Polen. Warschau, 5. Juni Gestern ist wiederum ein Transport politischer Verurtheiltcr, aus 280 Personen bestehend, mit der Eisenbahn nach Rußland abgegangen. Es waren darun­ter zwei ganz junge Damen, eine von ungefähr 20 Jahren, in Ketten. Bei dem Abgänge eines jeden solchen Transports finden sich viele wohlthätige Personen ein, um diejenigen unglücklichen Deportieren, bei denen die eigenen Familien nichts für sie zu thun im Stande sind, mit dem Nöthigsten zU versehen. Aus Moskau wird geschrieben, daß in den dortigen Gefängnissen noch immer 3000 Polen, die ans dem Transport nach Sibirien sind, sich befinden. Man sieht darunter viele junge Leute von 17 und 18 Jahren, selbst Kinder von 12 und 13 Jahren.

Türkei. Bu k a r est, 11. Juni. Fürst Cusa ist in Konstan- tinopel mit ganz ungewöhnlicher Auszeichnung empfangen wor­den und hat am 10. d. M. beim französischen Botschafter dinirt.

Griechenland. Athen, 4. Juni. Der hiesige Handels- stand ersuchte um Verstärkung der Garnison wegen zunehmender Unsicherheit. Die Wahlen aus den Jonischen Inseln beginnen am 19. Juni.

Frankreich. Paris, 12. Juni. Trotz der guten Nachrich­ten, die man aus Algier haben Will, gehen doch wieder neue Trup­pen nach Algerien. Das 2., 20. und 37. Linienregiment, welche zur Lyoner Armee gehören, haben Befehl erhalten, sich in Toulon und Marseille einzuschiffen. Gleichen Befehl soll auch das 36. Linienregiment erhalten haben. Endlich ist eine Arbeiterkompag­nie von Paris nach Oran abgegangen. Gestern ist die Rhone ausgetreten und hat große Verheerungen angerichtet.

Amerika. New-Uork, 1. Juni. Das Smith'sche Armee- Corps (Butlers Armee) hat Grant verstärkt. Seinerseits hat Breckenridge Lee verstärkt. Am 26. zog sich Grant, als er sah, Laß die Position Lce's am Flusse South Anna zu stark war, zurück und kam, indem er wieder über den North Anna ging, nach Hannover-Town. Am 29. kam er in Pammikey an und nahm eine starke Position 3 Meilen südlich von diesem Orte ein. Lee verließ seine Position von South-Anna in der Nacht, welche der Bewegung Grant's folgte und postirte sich am Norbufer des Chi- kahominy südlich von Tvtopotamoy-Creek. Die letzten Nachrichten sagen, daß Lee am Abend des 30. das Corps Warrens unfern Stady-Grove, auf der Linken Grant's angegriffen hat, aber mit großen Verlusten zurückgeworfen worden ist. Um Warren zu unter­stützen, hatte General Meade Befehl gegeben zu einem allgemei­nen Angriff, aber General Hancock war der einzige, der den Be­fehl erhielt. Er griff die Conföderirten an, welche genöthigt wur­den,.ihre Verschanzungsliuien zu räumen. Das ganze Corps Burnside's Passirte den Totopotamoy-Creek und vereinigte sich mit Warren. Tie Conföderirten wurden gleichfalls den 30. und 3l. bei ihren Angriffen gegen Butler bei Spring-Hill zurückgeschlagen. General Sherman hat in einer Schlacht bei Dallas am 28. die Conföderirten besiegt und in die Flncht getrieben; Sherman ver­lor 300, der Feind 2800 Mann. Am 31. hat er einen zweiten Angriff abgeschlagen.

Der Hausarzt.

Novelle von A»g. Schräder.

(Fortsetzung.)

So, jetzt sind wir allein. Nun bestimmen Sie, ob ich Ihr Hausarzt bleiben soll yoer nicht. Im ersten Falle werde ich ein scharfes Examen mit Ihnen abhalten, im zweiten aber entferne ich mich aus der Stelle, und Sie sehen mich in Ihrem Hause nie wieder.

Doktor, so sprechen Sie mit mir? fragteWalburgschmerzlich.

Weil ich muß, weil Sie mich dazu zwingen. Es ist Arz­nei, bittere Arznei, die ich Jbncn reiche.

Bleiben Si^«lkkn Freund!

Walburg streckte beide Hände-.aus.

