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Belletristisches.

Ein Verbrecher.

Aus den Aufzeichnungen eines Kriminalbeamten.

Es war im Jahre 1837 in einem Dorfe hart an der preußisch­hannoverischen Grenze. Das Dorf selbst war preußisch. Der Herbst­wind fuhr schon seit Wochen über Fluren und Felder, die Bäume

es und dennoch hat er stets Geld und wirD auf dem Tanzboden und im Wirthshause mit vollen Händen zum Fenster hinaus. Er muß es recht leicht verdienen! Man hört so Verschiedenes doch ich will nichts gesagt haben.

Ucber Mariens Gesicht glitt eine flüchtige Röthe. Sie hielt den Rocken an, ihr Auge leuchtete und fest fragte sie:Was hast Du

befand.

Ziemlich am Ende des Dorfes lag ein kleines, nur einstöckiges Haus. Eine kleine Stallung war daran'gebaut. Dahinter befand sich ein Garten, der auf das Feld führte. Er war ziemlich groß. Wie auf den Dörfern dortiger Gegend gebräuchlich, wurde er von dem Besitzer nur benutzt, um Kartoffeln uud Futter fürs Vieh in ihm zu bauen. Für Blumen fehlte der Sinn und auch wohl die Zeit zu ihrer Pflege.

Dieß Haus gehörte dem Waldhüter Hans Steingruber. Er be­wohnte es allein, da es für zwei Familien kaum Raum bot. Er selbst hatte zwar nur eine einzige Tochter, allein er lebte nicht gerade in drückenden Verhältnissen und es lag ihm daran, in seinem Hause allein eigener Herr zu sein.

Um diese Zeit saß in der Stube dieses kleinen Hauses Marie, des Waldhüters Tochter. Der Abend war hereingebrochen. Sie

hatte die kleine Lampe angezündet und setzte sich mm, nachdem sie i send, kehrte sein Auge zu Marie, deren Hand er in der seinigen hielt, noch einen flüchtigen Blick durch das Fenster geworfen hatte, wieder. zurück. Seine Züge wurden sofort milder. Sein Blick verrielh, hinter den Rocken, an dem sie schon vorher gesponnen. Wie sie so daß er sie aufrichtig liebe.

dastand und etwas vornüber gebeugt durch das Fenster schaute, konnteIIch hatte Dich schon seil Tagen erwartet", sprach Marie.

man ihre schlanke und doch kräftige Gestalt deutlich sehen. Sie galt mit Recht als das hübscheste Mädchen im Dorfe uud in ihrem fri­schen Gesichte, in den großen leuchtenden Augen, in dem kleinen fein­geschnittenen Munde lag ein eigenthümlicher Reiz. Sie konnte kaum erst achtzehn oder neunzehn Jahre zählen, dennoch lag in ihrem We­sen etwas Festes, Entschlossenes.

Hinter dem Ofen saß ihre Mutter, eine durch Krankheit er­graute und gekrümmte Frau. Sic hatte den Blick auf ihre Tochter geheftet und es entging ihr nicht, daß Marie ungeduldig auf jedes Geräusch lauschte und wiederholt durch das Fenster schaute, als ver­möchte sie die völlige Dunkelheit, welche draußen jetzt hereingebrochen war, zu durchdruigeu.

Glaubst Du, daß er heute kommen wird?" fragte die Frau. Marie richtete ihre Augen auf ihre Mutter, blickte sie einen Augen­blick schweigeud an, als ob sie deren Gedanken und Befürchtungen errathen wollte, und erwiederte dann ruhiger:Gewiß, er wird heute kommen."

Hat er cs Dir versprochen?"

Das nicht allein er ist seit mehreren Tagen nicht hier gewesen."

Die Frau erwiederte lachend:Das ist er freilich nicht."

Wieder blickte Marie ihre Mutter forschend an.Weßhalb lachst Du?" fragte sie.Was weißt Du über Heinrich?"

Nichts, nichts, als daß du eine Närrin bist, die glaubt, der Bursch liebe sie und nur sie allein, Hahaha!"

Was hast Du, Mutter?" fragte das Mädchen noch einmal, und ihre Stimme klang scharf, fest.

Haha! Nichts, nichts! ich wollte Dir nur sagen, daß er am letzten Sonntage den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht wieder getanzt hat, mit anderen Mädchen natürlich. Und lustig ist's her­gegangen. Haha!"

Auf Marie schienen diese Worte nicht den Eindruck zu machen, den die Frau erwartet hatte, denn ruhig erwiederte sie:Da ich nicht zum Tanz gehen darf, muß er wohl mit andern Mädchen tan­zen. Und weßhalb soll er nicht lustig sein? Deßhalb kann er mich doch lieb haben."

