seit die Kammer zum letztenmal im Frühjahr sich an die Krone ge­sendet, hätten die weittragendsten Ereignisse auch die baierischen Zu­stände wesentlich umgestaltet, daher es nicht bloß ein Recht, sondern auch die Pflicht der Kammer sei, die Wünsche und Bitten des Lan­des vor den Thron zu bringen. Frhr. v. Stauffenberg spricht da­gegen und sagt: Wenn eS sich um nichts Anderes handle, als die Gefühle der Ehrfurcht und Liebe auszudrücken, würden Alle gern zu­stimmen, aber notorisch handle es sich noch um Anderes. Das wis­sen Alle. Es erging keine Thronrede, deßhalb sei eine Antwort durch eine Adresse ohne außerordentliche Umstände nicht angezeigt. Die Kammer in ihrer dermaligen Zusammensetzung sollte sich nicht mit großen Staatsfragen befassen, da der geringen Mehrheit das Mhige Gewicht hiezu fehle; man solle lieber, statt die Aufregung im Lande zu nähren, die nöthigen Geschäfte abwickeln und allenfall- sige Wünsche und Beschwerden an geeigneten Orten bei der Budget- berathung anbringen. Zur Zeit sei die linke Seite des Hauses nicht in der Lage, für eine Adresse sich erklären zu können. Da niemand wei­ter das Wort ergriff, wurde abgestimmt: 79 Ja, 76 Nein. Zum erstenmal fehlte ein Abgeordneter und, wie der Präsident konstatirte, ohne Entschuldigung: der Abgeordnete Stenglein. Es wird also die Adresse zu Stande kommen, und man darf sich auf heftige Debatten gefaßt machen. Der Antrag des Abgeordneten Horn: man möge die Prüfung der Wahlproteste nach der Reihenfolge vornehmen wie die Rcgierungsausschreibung die Wahlkreise aufzählte, ward von Crämer als cm höchst unglücklicher bezeichnet. Deutlich sehe man des Pudels Kern: die Wahlen von München kassiren zu wollen, um dann freiere Hand zu haben. Wenn man in dem Augenblick, wo mau eine Adresse an den König vorbcreite, zu solchen Mitteln greife, so sehe das aus, als fühle man doch, daß nicht alles recht geheuer sei. Auch Frhr. v. Stauffenberg mahnte ab: es gebe genug materielle Differenzen zwischen beiden Parteien, fange mau nicht auch mit formalen an. Der Antrag wurde indeß wieder mit 79 gegen 77 Stimmen ange­nommen, dann aber zur Wahl des Adreßausschusses geschritten. Hier erregte cS Heiterkeit, als Stauffenberg vorschlug, noch eine Pause zu machen, wen, wie er höre, die gedruckten Stimmzettel der ultramon- tanen Partei noch nicht angelangt seien. In denselben wurden 7 Li­berale: (Crämer, Fischer. Louis, v. Schanß, v. Stauffenberg, Völk rind Wülfert) und acht Patrioten (Freytag, Hauck, Jörg, Kopp, Molitor, Ratzinger, Anton Schmidt und Schüttinger) gewählt. Bei .Feststellung der Tagesordnung für die nächste' Sitzung wollte der Präsident die erste Lesung des Hundesteuergesetzes hiefür bestimmen. .Da erhob sich Frhr. von Stauffenberg mit der Bemerkung: daß, da einmal die Erlassung einer Adresse an Se. M. den König beschlossen sei, diese auch naturgemäß allen sauberen Berathungsgegenständen vor- ausgehen müsse; tue Hunde können warten. Die ultramontane Frak­tion war sichtlich betroffen, es ließ sich nichts einwenden, in dieser Voraufrage hatte die Linke gewonnen und so kann die nächste Si­tzung wahrscheinlich erst über 8 Tage abgehalten werden.

