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«nd entfernte mich so rasch als mög­lich. Nachdem icb eine gute Strecke fvrtgegangen war, wandte ich mich nochmals um. Helene saß noch da und blickte mit verstellter Gleichgül- rigkeit in die Luft hinaus, als wenn sie mich ganz vergessen hätte, und im Stillen dankte ich ihr dafür, daß sie die Aufmerksamkeit des.Ge­heimeraths von mir ablenkte.

Als ich nun später zur ruhigen Ucberlegung kam, ärgerte es mich, daß ich nichts zur Verbesserung der Lage dieser Frau thun konnte, da sic alle meine Anerbietungen stolz zurück­wies. Um sie jedoch nach Kräften aufzuheitern, sandle ich ihr Erfri­schungen, Obst oder Kuchen und schöne Blumen. Mein Diener brachte ihr zweimaldie Woche dieses Geschenk der Liebe. Ich wußte wohl, daß man darüber spotten würde, wenn man denselben, angethan mit glänzender Livree, nach Vartou diese Geschenke bringen sähe, auch litt mein Stolz dabei: aber es erschien mir als eine Art Buße für das Unrecht, das ich der treuen Helene einst angethan hatte. Ich setzte daher meinen Vor­satz einige Zeit hindurch regelmäßig fort; und sie nahm diese Liebesga­ben freundlich an, bis auch dieß ein Ende hatte, wie Alles - in dieser Welt. Ich habe eine Schwachheit, die ich mit Manchem theile, die ein glück­liches Leben geführt haben,> die nämlich, nicht den Tod meiner Alters­genoffen nennen hören zu können. Eines Tages kam nun mein Diener aus Vartou zurück und brachte den Korb voll Weintrauben wieder mit, den ich ihm für Helene eingehändigt batte. Er stellte mir denselben ruhig auf den Tisch und sagte nichts. Als ich aber ihn fragend ansah, begann >r:Die Blumen wurden iHr auf die Brust gelegt; aber von diesen Früchten konnte sie keinen Gebrauch mehr machen."

Einige Tage später folgte ich meiner ersten Liebe zu Grabe. Bei dieser Gelegenheit steckte mir eine alte Frau einen versiegelten Zettel in,die Hand. Als ich nach Hause kam, las ich die Worte:An Graf

Pahlen!"als Aufschrift, und inwen­dig standen nur die Worte:

Arel, Du bist meine erste und letzte Liebe gewesen. Ich war Dir treu, und noch im Tode warst D» mein einziger Gedanke. Ich ver­zeihe Dir um meiner Liebe willen. Laß Dir dieß letzte Wort einer Sterbenden Trost gewähren, wenn Dein Gewissen Dich anklagt. Be­halte mich im Andenken; ich bete am Throne Gottes für Dich, Lebe wohl.

Helene Schwartz."

Welch' ein Schatz war sie ge­wesen; wie glücklich hätte sie zu sein verdient! Eine heiße Thräne rann mir beim Lesen des Briefes über die Wangen. Möchte sie ein Sühnopfer für meine Jugendsünde gewesen sein! Treu im Leben, war mir meine erste Liebe noch bis in den Tod getreu. Ich konnte ihr nicht mehr alle Liebe vergelten, als ich sie zu würdigen verstand; aber mein Herz bewahrt ihr eine dank­bare Erinnerung. Möge Gott im Himmel ihr jetzt das Glück geschenkt haben, das sie bei mir nicht fand . . . das ist mein einziger, innigster Wunsch für sie."

Eine Frau die Ehrenrettcriu ihres Mannes. Ein im Departe­ment Vaucluse wohnender Bauer war eines Meuchelmordes wegen angeklagt, aber aus Mangel an Be­weisen freigesprochcn worden. Sein Weib war ihm während dieser schwe­ren Zeit treu zur Seite geblieben, hatte ihm Trost zugesprochen und seine Vertheidigung großentheils ge­leitet. Das birtheil genügte ich nicht: sie wußte ihren Mann schuldlos; auch hatte die Liebe und das Gefühl der gekränkten Familicnehre ihren Jn- stinct, ihren Scharfsinn geschärft. Ihr entging nicht, was für die Rich­ter unbemerkt blieb. Das Licht und der Schatten auf den Gesichtern der Zeugen und einiger Individuen un­ter dem Publikum , der Ton ihrer Stimmen, ihre zögernden Antworten,

ihre verstohlenen Blicke ließen sie das Geheimniß durchschauen, ldic Schuldigen errathen. Vor den Ge­richtsschranken gelobte sie mit feier­lich erhobener Stimme, die Unschuld ihres Mannes positiv zu erweisen, indem sie die Verbrecher entdecke und den Gerichten überliefere. Das Ehr­gefühl trieb diese Frau mit aller Macht einer unermüdlichen Leiden­schaft, mehrere Jahre lang nach den Schuldigen in einem ausgedehnten Bezirk zu forschen, sie auszuspüren, zu behorchen, kurz, für ihre eigne Sache geheime Polizei und Unter­suchungsrichter zugleich zu sein. Aus dem Marktplatz des benachbarten Städtchens bemerkte sic endlich zwei ihr verdächtige Individuen Zeichen des Einverständnisses austauschen. Sie schleicht ihnen Abends auf der Landstraße nach und sieht sie in ein unbewohntes Haus eintreten. Un­erschrocken übersteigt sie eine Mauer, erklettert ein eisernes Nebengeländer und an demselben lautlos in der stummen Nacht bangend, belauscht sie an dem halbgeöffneten Fenster des ersten Stockwerkes eine Unter­redung, welche das Gericht zur Wie­deraufnahme des Prozesses und zur endlichen Verurtheilung der Schul­digen führt. Das ganze Departe­ment Vauclause nahm Theil an dem Triumphe der Bäuerin, welche fünf Jahre lang mit einer an das Ro­mantische streifenden Ausdauer für den ehrlichen Namen ihrer Kinder gearbeitet hat, und jetzt gesellt sich ganz Frankreich dazu, denn auf einen Vortrag des Herrn Saint Marc Gir- ardin ertheilte die kaiserliche Aka­demie in Paris der Bäuerin den Montgon'schen Tugendpreis.

Gottesdienst am 14. November: Herr Dekan Hp b erle.

Redigirt, gedrutk! und verleg! von A. Oclschläger.