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Telegramm angedeuteke Stellung des Hrn. Chevalier zur Zollfrage kam uns nicht unerwartet, wtr erinnern uns ja noch wohl, wie er Lei einer Versammlung im Waldhorn dahier nicht ausgesprochener Gegner der Gewährung von Diäten war, aber im Reichstag gegen solche stimmte, wir erinnern uns seiner übrigen Abstimmungen in Gesetzgebungsfragen und wenige der politischen Parteien seines Wahl- kreises, auch nicht die kirchliche Partei, die seine Wahl so sehr begünstigte, wird gefunden haben, daß er a u s g e fpro chen ihre Ansichten vertreten habe. Wnl hienach das Wirken des Hrn. Chevalier im R.ichstag den Ansichten so vieler seiner^ Wähler nicht entsprach, so haben sich dieselben erlaubt, zu ihrer Vertretung einen anderen Candidaten auf zustellen und dieß um so mehr, als Hr. Chevalier in einer Hauptfrage, die ein lammenden Reichstag zur Berathung kommt, w ed-r nicht aus gesprochen die Ansicht der Mehrheit der Wähler des VUl. Kreises thcilt. Zm Uebngen glauben wir darauf Hinweisen zu dürfen, daß Herr Chevalier bei seiner ersten Candidatur bestimmt erklärte, er nehme solche nur für die erste Periode an, bei der zweiten Candidatur vor drei Jahren bezeichnet er die wiederholte Annahme als sein letztes Mandat und wird uns deßhalb Niemand verübeln können, wenn wir aus diesen und anderen Gründen Einleitung getroffen haben, einen anderen Vertreter zu suchen. Hieran konnten wir uns durch den Um- stand nicht abhalten lassen, daß Herr Chevalier derzeit durch seine Anwe>cntzell tm Reicystag abgchatten ist, sich seinen Wählern vorzu- stellen, denn solche Rücksicht konnten wir angesichts seiner seitherigen Behandlungsweise nicht erwarten, und darauf konnten wir uns nicht einlossen, abzuwarten, ob Herr Chevalier nicht noch in den letzten Ta­gen vor Ser Reichstagswahl es für gut findet, uns mit einem Besuch zu überraschen, bei welchem wir seine Ansichten hätten kennen lernen können. Hätten wir unS dann in den Hauptsachen nicht mit ihm einverstanden erklären können, so hätten wir im letzten Augenblick nach einem Candidaten suchen gehen dürfen. Dieß ist die Zumuthung, die man uns mit dem Hinweis macht, abzuwarten bis Herr Chevalier kommt, um uns über seine Ansichten zu unterrichten. Diesem Zufall wollten wir uns eben nicht preisgeben, deßhalb stellten wir die Can- didatur des Hrn. Staelin fest, nur wenn dieser nicht angenommen hätll, hätten wir uns nach einem anderen Vertreter umgesehen. Nach dem aber dieß geschehen, werden wir auch seine Kandidatur mit allen Kräften festhaltcn und unte rstützen.

Calw. Conzertanzeige. Wie wir hören, steht uns für Nkontag, den II. Drzbr., ein großer Genuß in Aussicht. Die Herren Kammervirtuosen u. L). 11 . L oili-

werden unter gütiger Mitwirkung der seltenen Kräfte, welche wir in Stadt und Umgegend besitzen, concertiren.

Harsentöne, M-istcrsang, Horm und Flöten-Klang sind gewiß geeignet, Herz und Gemüth der Zuhörer zu fesseln, und es wird an «ne r oanloar en Ausnahme der Kunsiler nicht grzwnfrlt werden dürfen.

Tübingen. 24. Nov Ein erschütternder Unglücksfall hat sich heute Nacht im evangelischen Stifte zugetragen. Ein Bewohner der Stube Hohenheim stürtzte einige Stock hoch hinunter in den Ga'ten und wurde heute Morgen noch lebend gefunden. Außer der zerschmetterten Kinnlade und einem Beinbruch müssen noch bedeutende innere Verletzungen geschehen sein, denn der Unglückliche (Schl. a. A.) starb noch im Lause des Vormittags. Er war im Kandidatenjahr und wird als ein sehr begabter Mensch geschildert, der namentlich in orientalischen Sprachen bedeutende Kenntnisse besaß.

