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„Ach ja, ich werde Euch dankbar sein; doch verzeiht mir, wenn ich mich aus diesen Stuhl setze, denn ich bin sehr müde."
Die Mutter lies nach dem andern Ende des Saales und holte ihren eigenen Lehnstuhl, der mit Leder bekleidet und mit vergoldeten Nägeln besetzt war. Sie ersuchte die Gräfin, sich in denselben zu setzen und ries den Mädchen zu : Die gnädige Frau hier würde Euch gern singen hören. Clara Houtvelt, stelle Dich an das Pult!"
Während die Waisen sich anschickten, ihrer Mutter zu gehorchen und aus ein Zeichen zu warten schienen, fragte die Gräfin mit schlecht verstelltem Staunen: „Clara Houtvelt, sagt Ihr, liebe Mutter? habt Ihr nicht soeben von einer hölzernen Clara gesprochen, die Vorsängerin ist?"
„Wir nennen die Clara Houtvelt hier die hölzerne Clara, Frau Gräfin; es ist das Engelskind, das an dem Pulte steht" — und ohne die Miene der Sennora, noch die Angst zu bemerken, mit der die Duenna ihre Herrin beobachtete, wandte sie sich zu den Mädchen und rief: „Das Weihnachtslied! Clara singe vor, liebes Kind; Deine Schwestern werden Dich im Chor beglHen."
Die hölzerne Clara stand wirklich am Pulte wie ein poetisches Bild der Kindheit. Sie war sehr zart gebaut, vielleicht etwas zu mager, doch störte das bei einem Mädchen von zwölf Jahren nicht In ihren großen Augen, die wie Perlen unter ihrer alabasternen Stirne glänzten, schien sich des Himmels Blau wiederzuspiegeln; ihr kleiner Mund glich einem gefalteten Rosenblatte, und ein allerliebstes Lächeln ruhte auf ihrem Gesichte. Sobald die hölzerne Clara von der Mutter das Zeichen erhalten hatte, erhob sie ihre Helle Stimme und sang. 7
Während des Liedes horchte die Gräfin ganz entzückt, als wohnte sie wirklich dem himmlischen Halleluja bei. Ihre Augen' wandten sich von Clara nicht ab; sie hing buchstäblich an ihren Lippen. In der That hatte das Waisenmädchen beim Singen etwas so Himmlisch-reines, ihre blauen Augen strahlten von einer innigen Sehnsucht nach Oben, ihr Lobgesang entrückte sie so sehr in das Reich der Harmoni», daß sie nur mit einer Seele, die vor Gottes Throne steht, verglichen werden konnte. Selbst die Duenna war davon gerührt und hatte die Gefahr vergessen, in der ihre Herrin schwebte, denn sie saß da, mit ausgestrecktcm Kopse und blickte aus die hölzerne Clara.
Das Lied war zu Ende, Clara war schon wieder an ihren Spitzen, und die Gräfin und die Duenna saßen noch immer unbeweglich zur Verwunderung der Mädchen, bis die Mutter sich der Sennora näherte und zu ihr mit einem gewissen Stolze sprach: „Ja, gnädige Frau, man kann die Stadt durchsuchen, ehe man eine Sängerin findet, wie dieses liebe Kind! auch soll die Kleine nie in die Lage kommen, Jemandem außer dem Hause zu dienen. Die Elisabethinerinnen in der Nähe, die weißen Schwestern aus der Neustrabe, und die Klosterfrauen auf dem Ochsenmarkte, haben alle unsere Clara eingeladcn, in ihr Kloster zu treten, sobald sie das Alter erreicht hat. Man will sie ohne Mitgift aufnehmen, weil sie in der Kirche die erste Stimme abgeben soll; aber aus dem Plane wird nichts, gnädige Frau. Klara ist mein Kind und wird mich, so Gott will, nicht verlassen, so lange ich lebe. Was sagt Ihr zu ihrer schönen Stimme, Frau Gräfin?"
Die Sennora war von einem übermächtigen Gefühl ergriffen, das sie am Sprechen hinderte; mit Mühe hielt sie die Thränen zurück, die aus ihren Augen zu stürzen drohten. Die Duenna merkte den inner» Kampf ihrer Herrin und ergriff ihre Hand, um sie an ihre Pflicht zu mahnen und mit Muth auszurüsten. Ohne aber aus dieß Zeichen und die Worte der Mutter Acht zu geben, erhob sich die Edelfrau von ihrem Stuhle und eilte gerade auf Clara zu. die aus Ehrfurcht vor der fremden Dame sich gleichfalls aufrichtete und verschämt die Augen zu Boden schlug. Tie Gräfin nahm das Mädchen zitternd bei der Hand, und sagte stammelnd: „Kind Tu hast eine Stimme wie ein Engel. Sieh mich doch an, liebe Kleine. Fürchtest Du mich denn?"
Das Mädchen.hob die schönen blauen Augen empor und sah die'Sennora mit einem allerliebsten Lächeln an. „O nein, gnädige Frau," antwortete sie „Ihr sprecht ja so freundlich mit Eurer Dienerin!"
„Dienerin!" seufzte die Sennora schmerzlich und drückte mit noch innigerem Gefühl die Hand des Mädchens. „Willst du mich küssen, Klara? ... Du singst so wunderschön."
„Küssen, gnädige Frau?" fragte das Mädchen erröthend. „O ich möchte gern, wenn ich nur dürfte."