Du wirst ihn noch in Schutz nehmen und an ihn glauben," eiferte die Alte,wenn Du es mit eigenen Augen siehst, daß er sich nichts aus Dir macht. Jetzt sind's fast acht Tage her, daß er nicht hier gewesen. Wo ist er denn? Was treibt er? Kein Mensch weiß

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waren fast gänzlich entlaubt uud man wartete nur auf den ersten! gehört? Was willst Du nicht sagen? Du magst es immerhin thunl Nachtfrost, damit er die Stiele der letzten noch hartnäckig hängenden j Daß Dir Heinrich nicht recht ist, weiß ich längst, allein ich weiß I Blätter löse. Der Winter konnte jeden Tag mit Frost und Schnee!auch, daß ich fest auf ihn bauen kann."

Hereinbrechen, allein das Wetter war noch auffallend heiter und mild.!Bau' nur immerhin auf ihn," rief die Alte nicht ohne Spott. Nur die kurzen Tage verriethen, daß man sich schon im November iDie Zeit wird Dich schon klug machen. Und es ist recht gut, wenn

' er gar nicht wieder kommt, denn Dein Vater hat geschworen, ih», die Thür zu weisen, wenn er ihn hier treffe."

Marie erhob sich. Ihr Auge glühte. Eine heftige, leiden­schaftliche Stimmung war in ihr aufgeflammt. Sich mit aller Kraft beherrschend, fragte sie:Was hat der Vater gegen ihn?"

Ehe die Alte noch antworten konnte, wurde die Thür geöffnet und ein großer schlankgewachsener Bursch trat ein. Mit dem über­raschten, freudigen RufHeinrich" trat Marie ihm entgegen und reichte ihm zum Gruße die Hand.

Sein Gesicht war sonuenverbräunt. Es lag ein wilder Zug darin. Seine dunkeln Augen hatten einen leuchtenden Glanz und blickten oft unheimlich; dennoch konnte man ihn schön nennen. Er mochte kaum zwanzig Jahre zählen, seine Züge waren durchaus männ­lich und ausgeprägt. Ein entschlossener, muthiger Sinn lag darin ausgedrückc. Einen schnellen prüfenden Blick i.n Zimmer umherwer-

Weßhalb bist Du nicht gekommen?"

Ich hatte Geschäfte", entgegnete er kurz, und wieder schweifte > sein Blick zu der Alten nach dem Ofen hinüber.

Geschäfte?" wiederholte Marie.

Gewiß", rief Heinrich unbefangen.Glaubst Du, Mädchen, ich bekomme das Geld geschenkt?" Er griff in die Tasche, zeigte ! eine Hand voll Geldstücke und warf einige auf den Tisch. Ka.« > Dir ein Tuch dafür; wenn ich das Geld behalte, geht's doch bald für s Bier oder Tanz darauf."

Ich rühre es nicht an", entgegnete Marie fest.Man sagt, Du brächtest des Nachts Maaren über die Grenze ins Hanuovcr'sche, für welche keine Stener.bezahlt würde. Hast du dadurch das Geld ? verdient"

Haha! Und wenn ich's hätte, könntest Du Dir immerhin ein Tuch dafür kaufen, es würde Dich ebenso schmuck kleiden."

Du weichst meiner Frage aus!"

Sei nicht thöricht, Mädchen!" warf Heinrich ein.Soll ich vielleicht auf das Gut zurückkehren und den stolzen Herrn, der mich erst fortgejagt, um Brod und Arbeit bitten, damit er mich zum zweiten Male sortjagen könnte?"

Nein, das sollst Du nicht!" sprach Marie bestimmt.

Soll ick vielleicht bei den Bauern um Arbeit betteln, damit sie mich mit Spott zurückweisen?"

Das hast Du auch nicht nöthig es gibt ohne sie Arbeit genug."

Ich wäre darum auch nicht in Verlegenheit", fuhr Heinrich fort,wenn ich in die Welt hinauslanfen wollte. Ich mag indeß meine Mutter nicht allein lassen, und ich glaubte. Du, Marie, wür­dest mir einen solchen Rath am wenigsten geben. Doch vielleicht wär' Dir dieß gerade recht."

Marie 'empfand das Bittere, das in den letzten Worten lag, tief. Sie verdiente sie nicht, denn mochte auch das ganze Dorf ge­gen ihn eingenommen sein, sie liebte ihn dennoch, weil sie ihn besser kannte, als Alle. Sie schwieg; was sollte sie ihm erwiedern? Das war es gerade, daß sie auch bei dem Unrecht, das er beging, sich stets sagen mußte: Du würdest nicht anders gehandelt haben. Nur einmal blickte sie zu ihm auf und in diesem Blicke lag deutlich aus­gesprochen: Du weißt, wie Unrecht Du mir thust. Sie würde es ihm gesagt haben, wäre ihre Mutter nicht zugegen gewesen.

(Fortsetzung folgt.)