter?" fragte ihn der Banquier.
„Aber mein Herr . .
„Um des Himmel» willen, antworte!"
„Ich heiße Joseph Loriot. Es ist die» der Name meiner Mutter", erwiderte der junge Mann mit gesenktem Haupt. „Ich bin ein uneheliches Kind . .
„Komm hinaus!" unterbrach ihn der Banquier mit rauhem Ton, - d ehe Joseph Loriot noch etwa» erwidern konute, stieg Jener schon die Treppe Lnauf.
Im fünften Stockwerk befand sich sowohl zur Rechten als zur L ? n der Treppe ein Corridor.
Der Banquier wandte sich, oben angekommen, sofort links, und der ftingr- Arbriter, der ihm r asch folgte, sah ihn eine Thüre öffnen.
Hatte der Lichtschimmer, der durch die Spalten der Thüre drang. den