— Berlin, 15. Juni. Die feudale Korrespondenz schreibt: „Man erwartet in nächster Woche eine allerhöchste Deklaration zum Verein 8 gesetz." — 16. Juni. Die Blätter sind fortwährend mit Nachrichten über erfolgte neue Verwarnungen angesüllt. Heute zählt man allein wieder sechs Stück, aus allen Theilen des Landes. — In Königsberg hat der Regierungspräsident v. Kamptz die Blätter seines Ressorts freundschaftlich daraus aufmerksam gemacht, daß sie auch durch Citate aus anderen Blättern, sowie der Beschlüsse von Vereinen, Stadtverordneten u. s. w. sich Verwarnungen zuziehen würden. Die Blätter möchten also jene Anführungen lieber unterlassen. — Ter Minister des Innern hat, den gestrigen Zeitungen zufolge, die von den Verlegern der Berliner verwarnten Zeitungen ihm übergebene Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Die Antwort an einige derselben, wenigstens an die Berl. Allg. Ztg., ist noch im Rückstand. Um alle Wege Rechtens zu erschöpfen, sollen sich die Verleger jetzt an das Staatsministerium wenden wollen. — Die nach Paris und London gegangenen österreichischen Amendements zu den letzten Vorschlägen der Westmächte beziehen sich insbesondere auf die Befugnisse der Na- tionalvertreiung. Man erzählt, Fürst Gortsckakaff habe dem General Berg die möglichst schleunige Niederwerfung des Ausstandes empfohlen, dann würde die diplomatische Verhandlung sich bald zu Rußlands fGunsten wenden. General v. Berg habe erwiedert, ein rascher Abschluß der diplomatischen Verhandlung, aus derek moralischer Unterstützung die Insurrektion ihre größte Macht schöpfe, werde die Besiegung des Ausstandes wesentlich fördern. (Schw.M.)
— Berlin, 15. Juni. Ein Warschauer Privatbrief vom 12. meldet, daß an diesem Tage Heim. Abicht und der Kapuziner Konarski mittelst des Strangs hingerichtet wurden, und daß darauf der Großfürst Konstantin die Warnung erhalten haben soll, die Nativnalregierung könne nicht länger für seine Sicherheit einstehen.
— Breslau, 15. Juni. Der „Breslauer Ztg." wird unterm 13. aus Warschau berichtet: In Folge der Erhängung eines Priesters haben Erzbischof und Kapitel Protest eingereicht und die Auslieferung der Leiche gefordert. Protest und Forderung wurden nach Petersburg telegraphirt, woraus von dorther der telegraphische Befehl zurückkam, der Erzbischof habe sofort in Petersburg zu erscheinen. Derselbe wird morgen oder übermorgen abreifcn. (Nach der Rat. Ztg. soll der Erzbischof vom Kriegsgericht aufgesordert worden sein, den Verurteilten den bestehenden Vorschriften gemäß der Priesterweihe zu entledigen, was er verweigerte, indem er die Kompetenz einer weltlichen Behörde zur Verurtheilung eines Priesters nicht anerkenne und daher auch fvon Beschlüssen einer solchen Abstand nehmen müsse; diese Weigerung aber soll der Großfürst als ungehorsam betrachtet und beschlossen haben, den Erzbischof als renitenten Beamten nach St. Petersburg abführen zu lassen. Auch soll derselbe in der That am 14. Juni früh per Eisenbahn unter Militäreskorte abgereist, vorher aber noch strenge Haussuchung bei ihm gehalten, jedoch nichts Verdächtiges gefunden worden sein.)
— Krakau, 12. Juni. Zweiunddreißig russische Beamte im Bezirk Kvbryn in Litthauen haben sich zu den Insurgenten geschlagen. — Ein kaiserlicher Ukas versetzt alle katholischen Beamten aus Litthauen und den altpolnischen Provinzen, nach dem Innern von Rußland, wohin sie sich binnen 15 Tagen zu begeben haben. — Vom Jnsurrections-Schauplatze wird gemeldet: Im Plock'schen unter Broniewski bei Nagoszen und in Litthauen bei Olkieniki hat ein für die Polen erfolgreiches Gefecht stattgefunden. — Dagegen wird aus Warschau gemeldctf, daß die Insurgenten am 10. Juni bei Kleczew einen enormen Verlust an Todten gehabt haben, vollständig in die Flucht geschlagen wurden und 30Mann alsGefangene einbüßten. Ferner erlitten sie am 9., 10. und 11. bedeutende Niederlagen.
Polen. Wilnä, 9. Juni. Der Generalgouverneur Mura- wiew hat wahr gemacht, was er bei seinem Amtsantritt drohend aussprach, daß er zuerst mit den Pfaffen abrechnen würde, die an der gegenwärtigen Bewegung die meiste Schuld hätten. Am 3. d. M. wurde der Geistliche Stanislaus Jschora standrechtlich erschossen; am 5. d. der Geistliche Raimund Ziemacki und mit ihm der Gutsbesitzer Albert Laskowitsch. Heute wurde der bekannte samogitische Bandenführer Boleslaus Kolyjzko gehenkt. Alle diese Hinrichtungen fanden auf dem großen Fruchtmarkte in der Tartarenvorstadt Lukischki statt, und wahrscheinlich nicht ohne Absicht an den Markttagen, wo Tausende von Bauern ihre Zufuhren feil ballen. — Murawicw fügt zu seinen Grausamkeiten noch den Spott hinzu. Am ersten
Pfingstfeiertage hatten einige polnische Damen zu Wilna in den Kirchen für die katholischen Armen gesammelt. Die Polizei nahm die gesammelten Gelder noch während des Gottesdienstes weg, da die Collecte zur Unterstützung der Insurgenten bestimmt sei. Trotzdem ließ Murawiew im amtlichen Blatte den Damen dafür danken, daß sie für die Familien der von den Insurgenten ermordeten treuen Russen gesammelt hätten.
