dem Rest des elenden, flüchtigen Lebens, als wenn Vartou ein Palast und sie selber noch jung und glücklich wären.
Aus diesem rothen Hause war der in Rede stehende Brief gekommen, und als Unterschrift darin stand: Helene Schwärtz. Meine erste Liebe war also eine Pfründnerin des Hospitals geworden und wollte mir ein Rendezvous unter den Linden des Philosophenganges geben. Das erschien mir jetzt als ein grausames Verlangen, allein ich hatte sie einmal unverzeihlich leichtsinnig behandelt und durfte somit ihr dieses Verlangen nicht abschlagen.
Wie mir der Gang dahin aber schwer ward! Ich war nahe daran, der warmen Sonne zu fluchen, weil sie mir nicht erlauben wollte, mich in meinem Mantel vor den Leuten zu verbergen, und so schlich ich denn so vorsichtig als möglich nach dem bczeichneten Orte, wie man das gewöhnlich der zu treffenden Dame wegen thut; dießmal geschah cs meiner selbst wegen.
Ich sah Helenen auf der bezeichnten Bank sitzen und näherte mich langsam, ohne daß sie mich bemerkte. Sie war anständig gekleidet und sah im Angesichte noch recht wacker aus. Ich glaube nicht, daß die Vorübergehenden geahnt hätten, sie sei eine Frau aus dem Hospital, wenn sie ibren Platz nicht so nahe bei dem Hause gewählt hätte, und vielleicht entdeckten Manche es doch koch nicht. Mit dieser Hoffnung im Herzen setzte ich mich denn auch auf dieselbe Bank, etwas von Helenen entfernt. Sie blickte mich flüchtig an und wandte darauf ihre Augen gleich- giltig von mir ab. Ich bemerkte daran, daß sie mich mcht wieder erkannte und daß die Unterhaltung beginnen mußte.
„Jungfer Schwartz!" redete ich sie an.
Sie fuhr zusammen und wandte sich rasch zu mir um.
„Sie haben an mich geschrieben," fuhr ich fort.
„An Graf Pahlen," unterbrach
sie mich. „Er wollte also nicht selber kommen*"
„Um Verzeihung, ich bin selbst Graf Pahlen," sagte ich etwas verlegen.
Sie blickte mich fest an und sagte dann mit einem leichten Lächeln auf den Lippen: „Sie hätten doch gerne Arel kommen lassen können, Herr Graf, bei einem Stelldichein mit mir ist ja keine Gefahr mehr für ihn vorhanden."
Ich begann die Frau für irrsinnig zu halten, und sagte daher sehr deutlich: „Aber ich bin Arel, kennen Sie mich denn gar nicht mehr, Helene?"
„Was? Sie?" sagte sie, indem sie mich verwundert betrachtete mit ihren klaren, blauen Augen. „O, zürnen Sie mir nicht; denn es fiel mir nicht ein, Sie so verändert zu finden. Ich stellte mir Sie noch so vor, wie ich Sie vor vielen Jahren zum letzten Mal sah, und dachte nicht daran, daß die Zeit, welche ! mein Haar grau machte, und meine Stirn in Falten legte, auch Sie älter gemacht hat."
Sic wandte sich um und weinte. Ich saß wie auf Nadeln. Wenn Jemand bemerkte, daß unser Stelldichein eine sentimentale Wendung nahm! Inzwischen war cs mir doch ein Trost, daß sie ein feines, weißes Schnupftuch an ihre Augen führte; wäre das ein blaugewürfeltesSchnupf- tabakstuch gewesen, ich glaube mein ! Muth wäre gesunken und ich wäre dcscrtirt.
So erschrecklich konnte ich mich denn doch nicht verändert haben; da ich jede Veränderung meines Aussehens genau beobachtet hatte! und mich doch selber am besten ken- j neu mußte! Allein ich ließ diesen! Gedanken fahren und sagte: „Helene! Ich habe Ihnen großes Unrecht ge- than und mich dessen vielfach angeklagt."
„Sie über mein Schicksal zu beruhigen, worüber Sie, wie ich befürchtete, sich Gewissensbisse machen würden, ist einer der Gründe gewesen, weßhalb ich nochmals eine Unterredung mit Ihnen wünschte," ant
wortete sie. „Als ich damals nach Kopenhagen zurückkam, konnte und durfte ich nicht zu meinem Vater gehen. Ich begann für die Leute zu nähen. Anfangs ging's mir kümmerlich genug, allein nach und nach breitete sich meine Bekanntschaft aus und ich kam in der Welt vorwärts. Ich stieg so hoch, Graf Pahlen, daß Sie in vornehmen Ballsälen sicherlich oftmals Kleider berührt haben, die von Ihrer ehemaligen Freundin genäht waren. Als ich aber älter wurde, konnte ich die anstrengende Arbeit nicht mehr leisten, und mit meiner Stellung ging es bergab. Ein Herr, in dessen Familie ich lange Zeit gearbeitet hatte, verschaffte mir einen Platz in Vartou und daselbst habe ich mich jetzt ein paar Jahre ausgehalten. Sie sehen also, daß mein Leben doch nicht unglücklich gewesen ist, obwohl es unbedingt ruhiger gewesen wäre, wenn ich Sie niemals kennen gelernt > hätte!"
Das konnte ich nun freilich nicht j begreifen. Mir kam cs vor, als wenn cs ein schreckliches Leben gewesen wäre, das sie mir beschrieb. Da sie indeß damit zufrieden war, so konnte ich cs natürlich auch sein. „Mir dieses zu erzählen," erwiedcrte ich, „ist vermuthlich nur einer der Gründe, weßhalb Sie mich sprechen wollten. Ein anderer ist wahrscheinlich, von mir Hilfe zu fordern; denn dazu haben Sic ein unbestreitbares Recht."
„Nein, Herr Graf, von Bezahlung ist hier keine Rede. Was ich Ihnen einmal gewesen bin, geschah aus Liebe zu Ihnen, und dieß Bewußtsein allein läßt mir meine Schuld weniger strafbar erscheinen. Doch nicht weiter davon; der andere Grund beruhte auf einer irrigen Voraussetzung und fällt nun weg, da ich Sie sehe. Ich kam um den hübschen, glänzenden Grafen Pahlen zu bitten, kein zweites Mädchen dadurch in Verzweiflung zu führen, daß er bei ihr für eine flüchtige Laune ihre Liebe sich enttäusche, wie das bei mir der Fall gewesen ist. Das Ende dürfte nicht immer so friedlich sein,