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Mein Kind! Wo ist mein Kind! war RachaelS erster Schrei.

Das Kind fehlte. Anna, sprach­los, wild um sich starrend, saß un­beweglich, als der Reisende und die Wirthin auf sie losstürmten: Woher das Blut gekommen sei? Wo der kleine Junge sich befinde? WaS sie, Anna, mit dem unschuldigen, kleinen Wesen angefangen habe?

Nach kurzem Umhersuchen war eS die Mutter, welche den armen, kleinen Ernst zwischen AnnaS Beite und der Wand eingeklemmt fand. Das Kind war todt. In seiner Brust steckte ein Messer, dessen weißver­zierter Griff auS den Falten der Nachtjacke des Kleinen hervorblickle.

Das Messer gehörte Anna Dor- mer. Sie hatte es kurz vor ihrer Abreise von Ceylon in Colombo ge­kauft. So stand die Thatsache.

Nackael sagte Folgendes aus: Unmittelbar nach d>ic mitgctheilten Unterredung der Schwestern hatte sich die junge Mutter zum Schlafen zurecht gelegt und leise den Arm un­ter dem Kopfe d s KindeS fortgez^o- gen. Wie lange sic geschlafen, wußte Rachacl nicht; aber plötzlich ward sie durch ein unterdrücktes Schluchzen des Kindes mit der bestimmten Em­pfindung erweckt, daß der Kleine so eben seinen letzten Seufzer auSge- stoßen habe. Vollständig wachend im Augenblick griff sie zur Seite das Kind war nickt da. Sie stürzte auS der Kammer hinaus, zur äußern Thür dcS Zimmers. Ob sie selbst die Thür aufschloß, oder ob dieselbe von einem Andern geöffnet war, konnte Rachacl nicht sagen.

Und nun kommt ein sonderbarer Zwischenfall. Hier folgen RachaelS eigene Worte.

Als ich die Thür aufriß und in den von der Nachtlampe erleuch­teten Corrldor blickte, traf mein Auge auf die hell erleuchtete Wand zu mei­ner Rechten und auf dieser Wand sah ick den in's Riesenhafte vergrö­ßerten Schatten eines Mannes, wel­cher über die Wand forthuschte und verschwand.

Von Entsetzen gepackt, war sie in ^Ohnmacht gesunken. Obgleich

Rachael in der vor der Behörde zu Norlhampton geführten Voruntersu­chung belheuerte, daß kein Gedanke bei ihr aufkommen könne, als ob Anna de» Kleinen ermordet habe, so ward doch durch diese Aussage so wenig wie durch den geheimnißvollen Schalten die Sache der Angeklagten gebessert.

Die alten Defensoren hatten sich im sichern Gefühle, daß Anna schul­dig und verloren sei, von der Ver- thndigung loszumachen gesucht. Auf die Erscheinung jenes Schattens legte keiner dieser routinirten Rechtsgelehr­ten Gewicht, während ich in diesem Scbatten den Schwerpunkt der gan­zen Sache erblickte. Rachael sollte entweder den Schatten eines der zur Hilfe herbeieilenden Hausbewohner gesehen haben, oder war durch ihre Verwirrung, ihre Schlaftrunkenheit getäuscht worden, obgleich sie in Wahrheit nichiS sah.

Meine Nachforschungen nach die­sem Schatten blieben so erfolglos, wie meine älteren Kollegen mir vor­her gesagt hatten. Meine Einbil­dung klammerte sich an jenen einzi­gen Gast ul derWeizenfelm", Herrn Brown. Wer und was war er? Wo war er geblieben. Ich stellte, von Rachael mit den nöthigen Mit­teln versehen, ein förmliches Treib­jagen auf ihn an, erreichte aber niiytS, als daß ich erfuhr: Brown fei Handlungsreisender für ein mar- seiller Haus, den weder vor noch nach jener Unglücfsnacht Jemand in Northamptonshire gesehen haben wollte.

Während ich durch meine fieber­haften Anstrengungen AnnaS Sache um kein Jota hatte verbessern kön­nen, kam der Tag der Eröffnung der Assisen heran. Der alte Lord Oberlichter präsidirte, als derMord in der Weizenfelme" zur Verhand­lung kam.

Der Sitzungssaal war zum Er­drücken voll. Anna Dormer Heritage .ward auf die Dank der Angeklagten geführt. Ihr blasses, schönes Ge­sicht schien etwas UeberirdischeS zu

> besitzen. Ihr prachtvolles Haar war

> so einfach als möglich geordnet. Sie

trug ein grauseideneS Kleid ohne weitern Schmuck oder Ausputz. Ein hastiger, starrer Blick aus ihren gro­ßen Augen flog über die Versamm­lung, über die Richter und traf dann ihre Schwester. Thräncp quollen aus Anna'S Augen, als sie mit ei­ner sanften Bewegung des KopfeS Rachael begrüßte, welche ihrerseits aufstand, um mit dem Ausdruck lei­denschaftlicher Zuneigung den Gruß zurückzugeben. Unter diesen tausend Anwesenden war sicher kein Einziger» welcher nicht überzeugt war: daß dieses junge Mädchen unmöglich ein« Mörderin sein könne.

Angeklagte vor den Schran­ken, bekennen Sie sich deS gegen Sie erhobenen Verbrechens schul­dig oder nicht schuldig? fragte der Präsident.

Anna erhob sich. Bereits aber begann Rachael zu sprechen.

Nicht schuldig! rief die Wittwe. Sie würde ihr Leben gegeben haben, um mein armes Kind zu retten; sie würde gern sterben ich weiß eS

um mein Kind mir wiederzugeben. Man könnte mich ebensowohl, wie Anna, des Mordes meines KindeS «»klagen. Sie ist nicht schuldig, bei Gott nicht schuldig!

Nickt schuldig also! sagte der Richter bewegt.

Der Staatsanwalt trat auf und resumirte die Thatsachen. Er brachte für die Unterredung der Schwestern vor dem Morde das Zeugniß der Wirthin. welche in einem anstoßen­den Zimmer beschäftigt gewesen war

Anna hatte nachweislich den Ge­

danken gehegt, daß sie selbst statt deS Kleinen zu dem Genüsse der Erb­schaft des Sir Ralph Heritage ge, langen könne... Dann folgte die Erwähnung deS fatalen Messers... Der StaatSanwalt rief Gott an, die Wahrheit an den Tag zu bringen, daß keinem Unschuldigen ein Leid ge­schehe. (Schluß folgt.)

Nagoldwärme

den. 20. Juli . . 15,6° R.

21. . . 15,0° k.

22. . . 16.1° k.

23. . 1K,6° k.

Redigirt. gedruckt und verlegt von A. Oelschläger,