England. London, 15. Juni. Lord John Ruffel hat nach Wien und Berlin gleichlautende Noten geschickt, worin auf die gefährlichen Verwicklungen aufmerksam gemacht wird, welche eine militärische Besetzung des Herzogthums Holstein durch deutsche Bundestruppen Hervorrufen können. — Ein respektables Liverpooler Haus hat heute eine Newhorker Depesche erhalten, nach welcher sich das Gerücht bestätigen soll, daß die Belagerung von Vicksburg aufgehoben und die Armee des (unionist.) Generals Grant umringt sei (s. dag Amerika).— 18. Juni. Mornjng-Post meldet: Die nach Petersburg abgegangenen Noten sind identisch, ausgenommen, daß Oesterreich nicht die Einstellung des Kampfes befürwortet. England 1?i im Verwerfungsfall zwar nicht kriegsbereit; doch möchte es für Rußland gerathen sein, ehestens cinzulenken. (Fr. A.)
Amerika. Newyork, 5. Juni. Die Belagerung von Vicksburg nimmt ihren Fortgang; General Grant hat zum Schutz seiner Truppen Erdarbeiten aufwerfen lassen. General Jobnstone ist mit 15—30,000 Mann im Anmarsch, um Haiyes Bluff anzugreifen und den Unionisten die Verbindung auf -dem Mzoofluß abzuschneiden. Eine Abtheilung des Unionistenheeres geht ihm entgegen. — 6. Juni. Am 27. Mai griff der secess. General Banks Port Hudson an, stieß aber auf verzweifelten Widerstand. Die Unionisten nahmen eine Batterie von 6 Kanonen und warfen den linken Flügel. Am folgenden Tage erneuerte sich die Schlacht, deren Resultat noch nicht bekannt ist. Die „Newyork Tribüne" versichert, Banks hätte seinen Truppen Befehl zum Rückzug in ihre frühere Stellung gegeben, und es seien ihm von New Orleans Verstärkungen zugeschickt worden! — Der Rebellcngeneral Lee hat Fredericksburg geräumt und die Linie des Rappahannock verlassen; es ist unbekannt, wohin er gegangen. Der Bundesgeneral Hooker hat den Fluß überschritten und Fredericksburg besetzt. — Der Bundesgeneral Grant hat seine Batterien den Festungswerken Vicks- burgs genähert.
Unterhaltendes.
Ein schwer geprüftes Mutlcrherz.
lFortsetzimq.)
Vor dem Eintritt der Mutter hatten die Mädchen ein geistliches Lied gesungen, die Sennora hatte es vom Hofe aus gehört und in dem Chore eine klare, hohe Stimme unterschieden, die wie eine silberne Flöte den Gesang beherrschte. Es that ihr leid, daß bei ihrem Erscheinen mit einemmal die tiefste Stille herrschte und jedes Mädcken ehrfürchtig das Haupt über ihre Arbeit senkte. Dock wollte dieß die vorschriftmäßige Ordnung, denn die Mutter war gleich mit der Strafe bei der Hand.
Dem Wunsche der Gräfin gemäß zeigte ihr die Mutter die Arbeit eines jeden Mädchens und fügte so umständliche Erklärungen hinzu, daß die Sennora nur sehr langsam durch die Reihen der Mädchen sortkam. Sich nach dem, was sie zu wissen und zu sehen wünschte, zu erkundigen, durfte sie auch nickt wagen, so sah sie sich zur peinlichsten Geduld verurtheilt und hörte fast nicht mehr auf ihre Führerin, so sehr war sie von dem Gedanken in Anspruch genommen, daß eine Person, die ihr theurer war als das Leben, in diesem Augenblick mit ihr die Luft desselben Zimmers einathmete.
Die Mutter wunderte sich über die auffallende Zerstreutheit der Sennora und wollte schon ihre Erlauierungen unterbrechen, als die Gräfin Plötzlich sagte: „Eure Mädchen singen alle recht hübsck, Frau Mutter; doch habe ich eine hohe Stimme gehört, die ganz besonders lieblich klingt." v / , v »
„Ich glaube es wohl," sprach die Mutter, „es ist die Stimme der hölzernen Klara . . . Doch was habt Ihr? Ist Euch die Luft hier drückend? wir wollen auf den Hof gehen, es ist dort frischer."
„Ihr täuscht Euck," antwortete die Duenna eilig, doch kaltblütig. „Meine Herrin erblaßt bisweilen plötzlich; es ist eine Nervenschwäche, die übrigens nichts zu bedeuten hat."
„Dann um so besser," bemerkte die Mutter. „Wünscht die gnädige Frau das Lied noch einmal zu hören?" ^