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sen und las, aus jedem Worte Gift saugend, Folgendes:
»Ich hoffe, Dein Geschäft hat einen günstigen Fortgang und daß die alles verwirrenden Advokaten nicht endlich weiter mehr im Stande sind, eine so einfache Frage wie diese unverständlich zu machen. Wir werden alle froh sein, wenn Du wieder zu Hause bist, obgleich ich eben nicht sagen kann, daß Deine Frau aus Sehnsucht nach Dir eine Thö- rin geworden wäre, wle ich wirklich anfangs vermuthet hatte. Im Ge- gentheil, sie ist lebhafter denn je und jeder Tag scheint ihr Glück zu vermehren. Sie machte sogar mich lachen, obschon ich, wie Du wohl weißt, eben nicht sonderlich dazu geneigt bin; aber sie war seit den letzten drei Tagen so unwiderstehlich komisch, wenn sie Deines Schweigens erwähnte, daß ich nicht anders konnte, ich mußte in die allgemeine Heiterkeit mit einstimmen. Ich finde, sie würde eine gute Actrice abgeben. So stellte sie unter Andcrm einen Mann dar, der aus Eifersucht an gräßlichen Kopfschmerzen leidet. Sie wußte die komische Seite einer solchen Situation so vortrefflich hervorzuheben, daß ich meinte, Alphons werde vor Lachen bersten; es war aber auch gar zu drollig. Ich lasse ihr mit Willen dieseFreiheit, damit ich dadurch Gelegenheit gewinne, ihren Charakter zu studiren, und ich glaube, ich weiß nun, was ich zu wissen wünschte. Dein Urtheil über Fräulein Walvheim war, wie ich fürchte, riebtiger als das meinige. Sie ist in Wahrheit eine Statue. Als Bernhardine ihre mimischen Talente zum Besten gab, saß sie auf der Ottomane mit mürrischem und verächtlichem Blick, sprang dann auf und las hochmüthig Deiner Frau, wegen ihrer Leichtfertigkeit und ibreS Mangels anGefühl, tüchtig den Tert. Alphons nahm Bernhardinens Partei und er und Fräulein Waldheim geriethen ziemlich hart an einander. Am Schluffe des Streites reichte Bernhardine Alphonsen die Hand und sagte ihm, er dürfe sie küssen, da er seine Vasallcntreue bwährt habe.
Doch das schien mir zu weit zu gehen, und ich Verhindertees. Ich wünsche, daß Du davon weiter keine Notiz nimmst. In dem Verhalten Deiner Frau liegt nichts Tadclnswerthes und nur Fräulein Waldhcim findet bei ihrer übertriebenen Prüderie darin etwas Unpassendes. Da ich nichts darin zu tadeln finde, so brauchst Du auch gar nicht beunruhigt zu sein."
Aber gerade der letzte Satz zerriß das Gewebe der Madame Alster. Sie vergaß, daß, wenn sie den Verdächtigungen, die sie bloß anregcn wollte, eine fühlbare Form gab, sie selbst das Spiel aus ihren Händen ließ. Arthur verließ die Hauptstadt noch denselben Abend, ohne sich weiter um sein Geschäft zu bekümmern, das nun wieder die Advokaten auf- nahmen und noch weiter zur Füllung ihrer Börsen benutzten.
4 .
Am andern Morgen saßen die in Distelfeld ruhig beim Frühstück, als Arthur mit zornigen Augen und verwirrten Mienen in das Zimmer trat. Er war bleich und der innere Grimm lag deutlich auf seinen Zügen. Als Bernhardine ihn erblickte, sprang sie mit einem Freudenschrei auf und stürzte in seine Arme, nichts von den wilden Blicken wahrnehmend, die von ihr auf die Gesellschaft und wieder zu ihr zurückschweiften. Alphons stand auf, halb verlegen und halb amü- sirt von dem, was da kommen sollte, denn Arthurs Augenbrauncn verkündeten Sturm, dessen Veranlassung er als Mann von Welt sogleich instinktmäßig erkannte. Madame Alster fühlte zum ersten Male in ihrem Leben sich geprellt. Sie hatte auf Arthurs Zurückhaltung gerechnet und nicht minder auf Bernhardinens timi- des Wesen, und nun sah sie mit einem Blick, daß es zu einer Erklärung kommen würde.
Nach dem in mürrischem Schweigen verzehrten Frühstück forderte Arthur seine Frau auf, ihm in den Garten zu folgen. Dicß geschah in einem so befehlenden To», als ob sie eine Sklavin oder ein Kind wäre.
„Laß mich zuerst mit Dir sprechen," sagte Madame Alster in einem Tone, der gebieterisch sein sollte, aber nur den Versuch dazu ausdrücktc.
„Nein," antwortete finster Arthur; „was ich zu sagen habe, habe ich meiner Frau zu sagen."
„Und Deinem Cousin ebenfalls, vermuthe ich," murmelte Alphons in sich hinein.
Schweigend ging Arthur an der Seite seiner Frau in den Garten und einer Laube zu, während diese gleich einem vertrauenden, aber auch fürchtenden Kinde sich an ihn schmiegte. Beide ließen sich auf der Bank der Gartenlaube nieder. Obgleich fest entschlossen, noch heute Alles zu Ende zu bringen, wußte er doch nicht recht, wie er beginnen sollte. Bernhardine sah so liebend und vertrauend auf ihn, und er war ein junger Ehemann und dieß die erste Zusammenkunft nach einer dreiwöchentlichen Trennung. Sie war so unverkennbar erfreut gewesen über seine Ankunft und das sah doch nicht aus wie Kälte gegen ihn. Auch hatte Cousin Alphons nicht ausgefehen wie einer, der durch seine Ankunft sich genirt oder schuldig fand. Nicht minder hatte er, trotz seiner scharfen Beobachtung, auch nicht einen Blick des Einverständnisses wahrgenommen; sic hatten sich Beide zu einander benommen, wie sehr gute Bekannte und nickt mehr. Was war also hier eigentlich das Tadelnöwerthc? Wie sollte er beginnen?
Bernhardine riß ihn aus dieser Verlegenheit; sie sprach zuerst.
„Arthur, zwischen uns ist etwas nicht recht!" sagte sie, zwar rasch, aber doch mit etwas zitternder Stimme.
„So ist es, Bernkardine."
„Bist Du unzufrieden mit mir?" und ihre Hand fuhr sanft an seiner Wange herab.
„Ja wohl, und nur mit Dir!"
(Forts, folgt.)
Gottesdienst am 29. August: Herr Dekan He b erle.^^
Vtcdlgtrt, geviuikt uno verlegt von A. O eiselilägc r.