Dornstetten, 24. Nov. Der Seltenheit wegen sei von einem merkwürdigen Falle Erwähnung gethan, daß nämlich Wundarzt Zinser von hier bei einer künstlichen Geburt ein lebendes kräftiges Mädchen rutvuub.u hat, bei welchem beide Arme fehlen und die Schultern auch blvß teilweise auSgebildet sind.

Gmünd, 22. Nov. Vorgestern wurde in Wien der nach einer Umerjcplagung von 70- bis 80,000 am 14. Juni d. I. flüchtig gewordene frühere HospitalvrrWalter Eduard B. verhaftet. Derselbe hatte sich am 11. d. M. in Wien im Hotelzur ungarischen Krone" einlogirt, woselbst er sich alsKarl Freiherr von Härtl aus Stutt­gart" ins Fremdenbuch geschrieben. Die Polizei fand sich jedoch durch verichudene Umstände veranlaßt, den Herrn Baron etwas scharfer iv Auge zu fassen, was denn auch zur Folge hatte, daß sich aus dem Fr-Herrn" ein Defraudant entpuppte. B. wird, nach Verbüßung einer kurzen Strafe wegen Falschmeldung an das Oberamtsgericht zu Gmünd ausgeliefert werden.

Sontheim a. d- Br., 23. Nov. Ein schreckliches Unglück, das sich hier zugetragen, möge allen Müttern als warnendes Beispiel dienen. Die hochbetagte Walpurga Bayer entfernte sich gestern Mor­gen um halb 10 Uhr von dem ihr zur Pflege anbefohlenen 41/2 I. allen Enkel, um ein Geschäft in der Nachbarschaft abzumachen. Sre schloß das Kind ein, welches an die Zündhölzer gerieth und einige da

von anzündete. Dieselben fiengen sofort Feuer und zündeten unglück­licherweise das Hemdchen, womit das Kind bekleidet war, an. DaS arme Kind wurde jämmerlich zugerichtet und starb noch selbigen Abend an den Brandwunden, die es erhielt. Fast hätte die erschreckte Groß­mutter bei ihrer Zu"ückkunft auch das HauS m Flammen angetroffen.

.nchen, 22. Nov. Der erste Gewinn der Münchener Ju­biläumslotterie im Werthe von 15,000 »kL wurde noch nicht erhoben; dem Besitzer des Glückslooscs, einem Maschinenmonteur, fiel nun ein, daß er vor einiger >.cit mit anderen Papieren das Loos in einem Aborte liegen ließ, woselbst es ein Mann vorsand, und, weil er es in Anbetracht dieses Fundortes für werthlos hielt, kurzweg hin­unterwarf. Es sind nun die umfassendsten Nachforschungen im Gange.

Würz bürg» 18. Nov. Der Einjährig-Freiwillige v Lutzen­berger des 9. Jnfanterie-Regiments, ein hoffnungsvoller achtzehnjähriger Jüngling, hat sich gestern früh 11 Uhr, nachdem er vom Exerzieren heimgekehrt war, in seiner Wohnung erschossen. Der junge Mann war von seinem Jnstrukiionsoffizier (Sekonde-Licutenant Fuß) mit der Strafe des Sandsacktragens belegt worden, d. h. er mußte während d-8 Exerzierens einen 17pfündigev Sandsack im Tornister Mitschleppen. Am gestrigen Nachmittag sollte dieses Gewicht aus 20 Pfund erhöht und der Bedaucrnswerthe Uberdieß während der Nacht in Arrest ge­sperrt werden. Der junge Mann zog es vor, sich zu erschießen.