München, 2. Okt. Die Spannung unter dem Publikum über die Vorgänge in der Kammer steigt von Tag zu Tag, aber die daraus sich entwickelnde Stimme ist nicht zu Gunsten der Ultramon­tanen. Die aus der heutigen Sitzung hervorleuchtende Absicht der .2-Stimmenmehrheit, die Münchener Wahlen zu kassiren, würde hier viel böses Blut erzeugen und ist den Herren von der Kutte zu rathen, hen Bogen nicht aufs Höchste anzuspannen. Uebrigens ist dafür ge­sorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Die Kammer­auslösung, die sie am meisten fürchten, wird bei Extravaganzen nicht

»Zange auf sich warten lassen. Vor dem Schwurgerichtshof, der «in Montag seine Session beginnt, werden 7 Personen wegen Raub­mords erscheinen, und zwar 2 Frauenspersonen, 2 Italiener und 3 Dienstknechte. Der vom König begnadigte Pfarrer Mahr ist auS dem Gefängniß in Nürnberg entlasten worden.

München, 4. Okt. Die ultramontane Majorität des Adreß­ausschusses wählte den Abeordneten Jörg zum Referenten, welcher den von ihm verfaßten Adreßentwurf morgen dem Ausschüsse vorlegen wird.

Berlin. Die Verhandlung des Arniinprozesses in dritter In­stanz soll am 20. Oktober stattfinden.

Wie derReichsanzeiger"; meldet, ist dem auswärtigen Amt .in Berlin eine Depesche von dem deutschen Konsul -ll Amoy vom gestrigen Tage zngegangen, in welchem mitgetheilt wird,^«ß die chinesische Mannschaft eines deutschen Schooners den Kapitän Melben, Gerwitz, und den Steuermann auf offener See nahe Futschen ermor­det habe. Das KanonenbootCyklop", welches erst Ende Augusts in Amoy eintraf, ist sofort uach dem Orte der That abgegangen. Da derCyklop", welcher unter dem Kommando des Kapitänlieutenants v. Reiche steht, als Kanonenboot 1. Klaffe sehr flach geht und leicht in die Strommündungen und Buchten eindringen kann, wird es dem­selben hoffentlich bald gelingen, die räuberische Mannschaft aufzubrin» .gen und der gerechten Strafe zu überliefern. Die Entsendung des

.Zyklop" nach China geschah hauptsächlich zu dem Zweck, um die deutsche Flagge in den dortigen Gewässern gegen das Seeräuberun­wesen nach Kräften zu schützen. Die Besatzung des Kanonenboot» ist, einschließlich der Offiziere, 64 Mann stark.

In Hirschberg i. Sch. fand am 27. Sept. zwischen zwei Offizieren der dortigen Garnison ein Pistolen-Duell statt. Der Eine von ihnen, Lieutenant Bries, ein ganz junger Mann, bekam einen Schuß in die Brust, der auch die Lunge verletzt haben soll. Der Schwer­verwundete liegt gegenwärtig im Militärlazareth. Die Ursache de» Zweikampfes soll eine Differenz wegen einer Dame gewesen sein.

Breslau, 29. Sept. In der heutigen ersten öffentlichem Hauptverhandlung des Protestantentags wurde folgende Resolution angenommen: .Der Protcstantentag erkennt in der in unserer Zeit vielfach hervortretenden Gleichgiltigkeit gegen die öffentlichen Gottes­dienste einen ernsten Nothstand unseres kirchlichen Lebens. Die Ursache dieser Gleichgiltigkeit liegt nicht allein in der Abwendung vie­ler Zeitgenossen von den religiösen und kirchlichen Interessen überhaupt^ sondern es trägt dazu auch die Beschaffenheit unserer Gottesdienste Vieles bei. Der Protestantenverein hält deßhalb eine Reform dersel­ben für dringend geboten, damit an die Stelle bloßer Gewohnheits­überlieferung der klare und wahre Ausdruck des religiösen Denken» und Empfindens unserer Zeitgenossen trete. Insbesondere soll die - Predigt, frei von der herkömmlichen Schablone, die ewige Wahrheit des ChristenthumS in das volle Leben der Gegenwart mit seinen sitt­lichen Aufgaben hineintragen. Mit dieser Predigt nach Inhalt und Form in harmonischer Einheit soll die Liturgie die Wiederholung ver­alteter, nicht selten die Andacht beeinträchtigender Formeln vermeiden und im Gegensätze zu katholischer Uniformität dem protestantischen Grundsätze individueller Freiheit und Mannigfaltigkeit entsprechend ge- staltet werden. Es ist die Pflicht der protestantischen Gemeinde, zn solcher Erneuerung ihrer Gottesdienste auf das Kräftigste mitzuwirken. Ohne die lebendige Theilnahme am öffentlichen Gottesdienste bleiben alle Reformen der kirchlichen Verfassung für die religiöse Entwickelung unseres Volkes unfruchtbar."