Das wird auf Sie ankvmmm.. Beginnen wir das Examen. Wenn ich heilen soll, muß ich den Sitz des Uebels kennen. Mann, wie sehen Sie aus! Und dennoch verbergen Sie mir Ihr Leiden, dennoch behaupten Sie gesund, zu sein, und schließen mir die Thür vor der Nase zu. Element, benimmt sich so ein junger Mann

gegen seinen väterlichen Freund? Da verfuhr Ihr seliger Schwie­gervater anders: Doktor, sagte er, es mochte nun im Körper oder im Hause nicht richtig sein, Doktor, rathen Sie, was fange ich an? Und so fragte er mich auch, als es sich um Ihre Person handelte. Ohne mich hätten Sie weder die liebenswürdige Doris, noch die schöne Firma erhalten. Ohne den alten Doktor, vor dem Sie die Thür verschließen, wären Sie in das Waisenhaus gewan­dert, statt aus die Handelsschule nach Hamburg. Antworten Sie: verdiene ich nun Ihr Vertrauen oder nicht? Bin ich Ihr Freund gewesen oder Ihr Feind?

Doktor, Doktor! rief Franz erschüttert und warf sich an die Brust des Greises.

Nach einigen Augenblicken riß er sich los, öffnete mit fester Hand den Lecretair, holte den Brief aus dem geheimen Fache und reichte ihn dem Greise, indem er sagte:

Hier ist die Duelle meines Leidens. Prüfen und handeln Sie, aber schonen Sie Doris, die arme, arme Frau. ...1

Walburg lehnte sich mit verschränkten Armen an den Secre- tair. Der Arzt las still folgende Zeilen:

Karl!

Ich vermag es nicht, dir mündlich den schon oft ausgespro­chenen Wunsch noch einmal an das Her; zu legen, darum ergreife ich die Feder. Willst du das Glück, das uns der Himmel in unserer Doris geschenkt, mir vollständig erhalten, so schaffe den Knaben aus dem Hause, bei dessen Anblick, so oft er mir wird, ich erzittere. Es ist deine Pflicht, für das unschuldige Kind zu sorgen, aber du hast auch Pflichten gegen die Mutter deiner Toch­ter zu erfüllen, und diese sind, ich behaupte es als deine dir von Gott angetraute Gattin, heiliger, als jene gegen ein leichtsinni­ges Geschöpf. Laß den Knaben fern von hier erziehen, opfere große Summen, um ihn zu einem tüchtigen Geschästsmanne zn machen, aber erinnere mich nicht zu lebhaft an deinen Feyltritt. Ich habe Las Recht, diese Rücksicht von dir zu fordern. Erfülle meine Bitte, Karl, und du erleichterst mir die Verzeihung, die dir mein Herz schon längst zugedackt hat. Bleiben diese Zeilen ohne Erfolg, so muß ich annehmen, daß du mich absichtlich kränken willst, und daß dir die Ehre deiner Gattin nichts mehr gilt. Ich fordere keine Worte, keine Versicherungen mehr, wohl aber die That.

Im Juni 18 . . Hedwig."

Der CPbis verbarg seine Bestürzung, er suchte unbefangen zu scheinen.

Dieser Brief, sagte er, ist jetzt erst in Ihre Hände ge­kommen ?

Ich fand ihn dort, als ich nach einem Gchcimbuche suchte. Durch Zufall berührte ich die verborgene Feder, die das mir un­bekannte Fach öffnete.

Ter Brief ist falsch; man hat eine Jntrigue ersonnen, um Ihr Glück zu stören. Wer kann die Echtheit verbürgen?

Ich kenne aus andern Dokumenten die Handschriften meiner Schwiegermutter genau wollen Sie vergleichen?

Franz wollte von Neuem den Seecetair öffnen.

Unnütz, mein Freund. Die Züge sind allerdings täuschend nachgeahmt, aber ...

Auch das Datum trifft zu: im Juli hat man mich nach Hamburg gebracht, Simons hat nicht gezögert, der Forderung seiner Gattin nachzukommen. Wollte ich nun auch die Echtheit des Brie­ses bezweifeln und an eine' nichtswürdige Jntrigue glauben, so drängt sich mir die Frage aus: Wer kennt jenes geheime Fach, und wem kann daran liegen, mein höchstes Lebensglück zu zer­stören? Aus diese Frage finde ich keine Antwort, wohl aber muß ich schließen, daß Simons, der den Brief empfangen, ihn aus irgend einem Grunde aufbewahrt hat. Doktor, ich habe gerweifelt, habe lange mit mir selbst gekämpft; jetzt kann ich es nicht mehr. Wenn ich die Liebe des alten Mannes zu mir bedenke, der mir das Handelshaus und das Vermögen erhalten wollte, das DoriT zusteht, weil es von der Familie ihrer Mutter kommt ...

(Forts, folgt.;

Nagoldwärme. 14. Juni 13,1° k. 15. Juni 13,6 k.

Ncdigirl, gedruckt und verlegt von A. Geiscklüger.