Verein. Von Sen wünieuiveigischen Abu>enoni>lcn stimmten bei der Frage der Verweisung der Preßvergehen an die Schwurgerichte 9 mit Ja, 7 mit Nein; einer (Bohrhammer) fehlte. Jene 9 sind r Graf v. Bisfingen, Elben, v. Frisch, Gaupp, Hintrager, v. Hdlder, Lenz, Schwär,, Graf v. Waldburg Zeit, tue dagegen Stimmenden sind: Chevalie r. Fürst v. Hohenlohe-Langenburg, v. Huber, Römer, v. Sarwey, v. Schund, Frhr. v. Varnbüler.

Berlin, 24. Nov. DerReichsanzeiger" bringt aus einem Artikel derGegenwart", welcher die Betheiligung an der Wcliaus- stellung widerräth, einen Auszug zum Abdruck. Der Schluß lautet r Wo Freundschaft kühl zurückgewiefen wird, da soll man sie nicht aufdrängen wollen. Ein Mann, der sich selbst achtet, geht nicht über die Schwelle eines Hauses, wo man ihn ungern sieht, selbst wenn man ihm dort, bei Gelegenheit irgend eines außerordentlichen Ereiz- nisses, für einen Tag artige Aufnahme zusichert".

Von der Nationalbank des Großherzogthums Luxemburg sind neuerdings Banknoten ausgegeben, die auf Reichswährung lauten und zwar in Stücken von 5, 10 und 20 Die Verwendung solcher Banknoten zu Zahlungen ist im Deutschen Reiche mit Geldstrafe von 505000 c/lst verboten.

Prag, 20. November. General Tschernaj-ff wird hier erwartet. Der Ehrensäbel, den ihm der czechische Klub schenken wollte, blieb unvollendet, weil das Geld zur Deckung des Änfertigungspreises von 1200 Gulden bisher nicht aufgebracht werden konnte

Versailles, 23. Nov. Die Kammer und die öffentliche Meinung ist durch die Frage der Civubegräbniffe und des Verhaltens der Militärbehörden zu denselben aufgeregt und man fürchtet, Lag an dieser Klippe das Ministerium scheitern könnte. In der Sitzung vom 21. stellte Floqurt bei der Becathuug über das Gusgcr. dl. Ehren­legion die Anfrage, ob der Kanzler dieses Ordens und der Siegel­bewahrer sich mit der Verweigerung der militärischen Ehren für die­jenigen, welche di: Mitwirkung eines der anerkannten Kulte bei ihrer Beerdigung abgelehnt» beschäftigt hätten. Da der Kriegs- Minister im Senate sestgehalten war, wurde die Debatte auf heute vertagt. Heute ergriff nun zuerst der Minister des Innern das Wort und legte folgenden Gesetzentwurf vor:Art. 1. Die Ehre des Be­gräbnisses wird nach wie vor d-n Militärs im aktiven Dienste er­wiesen. Art. 2. Die Dekrete des Messidor sind nicht anwendbar auf Mitglieder der Ehrenlegion, noch auf Staatsbeamte von bürger-- lichem Stande."

St. Petersburg, 18. Nov. Auf Initiative der hiesigen Kauf­mannschaft beabsichtigt der russische Handelsstand die Kronabgaven wäh­rend 5 Jahren freiwillig in doppelter Höhe zu leisten. Die Gelreide- kaufleute des Wolga-LandeS haben der Militär-Intendantur kolossale Getreidevorräthe zur Verfügung gestellt, verzichtend auf jede Zahlung.

Belgrad, 21. Nov. Seit ungefähr 8 Tagen haben wir eine latente Ministerkrisis. Die Gründe dafür sind nicht in politi­schen Fragen von Belang zu suchen. Es sind lediglich keine Reib­ungen im Schooße des Cobibets selbst, welche das Ministerium schließ­lich veranlaßten, seine Entlassung einzureichen. Nichts aber ist un­wahrscheinlicher, als daß der Fürst in der gegenwärtigen Lage seine Räthe wechseln werde. Fürst Milan hat oft genug bereits erklärt, er finde es für gerecht, daß diejenigen Männer, die den Krieg herbei­geführt, demselben auch ein Ende machen sollen. Erst nach dem Frie­densschlüsse möge sich das Kabinet Steftscha-Ristic zurückziehen.

Redaktion, Druck und Verlag von S. OelschlLger in