_ Wien, 5. Okt. Im Finanzausschuß der ReichsrathS-Delegation

sprach heute vor Beginn der Tagesordnung der Kriegsminister Roller dem Ausschuss-für die hochherzige Bewilligung der Anschaffung de» neuen Geschützmaterials den tiefgefühltesten Dank der Armee auS. Die Armee wird ein drittes Mal nicht wieder überlegenen Waffen gegenüberstehen." Obmann Herbst erwiederte, die Kriegsverwaltung könne ersehen, daß alle Delegationsbeschlüsse von demselben PatriotiS- mus geleitet seien, auch wenn mit Rücksicht auf die Finanzlage de» Reiches so viel als möglich Ersparungen angestrebt -werden müssen. Sodann wird die Berathung des Kriegsbudgets fortgesetzt.

Wien. 5. Oktober. Der Finanzausschuß der Reichsrathsdele- gation beendigte die Berathung des Kriegsbudgets und genehmigte nach den Aufklärungen des Kriegsministers einstimmig eine an Krupp zu zahlende Entschädigung von 160,000 Gulden.

_ Wien. 4. Okt. In Folge übereinstimmender Weisungen ver­bleiben die Konsuln der sechs Mächte bis auf Weiteres in Mostar.

Wien, 4. Okt. Die Diplomatie setzt in Belgrad ihre Be­mühungen unermüdlich fort, um die serbische Regierung nicht nur zum Verharren in der Neutralitäts-Politik, sondern auch zur Annahmt korrekterer Forderungen für die Bethätigung derselben zu bestimmen. Die Argumente, deren sich die Diplomatie dabei bedient, scheinen den fürstlichen Hof zur Erkenntniß gebracht zu haben. daß allen Interes­sen am meisten gedient wäre, wenn in Kürze Klarheit in die Situa­tion. und zwar im Sinne der Großmächte, gebracht würde. Fürst: Milan selbst ist sich der Zwangslage vollständig bewußt, in welcher- Serbien sich befindet. Zs kann und darf sich gegen den Willen der- Großmächte in keine Unternehmung einlassen, wenn es nicht seine ganze: Zukunft auf das Spiel setzen will.

Belgrad, 4. Okt. In Folge einer in der Skuptschina ab­gegebenen Erklärung des Fürsten mußte das Cabinet demissioniren.

Rußland. Petersburg, 5. Okt. Das (.offiziöse)Jour­nal de St. Petersbourg" begleitet das Telegramm aus Konstantinopel betreffs der neuesten vom Sultan gemachten autonomischen Zugeständ­nisse mit dem Bemerken, sie seien die beste Lösung der gegenwärtigen Wirren und würden allseitig gebilligt werden. Die Annahme dieser Zu- geständnifse sei den Insurgenten anzurathen, da die jetzt zugesagtcn Re- formen ernster und ergiebiger als früher sein werden. UebrigenS werde sich Europa nicht den Pflichten entziehen, welche die Interessen der Mensch­heit und die eigene Sicherheit ihm auferlegen. (D. h. Europa wird dafür sorgen, daß die Versprechungen des Sultans auch gehalten werden.)

Dänemark. Kopenhagen, 3. Okt. Der DampferBayer" ist auf der Fahrt von Lübeck nach Kopenhagen heute Morgens 6 Uhr­in der Kjöge-Bucht in Brand gerochen. Von 25 Passagieren ist nur einer gerettet. Von der Schiffsmannschaft kamen 11 Mann um'» Leben, der Kapitän und der Steuermann sind gerettet.