Bei diesen Worten Clara's faßte die Sennora sie mit beiden Händen am Kopf und küßte sie mit so viel Feuer und Inbrunst aus die Stirne, daß die Kleine, sobald sie losgelassen war, ganz erstaunt und außer sich, zu ihrer Arbeit zurückkehrte und kaum auszusehen wagte.
Die Mutter und die Duenna hatten sich unterdessen genähert und die flüchtige Scene betrachtet. Die erstere wußte nicht, was sie davon denken sollte; es schossen ihr wohl allerlei sonderbare Vermuthungen durch den Kopf, doch wollte sie denselben nicht Raum geben, sondern sich in dem Glauben erhalten, daß der Gesang Klara's allein die Gräfin so gerührt hatte. Die meisten Waisenmädchen betrachteten den Vorfall mit gedankenloser Neugierde oder mit Neid, allein sie waren daran gewöhnt, daß d«e hölzerne Klara zu allen Zeiten und bei allen Besuchern der Gegenstand einer besonderen Aufmerksamkeit une Gunstbezeugungen war, so daß sie auch jetzt nichts Anderes dahinter ahnten.
Die Duenna zitterte vor Angst; als sic bemerkte, daß ihre Herrin nach dem glühenden Kusse erbleichte und ein irres Feuer in ihren feuchten Augen leuchtete, sagte sie laut: „Sennora, Ihr seid unwohl. Die freie Luss würde Euch gut bekommen; wir können ja heute Nachmittag, oder morgen wieder kommen."
Dann stellte sie sich an, als ob sie ihre Herrin unterstütze, zog sie jedoch beim Aermel zum Saal hinaus und führte sie, nachdem sie wenige Minuten im Hofe zugebracht hatten, in das Sprechzim- Mkxwo ste^beim Eintritt die Spitzen besichtigt hatten.
(Forts, folgt.)
Heiraths-Katcchismils für Frauen. Eine Frau, die nicht den Muth fühlt, jede, auch die drückendste Lage, mit ihrem'Manne ertragen zu können, darf nicht heirathen; dein nichts garantirt ihr, daß sie nicht in diese kommt. — Du darfst eher einen Mann heirathen, den du mehr achtest als liebst, als einen, den du nur liebst, ohne ihn zu achten. — Einfach und rein — dieß müssen die Grundpfeiler jeder, besonders der Frauen-Toilette sein. Alles Andere sind überflüssige Schnörkel. Jeder Anzug, bei dem das übersehen wird, gleicht einem vielleicht schönen, aber auf schlechten Grund gebauten Hause. — Eine schöne Frau ohne ein gutes Herz gleicht einer Blume ohne Geruch. — Eine Frau, die fremden Männern mehr als dem ihrigen gefallen will, gleicht einem rhörichten Schäfer, der fremde Schafe füttert und die seinigen, die ihm doch Kleidung und Nahrung geben sollen, vernachlässigt. — Ein kokettes Weib reizt, gefällt auch wohl, aber fesselt nie dauernd. Wenige lieben die Tulpe, alle das Veilchen. — Der Ehestand gleicht einem Mühlwerk, — gut mahlen nur ein harter und ein weicher Stein; der Natur der Sache nach muß der Mann der harte Stein sein; dieß bedenke und sei weich und nachgiebig. — Beklage dich bei Niemand, selbst nicht der deinen Eltern, wegen irgend etwas über deinen Mann, ehe du ihm selber deßhalb Vorstellungen gemacht. Unterläßt du dieses und thust jenes, so gibst du dem Eindringen fremder Gestatten Raum, welche nicht selten vernichtend auf die zum ehelichen Glück nothwendige Harmonie und Einheit wirken. — Bemerkst du, daß dein Mann am Spiel, Trinken u. s. w. Vergnügen findet, so mache ihm, wenn diese Liebhabereien übertrieben werden, gleich im Anfang ernste, aber sanfte Vorstellungen deßhalb. Heftige Austritte würden alles verderben.
Frankfurter Gold-Cours vom 18. Juni.
fl. kr.
Pistolen . . .
Friedrichsd'sr . .
Holland. 10 fl.-Slücke Nand-Dukatcn . .
Sv-Frankcnstücke .
Engl. Sovereigns .
Preuß. Kassenscheine
» S9-4V
S SV-/2-S7'/, s 48 -41 S S4-SS V SS'/, -S3'/, 11 4«-SV 1 4S-/4-V.
Conrs
der k. w. Staats Kasscn-Verwaltvv-
für Goldmünzen.
Unveränderlicher CourS: Württ. Dukaten . . ö fl. 4S kr. Veränderlicher Cours:
Dukaten.5 fl. 32 Ir.
Preuß. Pistolen . . - 9 fl. St n-
Andere ditto . . . - 8 fl. 37 >r.
20-Frcmkensiucke . . . 9 fl. 22 >r-
Stuttqart, 15. Juni >863.
K. Staatskassenverwaltung.
Gottesdienste.
Sonntag, den 2l. Juui. Vorm. (Predigt): Herr Dekan Heberte. (Da- Opfer ist für den Kirchenbausond bestimmt.) — Kinderlehre mit den söhnen 1. Claffe. — Nachm. (Miffsstd.) Herr Helfer Rieger._
Pedigirr, gedruckt und verlegt von A. Gelschlager.