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ließ sie sowohl ihren Gatten als auch die Schwiegermutter fühlen, daß in ihrem Innern etwas erwacht und thätig war, das neue Versuche, sie zu unterdrücken, unmöglich machre. Es ist zweifelhaft ob Arthur sie jetzt so liebte, wie damals, als sie noch furchtsam und unterwürfig war; aber er achtete sie mehr und behandelte sie mit größerer Rücksicht. Er war der treue Sohn seiner Mutter und erbte ihre Natur und ihr Temperament, wenn es auch in milderer und veränderter Form auftrat, so daß es keinem Zweifel unterworfen blieb, Bernhardine würde, hätte sie sich nicht, wie gezeigt worden ist, geändert, von ihm ebenso niedergehalten worden sein, wie es seine Mutter gleich Anfangs gethan hatte. Jetzt ist alles in bester Ordnung. Madame Alster steht nie an, zu bekennen, sic habe sich in Bernhardine geirrt, und Arthur hat nie mehr Anfälle von Eifersucht, trotzdem Cousin Alphons sehr häufig in Distelfeld sick aufhält und seine Frau lachen macht, daß die Thränen von den Wangen herunterollen; denn er — Alphons nämlich — ist der glückliche Gatte des Fräulein Waldheim.
Cin Lithanischcr Stierbändigcr.
Ein wohlhabender Gutsbesitzer im ostpreußischen Lithauen, der sich besonders aufZüchtung schöner Pferde und prachtvollen Rindviehs verlegte, hatte vor einigen Jahren einen sehr schönen Stier aufgezogen. Der Stier gehörte der Schwcizcr-Race an. Er war groß, kräftig gebaut, mit kleinem Kopfe und zierlichen Hörnern. Die benachbarten Gutsbesitzer und sonstige Kenner hielten diesen Stier für ein Pra^-teremplar und ohne Zweifel wäre derselbe eine Zierde jeder Thierausstellung gewesen, wenn cs in der Möglichkeit gelegen hätte, das Thier zu transportircn. Seine Wildheit und Bösartigkeit machten selbst seinem Wärter viel zu schaffen, welcher dem Thicre nur mit der größten Vorsicht nahen durfte. Für einen Fremden war jede Annäherung höchst gefährlich.
Der Besitzer bot vergebens alle Mittel auf, den nur vier Jahre alten Stier zu zähmen. Endlich kam er auf den Gedanken, einen angemessenen Preis für die Bändigung desselben auszusetzen. Thicrärzte, wie auch sonstige Personen, welche mit Vieh umzugehen verstehen, meldeten sich, besahen sich den Stier — aber keiner wagte es den Preis zu erringen. Nach einer Zeit von etwa sechs Wochen meldete sich ein neuer Bewerber: eine kleine zierlich gebaute, aber kräftige Figur. Es war der Schneider aus einem nicht sehr entfernt gelegenen Dorfe. Der Gutsherr maß den Schneider von oben bis unten und schüttelte bedenklich den Kopf, stellte es jedoch dem Bewerber anheim, das zu bekämpfende Thier in Augenschein zu nehmen und das Terrain zu prüfen. Nach Verlauf von einer halben Stunde erschien der Schneider vor dem Gutsherrn und erklärte zum Erstaunen aller Anwesenden: den Stier an dem und dem Tage bändigen zu wollen, verlangte dabei kaum die Hälfte des ausgcsetzten Preises, die Herbeischaffung einiger neuer Peitschen und die Einrichtung des Hofraumes, in welchem die Bändigung Statt finden sollte, nach seiner Vorschrift.
Der Tag des Kampfes erschien und sowohl der Besitzer als die benachbarten Gutsherren zweifelten an dem günstigen Erfolge, ja selbst daran, daß der Schneider erscheinen würde. Man irrte sich. Der Schneider erschien zur festgesetzten Zeit, prüfte die ihm dargebotenen Peitschen, befestigte an einer von derselben eine von ihm selbst construirte spitzlaufende, ziemlich starke Schnur und änderte die vorgezogene rechthaltbare Barriüre des Kampfplatzes dadurch ab, daß er zweiOeffnungen anbrachte, die bequem ihn, aber nicht den Stier durchließen.
Der Gutsherr hatte übcrdem einige Vorsichtsmaßregeln getroffen, um den Schneider möglicherweise bei eintretender Gefahr zu schützen.
Nachdem sämmtliche Vorbereitungen zur allseitigen Zufriedenheit beendigt waren, ergriff der Schnei
der die stärkste der ihm vorgelegten staneitscher Peitschen (die sich beiläufig auch außerhalb Ostpreußens eines guten Rufes erfreuen), und legte sich die andere an einen leicht >zu erreichenden Ort zurecht; nun stellte er sich mitten aus den Platz und gab das Zeichen zur Loslassung des im nahen Stalle angeketteten Stiers. Nach einer Stille von wenigen Sekunden klatschte der Schneider mit der Peitsche und sofort hörte man das Schnaufen , dem Sausen eines Sturmes gleich, ein Stampfen und ein Wuth- gebrülle. Der Stier halte mit einem Bogensatze die Schwelle des Stalles übersprungen, stand einen Augenblick still, senkte leicht den zierlichen Kopf und rannte in kurzen Sätzen auf den Schneider zu. Dieser war wie fortgeblasen. Er war durch die kleine Oeffnung der Barriöre geschlüpft und der Stier schoß vorbei. Im Moment hatte der Schneider durch einen unbegreiflichen Sprung den Stier am Schwänze gepackt. Er baumelte wie eine Troddel an einer altmodischen Husarcnmütze und mochte der Stier in langen oder kürzeren Bogeusätzen seinen Appendir los zu werden suchen, immer tanzte der Schneider, den Schwanz des Thie- res festhaltend, auf seinen Füßen und bearbeitete das Fell des Bullen unablässig mit den Streichen der gewichtigen Peitsche. Staub und Koth verhüllten zuweilen die Kämpfer. Das Gebrüll des Stiers, das zu Anfänge demjenigen eines Löwen ähnelte und nur Wuth athmete, wurde nach und nach immer schwächer, und als der Stier mit seinem Anhängsel derjenigen Stelle vorbei rannte, wo der Schneider sich die zweite Peitsche zurecht gelegt hatte, warf der Peiniger die erstere weg und nahm das neue Instrument zur Hand. Mochte die erste Peitsche Striemen und Geschwulst Hervorgebrachthaben, die zweite zeigte sick- ungleich wirksamer, denn jeder Hieb zeichnete einen feinen Blutstceifen. Das Gebrüll des Stiers ging in Schmerzenslaute über; da erst ließ der Schneider den Schwanz fahren und peitschte nun mit beiden Händen auf